WAZ-Abgang

Nach 55 Jahren stellte die WAZ in Dorsten ihr Erscheinen ein

Ohne Worte

Von Wolf Stegemann – Am 1. November 2013 stellte die Funke-Mediengruppe aus Essen die Dorstener Lokalausgabe ihrer „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ) ersatzlos ein. Seit 1968 war die Zeitung für das angestammte Heimatblatt „Dorstener Zeitung“ (DZ; früher „Ruhr-Nachrichten“, RN, noch früher „Dorstener Volkszeitung“) eine qualitativ ausgezeichnete und stets aktuelle Konkurrenz. Allerdings hatten die Ruhr-Nachrichten aufgrund ihrer traditionellen Verwurzelung auflagenmäßig immer die Nase vorn. Graf Merveldt meinte bei einem Gespräch in den 1980er-Jahren zum Verfasser, der damals der RN-Redaktion angehörte, dass dies aber nur so lange gelten würde, wie die Dorstener in den „Ruhr-Nachrichten“ die Todesanzeigen aus dem Stadtgebiet lesen könnten. Sie konnten. Die WAZ schaffte es nicht, diesen für eine Zeitung wichtigen „Informationsmarkt“ auch nur annähernd zu knacken. Um diesen Gedanken augenzwinkernd weiter zu spinnen, mag dies vielleicht daran gelegen haben, dass die in Barkenberg stark gewesene WAZ die wünschenswerte Auflage des Überlebens nicht erreicht hatte. An der Berichterstattung, deren Qualität und Ideen der WAZ-Kollegen lag es nicht.

Kaum noch Rauschen im lokalen Blätterwald

Fanden sich die Geschäftstellenleiter der WAZ und der RN früher häufig wegen Auseinandersetzungen vor Gericht wieder, so besänftigte sich dies in den letzten Jahrzehnten. Die Ruhr-Nachrichten wollten früher immer wissen, wie hoch die Auflage der WAZ in Dorsten war. Sie fanden es nicht heraus. In den letzten Jahren aber doch, weil aus Kostengründen die WAZ von den DZ-Zeitungszustellern mit ausgetragen wurde. Der Abgesang der WAZ war eingeleitet. Dass es die WAZ ab November nicht mehr geben wird, ist ein Verlust. Auch wenn sich beide Dorstener Zeitungen in ihren Lokalteilen der letzten Jahre weitgehend angeglichen hatten, so konnten die Leser dennoch entscheiden, welche Kommentare sie lesen wollten, die in der WAZ oder die in der RN bzw. DZ. Dies gehörte zur Pressefreiheit. Mit der WAZ in Dorsten geht somit auch ein Stück lokaler Pressefreiheit verloren. Sieht man in den bundesrepublikanischen Blätterwald, dann wird einem bewusst, dass solche Einschränkungen überall stattfinden. Die Tendenz zeigt, dass immer mehr lokale Printmedien ihr Erscheinen einstellen und nur noch eine Zeitung am Ort übrig bleibt. Es wird nicht mehr laut rauschen im Blätterwald! Davon profitieren die Zeitungen, die durchgehalten haben, wie in der Lippestadt die traditionelle „Dorstener Zeitung“, bei der sich jetzt die Ex-Abonnenten der WAZ mit ihren Bestellungsformularen drängeln. Ein höheres Anzeigenaufkommen gibt es zudem. Alles in allem eine Herausforderung an die Macher der „Dorstener Zeitung“. Aber nicht nur mit einer werbekräftigen Sonderbeilage am Tag des WAZ-Ablebens. Die Kehrseite der Medaille. Wenn eine Lokalzeitung keine Konkurrenz mehr hat, dann hat dies häufig auch Einfluss auf die journalistische Qualität. Den Lesern fällt das zwar auf, aber sie haben keine Auswahl mehr.

