Volksschulen um 1900 (III)

Unter den Leitsätzen: Vor dem Unterrichte Herz und Blick zu Gott erheben

Moderne Karikatur zum Thema

Volksschulen waren ein Bollwerk für Religion, Sittlichkeit und Zucht. In mehreren regionalen Lehrer-Konferenzen der Volksschulen, die in Dorsten um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts stattfanden, behandelten die Lehrer Themen wie Prügelstrafe und ihre Anwendung, oder Schulzucht und Sittlichkeit, die Trunksucht in den arbeitenden Klassen sowie das Glück der maßvollen Zurückhaltung. Es wurde aber auch der Kampf aufgenommen gegen die gottlosen Umstürzler und vaterlandslosen Gesellen, denen die Volksschule eine Barriere bilden müsse. Die Volksschulen traten ein für Kirche und Religion, die stets vor der Treue zu Kaiser und Staat genannt wurden. Lehrer aus Dorsten nahmen an diesen Konferenzen teil. Die Chronik der Antoniusschule in Holsterhausen liefert Bericht über das, was damals beschlossen wurde und das bei der Lektüre heute sicherlich Stirnrunzeln und Kopfschütteln verursacht. Wir haben den Teil der Chronik hier in den Artikeln Volksschulen I bis VII wiedergegeben und die damalige Schreibweise beibehalten.

Lehrer haben sich für den Unterricht gewissenhft vorzubereiten

Die Frühjahrs-Lehrerkonferenz in Dorsten fand am 21. März 1898 statt. Diesmal ging es im Allgemeinen um die Unterrichtsvorbereitung und im Besonderen um den Rechenunterricht, für den folgende Leitsätze entwickelt wurden:

Im Allgemeinen

  1. Der wahrhaft bescheidene und einsichtsvolle Lehrer, der seine Zeit schon meistens in der Vor- und Ausbildung zu seinem Berufe wirklich ernst nahm, wird mit dem Tage in dem er ins öffentliche Leben tritt, seine Hauptarbeit erst beginnen und es als seine eigentliche Lebensaufgabe ansehen. Durch eigene sittlich religiöse Vervollkommnung und Erweiterung seiner Kenntnisse das zu werden, wozu er sich von Gott berufen glaubte: ein wahrer Judenerzieher [hier dürfte sich der Chronist vermutlich verschrieben haben: er wollte wohl Jugenderzieher schreiben], ein ganzer Lehrer.
  2. Ein Hauptmittel zur Vervollkommnung des Lehrers und zur Gestaltung eines nahrhaft fruchtbringenden Unterrichts ist die fortgesetzte gewissenhafte Vorbereitung.
  3. Ohne Vorbereitung wird die Schule zu einer Versuchsstation des pflichtvergessenen Lehrers herabgewürdigt, ohne Vorbereitung wird der Unterricht zu einem ziel- und planlosen Umherirren; ohne Vorbereitung wird sich beim Lehrer sehr oft bald Verdruß und Ungeduld einstellen; ohne Vorbereitung wird eine gute Schulzucht geradezu unmöglich gemacht.
  4. Der Lehrer hat sich bei der Auswahl und Verteilung des Lehrstoffes, den er aus bewährten Lehrbüchern, nicht aus trocknen Leitfäden schöpfen soll, stets zu fragen, ob dieser dem Zweck der Schule diene, und er muß sich klar werden darüber, wie die durchzunehmende Aufgabe mit dem bereits durchgenommenen und nachfolgenden Stoffe in Verbindung zu bringen ist, wie eins das andere zu unterstützen, zu erklären, zu begründen und vorzubereiten vermag und welche Momente sich aus dem jeweiligen Unterrichte naturgemäß ergeben.
  5. Die Vorbereitung muß mindestens in den ersten Jahren schriftl. sein, da eine solche den Lehrer sicherer befähigt, den Soll inhaltlich durchaus richtig, sprachlich schön und angemessen darzustellen und dementsprechend wieder vorzutragen, weshalb auch bedeutende Männer wie Overberg und Kellner sich täglich mit der Feder, also schriftlich vorbereiten.
  6. Daß der Erfolg vor allem vom Segen Gottes abhängt, so soll der Lehrer es als seine vornehmste Pflicht betrachten, vor dem Unterrichte Herz und Blick zu Gott erheben, um von ihm Erleichterung, Stärke und Gedeihen zu seiner verantwortungsvollen und schwierigen Berufsarbeit zu erflehen, und er soll sich zu derselben aufmuntern durch den Hinblick auf die Dankbarkeit vieler Schüler und den Eltern. Namentlich aber durch den Hinblick auf hohen Lohn, der des treuen Lehrers im Jenseits wartet.

Vorbereitungen auf den Rechenunterricht

1) Die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Rechenunterrichts, der nach den allg. Bestimmungen ein Mittel geistiger Bildung und eine Vorbereitung auf das praktische Leben sein soll, erfordert von Seiten des Lehrers eine gründliche Vorbereitung.
2) Da die Schulzeit verhältnismäßig kurz und das Rechengebiet sehr ausgedehnt und reichhaltig ist, so hat der Lehrer den für das prakt. Leben passenden Stoff auszuwählen, ihn den örtlichen Verhältnissen und dem Standpunkte seiner Schule entsprechend zu gestalten und in geeigneter Reihenfolge und Verbindung zu bringen, damit er zugleich der Denkkraft der Kinder ersprießliche Übung bietet.
3) Bei der Vorbereitung vergesse es der Lehrer nie, dass das Rechnen auf allen Stufen auf Anschauung begründet sein muß, welche sowohl das Rechenmaterial, also die Zahlen und ihre Benennung als auch die Form ins Auge fassen muß.
4) Damit den Kindern das Verstandne zum vollen und unverlierbaren Eigentum werde, ist eine gründliche Einübung unerlässlich, zu welche der Lehrer bei seiner Vorbereitung eine Menge von Übungsbeispielen zusammenzustellen hat und unter Berücksichtigung mannigfacher Abwechslung in Bezug auf die Aufgaben und jede Form.

Dazugehördende Texte:
Volksschulen um 1900 (I) – Regionalkonferenz
Volksschulen (II) – Körperliche Züchtigung
Volksschulen (IV) – Strenge Gerechtigkeit
Volksschulen (V) – Damm gegen gottlose Umstürzler
Volksschulen (VI) – Das Materielle dient der Berufsfreudigkeit des Lehrers
Volksschulen (VII) – Bollwerk gegen Trunksucht
Volksschulen (VIII) – Resümee der Konferenzen

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