Roß, Johann Heinrich

Deutener Bauernsohn wurde 1811 Soldat Napoleons und blieb 30 Jahre weg

Napoleons Grande Armée in Russland, darunter der Deutener Johann Heinrich Roß

1791 in Wulfen bis unbekannt; Landwirt und Soldat in Napoleons Armee. – 30 Jahre lang galt der Deutener Bauernsohn als vermisst, dann traf 1841 bei Bürgermeister Brunn in Wulfen ein Brief ein, mit dem der bis dahin vermisste Soldat ein Lebenszeichen gab. Der Brief kam aus Löcknitz bei Alt-Stettin in Pommern. Dorthin hatte es ihn als Soldat Napoleons nach der Niederlage des französischen Kaisers verschlagen. In dem Brief erkundigte sich der frühere Deutener nach seinen Eltern und eventuelle Erbansprüchen. Offensichtlich war er des Schreibens unkundig, denn den Brief ließ er von einer anderen Person schreiben.
Seine Eltern, das ergab die Recherche des Bürgermeisters, waren bereits 1824 oder 1825 verstorben. Den Hof hatte der ältere Bruder Werner übernommen, die jüngere Schwester hatte in den Hof Pütte eingeheiratet, eine andere Schwester mit Heßbrüggen verheiratete gewesen und dann mit einem Hühnerschule im Emmelkamp. Eine weitere Schwester lebte noch im Elternhaus wie ein Bruder namens Albert auch. Bei Übernahme des Hofes durch den älteren Bruder wurden die Geschwister mit 71 Talern und zwölf Silbergroschen ausgezahlt. Diese Summe würde ihm als Erben ebenfalls zustehen, so der Bürgermeister in seinem Antwortschreiben, in dem er den „verlorenen Sohn Deutens“ zum Kommen einlud: „Für den Fall aber, dass Sie unverheiratet wären, würden Sie meines Erachtens hier angenehm und unbesorgt bei Ihrer Familie leben können. Denn es ist hier jetzt weit anders als früher und die Leute leben hier jetzt ehr zufrieden und glücklich.“

Als französischer Soldat in Alt-Stettin in Gefangenschaft geraten

So könnte Johann Roß ausgesehen haben

Hoferbe Werner Roß war mit der Auszahlung an seinen Bruder Johann Heinrich Roß einverstanden, wollte aber die Identität nachgewiesen haben. Daraufhin ging der Bruder in Pommern zu dem advocatus Pieper und ließ sich vom advocatus Pieper seine Identität attestieren. Roß gab zu Protokoll, was er über seine Eltern in Deuten und seine Jugendzeit wusste, bevor er zum französischen Militär gepresst wurde (Auszug):

„Bis zu meinem 20. Lebensjahr war ich bei meinen Eltern. Dann mußte ich den Fahnen der französischen Truppen folgen und wurde ich französischer Infanterist. Von Haus aus mußte ich mich in Münster gestellen, wo sich die ausgehobenen Mannschaften sammelten. Von Münster aus ging ich  mit den übrigen ausgehobenen Mannschaften nach Amiens, hier erhielten wir Uniformen und wurden ausexerziert. Von hier aus marschierten wir nach Bologne und bezogen gegen England hier bei dieser Stadt ein Lager. Von hier wurde der Truppenteil, bei dem ich stand, nach Rußland nachkommandiert, und auf diesem Marsche bin ich als französischer Soldat zum Besuch bei meinen Eltern gewesen. Unser Truppenteil kam aber nicht sehr tief nach Russland hinein, sondern wurde zurückgeschlagen, und marschierte demnächst nach Pommern zur Belagerung der Festung Alt-Stettin. Hier wurde ich gefangen, ransonirte auch, und bin hier geblieben und ernähre mich von meiner Hände Arbeit. Mit mir zugleich oder kurz vor meiner Aushebung wurde auch ein gewißer Paaßmann, ein Bauernsohn aus Wulfen ausgehoben, welcher der französischen Kavallerie zugetheilt wurde. Wo dieser Paaßmann aber geblieben ist, weiß ich nicht. … Aus Wulfen war auch noch ein gewißer Engelring, Freimanns Sohn, bei dem französischen Truppenteile. Wo der aber geblieben ist, weiß ich nicht. Etwa vor 12 Jahren habe ich einmal von hier aus nach Hause geschrieben, habe aber keine Antwort erhalten, auch ist der Brief nicht zurückgekommen…“

