Volksschulen um 1900 (VIII)

Das Resümee aller stattgefundenen Konferenzen in den letzten drei Jahren

Volksschulen waren ein Bollwerk für Religion, Sittlichkeit und Zucht. In mehreren regionalen Lehrer-Konferenzen der Volksschulen, die in Dorsten um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts stattfanden, behandelten die Lehrer Themen wie Prügelstrafe und ihre Anwendung, oder Schulzucht und Sittlichkeit, die Trunksucht in den arbeitenden Klassen sowie das Glück der maßvollen Zurückhaltung. Es wurde aber auch der Kampf aufgenommen gegen die gottlosen Umstürzler und vaterlandslosen Gesellen, denen die Volksschule eine Barriere bilden müsse. Lehrer aus Dorsten nahmen an diesen Konferenzen teil. Die Chronik der Antoniusschule in Holsterhausen liefert Bericht über das, was damals beschlossen wurde und das bei der Lektüre heute sicherlich Stirnrunzeln und Kopfschütteln verursacht. Wir haben den Teil der Chronik hier in den Artikeln Volksschulen I bis VII wiedergegeben und die damalige Schreibweise beibehalten.

Sich auch Topfblumen im Klassenzimmer mit liebevoller Sorge zuwenden

Am 23. Januar 1899 fand in Dorsten erneut eine Bezirkskonferenz der Lehrer statt, in der die Lehrerin Gelking referierte, was die Lehrer „auf unseren Konferenzen gelernt“ haben. Der Vortrag wurde als Resümee beifällig aufgenommen, berichtet die Antonius-Chronik, und erneut Leitsätze für Schule, Kinder und Lehrer erarbeitet.

  1. Dem Wanderer gleich, der aufmerksamen Auges den zurückgelegten Weg prüft und sich erfreut an der herrlichen Landschaft, dem sorgsamen Gärtner gleich, der die Arbeiten und Erfolge eines Jahres an seinem geistigen Auge vorbeiziehen lässt, dem praktischen Kaufmann gleich, der am Ende des Jahres Soll und Haben vergleichend gegenüberstellt, ist auch zuweilen für den Erzieher und Lehrer ein Rück- und Umblicke auf seine Tätigkeit nützlich und notwendig.
  2. Ein Rückblick auf die Konferenzen der letzten drei Jahre zeigt uns zwar zwei blumengeschmückte Beete, Erziehung und Unterricht, die unter der pflegenden und sorgenden Hand des Gärtners und seiner Gehilfen angenehme Blüten und edle Früchte zeitigten.
  3. Auf dem Gebiete lehrten uns die Konferenzen in den Vorträgen und Bemerkungen des Vorsitzenden
  4. über die Aufgaben der Erziehung, dass wir vor allem die Religion zu pflegen haben, die dem Menschen sein ewiges Ziel zu erreichen hilft, ihn zum echten Staatsbürger und zum Patrioten macht, und die Jugend stählt gegen die Irrlehren der gott- und vaterlandslosen Umstürzler, dass auch alle anderen Unterrichtsfächer in den Dienst der Erziehung zu treten haben;
  5. über die Mittel der Erziehung, dass das Beispiel die Überwachung, die Gewöhnung der wichtigsten Erziehungsmittel seien, und dass da, wo sie nicht ausreichen, die Strafe eintrete, dass insbesondere die körperliche Züchtigung, welches als letztes Mittel bei Unsittlichkeit, Tierquälerei, Baumfrevel, hartnäckiges Lügen, Trotz und Diebstahl eintritt, strengstens nach Art und Maß bemessen werde und Alter, Geschlecht, Charakter, Bildungsgrad und körperliche und geistige Veranlagungsweise berücksichtige;
  6. sie lehrten uns über den Ort der Erziehung, die Schule, daß dort und in ihrer Umgebung Reinlichkeit, Sauberkeit und Ordnung herrschen müsse, dass der Pflege der Topfblumen im Schulzimmer liebevolle Sorge zuzuwenden sei, – die Beschaffung der Blumen durch die Kinder wurde besonders gezeigt – , daß an den Schulzimmertüren größerer Systeme ein Schild mit Namen der Klasse und des Lehrers angebracht sei; sie zeigen uns praktisch das Heften der Akten und wiesen darauf hin, dass diese vom Lehrer selbst und nicht von den Schülern oder anderen Personen sauber und fehlerfrei abzuschreiben seien, ferner die Haltung der Hände beim Stehen und des Körpers beim Schreiben und Zeichnen.
  7. Sie lehrten uns den Erziehern als den religiösen, echt patriotischen, kennen, der in allen seinen Handlungen pünktlich, gerecht und konsequent ist und sich auf den Unterricht stets gewissenhaft vorbereitet.

