Kreis Recklinghausen

Dorsten wollte 1830 Kreisstadt werden - es klappte nicht

Kreishaus in RecklinghausenDer Kreis Recklinghausen ist mit über 630.000 Einwohnern der bevölkerungsreichste Kreis Deutschlands. Besonders auffällig ist in diesem Kreis die Vielfalt: Von der Industriezone des Ruhrgebiets zu den ländlichen Strukturen des Münsterlandes gibt es im Kreis Recklinghausen alle Facetten zu sehen und zu erleben. In der Region finden Einwohner und Besucher einen bunten Mix an kulturellen Angeboten – angeführt von den Ruhrfestspielen und dem Grimme Preis über Kleinkunst und Kabarett bis zu Konzerten aller Art. Der „Vestische Kreis“, wie er auch genannt wird, überrascht mit viel Grün und Wasser. Die Haard und die Hohe Mark laden zu kleineren und größeren Wanderungen, Ausritten und Radtouren ein, von den Bergehalden des Reviers hat man eine beeindruckende Aussicht über das mittlere Ruhrgebiet bis hin zum Münsterland. Zum Kreis Recklinghausen gehören zehn Städte: Castrop-Rauxel, Datteln, Dorsten, Gladbeck, Haltern am See, Herten, Marl, Recklinghausen, Oer-Erkenschwick und Waltrop. Die Kreisverwaltung Recklinghausen ist unter anderem zuständig für das Straßenverkehrsamt, das Gesundheitswesen, Veterinäramt, Katastrophen-, Zivil- und Feuerschutz, Geodaten, Erziehungsberatung, sie ist Umwelt- und Wasserbehörde und vieles mehr. – Das Foto zeigt das Kreishaus in Recklinghausen.

Nach dem Ende von Napoleons Besetzung enstand 1816 der Kreis

Nach der Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen entstanden im preußischen Regierungsbezirk Münster 1816 zehn landrätliche Kreise, darunter der Kreis Recklinghausen, der im damaligen Preußen mit 38.000 Einwohnern (heute 614.000) und 781,11 qkm größter Kreis gewesen war und von dem Landräthlichen Commissair Graf Wilhelm von Westerholt geleitet wurde. Das Territorium umfasste das gesamte Vest mit den Städten Recklinghausen und Dorsten sowie 28 Landgemeinden, die von Bürgermeistereien (Fortbestand der vormaligen Mairien) verwaltet wurden. Auch die bis dahin fürstbischöflich-münstersche Herrlichkeit Lembeck – bis dato zum Amt Ahaus gehörig – mit den Gemeinden Lembeck, Rhade, Erle, Wulfen und Altschermbeck wurde 1816 mit dem Kreis vereinigt. Der Name Vest Recklinghausen hat sich bis heute erhalten und deckt den größten Teil des Kreises Recklinghausen ab. Die Festlegung der Kreisgrenzen zog sich bis 1830 hin.

Im „Argus“ stand 1804: Dorsten könnte Residenzstadt werden

Kreiskarte mit den Städten

Kreiskarte mit den Städten

In dieser Zeit bemühte sich die Stadt Dorsten Kreissitz des Kreises Recklinghausen zu werden. Bereits 1804 warb der Dorstener Verleger Carl August Schüerholz in seiner Zeitung „Der Argus“, dass die Inhaber des Vestes Recklinghausen, die Herzöge von Arenberg, Dorsten als Residenzstadt erwählen könnten (siehe Arenberg, Herzog Prosper Ludwig von). Dieses Thema griff nun der Rat der Stadt am 4. Juni 1830 erneut auf, indem er dem Grafen von Merveldt einen Brief schrieb, der im Gräflich Merveldtschen Archiv in Lembeck vorhanden ist:

