Grän, Moritz

Im Bergmanns-Milieu aufgewachsen – als Journalist ihm verbunden geblieben

Moritz Grän, Karikatur von Herbert Daniel, WAZ Marl vom 24. Juli 1997

W. St. – 1907 in Bochum bis 1998 in Marl; Redakteur im Ruhrgebiet, in dem er aufwuchs und „es über alles liebte“. – Sein Leben verlief manchmal in verworrenen Bahnen und Brüchen wie die Zeit, in der Moritz Grän lebte. Er war ein echtes Kind des Potts, geprägt von seiner Bergmannsfamilie und von den Menschen, die dem Bergbau und vor allem ihren Kolonien, in denen sie wohnten, ähnlich verbunden waren wie er: Mitschüler, Freunde, Nachbarn und Kollegen. Seine Kolonie war Scholven (Gelsenkirchen). Dennoch schaffte er „den Bruch“, nicht Bergmann zu werden, sondern Journalist. Und als solcher hatte er mehrmals Berührungen mit Dorsten. Schon als 21-Jähriger war er verantwortlicher Lokalredakteur der „Lippewacht“ in Dorsten und Marl. 1948 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück und kam im selben Jahr zur „Westfälischen Rundschau“ nach Gladbeck, wo er bis 1951 redaktionell zuständig war für Kirchhellen und Dorsten. Zudem war er Mitarbeiter des „Vestischen Kalenders“, in der beispielsweise 1950 eine Geschichte von ihm erschien, die mit „Eine Wetterkapriole“ betitelt war und die 1784 den vestischen Raum betraf und Grän das närrische Wetter mit Vulkanausbrüchen irgendwo in der Welt gedanklich zu belegen versuchte.

Als Bergmannskind trotz Schulgeld die Realschule besucht

M. Grän ( hinten r.) 1941; Foto: Coppenrath Vlg.

Seine Familie war eine so typische Bergarbeiterfamilie, dass man ihr getrost und ohne Zurückhaltung das Klischee solcher Familien durchaus anheften könnte, wie er selbst sagt. Sein Vater (*1880) aus Niederschlesien in der Jahrhundertwende in den Ruhr-Bergbau eingewandert, seine Mutter (*1887) im pommerschen Camin geboren kam mit ihrer Familie ins Ruhrgebiet. Hier verlobten sich seine Eltern 1905  und heirateten ein Jahr darauf. 1907 wurde Moritz Grän als erster Sohn  geboren, zwei Geschwister folgten. 1913 zog die Familie nach Gelsenkirchen-Scholven und wohnte in der Bergarbeiter-Kolonie Heidestraße. Moritz war gerade sechs Jahre alt. Hier wuchs er auf und wurde mit den Verhältnissen in der Kolonie vertraut, was ihn sein Leben lang begleiten sollte. Nach der Volksschule ging er zur Realschule, weil der evangelische Pfarrer der Kolonie meinte, er sei zu schlau für die Volksschule. Der Besuch einer Realschule kostete Schulgeld. Der Pfarrer versprach den Eltern eine Freistelle ohne Schulgeld aufgrund seines guten Lernens. Doch wegen des Andrangs von „Proletenkinder“ zur Realschule, musste Moritz Grän eine Prüfung  für eine Freistelle ablegen. Die bestand er. Doch es gab noch eine Hürde. Befreiung von Schulgeld gab es bei guten Leistungen für Familien mit mehr als vier Kindern. Gräns hatten nur drei Kinder. Das Schulgeld brachte seinen Eltern viele Nöte ein: bei den Nachbarn den Ruf von Hungerleidern. Ab 1918 besuchte er die Oberrealschule, war einer der ersten in der Kolonie, welcher die bunte Schülermütze trug, und ging 1924 mit der Mittleren Reife ab. Bei der „Burschen Zeitung“ fing er als Volontär an und verdiente als solcher im ersten Jahr 60 Mark im Monat, im zweiten Jahr schon 72 Mark.

Ab 1928 als „Lippewacht“-Redakteur in Dorsten und Marl  tätig

1926 war er vorzeitig ausgebildeter Jungredakteur und schon mit dem 21. Lebensjahr, also 1928, verantwortlicher Lokalredakteur der Zeitung „Lippe-Wacht“ für Dorsten und Marl. Er erinnerte sich, dass es damals üblich war, dass es unter der Woche keine Tanzvergnügungen gab, sondern nur an den Wochenenden. Im Dorstener Café Meisterfeld allerdings, gab es täglich, außer montags, Tanz. Dies, so Moritz Grän, der davon reichlich Gebrauch machte, war eine echte Sensation. Das gab es selbst in Kolonie-Kneipen nicht. Sicher ist, dass früher auch in den Kneipen sonntags mehr getanzt wurde als an Samstagen, dass also das, was heute alltäglich sich in den Diskotheken abspielt, damals noch ganz selten war.

