Börjesson, Jörg

Vom leichtfertigen Doping-Opfer zum engagierten Doping-Bekämpfer

Von Wolf Stegemann – Geboren 1965 in Dorsten; Ex-Bodybuilder, Doping-Opfer und Bekämpfer. – Erst wuchsen ihm Muskeln, dann Brüste. Jörg Börjesson hat für sein Leben mit Anabolika teuer bezahlt. Er wurde zum Anti-Doping-Aktivist und hat seine Erfahrungen als Doping-Opfer und als Bekämpfer in einem Buch veröffentlicht, das im Mai 2011 im Econ-Verlag (Ullstein-Gruppe) erschienen ist. Im Buch kommen auch Betroffene, Freundinnen und besorgte Mütter zu Wort. „Muskelmacher“ ist ein erschütternder Insider-Bericht über die Doping-Szene, die viel größer ist, als man angenommen hat. b-boerjesson als Musekelprotz aus BuchJörg Börjesson betreibt als Einzelkämpfer im Internet eine Website (doping-frei.de) und spricht regelmäßig in Schulen und Jugendzentren über seine Geschichte. Auch in den Medien ist er ein begehrter Gesprächspartner und war bereits in diversen TV-Reportagen und Talkrunden zu sehen. Sein Doping-Problem begann auf einem Fußballplatz in Wulfen. Jörg Börjesson war gerade 14 Jahre alt und spielte mit seinen Brüdern. Er litt unter Asthma und konnte kaum rennen. Also probierte er es mit Judo und Schwimmen. Ebenfalls vergebens. Doch wollte er unbedingt Sport treiben. Um sein Herz zu kräftigen, ging er als 18-Jähriger ins Fitness-Studio. Jörg Börjesson entdeckte die Vorliebe für Muskeltraining. Stunden verbrachte er dort im Training – und das täglich. Er wollte den vermeintlich perfekten Körper. Dafür schluckte er Pillen: rote, gelbe, kleine, große, grüne. Vielleicht 3.000 Stück oder mehr. Ihm war es egal, wie viele Tabletten und was er schluckte: Hormone, Anabolika, Amphetamine. Er wusste es nie genau, Hauptsache es half, die Muskeln in seinem Körper aufzubauen. Und die wurden groß wie Schinken. Nach dem „Training“ legte er sich auf die Sonnenbank, um seinen Körper zu bräunen. Jörg Börjesson hatte sich schleichend vergiftet, um seinem Schönheitsideal zu entsprechen. Anerkennung suchte er bei Seinesgleichen. b-Boerjesson-Titelseite mit FotoEr zeigte sich auf Bühnen. Bei der Märkischen Kreismeisterschaft gewann er als Sechster einen Pokal. Er hatte Erfolgserlebnisse, wuchtete 300 Kilogramm an der Beinpresse, bis das Blut aus der Nase schoss. Börjesson war aber nicht zu bremsen. Seine Ehe zerbrach, seinen Beruf als Installateur beim Kabelfernsehen gab er auf, sollte nur noch Gewichte heben und an Meisterschaften teilnehmen. Jörg Börjesson ignorierte seinen sich verschlechternden Gesundheitszustand, ging nicht zum Arzt. Als Folge der Überdosierung von Testosteron-Ersatzstoffen, die sich im Körper in das weibliche Hormon Östrogen verwandeln, wuchsen ihm Brüste. Jörg Börjesson wurde erst hellwach, als im Schwimmbad sein sechsjähriger Sohn ihn fragte: „Papa, bist du ein Mann oder eine Frau?“ – Endlich wachte das Muskelpaket auf und ging zum Arzt. Sein Körper war ruiniert, der Magen zerstört, der Rücken kaputt, er hatte chronische Gelenkschmerzen und das Schlimmste: Verdacht auf Brustkrebs. In einer dreistündigen Operation im Recklinghäuser Elisabeth-Krankenhaus entfernten die Ärzte 400 Gramm Gewebe. Börjesson ließ die Operation von einem Filmteam aufzeichnen, denn er hatte durch seinen körperlichen Zusammenbruch eine neue Mission entdeckt: Den Kampf gegen Doping. Vielleicht war dies auch ein Weg, die Wunden an der Seele zu lindern. Er gründet die Initiative „Dopingfreie-Tour“, hält heute Vorträge in Studios, besucht Schulen und Jugendzentren. Doch viel Geld verdient Börjesson mit seinen Auftritten nicht. Seine Zielgruppe glaubt nämlich nicht, dass sie ein Körper-Problem hat. Aber der Mittvierziger will nicht aufgeben. „Ich brauche nicht viel Geld zum Leben“, sagt er. „Ich wohne auf 40 Quadratmetern und bin bescheiden.“ Er spricht vom Helfen und davon, dass er Jugendliche vor seinen eigenen Fehlern bewahren wolle. Es klingt ehrlich. Und erschreckend, denn er sagt: „Ich habe Angst vor weiteren Nebenwirkungen. Vielleicht habe ich nicht mehr viel Zeit“ (NRZ).