Da Roß nicht schreiben konnte, unterzeichnete er seine Einlassung beim Notar mit „Untersetzung von 3 Kreutze“. Es folgte die Attestierung Pieper, gezeichnet von Abichs, Aktuarius und Rendant.

Zur Sache:
Napoleons Feldzug der Grande Armee war ein einziges Desaster

In seinem Roman „Krieg und Frieden“ schreibt Leo Tolstoi treffend: „Am 22. Juni 1812 überschritten die Heere Europas die russische Grenze.“ In der Tat war Napoleons „Grande Armée“ eine multinationale Truppe, unter der sich allenfalls 30 Prozent Franzosen befanden. Das größte Kontingent stellten mit 130.000 Mann die Deutschen, darunter 27.000 Westfalen. Der Russlandfeldzug begann und endete als Desaster. Es ist eine Mär, dass Napoleon von „General Winter“ besiegt wurde und die Grande Armée ihre horrenden Verluste wegen der eisigen Kälte auf dem Rückzug erlitt. Die weitaus meisten Todesopfer forderte der Vormarsch. Als Napoleon am 14. September in Moskau einrückte, hatte er mehr als 60 Prozent seiner Truppen verloren.

Im Feldzug wurden die Soldaten als Kanonenfutter missbraucht

Infanteristen in der Grande Armée

„Es war eine so drückende Hitze, dass alle Regimenter Leute durch Erschöpfung verloren. In meinem Regiment fiel ein Offizier um, der auf der Stelle tot war“, berichtet der westfälische Major Wilhelm v. Loßberg im Juli. Anfang August mehren sich die Hungertoten. So schreibt der württembergische Militärarzt Heinrich v. Roos am 8. August „von den vielen Leichen der Krieger, die durch Hitze, Hunger und Durst umgekommen waren“. Es zeigt sich, dass Napoleon den Feldzug miserabel geplant, die Versorgungsprobleme sträflich unterschätzt hat. Krankheiten schwächen die deutschen Soldaten. In ihren zerlumpten Uniformen glichen sie mehr einer Horde Bettler als Soldaten.“ Konkrete Zahlen der Verluste nennt ein Teilnehmer in seinem Bericht. Leutnant von Martens am 3. September 1812: „Die Stärke unserer Division, welche bei ihrem Ausmarsch 10.000 Mann zählte, bis Lesno 5000, nach Smolensk aber auf 2200 Mann herunterkam, betrug jetzt nicht mehr als 1300.“ All dies spielte sich binnen nur zehn Wochen ab und bildet die eigentliche Katastrophe des Feldzugs von 1812. Stellvertretend für die wenigen, welche heimkehrten, schrieb Leutnant von Martens am 21. Januar 1813: „Mittags kamen wir in meiner früheren Garnison Heilbronn an; zu demselben Tore fuhr ich hinein, durch welches das schöne Regiment Kronprinz jubelnd ins Feld hinauszog, aber nun nicht mit dem schwankenden Federbusch auf dem Helme und der glänzenden Schärpe angetan, sondern als einziger dieses Regiments mit erfrorenen Gliedern und wehmütigem Blick.


Anmerkung: In den Unterlagen wird Roß auch Ross oder Rohs geschrieben, eine Schreibform des so genannten scharfen ß. – Quelle: Paul Fiege im HK 1988 nach alten Hofakten vom Hof Roß im Besitz von Klemens Große-Pelcum, Deuten.

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