Bussmann, Hermann

Ein Dorstener 1938 am „Pogrom“ in Solingen beteiligt – dennoch Freispruch

8. März 1948: Aufdeckung falscher Aussagen nach dem Freispruch vom 26. Februar 1948

Von Wolf Stegemann. 1903 in Dorsten bis 1963 in Altena; von Beruf war er Gießerei-Former und trat im Mai 1933 in Solingen in die NSDAP und SA ein, war Blockleiter und wurde beobachtet, wie er sich an dem Pogrom gegen jüdische Geschäfte und die Synagoge in Solingen beteiligte und nach 1945 eine entsprechende Aussage bei der Polizei machte. Das führte 1946 zu einer Anklage vor dem Landgericht Wuppertal. Bussmann wurde freigesprochen, weil die Zeugin ihre detaillierte Aussage über seine Beteiligung zurückgezogen hatte. Darüber lässt sich nur spekulieren. Die Zeugin hatte zwei Brüder, die ebenfalls mit Bussmann in der „SA-Standarte 53“ gewesen waren. Nach dem Freispruch wurde es durch die Aussage eines Polizisten amtlich, dass Bussmann doch dabei gewesen war. Allerdings wurde dem gebürtigen Dorstener kein weiterer Prozess gemacht.
Die Schreibweise seines Namens ist nach Durchsicht der Gerichtsakten sowie  den Unterlagen in den Archiven der Städte Dorsten, Altena und Solingen in amtlichen Dokumenten unterschiedlich. In Dorsten heißt er auf seiner Geburtskartei Bernhard Heinrich Bußmann. In den Melde-Karteien Altena und Solingen heißt er mit Vornamen Hermann. Auf der Solinger Meldekartei ist noch der allerdings durchgestrichene Vorname Cuno vermerkt. Doch alle anderen Fakten sind identisch. Er selbstschrieb sich mit Doppel-s. In den Gerichtsakten hat Bussmann den Vornamen Hermann Bernhard und wird anders als in den amtlichen Meldekarteien mit zwei s anstatt mit scharfem ß geschrieben. So schrieb ihn auch Stephan Stracke in seinem 2018 erschienenen umfangreichen Dokumentation „Der Novemberpogrom 1938 in Solingen im Spiegel der Justiz“.

Er selbst schrieb sich, wie die Unterschrift zeigt, mit Doppel-s

Nach Dorsten lebte er in Solingen und Altena und wurde Nationalsozialist

In seiner Geburtstadt Dorsten liegt keine Einwohnermeldekartei über ihn vor, lediglich ein Geburtseintrag. Demnach wurde Hermann Bussmann am 12. Mai 1903 als Sohn des Formers Bernhard Bußmann und seiner Frau Lina geboren. Die katholische Familie wohnte zu diesem Zeitpunkt in der heutigen Innenstadt, Im Kühl 22, ein gerade 70 Meter lange Wohnstraße, die in den Westgraben mündet. Wo der Junge zur Schule ging, ist hier nicht bekannt, nur, dass er eine  Volksschule besucht hatte. Er erlernte den Beruf seines Vaters, Former, der im Dorstener Metallwerk Kleinken am Westwall tätig war, vermutlich sein Sohn auch. Wann und wohin Hermann Bussmann von Dorsten wegzog, ist hier nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass er vor 1928 nicht in Altena wohnte, in diesem Jahr hatte er allerdings in Altena Amanda Winterhoff (geb. 1904) aus Leibringhausen geheiratet und verzog mit ihr und zwei Söhnen im April 1933 von Altena nach Solingen. Die Familie wohnte zunächst in der Düsseldorfer Straße und ab Januar 1935 in der Brühler Straße. In dieser Zeit trat Hermann Bussmann aus der katholische Kirche aus und im Mai 1933 in die NSDAP und SA ein. Seine katholische Frau wechselte die Konfession und wurde evangelisch.
Hermann Bussmann gehörte in Solingen der SA-Standarte 53 an und hatte in der NSDAP ab 1938 die Funktion eines Blockleiters. Außer über sein Mitwirken am Pogrom Ende 1938 in Solingen, ist über sein Familien-, Berufs- und politisches Leben in Solingen bislang nichts bekannt. Nach dem Krieg verzog er mit seiner Frau wieder nach Altena, wo er in der Kleffstraße 51 wohnte. Bussmann erkrankte 1943, war daher nicht mehr berufstätig und galt als Invalide. Er starb 1963 in Altena.