Information zum Thema: Längst findet der Hormonhandel nicht mehr nur in den Umkleidekabinen der Studios statt. Im Internet lassen sich Anabolika und Wachstumshormone für den Muskelaufbau bestellen, ebenso „Fatburner“ und Entwässerungsmittel, die die gestählten Partien besser zur Geltung bringen sollen. Die Mittel kommen mit der Post aus den USA, aus China, Indien oder Thailand. Inzwischen jedoch häufen sich die Meldungen über gefälschte und verunreinigte Substanzen aus dem Netz („Die Zeit“ Nr. 13/08). Rund 100.000 Anabolika-Ampullen hat der deutsche Zoll bei Stichproben im vergangenen Jahr sichergestellt, weitere 45.000 Ampullen fanden die Fahnder allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2012 in den Frachtzentren. Doch die Fitnessfans scheint das ebenso wenig zu schrecken wie der Preis der Präparate. Durchschnittlich 2.500 Euro zahlen sie für eine „Kur“. So nennt man unter Hantelprofis eine Hormonbehandlung, die etwa acht Wochen lang dauert und je nach Ambitionen ein- oder mehrmals im Jahr wiederholt wird.

Geschätzte 250.000 Anabolika-Nutzer in Deutschland

Wie viel Geld in Deutschland insgesamt für Steroide ausgegeben wird, lässt sich schwer sagen. Das Robert-Koch-Institut ging vor wenigen Jahren in seinem Bericht Doping beim Freizeit- und Breitensport von jährlich 51 Millionen Euro aus, wies aber auf hohe Dunkelziffern hin. Der Orthopäde Carsten Boos, der 2001 die Umfrage in den norddeutschen Fitnessstudios durchführte, bezifferte den Umsatz mit gut 200 Millionen Euro pro Jahr. Tatsächlich könnte jedoch noch weit mehr Geld im Spiel sein. Denn selbst wenn man von der konservativen Schätzung von 250.000 Anabolika-Nutzern in Deutschland ausgeht und davon, dass jeder von ihnen nur einmal im Jahr Ampullen für 2.500 Euro kauft, liegt man schon bei 625 Millionen Euro. Etwa fünf Millionen Deutsche besuchen regelmäßig Fitness-Studios, der Anteil der Bodybuilder liegt bei rund 500.000. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 200.000 von ihnen regelmäßig Doping-Mittel schlucken. Der Umsatz mit den verbotenen Mitteln liegt in Deutschland bei rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Und Doping-Kontrollen gibt es im Freizeitsport nicht.


Quellen:
Original Articles Date (1. Januar 1970). – „Die Zeit“ Nr. 13/2008. – ECON-Verlag 2011. – NRZ – Website doping-frei.de

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