„Hochgeborener Graf, Hochzuverehrender Herr Geheimer Rath, Gnädiger Herr!
Ew. Exzellenz erlauben wir uns unterthänigst vorzutragen, dass wir nach der erfolgten definitiven Organisation der hiesigen Kreisbehörde uns an die Königliche Regierung mit dem Antrage um Erhebung der Stadt Dorsten zur Kreis-Stadt des hiesigen Kreises gewendet hatten. […] Die Lage unserer Stadt an der schiffbaren Lippe wodurch sie für den hiesigen Kreis der Hauptort zum Ankaufe der Bedürfnisse sowohl als für den Absatz der Producte wird; der wöchentliche hiesige Korn-Markt, welcher durch den Handel nach dem Bergischen und nach Holland eine fortwährende Quelle zum Absatze öffnet, und endlich der Handelsverkehr der Stadt selbst führen schon eine ununterbrochene Verbindung der Eingesessenen des Kreises mit der Stadt herbei, während Recklinghausen von aller Handels-Kommunikation entblößt selbst seine Waaren hier einkäuft und dagegen sein Korn hier absetzt. […] Dass die hiesige Poststraße zu jeder Zeit die Verbindung mit der hiesigen Stadt außerordentlich erleichtert, dass Dorsten selbst in geographischer Hinsicht mehr in den Mittelpunkt des Kreises und den verehrlichen Kreisständen näher belegen ist als die Stadt Recklinghausen, und dass endlich Dorsten, in den Zeiten des Krieges allen Drangsalen Preis gegeben, den billigen Anspruch auf größere Berücksichtigung im Frieden vor der Stadt Recklinghausen begründet hat. […] Die Bürgerschaft der Stadt Dorsten.“

Abfuhr des Grafen von Merveldt

Die Stadt brauchte auf die Abfuhr des Grafen nicht lange warten. Er antwortete am 5. Juli 1830 u. a.:

Anrede usw. „Nach Lage der Sachen und Verhältnisse möchte über die in dem geehrten Schreiben berührte wichtige Angelegenheit am 7ten nach kein definitives Gutachten zu Stande kommen, weil solche wenig besprochen und erwogen, und man die Stadt Recklinghausen nicht gern aus ihrem Besitz setzen wird. Ich verharre mit vollkommener Hochachtung Eurer Hochgeehrten Bürgerschaft dienstergebener Von Merveldt.“

Ob es noch zu weiteren Verhandlungen um das Anliegen Dorstens, Kreisstadt zu werden, gekommen ist, ist nicht bekannt. Es ist anzunehmen, dass die Erbauer des Kreises, Freiherr vom und zum Stein, Graf von Merveldt und mit ihnen Landrat Devens gegen die Verlagerung nach Dorsten waren. Recklinghausen blieb Kreisstadt und Kreissitz. Landrat Devens verwaltete als erster Landrat den Kreis bis zu seinem Tod in Jahre 1849.

Übergewicht der Grundbesitzer im Kreistag beseitigt

Landrat ..... Devens

Preuß. Landrat Friedr. Karl Devens

Die in Westfalen noch gültig gewesenen zehn verschiedenen Grundsteuerverfassungen wurden 1838 vereinheitlicht und anstelle der aus französischer Zeit stammenden Gemeindeverfassungen kam 1841 die westfälische Landgemeindeordnung, die 1851 wiederum von der westfälischen Städteordnung ersetzt wurde. Sie überließ den Städten die Wahl zwischen der monokratischen Bürgermeisterverfassung und kollegialen Magistratsverfassung. 1849 wurde Recklinghausen Sitz des Landrats. Die Provinzialstände entwickelten sich zum Provinzialverband und bekamen 1871 Teile der Verwaltung übertragen. 1887 wurde im Kreistag das Übergewicht der Großgrundbesitzer beseitigt und der Kreistag in eine Repräsentationsversammlung der Abgeordneten der drei Wahlverbände (Grundbesitzer, Ämter, Städte) umgewandelt. 1913 wurden aus den acht Ämtern im Kreis 13 gemacht, zu denen das Amt Lembeck (mit den Gemeinden Lembeck, Wulfen, Hervest) und das Amt Altschermbeck (mit den Gemeinden Altschermbeck, Erle, Rhade, Holsterhausen) gehörten. 1919 wurden alle bestehenden Kreistage aufgelöst und Neuwahlen erstmals als Volkswahlen ausgeschrieben. Nicht mehr die kreisangehörigen Gemeinden, sondern die Parteien dominierten den Kreistag. Mehrere Entlassungen und Zugewinne von Gemeinden veränderten den Kreis im darauf folgenden Jahrzehnt. Nach 1945 vollzog sich als Gegenschlag zu staatlicher Dominanz des Kreises eine überbetonte Kommunalisierung der Kreisverwaltung durch die Besatzungsmacht. 1999 wurde die seit 150 Jahren bestehende Doppelspitze Landrat/Oberkreisdirektor abgebaut; seither ist der Landrat zugleich Verwaltungschef.