Synagaogen-Brandstiftung: Verfahren gegen den Dorstener Bussmann

1946 hatte seine Pogrom-Beteiligung gegen jüdische Geschäfte und gegen die Synagoge in Solingen (Foto) ein juristisches Nachspiel vor dem Landgericht Wuppertal, das Stephan Stracke in seinem o. g. Buch ausführlich beschreibt. Am 27. Dezember 1946 erstattete ein Nachbar der zerstörten Synagoge, Ernst von Eick, eine Strafanzeige gegen den SA-Mann Hermann Bussmann wegen Landfriedensbruchs. In der richterlichen Vernehmung am 18. August 1947 gab er zu Protokoll: „Der mir bekannte Hermann Bussmann […] ist an der Judenaktion bei der Synagoge auf der Malteserstraße beteiligt gewesen. Im Jahre 1938, am Tage der bekannten Judenaktion, wohnte ich in der Malteserstraße 29. Es wird in der Nacht vom 9. zum 10. November gegen 2 Uhr gewesen sein, als Bussmann in meine Wohnung kam, um sich Hände und Gesicht zu waschen. Hände und Gesicht des Bussmann waren rußgeschwärzt. Da ich von der Brandstiftung der jüdischen Synagoge Kenntnis hatte, erübrigte sich jede Fragestellung. Da mir weiter bekannt war, dass Bussmann aktives Mitglied der NSDAP war, war für mich außer Zweifel, dass er an der Aktion beteiligt war. Eine direkte Beteiligung des Bussmann habe ich nicht gesehen.“
Erst acht Monate später konnte der wieder nach Altena verzogene Hermann Bussmann von der Polizei vernommen werden. Er lebte nunmehr als Invalide und verheiratet mit zwei Kindern im Sauerland. In seiner Vernehmung behauptete er, dass er mit der Brandstiftung nichts zu tun hätte. Er berichtete, dass er auf seinem Nachhauseweg zufällig von den Insassen eines Düsseldorfer SA-Bereitschaftswagens gefragt wurde, ob die Synagoge schon brenne? „Ganz erstaunt über die seltsame Frage erklärte ich ihnen wo die Synagoge wäre.“ Bei der richterlichen Vernehmung in Altena am 3. Oktober 1947 berichtete er: „Ich war Blockleiter der NSDAP in Solingen. Am 9. November um 19 Uhr fand eine Feier in der Adolf-Hitler-Halle in Solingen statt, an der die politischen Leiter in Uniform teilnehmen sollten. Ich war auch hingegangen.“ Bussmann behauptete, dass er bei der Brandstiftung nicht anwesend war, und gab als Alibi an, dass er die ganze Zeit mit einer Bekannten in einer Gaststätte war. Erst später sei er zusammen mit einem unbekannten SA-Mann zum Brandort gekommen sei, wo sich schon 50 bis 100 Personen aufhielten.

