Römer in Holsterhausen

Nonum prematur in annum!

Typische Schlachtendarstellung zwischen Germanen und Römern; Gemälde von Friedrich Tüshaus (LWL-Repro)

Holsterhausen an der Lippe
Zwischen dem Land am Rhein und Westfalen

Holsterhausen ist seit 1943 ein Stadtteil von Dorsten, war früher eine selbstständige Gemeinde in der Herrlichkeit Lembeck und ganz früher, als es Holsterhausen noch nicht gab,  waren die Römer hier. Sie hatten so genannte Marschlager, die sie nutzten, wenn sie vom Rhein nach Westfalen marschierten – und zurück. Eine Reihe dieser Marschlager in Holsterhausen wurden erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckt. Halb Holsterhausen, wenn diese flapsige Feststellung erlaubt ist, ist auf solchen Lagern gebaut.

Auf dieser Sonderseite des Dorsten-Lexikons werden nach und nach Lesebeiträgen zur Geschichte der Römer in diesem Gebiet an der Lippe dargestellt.

Durch Münzfunde in Holsterhausen auf riesiges Marschlager gestoßen

Römische Legionäre, Foto: JF

1952 wurde in Holsterhausen ein römisches Marschlager aus den Jahren 2 v. bis 11 n. Chr. entdeckt. Es befand sich etwa zwischen dem heutigen Schulzentrum an der Pliesterbecker Straße und dem alten Ortskern Holsterhausen. Die Nordfront in einer Länge von 890 m verläuft durch die heutigen Straßen Krusenpad, Bernhard- und Akazienstraße, die Westfront etwa bei der Wennemarstraße, die Ostfront nahe der Juliusstraße und dem Knappenweg. Das ergab eine Lagerbreite von 650 m. In der Mitte der Lagerseiten öffneten sich Tore von 9 bis 13 m Breite. Das Lager war mit einem 4 m breiten und 2,5 m tiefen Graben umgeben. Im Lagerinneren befanden sich Kochgruben und heruntergebrannte Erdhütten, aber keine Spuren einer dauerhaften Bebauung. Auch der Lagerwall hatte keine hölzernen Befestigungen. Der natürliche Schutz war durch die Lage zwischen dem Holsterhausener Bruch und der Hammbach-Lippe-Niederung gegeben. Für Historiker und Archäologen war mit 57 ha die Größe des Lagers überraschend. Die Südfront konnte wegen der Eisenbahnlinie und dichter Wohnbebauung nicht ausgegraben werden.

Die Karte zeigt das Ausmaß des Römerlagers unter Holsterhausen

Die Karte zeigt das Ausmaß des Römerlagers unter Holsterhausen

Es ist das erste Lager von einigen (z. B. Oberaden, Haltern), das Drusus im Frühsommer 11 v. Chr. zu Beginn des Sugambrerkriegs anlegte und hier die Lippe überquerte. Der römische Historiker Cassius Dio berichtete 11. v. Chr. über den Krieg des Feldherrn Drusus gegen die Germanen, die Usipeter und Tenkterer am rechten Niederrhein und den Beginn des Feldzugs gegen die südlich der Lippe wohnenden Sugambrer: „Er schlug eine Brücke über die Lippe.“ Auf ihrer Marschlinie Xanten-Wesel-Haltern durchzogen die Römer ständig heutiges Holsterhausener Gebiet, ruhten sich in dem hier erbauten Marschlager aus, um am andern Tag  weiter zu ziehen.

Bereits 1930 wurde auf dem Acker des Landwirts Kruse eine römische Goldmünze aus der Zeit Kaiser Augustus (31 v. bis 14 n. Chr.) gefunden, die in der gallischen Münzstätte Lugdunium (Lyon) geprägt war. Durch die Umschrift IMP (eratori) XII ist das Jahr 11 bis 9 v. Chr. festzustellen, also zur Anfangszeit der römischen Besetzung des Lippetals. Die Umschrift der Vorderseite heißt: CAES (ar) AVG (ustus) DIVI F (ilius). Zu sehen ist die Statue des Apollo.

