Eichmann, Ruth (Sr. Johanna)

Jüdin, Christin, Nonne, Schulleiterin, Museumsleiterin, Ehrenbürgerin

Neue Schulleiterin Sr. Johanna Eichmann 1962

Neue Schulleiterin Sr. Johanna Eichmann 1962

1926 Münster bis 2019 in Dorsten; Oberstudiendirektorin. – Sie gehörte zu den bemerkenswerten Menschen in Dorsten. Als Tochter einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen katholischen Vaters hieß sie mit Geburtsnamen Ruth. Ihre Mutter ließ sich mit ihr 1933 in Recklinghausen, wo die Familie lebte, katholisch taufen. Als Schülerin schickten die Eltern ihre Tochter 1936 in das Internat des Ursulinengymnasiums nach Dorsten, wo ihre Herkunft zunächst geheim gehalten wurde. Nach der Verstaatlichung des Gymnasiums musste Ruth Eichmann 1941 die Schule verlassen, legte ein Jahr später in Essen das Dolmetscher-Examen in Französisch ab und arbeitete bis Mai 1945 beim Kommissariat der Petain-Regierung in Berlin, das die französischen Zwangsarbeiter betreute. Ihre in einer „Mischehe“ von weiterer Verfolgung weitgehend geschützten Mutter Martha Eichmann, geborene Rosenthal, überlebte die Zwangsarbeitslager, in die sie von der Gestapo gegen Ende des Krieges dann doch noch verbracht wurde.

Als Sr. Johanna 1952 in das Ursulinenkloster in Dorsten eingetreten

1945 von Berlin ins Ruhrgebiet zurückgekehrt, legte Ruth Eichmann 1946 die Reifeprüfung ab, studierte zunächst Publizistik, dann in Münster und Toulouse Deutsch und Französisch. Am 1. November 1952 trat Ruth Eichmann als Schwester Johanna in den Ursulinen-Orden in Dorsten ein. Nach dem 2. Staatsexamen 1956 wurde sie Lehrerin und acht Jahre später Direktorin des Gymnasiums. Mit 34 Jahren war sie die jüngste Schulleiterin in Nordrhein-Westfalen. Sr. Johanna Eichmann trat 1983 der Sr. Johann Eichmann 2012; Foto: Johannes BernhardForschungsgruppe Dorsten unterm Hakenkreuz bei, die von Dirk Hartwich und Wolf Stegemann gegründet und von Letzerem geleitet wurde. Fünf Jahre später initiierte die Forschungsgruppe die Gründung des Jüdischen Museums Westfalen in Dorsten. Nach Sr. Johannas  Pensionierung als Schulleiterin übernahm sie 1992 die Leitung des in diesem Jahr eröffneten Museums (bis 2006), setzte sich für eine Schulpartnerschaft mit israelischen Schulen in Hod Hasharon ein, war von 1995 bis 2007 Oberin ihres Konvents, gründete 2006 die Ursulinen-Schulstiftung und veröffentlichte als Autorin bzw. Mitautorin einige Bücher zum Judentum und zur Geschichte der Ursulinen. Für Ihr Lebenswerk bekam sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz, die Verdienstmedaille NRW sowie die Vestische Ehrenbürgerschaft. 2011 wurde sie Ehrenbürgerin der Stadt Dorsten. Im selben Jahr gab sie den ersten Band ihrer Erinnerungen heraus: „Du nix Jude, du blond, du deutsch. Erinnerungen 1926 – 1952.“ Er behandelt die Zeit bis zu ihrem Eintritt ins Kloster und ist im Klartext-Verlag erschienen. Der zweite Band erschien 2013. Mit einem Gottesdienst feierte das Kloster am 1. November 2012 ihr Diamantenes Ordensjubiläum. Der Eintritt ins Kloster aber war für Sr. Johanna Eichmann „eine große Freiheit im Angesicht Gottes“. Nur zehn Jahre nach ihrem Eintritt in den Konvent wurde sie zur Schulleiterin ernannt und blieb es bis 2006. In den 1970er-Jahren führte sie das Gymnasium erfolgreich durch die Reform der gymnasialen Oberstufe. Sr. Johanna starb mit 93 Jahren am 23. Dezember 2019.

Ihr Leben und Denken in Gedichten

Zu ihrem 90. Geburtstag legte Sr. Johanna 2016 im Wulfener Heike Wenig Verlag einen Gedichtband mit dem Titel „Botschaften“ vor. Darin ist Lyrisches über Ereignisse, Empfindungen und Erinnerungen zu lesen, welche die Autorin ihr Leben lang begleitet haben. Die Illustrationen stammen von ihrer Mitschwester Tisa von der Schulenburg (Sr. Paula).

Werke (Auswahl): „Juden in Dorsten und in der Herrlichkeit Lembeck“, 301 Seiten, 1989 (hg. zusammen mit Wolf Stegemann). – „Jüdisches Museum Westfalen“, 279 Seiten, 1992 (hg. zusammen mit Wolf Stegemann). – „Der Davidstern. Zeichen der Schmach, Symbol der Hoffnung“, 206 Seiten, 1991 (zusammen mit Wolf Stegemann). – „Von Bar Mizwa bis Zionismus“, 196 Seiten, 2007  (zusammen mit Dr. N. Reichling und Th. Ridder). – „Du nix Jude, du blond, du deutsch. Erinnerungen 1926 – 1952“, 128 Seiten, 2011.

"Ruhr-Nachrichten" vom E

Wolf Stegemann in den “Ruhr-Nachrichten” (heute Dorstener Zeitung) von 1991


Allgemeine Richtigstellung 2018: In Interviews, Berichten, Essays über das 1992 eröffnete Jüdische Museum Westfalen in Dorsten wird Sr. Johanna Eichmann nicht immer, aber immer wieder als einzige Gründerin genannt; manchmal sogar die Ursulinen. Das war und ist falsch. Richtig ist, dass das Museum von den Mitgliedern der Forschungsgruppe Dorsten unterm Hakenkreuz gegründet wurde, die jahrelang unter Leitung von Wolf Stegemann stand. Dieser hatte auch die inhaltliche und technische Konzeption des Museums (über Gründung eines Vereins) entworfen und in der (lokal- und landespolitischen) Öffentlichkeit durchgesetzt und die Realisierung überwacht. Sr. Johanna, die 1982 zur Forschungsgruppe stieß, die damals noch “Arbeitskreis zur Erforschung der jüdischen Gemeinde” hieß, eine Initiative von Dirk Hartwich und Wolf Stegemann, wurde zur Eröffnung des Museums 1992 als Museumsleiterin eingesetzt. Im Eingangsbereich des Museums befand sich noch einige Jahre nach Gründung eine Tafel, auf der Sr. Johannas Name einer von fünf Namen der Gründer stand. Die Tafel wurde umgehängt.

Siehe auch: Martha Eichmann
Siehe auch: Kloster St. Ursula
Siehe auch: Jüd. Museum (mehrere Artikel)
Siehe auch: Verein für jüd, Geschichte und Religion
SIehe auch: Forschungsgruppe Dorsten unterm Hakenkreuz

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