Volksschulen um 1900 (VI)

Auch die materielle Lage des Lehrers trägt zur Berufsfreudigkeit bei

Lemebecker Volksschüler 1890 mit Hauptlehrer Wiemeyer

Volksschulen waren ein Bollwerk für Religion, Sittlichkeit und Zucht. In mehreren regionalen Lehrer-Konferenzen der Volksschulen, die in Dorsten um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts stattfanden, behandelten die Lehrer Themen wie Prügelstrafe und ihre Anwendung, oder Schulzucht und Sittlichkeit, die Trunksucht in den arbeitenden Klassen sowie das Glück der maßvollen Zurückhaltung. Es wurde aber auch der Kampf aufgenommen gegen die gottlosen Umstürzler und vaterlandslosen Gesellen, denen die Volksschule eine Barriere bilden müsse. Lehrer aus Dorsten nahmen an diesen Konferenzen teil. Die Chronik der Antoniusschule in Holsterhausen liefert Bericht über das, was damals beschlossen wurde und das bei der Lektüre heute sicherlich Stirnrunzeln und Kopfschütteln verursacht. Wir haben den Teil der Chronik hier in den Artikeln Volksschulen I bis VII wiedergegeben und die damalige Schreibweise beibehalten.

Besoldungserhöhung für Lehrer

Seit Ostern 1897 wurden nach dem neuen Lehrerbesoldungsgesetz für das Königreich Preußen die Lehrergehälter ausbezahlt. Das für Holsterhausen festgesetzte Jahresgehalt betrug 1.200 Mark zzgl. Zulagen der Stufe II über 140 Mark. Für die Lehrer der gesamten Herrlichkeit Lembeck wurde die Teuerungsstufe II (später Ortszuschlag, heute wieder abgeschafft) festgelegt. Dazu die Chronik der Antoniusschule: „Womit die Lehrer zufrieden sein können. Gott sei Dank, daß endlich die berechtigten Klagen der Lehrer aufhören.“

Mit frohem Sinn arbeitende Lehrer haben glückliche und willige Kinder

Am 3. August 1898 fand in Dorsten die Bezirkslehrer-Konferenz statt. Lehrer Bronstert führte mit Kindern und Eltern einige Turnspiele vor, die, wie die Antonius-Chronik berichtet, „zur Einführung sehr zu empfehlen sind“. Der anschließende Vortrag, aus dem die Lehrer-Konferenz wieder Leitsätze entwickelte, befasste sich diesmal mit der Berufsfreudigkeit der Volksschullehrer.

  1. Die Freude in und am Beruf, die Berufsfreudigkeit, sie ist jedem Lehrer unerlässlich notwendig, denn sie hält ihn selbst an Geist und Körper frisch, und sie erwirbt ihn die für seine Wirksamkeit so notwendige Achtung, Liebe und Zuneigung der Kinder.
  2. Nur ein glücklicher, von seinem Beruf wahrhaft begeisterter Lehrer wird den Hauptzweck der Schule, das Geschäft der Erziehung richtig und nachhaltig zu betreiben vermögen.
  3. Die Tätigkeit des berufsfreudigen Lehrers beschränkt sich nicht bloß auf die angesetzten Schulstunden, sondern erstreckt sich auf jede Stunde, auf jeden Ort, die ihn absichtlich oder unabsichtlich mit Kindern zusammenführt.
  4. Berufsfreudigkeit, die ihren Gipfel in der Begeisterung vom Berufe erreicht, treibt naturgemäß zu einer gewissenhaften Vorbereitung zum Streben nach eigener Vervollkommnung, zum Suchen und Auffinden all der Mittel und Wege, die ihm am schnellsten und sichersten zum Ziele führen.
  5. Nur der mit frohen und heiteren Sinne arbeitende Lehrer wird auch fröhliche, glückliche und willig folgende Kinder haben: denn Heiterkeit ist der Himmel, unter dem alles gedeiht, Gift ausgenommen, sagt J[ean] Paul und das Lebenselement des Kindes besteht gerade in der Heiterkeit und im Frohsinn.
  6. Wir müssen und können in uns die Berufsfreudigkeit erhalten und steigern durch die ideale Auffassung unseres Berufes, das ist durch stete Beherzigung dessen, dass wir Mitarbeiter des Dreieinigen Gottes und seiner Stellvertreterin der Kirche sind, ferner durch fleißige Beachtung der Würde eines Kindes, durch stete Treue im Berufe, durch gründliche Vorbereitung, durch Streben nach Fortbildung und durch echte Kollegialität; endlich durch den Hinblick auf den schönen Erfolg unserer erziehlichen und unterrichtlichen Tätigkeit.
  7. Auch die materielle Lage der Lehrerschaft unserer Tage trägt zur Erhaltung und zu stetigen Anwachsen der Berufsfreudigkeit bei uns bei.
  8. Und endlich ist das körperliche Befinden des Einzelnen, die Gesundheit, eine der Hauptbedingungen zur Erlangung und Erhaltung des heiteres Sinnes während des Ausüben des Berufes, weshalb es eine heilige Pflicht des Lehrers ist, seine Gesundheit, so weit es an ihm liegt, stets zu erhalten und immer mehr zu kräftigen; denn nur in einem gesunden Körper kann ein gesunder Geist sein.

Dazugehördende Texte:
Volksschulen um 1900 (I) – Provinzialkonferenz
Volksschulen (II) – Körperliche Züchtigung
Volksschulen (III) – Zucht und Ordnung
Volksschulen (IV) – Vor dem Unterrichte Herz und Blick zu Gott erheben
Volksschulen (V) – Damm gegen gottlose Umstürzler
Volksschulen (VII) – Bollwerk gegen Trunksucht
Volksschulen (VIII) – Resümee der Konferenzen

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