Karneval: RN-Redakteure besetzen die WAZ-Redaktion 1986: Stefan Wette (WAZ), Rüdiger Eggert (RN), Gregor Herberhold (WAZ), Wolf Stegemann (RN), Gabiele Heimeier ( WAZ), -?-, Brunhilde Schwarz (WAZ); Foto: Holger Steffe (RN)

Ein kollegiales Verhältnis, manchmal gegeneinander, meist miteinander

Als Journalist und Kollege der WAZ-Redakteure, die jetzt woanders unterkommen müssen,  bedauere ich den Weggang der Zeitung sehr, weil Konkurrenz (auch unter Kollegen) das Geschäft immer belebt (hat). Gestattet seien mir hier einige persönliche anekdotenhafte Reminiszenzen. Es gab einen WAZ-Redaktionsleiter in den 1980er Jahren, der mit seinem misstrauischen Konkurrenzverhalten seine Kolleginnen und Kollegen nervte, über das wir uns alle aber amüsierten. An einem Karnevalsdienstag hatten wir, Kollegen von den Ruhr-Nachrichten, beschlossen, nach Redaktionsschluss die Kollegen der WAZ in ihrer Redaktion aufzusuchen. Gesagt getan. Die Kollegen waren noch bei der Arbeit, der Redaktionsleiter war nicht da. Daher legten wir uns in Karnevalslaune über die Schreibtische der WAZ-Kollegen, fotografierten das und hinterließen dem Redaktionsleiter die Fotos (siehe Foto).

Konkurrrenzdenken hat’s dennoch hin und wieder gegeben

Gabriele Heimann (WAZ) und Wolf Stegemann (RN) bei der Arbeit im Ratssaal

Konkurrenz hat es unter Kollegen dennoch hin und wieder auch gegeben: Als ich hörte, dass Ludger Böhne, damals noch ein junger Kerl, mit seiner „Ente“ in die frisch gekürte Partnerstadt Hainichen (damals noch DDR) gefahren war, besorgte ich mir ein altes DDR-Büchlein über Hainichen, formulierte daraus einen Text, entnahm Fotos und setzte der WAZ eine ganze Seite vor, bevor Ludger Böhne aus Hainichen zurück war. Umgekehrt gibt es aber auch ein Beispiel: Als Tisa von der Schulenburg (Sr. Paula) in den 80er-Jahren auf Einladung der EU im Straßburger Rathaus Bilder ausstellte, fuhren ein WAZ-Kollege, dessen Namen ich vergessen habe, und ich gemeinsam im Auto nach Straßburg. Als wir ein oder zwei Tage darauf nachmittags zurückkehrt waren, gähnte der WAZ-Kollege demonstrativ und sagte, dass er jetzt nach Hause fahren würde und schlafen, weil er müde sei. Ich fasste das so auf, und das war sicherlich auch durch sein Gähnen gewollt, dass er den Artikel nicht mehr für den nächsten Tag schreiben würde. Ich war froh, dass ich das dann auch nicht brauchte. Anderntags traute ich meinen Augen nicht, als ich seinen Artikel in der Zeitung sah. Eine ganze Seite. Das war für mich Anlass, wenn auch einen Tag später, nunmehr zwei Seiten zu machen.
Gut in Erinnerung bleibt mir die kollegiale Zusammenarbeit vor allem mit Peter Neubauer, Ute Hildebrand, Gabriele Heimeier, Stefan Wette und Gerd Wallhorn, mit Letztgenanntem  ich 1994 an der Feier zu Eingehung der Städtepartnerschaft in Rybnik (Polen) teilnahm, zusammen mit ihm und Stadtdirektor Dr. Zahn Auschwitz besuchten. Eine gute kollegiale Zusammenarbeit fand auch zwischen den Fotografen statt, die sich mitunter gegenseitig mit Fotos aushalfen, wenn dies notwendig war. Nicht vergessen möchte ich an dieser Stelle die früh verstorbene WAZ-Kollegin Inge Dennemark. Sie auf Terminen getroffen zu haben, war mir immer eine Freude.

Siehe auch: Medien I (Essay)
Siehe auch: Medien II (Essay)
Siehe auch: Medien III (Essay)
Siehe auch: Medien IV
Siehe auch: Medien V
Siehe auch: Josef Weber
Siehe auch: Alfons van Bevern
Siehe auch: Argus / Zuschauer
Siehe auch: Carl-August Schürholz
Siehe auch: Medien-Menschen

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