Vermutung wurde 1999 zur Gewissheit

Prof. Dr. Aschemeyer vermutete schon lange, dass auf dem Gelände des damaligen Landeserziehungsheims Kreskenhof, etwa 1,5 km vom Marschlager entfernt, ein zweites Römerlager zu finden sei. 1999 wurde die Vermutung Gewissheit, als das Gelände für eine neue Wohnsiedlung ausgehoben wurde. Auf zehn Hektar Fläche wurden die Strukturen einer römischen Siedlung sichtbar. Bereits 1964 hatte man dort Tonscherben gefunden. Nach Dokumentierung der Ausgrabung konnten die Baumaßnahmen für die Wohnsiedlung 2002 fortgesetzt werden. Zwischen 1999 und 2002 untersuchten Archäologen aus Münster das Areal Kreskenhof. Auf einer Fläche von 120.000 Quadratmetern waren manchmal bis zu 50 Mitarbeiter tätig. Sie förderten Spuren von sechs römischen Marschlagern zutage, einen Münzschatz und jede Menge Kleinzeug, das Legionäre vor 2000 Jahren im Holsterhausener Morast hinterlassen haben.

Die (Be-)Funde aus Holsterhausen reichen über mehrere Epochen: Entdeckt wurden Feuersteinklingen aus der Vorgeschichte, 8.000 bis 10.000 Jahre alt. Eine 2.500 Jahre alte Wassergrube, vielleicht eine Viehtränke. Spuren der frühesten Höfe in Holsterhausen aus den Jahren 600 bis 900 nach Christus, gefüllte Abfallgruben. Ihr Augenmerk konzentrierten die Forscher auf die Römer, die um die Zeit der Drusus-Feldzüge (12 v. Chr.) durch das heutige Holsterhausener Gebiet marschierten und hier lagerten. Durch Bodenverfärbungen konnten die Forscher Wallgräben um fünf Marschlager nachweisen. Von einem sechsten wurden zwar Reste eines Backofens, nicht aber die Außenrisse gefunden. Die Lagerplätze hatten um die zwanzig Hektar Innenmaß und boten bis zu 10.000 Legionären Platz.

Das Gesparte eines Legionärs gefunden

Die Lager waren aber nicht auf Dauer konzipiert. Die Archäologen interpretieren den Kreskenhof heute als Manöverplatz für Legionäre, die in Xanten stationiert waren. Die Soldaten mussten auch ernährt werden. Reste von 280 Einweg-Backöfen aus Lehm wiesen die Ausgräber nach. Darin buken die Legionäre simplen Zwieback, der vor dem Verzehr eingeweicht werden musste. Neben Kleinzeug für den täglichen Bedarf machten die Ausgräber in einem freigelegten Lagergraben 2001 auch einen spektakulären Fund: Einen Münzschatz, der zwei Brutto-Monatslöhne eines römischen Soldaten enthielt. Der Fund bestand aus 36 römischen Silberdenaren aus der Zeit von 19 bis 2 v. Chr. Die Vermutung liegt nahe, dass ein römischer Legionär seinen gesparten Sold dort versteckte und ihn aus irgendeinem Grund nicht mehr abholen konnte. Im Gegensatz zu dem stark beschädigten Behältnis, waren die Münzen im besten Zustand. Eine zweite Grabung 2005/06 auf einem 25.000 Quadratmeter großen Anschlussfeld wurde von der Universität Bochum ausgewertet. Auf einer dritten Erweiterungsfläche des Neubaugebiets („Im kleinen Aap”, 8.000 qm) wurden in den folgenden Jahren weitere historische Relikte ausgegraben und gesichert.

Acht Jahre nach Abschluss der Grabungen lagen 2010 die gewonnenen Erkenntnisse als LWL-Buch „Augustinische Marschlager und Siedlungen des 1. bis 9. Jahrhunderts in Holsterhausen“ vor. Es ist der 47. Band der Reihe „Bodenaltertümer Westfalens” (über 500 Seiten, 80 Bildtafeln von Fundstücken, 875 Fußnoten, Sonderkapiteln zu den ausgegrabenen Keramiken und Münzen).