Seine Bekannte gab eine völlig andere Darstellung als Bussmann

Die polizeiliche Vernehmung seiner Bekannten, Hertha Vois, am 9. Januar 1948, was dann auch in der Anklageschrift vom 23. Januar 1948 stand, gab eine gänzlich andere Darstellung: „Bussmann kenne ich aus Solingen her. […] Er ist mir noch als SA-Mann in guter Erinnerung, da er in Solingen als SA-Mann gut bekannt war. Meine Brüder, die ebenfalls in der SA waren, waren mit ihm gut bekannt. Es ist mir noch in sehr guter Erinnerung, dass Bussmann bei der Judenaktion im November 1938 eine sehr große Rolle gespielt hat. An dem fraglichen Tage, wo die Fenster der jüdischen Geschäfte eingeschlagen wurden, habe ich Bussmann am Kaufhof auf der früheren Adolf-Hitler-Straße vor dem Geschäft Güldenring stehen sehen. Die Fenster des Geschäfts waren eingeschlagen und die darin befindliche Ware hatte man geplündert. Auf meine Frage, was er hier suche, erklärte er mir, dass ist auch ein Jude. Ich verneinte dieses, worauf er mir sagte, dann hätte er sich einen anderen Namen zulegen sollen, dieser Name sei typisch jüdisch. Ich vermute stark, dass Bussmann sich rege an der Judenaktion beteiligt hat. Ich kann nicht verstehen, wie Bussmann die Behauptung aufstellen kann, dass ich mit ihm in der betreffenden Nacht in einem Lokal zusammen gewesen bin.“
Diese zusätzliche Belastung reichte für die Anklageerhebung gegen den nicht vorbestraften Hermann Bussmann. Er wurde „angeklagt, zu Solingen in der Nacht zum 10. November 1938 gemeinschaftlich mit anderen Tätern durch ein und dieselbe Handlung 1. an der öffentlichen Zusammenrottung einer Menschenmenge, die mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten beging, teilgenommen zu haben, 2.) Gewalttaten aus rassischen Gründen begangen zu haben. (Art. II Ziffer 1 c. des Gesetzes Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats vom 20. 12. 1946). Anlässlich der sogenannten Judenaktion in der Nacht zum 10. November 1938 wurden in Solingen die Schaufensterscheiben und die Einrichtung jüdischer Geschäfte zerstört, die Synagoge in Brand gesetzt und andere Gewalttaten begangen.“

Vor Gericht gab ihm die Bekannte dann doch ein Alibi – Freispruch

Das Gerichtsverfahren vor dem Wuppertaler Landgericht endete am 26. Februar 1948 allerdings mit einem Freispruch für den Angeklagten. Die Zeugin Hertha Vois revidierte überraschend ihre Aussage, sie wäre doch mit dem Angeklagten den ganzen Abend zusammen gewesen, sie hätte Bussmann mit einem anderen SA-Mann in ihrer ersten Aussage verwechselt. Das Landgericht Wuppertal resümierte in der Urteilsbegründung vom 26. Februar 1948 (5 KLa 22/48, 25/V): „Obschon der Angeklagte sich durch sein Verhalten verdächtig gemacht hat, ist ihm doch nicht nachzuweisen, dass er sich entgegen seiner Einlassung an der Brandstiftung tatsächlich beteiligt hat. Wie dem Gericht aus anderen Sachen bekannt […] wurde die Synagoge geraume Zeit vor 2 Uhr […] in Brand gesteckt. Wenn er dann, wie er unwiderlegt behauptet, in der brennenden Synagoge nach einem Talmud gesucht hat, so erfüllt das weder den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (Art. II Ziff. 1C des Kontrollratsgesetzes Nr. 10) noch einer anderen Strafbestimmung. Der Angeklagte war deshalb freizusprechen.“

Polizeibeamter belastete Bussmann nach dem Gerichtsurteil

Neun Tage später, am 5. März 1948, meldete sich der Polizeimeister Matthias Weiler, widersprach der Entlastungsaussage von Hertha Vois. Nach Aktenlage kam es weder zu einer Neuvernehmung von Hertha Vois noch zu einer erneuten Anklage gegen Hermann Bussmann. – In Verfahren gegen sieben andere Beschuldigte, die am Pogrom 1938 beteiligt waren, wurden diese verurteilt. Bis auf einen gehörten alle der Führung der NSDAP und SA an, wie Bussmann auch.


Anmerkung: Bislang leider kein Foto von Hermann Bussmann auffidbar. Die Angaben über die Person Hermann Bussmann, vor allem in der Zeit, als er in Dorsten aufwuchs, werden ergänzt, sobald weitere Angaben vorliegen. – Quellen: Stephan Stracke „Der Novemberpogrom 1938 in Solingen im Spiegel der Justiz“, Solingen 2018, persönl. Auskunft von Stephan Stracke, April 2021. – Stadtarchiv Solingen 2021. – Stadtarchiv Dorsten 2021. – Stadtarchiv Altena, 2021. – Landesarchiv Duisburg LAV NRW Gerichte Rep 191/62, 191/36 u. a.

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