Volksschulen um 1900 (I)

Regionalkonferenzen in Dorsten legten 1898 pädagogische Richtlinien fest

Schulsachen um 1900: Schulbank, Schreibtafel, hölzerne Schultasche

Von Wolf Stegemann – In der Kaiserzeit und darüber hinaus bestimmten in der Stadt und in den Landgemeinden zwei Männer das öffentliche Leben – gesellschaftlich wie politisch. Das waren der Bürgermeister und der Pfarrer als Schulaufsicht. Um das Jahr 1900 gab es in meist in Dorsten, aber auch in der Umgebung, eine Folge von regionalen Lehrerkonferenzen, an denen Volksschullehrer als Referenten und als Zuhörer teilnahmen. Es war die Zeit, in der es viele Schulreformen und gesellschaftliche Reformansätze gegeben hatte, aber eigentlich keine  Veränderungen in der Volksschule. Rund 90 Prozent aller Kinder besuchten im wilhelminischen Zeitalter Volksschulen, die wesentlich durch eine ausufernde Schulbürokratie bestimmt waren. Die Schüler waren in erster Linie auf die Rolle als „gehorsame Untertanen“ vorzubereiten. Lehrer galten als Element der politischen Herrschaft und waren als solches einzusetzen. „Untertan“ und „Staatsbürger“ galten damals ohnehin als zwei sich ganz und gar deckende Begriffe. Die Volksschullehrer selbst wurden in die subalterne Position weisungsgebundener „pädagogischer Unterbeamten“ eingewiesen, die mit wenig Geld auszukommen und die sich den Ansprüchen von Bürokratie und Schulgemeinde anzupassen hatten. Trotz dieser politischen und sozialen Diskriminierung haben sich die Lehrer nicht mit der wachsenden Industriearbeiterschaft solidarisiert, sondern sich gesellschaftlich als „Mittelstand“ orientiert, und politisch als Repräsentanten der Obrigkeit verstanden. Dieses politische Selbstverständnis blieb nicht ohne Auswirkung und belastete die Entwicklung des Volksschullehrerstandes ungemein.

Zur Gottesfurcht und Vaterlandsliebe erzogen

Die Volksschule hatte es nicht im Sinne der Aufklärungspädagogik mit Menschen und deren Recht auf eine freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu tun, sondern mit Kindern, die erstens Christen und zweitens Untertanen seiner Majestät des Königs von Preußen waren. Erst an dritter Stelle wurden sie als künftige Bürger, Bauern und Soldaten in den Blick gefasst. Genau diesem Schema folgten die preußischen Unterrichtsgesetzentwürfe, die religiös-sittliche, vaterländische Bildung auf der einen und die Unterweisung der Jugend in den für das bürgerliche Leben nötigen allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten auf der anderen Seite forderten. Gottesfurcht und Vaterlandsliebe erwiesen sich dabei als zwei Seiten derselben Medaille: denn dass der religiöse Glaube die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erleichtere, gehörte zu den als gesichert geltenden Maximen auch in der Staatsrechtslehre. In der Anstellungsurkunde verpflichtete sich der Volksschullehrer zu „unwandelbarer Liebe und Treue gegen seine Majestät des König und das Vaterland“. In diesem Sinne harmonierten natürlich in Dorsten alle Volksschullehrer und die Geistlichen, die als Schulinspektoren die Aufsicht führten.

Richtlinien für die Arbeit an Volksschulen festgelegt

In Regionalkonferenzen, die sich über einen Zeitraum von drei Jahren hinzogen, machten   Verantwortliche eine Bestandsaufnahme und legten Richtlinien über ein pädagogisches Konzept für die Arbeit der Volksschulen fest. Entnommen ist die Bestandsaufnahme wörtlich der Chronik der Holsterhausener Antoniusschule. Die Konferenzen hatten unterschiedliche Themen: Körperliche Züchtigung der Schüler nach den Lehren des göttlichen Lehrmeisters – Zucht und Ordnung – Vollkommenheit des Lehrers mit erhobenem Blick zu Gott – Heiliger und mächtiger Damm gegen gottlose Umstürzler – Tätige Religion und Vaterlandsliebe – Materielle Lage des Lehrers trägt zu seiner Berufsfreudigkeit bei – Schule als Bollwerk gegen Trunksucht und Prasserei – Frauen der Arbeiterklasse tragen großen Anteil am Verderben.

Fortsetzungen:
Volksschulen (I) – Körperliche Züchtigung
Volksschulen (II) – Zucht und Ordnung
Volksschulen (III) – Vor dem Unterrichte Herz und Blick zu Gott erheben
Volksschulen (IV) – Damm gegen gottlose Umstürzler
Volksschulen (V) – Das Materielle dient der Berufsfreudigkeit des Lehrers
Volksschulen (VI) – Bollwerk gegen Trunksucht
Volksschulen (VII) – Resümee der Konferenzen

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