An der Lippebrücke: Arminius gegen Germanicus
Ein literarisches, wenn auch faktisch falsches Dokument

Einen Kampf des Germanenfürsten Arminius (Hermann) gegen den Römer Germanicus verlegte ein Autor aus dem 17. Jahrhundert nach Dorsten, wo ein Kampf um die Lippebrücke (sic!) entbrannt sein sollte. Johann Caspar von Lohenstein beschrieb mit den Kenntnissen und der Sicht des 17. Jahrhunderts den Kampf des Cheruskers Arminius gegen die Römer in seinem Werk „Großmüthiger Feldherr Arminus/Zweyter Theil/Erstes Buch (sehr kommentierungswürdig), erschienen 1690 in Leipzig:

„Germanicus
welcher von des Feldherrn Ankunfft ebenfals Wind kriegt
hatte sich dieses Streiches wol versehen
und daher seinen Weg auf Einrathen der in selbiger Gegend wolbekandten Tencterer
gerade gegen der Lippe
auf ein von den Marsen verlassenes Dorff Dorsten eingerichtet
welches an einem zu geschwinder Befestigung beqvemen Orte gelegen
und vorher schon von Marsen mit Schlag-Bäumen
und einer Brücke über die Lippe versehen war; also daß der Feldherr
welcher aus Irrthum zu weit auf die rechte Hand abkommen war
mit seiner Reiterey mehr nicht ausrichten konte
als daß er etliche hundert Gallier
welche gegen den im Rücken habenden Feinde den Nachdrab führen musten
theils in Stücken hauete
theils gefangen nahm. Germanicus ließ sein gantzes Heer
ohne Verschonung der alten und sonst hiervon freyen Kriegs-Leute
den gantzen übrigen Tag und folgende Nacht an Verschantzung selbigen Dorffes
und an noch zwey Brücken über den Fluß
arbeiten; Und als der Feldherr ihr Heer gegen ihm in Schlacht-Ordnung stellte
und ihn zum Gefechte ausforderten
ihnen zu entbieten …“ […]

„Dahero verlangte er: daß der Feldherr diesen gewaltsamen Uberfall an den Römern rächen
und ihm die Erstattung des unverwindlichen Schadens zuwege bringen solte.
Hertzog Herrmann und Ingviomer billigten zwar die Gerechtigkeit seines Gesuches
und versprachen ihm so viel Hülffe
als die Mögligkeit zulassen würde; zu welchem Ende sie ober- und unterhalb des Dorffes Dorsten eine Brücke zu bauen anfiengen. Germanicus sahe wol
wenn sein Feind mit einem Theile übersätzte
und den Cäsischen Wald aufs neue verhiebe und besätzte
mit der grösten Macht aber auf der Nordseite der Lippe stehen bliebe
daß er entweder in seinem Lager wegẽ gesperrter Zufuhre erhungern
oder an ein oder anderm Orte einen gefährlichen Streich würde wagen müssen…“


Die List des Arminius und die Ignoranz des Varus –
Landschaftsverband publizierte neue Thesen zur Varusschlacht

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Wilm Brepohl: „Neue Überlegungen zur Varusschlacht“

(lwl) – Wie es dem Germanenführer Arminius im Jahre neun nach Christus gelang, die erfahrenen Truppen der damaligen römischen Weltmacht in einen Hinterhalt zu locken und in der so genannten Varusschlacht zu vernichten, will ein neues Buch erklären: „Die Schlacht muss im unmittelbaren Umfeld eines zentralen germanischen Kultfestes stattgefunden haben“, so Wilm Brepohl, Kulturfachmann beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), bei der Vorstellung seines Buches „Neue Überlegungen zur Varusschlacht“ im Westfälischen Römermuseum Haltern.

