Volksschulen um 1900 (II)

Die körperliche Züchtigung der Kinder ist schon in der Bibel geboten

Volksschulen waren ein Bollwerk für Religion, Sittlichkeit und Zucht. In mehreren regionalen Lehrer-Konferenzen der Volksschulen, die in Dorsten um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts stattfanden, behandelten die Lehrer Themen wie Prügelstrafe und ihre Anwendung, oder Schulzucht und Sittlichkeit, die Trunksucht in den arbeitenden Klassen sowie das Glück der maßvollen Zurückhaltung. Es wurde aber auch der Kampf aufgenommen gegen die gottlosen Umstürzler und vaterlandslosen Gesellen, denen die Volksschule eine Barriere bilden müsse. Lehrer aus Dorsten nahmen an diesen Konferenzen teil. Die Chronik der Antoniusschule in Holsterhausen liefert Bericht über das, was damals beschlossen wurde und das bei der Lektüre heute sicherlich Stirnrunzeln und Kopfschütteln verursacht. Wir haben den Teil der Chronik hier in den Artikeln Volksschulen I bis VII wiedergegeben und die damalige Schreibweise beibehalten.

„Laß’ dich leiten von den Lehren des göttlichen Lehrmeisters“

Am 11. August 1897 fand in Dorsten die Lehrer-Konferenz statt, in der diskutiert und festgelegt wurde, „wie der Gesangsunterricht fruchtbringend“ zu erteilen sei, neben diesem pädagogisch-musischen Anliegen wurde aber auch ausführlich über das „Züchtigungsrecht des Lehrers in der Schule“ vorgetragen, die einzelnen gesetzlichen Bestimmungen erläutert und danach gemeinsame „Leitsätze aufgestellt“, nach denen sich die Schulen zu richten hatten. Diese lauten wörtlich:

  1. Zu körperlichen Züchtigungen, die durch Pflicht und Gewissen oft genug geboten sein können, ist der Lehrer auch berechtigt, was hervorgeht aus dem Urteil der hl. Schrift, der Pädagogik und der bürgerlichen Gesetze.
  2. Die körperliche Züchtigungen, die den Zweck haben, zu bessern und vom Bösen abzuschrecken, und die zur Errichtung dieses Zweckes als letztes Mittel dienen, können wir zur Bestrafung gewisser Fehler, Unsitten und Rohheiten, die meistens auf schlechte häusliche Erziehung, auf angeborener Neigung oder Verführung zurückzuführen sind, nicht entbehren.
  3. Die körperlichen Züchtigungen sind nach Maß und Art strengstens zu bemessen nach dem Alter, Geschlecht, Charakter, Bildungsgrad, kurz nach der geistigen und körperlichen Beanlagung (sic!) des Kindes; sie dürfen nie der Gesundheit schädigen und müssen stets das Gepräge väterlicher Liebe und [unleserlich] Ernstes, nicht aber der Rohheit und Gefühllosigkeit, der Wut und Rache, oder gar der häßl. Parteilichkeit tragen.
  4. In den meisten Fällen, welche eine körperliche Züchtigung erheischen, ist diese ohne lange Umständlichkeit sofort zu vollziehen, werden besonders schwere Fälle begangen in oder außer der Schule, ist nach Rücksprache mit den Eltern, Vormünder, Amtsgenossen, mit der gräflichen und weltlichen Ortsbehörde und mit den nächsten Schulaufsichtsbeamten in Beisein wenigstens eines der letzteren vor der Klasse (wenn Mitschüler davon wissen oder vielleicht Ärgernis daran genommen haben) oder außer derselben zu bestrafen sind, vorausgesetzt, dass nicht die Bestrafung dem Gericht zu überlassen ist.
  5. Die Rute oder das sogenannte Centimeterstöckchen ist das einzig passende Werkzeug, mit dem die körperl. Züchtigungen zu vollziehen sind, während Lineale, Violinbogen, Stöcke, Riemen und andere derartige Marterwerkzeuge, sowie auch der Gebrauch der freien Hände oder der Faust, die den Unwillen vielfach durch Ohrfeigen, Ohrenreissen, durch Haarzausen, durch Stöße und Schlagen auf den Rücken Luft zu machen suchen, ganz unzulässig und strafwürdig sind und nur ein untrügl. Zeichen dafür abgeben, dass in einer Schule, in der solche Wutausbrüche vorkommen, ein unsauberer und gemeiner Geist herrscht.
  6. Bei Mädchen darf die Züchtigung nur auf den Rücken oder in die Hand, bei den Knaben, falls dieselben von den Mädchen getrennt unterrichtet werden, auch außerdem auf das Gesäß vollzogen werden. Bei aller körperl. Züchtigungen ist darauf zu achten, dass das Schamgefühl des Kindes nicht verletzt werde.
  7. Kellner sagt in seiner Volksschulkunde: „Daß es viele Lehrer gibt, welche die körperl. Züchtigung ganz entbehren können und des Stockes nicht bedürfen, um Ruhe zu halten, ist eine Tatsache und wenn wir dafür auch zugeben, körperl. Züchtigungen in unseren Volksschulen vorkommen dürfen, so sind doch jedenfalls diejenigen im Irrtum, welche sich dem Glauben hingeben, dass sie darin durchaus vorkommen müssen.“
  8. Laß’ dich bei körperl. Züchtigungen leiten von dem Geiste des Christentums, von den Grundsätzen der Nächstenliebe, von den Lehren des göttlichen Lehrmeisters, den die den Tempel entheiligenden wohl mit der Geißel behandelte. Die Kleinen aber liebevoll zu sich kommen ließ: und der Gebrauch des Stockes wird für dich zu den Ausnahmen gehören.

Dazugehördende Texte:
Volksschulen um 1900 (I)
Volksschulen (III) – Vor dem Unterrichte Herz und Blick zu Gott erheben
Volksschulen (IV) – Damm gegen gottlose Umstürzler
Volksschulen (V) – Das Materielle dient der Berufsfreudigkeit des Lehrers
Volksschulen (VI) – Bollwerk gegen Trunksucht
Volksschulen (VII) – Resümee der Konferenzen

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