Artikel vom Vestischen Kalender 1950 (Ausriss)

Bis 1947 „Gefangenenkommandant“ im französischen Lager La Rochelle

1930/31 verließ Moritz Grän das Ruhrgebiet und ging als Lokalredakteur zum „Kreisanzeiger Gardelegen“ in der Altmark. Danach wurde er arbeitslos, kam nach Westfalen zurück und trat dem Freiweilligen Arbeitsdienst der Anstalt Bethel (Bielefeld) bei und wurde dort Leiter der Schreibstube im „Abendgymnasium“ unter den Pastoren Bodelschwingh und Stratenwerth. 1933 gelang ihm die Rückkehr zur „Buerschen Zeitung“ (bis 1938). Buer gehörte mittlerweile zu Gelsenkirchen. Seine journalistische Arbeit litt unter Berufseinschränkungen, da er von den Nationalsozialisten als „politisch unzuverlässig“ eingestuft wurde. Erst 1937 bekam er eine „kleine Zulassung“ für den Journalistenberuf, und zwar für den lokalen Sport und für Kunstberichterstattung, Abschnitt: Kunsttanz! Wieso, wusste er selbst nicht. Moritz Grän schrieb also weiter wie bis dahin, konnte aber weder „verantwortlich zeichnen“ (Impressum) noch an offiziellen Parteiveranstaltungen als Berichterstatter teilnehmen. 1938 bekam er mit  „Beschränkter Zulassung“ eine bessere Arbeitsbasis und wurde stellvertretender Hauptschriftleiter am „Haller Kreisblatt“. 1940 bis 1945 war er Soldat. 1942 heiratete er eine mit der Familie über Ostpreußen nach Altenessen ausgewichene Nachbarin, die 1953 an Gehirnschlag verstarb. Danach war er mit einer Dittersbacherin aus einer Bergarbeiterfamilie verheiratet, mit der er die gleiche Urgroßmutter hatte, d. h. die Väter waren Cousins. Die 1957 geborene Tochter lernte Kinderkrankenschwester in der Vestischen Kinderklinik Datteln und arbeitet spätere im Klinikum in Essen. Im Krieg war Grän Funker im Wetterdienst in Warnemünde, Lübeck, Kienwerder (Flugplatz Stettin), Süditalien, Nordafrika, Rom, Mailand, Verona, Bozen. Seine Kriegsgefangenschaft verbrachte er in Rimini und Montendre/Charente maritime mit Beteiligung an der Lagerleitung und arbeitete an der Lager-Zeitung mit. Auch hielt er Vorträge bei seinem Mitgefangenen über das Ruhrgebiet. 1948 wurde er aus dem Gefangenenlager La Rochelle entlassen, wo er zuletzt noch „Lager-Kommandant“ gewesen war.

Westfälische Rundschau 1948 (Ausriss)

Bezirksredakteur der „Westfälischen Rundschau“ auch in Dorsten

Von dort kam er zurück ins Ruhrgebiet und arbeitete als Bezirksredakteur bei der „Westfälischen Rundschau“ Gladbeck mit Lokalseiten Kirchhellen-Bottrop und Dorsten. Hier war es der Dorstener Bernhard Wilkes, der ihn als ehrenamtlichen Protokollanten der christlichen Gewerkschaft anheuerte, zudem mit weiteren Redakteurskollegen als „Jury“-Mitglied für Theaterwettbewerbe an der Zeche Auguste Victoria 4/5 in Marl-Drewer. Vormittags gab es Einzelvorträge, ernst und heiter: Balladen und Couplets, dann eben Duette. Nachmittags kamen die „Bühnenauftritte“ im Ensemble an die Reihe, ebenfalls wieder getrennt: ernst und heiter. Moritz Grän erinnerte sich: „Heute kann man darüber lachen, die Beteiligten aber nahmen sich selbst und das Theaterspielen sehr, sehr ernst. Und ich glaube, daß hier auch Stücke aus eigenen Reihen, also Schauspiele von Werktätigen geschrieben, aufgeführt worden sind.“ Zudem betätigte sich Moritz Grän schon immer als Novellen- und Dönekesschreiber. Seine Novelle „Das Kartenhaus“ wurde ausgezeichnet.

1983 erschienen seine Lebenserinnerung in Münster

1954 betreute er im Kulturamt Gladbeck die Presse und Großveranstaltungen. Im  Presse- und Informationsamt MarI war dann als Pressemann mit Faible für Heimatkunde und Heimatgeschichte tätig, veranstaltete bis zu seinem Rentnerdasein ab 1970  Stadtrundfahrten und Diavorträge und war Mitbegründer des Marler Tierschutzvereins. Der Natur war er stets eng verbunden. Daher malte er im Alter vor allem Natur-, Haus- und Industrielandschaften.1983 veröffentlichte der Coppenrath-Verlag in Münster seine Lebenserinnerungen unter dem Titel „Erinnerungen aus einer Bergarbeiterkolonie im Ruhrgebiet“, aus der die Fakten dieses Artikels zusammengestellt sind. Moritz Grän lebte zuletzt im AWO-Seniorenheim in Marl, wo er 1998 im Alter von 91 Jahren starb.


Quellen: Ruhr-Nachrichten vom 27. Okt. 1970. – Waz vom 24. Juli 1992 und 24. Juli 1997. – Moritz Grän: „Erinnerungen aus einer Bergarbeiterkolonie im Ruhrgebiet“, F. Coppenrath Verlag, Münster 1983. – Stadtarchiv Bochum (2018). – Pressestelle der Stadt Marl (2018).

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