Zehn Städte gehören dem Kreis an, darunter Dorsten

Wappen des Landkreises

Wappen des Landkreises

Der Kreis mit seinen zehn angehörenden Städten Dorsten, Marl, Recklinghausen, Waltrop, Castrop-Rauxel, Witten, Haltern, Datteln, Herten und Oer-Erkenschwick ist der größte Kreis in Deutschland seit seiner Gründung. Hier leben 3,5 Prozent aller Deutschen und 9,5 Prozent aller Hartz IV-Empfänger. Mit Stand 2009 kommen monatlich 500 neue Hartz IV-Fälle hinzu. Wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise veränderte sich diese Zahl nach oben. Zusätzlich bezogen im Kreis Recklinghausen im Jahre 2009 rund 35.200 Familien Arbeitslosengeld II. Der Kreis zahlt insgesamt rund 250 Millionen Euro jährlich an sozialen Transferleistungen.
Landräte: 1830 bis 1848 Friedrich Karl Degens, 1848 bis 1893 Freiherr Alexander von Reitzenstein, 1893 bis 1913 Graf Felix von Merveldt, 1913 bis 1919 Heinrich Robert Bürgers, 1919 bis 1924 Erich Klausener, 1924 bis 1927 Max Huesker, 1927 bis 1933 Max Schenking, 1933 bis 1935 Dr. Josef Rieth, 1935 bis 1938 Otto Ehrensberger, 1939 bis 1945 Dr. Hans Reschke (NSDAP), 1956 bis 1960 Willi Steinhörster (SPD), 1961 Peter Heckmann (SPD), 1961 bis 1964 Theodor Liesenklas (SPD), 1964 bis 1966 Peter Heckmann (SPD), 1966 bis 1975 Franz Becker (SPD), 1975 bis 1994 Helmut Marmulla (SPD), 1994 bis 1999 Hans Ettrich (SPD), 1999 bis 2004 Hans-Jürgen Schnipper (CDU), 2004 bis 2009 Jochen Welt (SPD), ab 2009 Cay Süberkrüb (SPD), Wiederwahl 2014, ab 2020 Bodo Klimbel (CDU, Foto). Zu stellvertretenden Landräten wurden diesmal statt zwei drei gewählt: Martina Eißing (CDU), Nicole Wölke-Neuhaus (SPD) und Dr. Marco Zerwas (Grüne). Nicole Wölke-Neuhaus stammt aus Dorsten. Die Architektin (SPD) widmet sich im Kreistag besonders den Themenbereichen Landschaftsplanung, Umweltfragen und Bauangelegenheiten. Als stellvertretende Landrätin will sie diese Themenfelder noch mehr in den öffentlichen Fokus rücken.
Kreistag: Der Kreistag setzt sich nach der Kommunalwahl 2020 wie folgt zusammen. Er hat  72 Mitglieder: CDU 24 Sitze, SPD 22, Sitze, Grüne13 Sitze, AfD 5 Sitze, FDP 3 Sitze, Die Linke 3 Sitze, UBP 2 Sitze.

Mehr Geburten im Kreis Recklinghausen: Trend zur Familie durch Corona?