Schulzimmer zur Kaiserzeit – aber ohne Topfblume

Auf dem Gebiete des Unterrichtes lehrten uns die Konferenzen in den Vorträgen, Lehrproben und Bemerkungen des Vorsitzenden, dass

  1. eine gründliche, in den ersten Jahren schriftliche Vorbereitung, die feststellte, wie die jetzt durchzunehmende Aufgabe mit dem bereits durchgenommenen und den nachfolgenden Stoffen in Verbindung zu bringen sei, wie eins das andere zu unterstützen, zu erklären habe, durchaus notwendig und dass eine straffe Disziplin und gute Schulzucht die Erfolge des Unterrichtes sicherstellen,
  2. sie zeigen uns das Ziel, die Aufgabe, den Anfang, die Methode des Unterrichts im Deutschen, im Rechnen, in der Geschichte, in der Geographie, in der Naturbeschreibung, im Gesange, im Turnen insbesondere aber, dass von Natur aus sinngemäßes Lesen und Sprechen von vorneherein zu erzielen sei durch Befolgung der Regeln: en, em, el, er, es am Ende des Wortes klingen wie n, m, l, r, s, und das nicht wie een, eem, eel, eer, ees;
  3. das Leiern und Singen im Sprechen und Lesen abzustellen möglich sei, in dem im Worte die letzte Silbe, im Satz das letzte Wort nicht nur leise sprechen und den Kindern zum Bewusstsein bringen, worauf es ankommt;
  4. das Diktat den Kindern kein falsches Wort, nur richtige Wortbilder geben, weshalb die besten Schüler das Diktat auf die Wandtafel schreiben, und das selbe der Kinder erst dann gezeigt werde, wenn sich der Lehrer überzeugt hat, dass es nach allen Seiten für fehlerfrei ist, dass ferner die Kinder viel schreiben und buchstabieren müssen;
  5. im Rechenunterricht bei den einzelnen Stufen und Gruppen die erste grundlegende Aufgabe nicht bloß nach der rechnerischen, sondern auch nach der sprachlichen Seite zum vollen Verständnis gelangen und zum geistigen Eigentum werde und die Kinder befähigt werden, die Aufgaben in Form kleiner Aufsätzchen zusammenhängend zu lösen;
  6. im Geschichtsunterricht der Mittelstufe den Kindern kleine Erzählungen gegeben werden, an die sich einige kurze Daten usw. knüpfen und auf welche die Oberstufe leicht aufbauen kann;
  7. im Gesangsunterrichte der Lehrer im Ton des Liedes vorspreche und vorsinge, dass er Namen sich im Anfangstone des Liedes vorzähle und besonders Aufmerksamkeit und Mundstellung und der Aussprache zuwende,
  8. im Unterricht und Spiel eine besondere Aufmerksamkeit und Pflege bedürfen und vorzugsweise solche Spiele zu berücksichtigen seien, welche die Kinder auch nach ihrer Entlassung aus der Schule noch gerne spielen;
  9. im Geographie-Unterrichte das Kartenbild mit farbiger Kreide entworfen und von den Kindern mit farbigen Stiften in das Diarium einzutragen sei;
  10. neben den praktischen Erfolgen für den Unterricht, das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Einheit des Strebens und Schaffens nach denselben hehren Zielen, die edle Berufsfreude und Begeisterung geweckt und gehoben.

Dazugehördende Texte:
Volksschulen um 1900 (I) – Regionalkonferenz
Volksschulen (II) – Körperliche Züchtigung
Volksschulen (III) – Zucht und Ordnung
Volksschulen (IV) – Vor dem Unterrichte Herz und Blick zu Gott erheben
Volksschulen (V) – Damm gegen gottlose Umstürzler
Volksschulen (VI) – Das Materielle dient der Berufsfreudigkeit des Lehrers
Volksschulen (VII) – Bollwerk gegen Trunksucht

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