Stegemann, Heinrich

Schlecht über den NSDAP-Kreisleiter gesprochen – nur noch Hilfslehrer

Meldekarte Heinrich Stegemanns der Stadt Lüdenscheid (Ausriss)

Geboren 1902 in Hagen/Kreis Recklinghausen. – Über den Lebensweg des Volksschullehrers ist wenig bekannt, auch nicht in entsprechenden Archiven. Im Stadtarchiv Lüdinghausen gibt es eine Meldekarte, aus der sein Geburtsdatum und -ort hervorgeht, aber auch konkret seine Wohnorte 1933/34. Sein Bezug zu Dorsten: Heinrich (Heinz) Stegemann lebte vom 1. Mai bis zum 30. September 1934 in Hervest (heute Stadtteil von Dorsten) – lediglich ein halbes Jahr. Er wohnte in der Halterner Straße 50. Was er hier tat, ist unbekannt.
Am 9. März 1933 war er von Laer nach Lüdinghausen umgezogen, wohnte in der Bauerschaft Ermen 40 und war wohl in der Nachbarschaft als Lehrer an der Westruper Grundschule tätig,  verzog am 25. April nach Holthausen (heute zu Kirchhellen gehörig) und von dort fünf Tage später nach Hervest. Seine Tätigkeit hier ist nicht bekannt. Ein halbes Jahr später – im September 1934 – verzog er nach Emsdetten. Was dort machte, ist nicht bekannt, da das Stadtarchiv keine Meldekarte und keine weiteren Informationen über Heinrich Stegemann hat. Bekannt ist allerdings eine politische Begebenheit aus dieser Zeit, bevor Heinrich Stegemann nach Hervest kam:

Auseinandersetzung zwischen Reiter-SA und Reiter-SS

Sieben SA-Männer überfielen am 2. Oktober 1933 in Kirchhellen den Hof des Bauern Schenke und gingen brutal gegen sämtliche Hofbewohner vor. Der Überfall war eine Racheaktion der SA gegen die SS. Am Tag zuvor wurde das Erntedankfest mit einem Festumzug gefeiert. Alle Bauern, die in dem 1925 gegründeten Reit- und Fahrverein Mitglied waren, wurden in die Reiter-SS überführt. Hintergrund war, dass 1933 durch den sogenannten Röhm-Erlass der Verein nicht mehr in der Lage war, seine Aktivitäten weiter zu führen. Auch Schenke war SS-Mann in der Reiter-SS. In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen ist die SS als verbrecherische Organisation eingestuft worden, ausgenommen die Reiter-SS. Der Kirchhellener Heimatforscher Hans Büning führt in einer Broschüre aus, dass über die Tätigkeit der Reiter-SS in Kirchhellen nichts Negatives bekannt geworden ist. Schenke wollte beim Erntedankfest – wie in den Vorjahren auch – mit seinem Pferd am Festumzug teilnehmen. Die SA hatte aber einen Absperr-Kordon gebildet und wollte die Reiter-SS von der Teilnahme am Umzug aussperren. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen – bis hin zu Schlägereien zwischen SA und Reiter-SS. Der SA-Mann Steffen hatte Schenke in den Zügel gegriffen. Daraufhin zog Schenke die Reitpeitsche und versetzte Steffen einen Hieb ins Gesicht.
Vier Tage später, am 6. Oktober, kamen hohe NS-Funktionäre im Amtshaus Kirchhellen zu einem Befriedungstreffen zusammen. Der Streit zwischen SA und Reiter-SS sollte beendet werden. Teilnehmer waren unter anderem der NSDAP-Kreisleiter Herbert Barthel (Kreis Recklinghausen-Land), der SA-Brigadeführer Paul Faßbach (Gelsenkirchen) und der SA-Standartenführer Arthur Wagner (Dorsten) sowie sämtliche SA-Männer, die den Hof Schenke überfallen hatten und einige Mitglieder der Reiter-SS. Geleitet wurde das Treffen von NSDAP-Kreisleiter Herbert Barthel. Auf dem Treffen sagte er, die SA hätte am 2. Oktober  die Bude des Bauern Schenke anstecken sollen. Diese Äußerung Barthels teilte ein Mitglied der Reiter-SS nach dem Schenke mit.

Heinrich Stegemann wurde als Lehrer disziplinarischen belangt

Schenke fühlte sich, seine Familie und sein Eigentum in dieser Situation äußerst bedroht und wehrte sich. Er nahm sich anwaltlichen Beistand und erstattete Strafanzeige gegen den Kreisleiter Barthel. Danach machte er schriftliche Eingaben an den Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Rudolf Heß, und an den Regierungspräsidenten in Münster. Schließlich hielt er am 29. April 1934 auf einer mit 30 Bauern besuchten Versammlung eine Rede und berichtete über die Vorkommnisse mit Barthel. Stegemann war zum Zeitpunkt der Bauernversammlung Logisgast bei einem Kirchhellener Briefträger und hörte von dessen Sohn von den Vorgängen um den Kreisleiter Barthel. Zu dieser Zeit lebte der bis dahin in den Fall nicht einbezogene Heinrich Stegemann in Dorsten. Inzwischen war Herbert Barthel nicht mehr NSDAP-Kreisleiter. Er war nun in Lüdinghausen der Landrat des damaligen Landkreises Lüdinghausen geworden und übte in Personalunion das Amt des NSDAP-Gauinspekteurs aus. Bei einem Besuch in Lüdinghausen erzählte Heinrich Stegemann das, was er über den Landrat und Gauinspekteur erfahren hatte. Nun schlug das Regime zurück. Gegen Stegemann und fünf weitere Personen wurden Verfahren wegen übler Nachrede und heimtückischen Angriffs eröffnet. Nacheinander stellten die Staatsanwaltschaften Essen und Dortmund die Verfahren ein. Stegemann wurde aber disziplinarisch belangt, indem er zum Hilfslehrer zurückgestuft wurde. – Weitere Informationen über den Fall und über das Leben Heinrich Stegemann sind bislang leider nicht bekannt.


Quellen: Auskunft Micheal Löns (Bottrop-Kirchhellen). – Auskunft Philipp Luig (Stadtarciv Emsdetten, Okt. 2021). – Helga Pätsch (Stadtarchiv Lüdenscheid, Okt. 2021).

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