Genau 795.517 Geburten meldete das Statistische Bundesamt für das Jahr 2021 in Deutschland – der Höchststand seit 1997. Auch landesweit wird mit mehr Geburten gerechnet. Die genauen Zahlen hat das Statistische Landesamt noch nicht veröffentlicht, doch nach seiner vorläufigen Schätzung kamen im vergangenen Jahr in NRW 174.400 Kinder zur Welt – 2,5 Prozent mehr als 2020, zugleich ist das die höchste landesweite Geburtenzahl seit 2000. Experten sehen bei der Entwicklung einen Einfluss von Corona. Die Rede ist vom sogenannten „Cocooning“. Das englische Wort bedeutet wörtlich so viel wie verpuppen, sich einspinnen und bezeichnet die Tendenz, sich vermehrt aus der Öffentlichkeit in das häusliche Privatleben zurückzuziehen. Den vermuteten Trend zur Familie und Häuslichkeit ist laut Statistischem Bundesamt auch dadurch bestärkt wurde, dass die Geburten dritter Kinder mit einem Plus von 3,9 Prozent eindeutig stärker angestiegen sind als die Geburten erster Kinder (plus 1,2 Prozent). Auch die staatliche Unterstützung während Corona spielt hier eine Rolle. In Ländern wie Italien, Spanien oder Frankreich gab es zu Corona-Zeiten weniger finanzielle Hilfen – und dadurch mehr existentielle Sorgen sowie einen Rückgang der Geburtenraten. Die Geburten im Kreis Recklinghausen sind von 2012 bis 2021 um 28 Prozent gestiegen – von 4551 auf 5830.

Einwohner und Altersstruktur jetzt und im Jahr 2040

Der Kreis Recklinghausen verliert weiter an Einwohnern. Die Zahl ist in den letzten sechs Jahren um mehr als 1.000 gesunken, melden die Landesstatistiker. Viele Menschen verlassen offenbar den Kreis und leben lieber woanders. Außerdem gab es im Kreis bei uns mehr Todesfälle als Geburten, wobei die Entwicklung in den einzelnen Städten sehr unterschiedlich ist: In Datteln, Haltern, Herten, Oer-Erkenschwick und Waltrop ist die Einwohnerzahl zum Teil sehr deutlich gestiegen. Aber die anderen Städte, so auch in Dorsten, haben so massiv Einwohner verloren, dass das die ganze Statistik kaputt macht. In Recklinghausen leben weit über 2.000 Menschen weniger als noch vor sechs Jahren. Auch in Dorsten sind die Einwohnerzahlen stark zurückgegangen. Insgesamt leben im Kreis Recklinghausen mit Stand von 2018 rund 614.000 Menschen. 2040 werden es nach den Prognosen von IT.NRW nur noch 563.000 sein. In der Altersgruppe der Erwerbsfähigen (19 bis 65) wird die Zahl der Einwohner bis 2040 um 21.4 Prozent abnehmen. Die Zahl der über 65-Jährigen steigt um 36,9 Prozent an. Der Anteil der Bürger im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung sinkt bis 2040 von aktuell 61,3 Prozent auf 52,5 Prozent; der Anteil der über 65-Jährigen steigt hingegen von derzeit 21,7 auf 32,4 Prozent.

Partnerschaften des Kreises: Kreis Sörmland/Schweden (seit 1987) und Powiat Wodzislawski/Polen (seit 2001).

Siehe auch: Cay Süberkrüb
SIehe auch: Wahlen 2020 / Kreis Recklinghasuen
Siehe auch: Bodo Klimbel
Siehe auch: Kreishaus Recklinghausen I
Siehe auch: Kreishaus Recklinghausen II


Quelle (Bürgerbegehren): M. Wallkötter: „Dorstener will den Kreis stoppen“  in DZ vom 13. Juni 2018 und 15. September 2018. – Michael Wallkötter in DZ vom 9. Jan. 2019 – DZ vom 14. Mai 2022.

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