Gipfeltreffen der Germanen als Kulturfest initiiert

„Für eine Schlacht dieser Größenordnung mussten tausende Germanen nahe des Marschweges der Römer konzentriert werden. Varus hätte zweifellos durch seine zahlreichen Kundschafter davon erfahren und sich entsprechend gerüstet“, meint der Autor der im Aschendorff-Verlag erschienenen Publikation. Nur so lasse sich erklären, wie es den Germanen möglich war, alle wehrfähigen Männer an einem Ort zu versammeln, ohne Argwohn zu erregen. „Bis heute ist es Usus, dass Massenveranstaltungen von Gläubigen an ihrem zentralen Heiligtum von der Obrigkeit geduldet werden. Selbst die Israelis erlauben den Muslimen, den Beginn des heiligen Fastenmonats Ramadan auf dem Ölberg in Jerusalem zu begehen.“ erläutert Brepohl. Der bisherigen Annahme, Arminius habe Varus und seine Legionen auf dem Hauptweg vom Sommerlager an der Oberweser zum Winterlager bei Xanten überrascht, mag Brepohl daher keinen Glauben schenken.
Im Rahmen dieses Kultfestes, das alle neun Jahre stattfand, habe Arminius eine Art „Gipfeltreffen der Germanen“ initiiert, in dessen Verlauf Varus die Möglichkeit geboten werden sollte, den Germanen römische Politik vorzustellen und militärische Stärke zu demonstrieren. Hierbei sei dem römischen Feldherren seine verheerende Ignoranz gegenüber den religiösen Bräuchen der germanischen Stammensgesellschaft zum Verhängnis geworden: Mit dem Aufmarsch der römischen Legionen in die geheiligten Bezirke des Kultzentrums sei der „Tempelfriede“ gestört worden, schreibt Brepohl in der 117-seitigen Publikation. Deshalb war es die heilige Pflicht der germanischen Stammeskrieger, sich gemeinsam für den Schutz des Heiligtums einzusetzen. Innerhalb von drei Tagen vernichteten die religiös fanatisierten Stammeskrieger Varus und sein Heer.

Fragen über die Varusschlacht werden meist auf den Ort reduziert

Die Varusschlacht gilt als Ereignis von Weltrang, trug sie doch vor knapp 2.000 Jahren dazu bei, die Römer ein für alle Mal aus dem Norden Germaniens zu vertreiben. „Was für Alexander und Hanniball gilt, trifft auch für Varus zu“, berichtet Prof. Dr. Klaus Temlitz, Geschäftsführer der Geographischen Kommission für Westfalen, die das Buch herausgegeben hat. „Jeder kennt die Geschichte von seinem Tod und dem Untergang seiner römischen Streitmacht im Kampf gegen germanische Bauernkrieger“. In der öffentlichen Diskussion wird die Schlacht zwischen Römern und Germanen heute oft auf die Frage nach dem Ort des Aufstands reduziert.
Mit der Verortung der Schlacht in geographischer Nähe zum Germanen-Heiligtum bringt Brepohl einen weiteren Aspekt in die Diskussion zwischen Niedersachsen und Westfalen über die Örtlichkeit der Schlacht: Der LWL-Experte wagt eine neue Deutung der Bezeichnung „Teutoburger Wald“, mit der Tacitus den Ort der Schlacht umreißt. Nach neusten Erkenntnissen des LWL-Kulturexperten muss die Textstelle als „Opferwald der Teutoburg“ verstanden werden. Das Schlachtfeld sei demnach in der Nähe des (Opfer)Waldes einer sehr alten, hochrangigen Kultstätte auf befestigter Höhe (Burg) zu suchen, auf der die Priester den Willen der Gottheit volksverständlich deuteten („Teutoburg“). In der späteren Standortbeschreibung des Germanicus ist von Altären, Opferschächten und an Bäume genagelten Schädeln die Rede, was Brepohls These, die Schlacht in der Nähe einer Kultstätte anzusiedeln, stützt.

„Eine endgültige Klärung des Ortes der Schlacht sei nur möglich, wenn interdisziplinär kooperiert werde“, resümiert Brepohl. Erst die Zusammenarbeit von Archäologen, Althistorikern, Sprachwissenschaftlern, Münzkundlern, Geographen, Geologen, Klimaforschern und Wissenschaftlern anderer Disziplinen könne vielleicht doch noch Licht in den Mythos um die Varusschlacht bringen.


Siehe auch:
Römerfest
Radfernweg „Römer-Lippe-Route“
Römerlager


Quelle:
Wilm Brepohl: „Neue Überlegungen zur Varusschlacht“, Aschendorff-Verlag Münster, 117 Seiten, ISBN 3-402-03502-2, Preis: 8,80 Euro

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