Agathakirche I

Über den ursprünglichen Standort des Gotteshauses gibt es zwei Versionen

Ausschnitt aus dem Merian-Stich von 1642 (nicht ganz identisch)

Ausschnitt aus dem Merian-Stich von 1642 (nicht ganz identisch)

Von Wolf Stegemann – Nach einer Verordnung Kaiser Karls des Großen von 803 durfte ein jeder auf seinem Grundeigentum mit Genehmigung des Diözesanbischofs eine Kirche bauen. Da Grundherr des Dorstener Besitzes der Propst des Stiftskapitel Xanten war, ist zu vermuten, dass unmittelbar nach 1032 die Eigentümerin des Dorstener Hofes, die Edelfrau Emeza („Enzia vulge Embze“, eigentlich Reginmoud, Richmoet oder Reinmod) und das Stift Xanten die erste Kirche in Dorsten bauten. Emeza schenkte ihr ganzes Besitztum dem Stift Xanten. Die Dorstener Kirche war somit dem Stift Xanten einverleibt und hatte keinen eigenen Pfarrer, sondern nur einen Kurator, eigentlicher Pfarrer war der Propst in Xanten. 1050 wurde das Bistum Köln zwecks besserer Verwaltung in Dekanate eingeteilt und Dorsten weiterhin Xanten zugeordnet, obwohl das übrige Vest zum Dekanat Dortmund gehörte. Dorsten blieb bis 1805 Eigenkirche des Stiftes Xanten.

Gebäude, das einst zum Xantener Speicher gehörte

Gebäude, einst Xantener Speicher

Zur Zeit der Stadterhebung 1251 hatten die Bürger ihre Abgaben in Naturalien oder Geld an Xanten abzuliefern. Das abverlangte Geld war ein kleines Geldstück, das man „Müschelchen“ nannte. Wer pünktlich zahlte, wurde mit einem Glas Wein belohnt, wer unpünktlich war, musste mit einer stündlichen Verdoppelung der Abgaben rechnen. Für den Empfang wurde ein eigenes Gebäude durch Pfarrer Macharius um 1280 errichtet, das man noch Jahrhunderte später „Xantener Speicher“ nannte. Er stand etwa dort, wo heute die Straße „An der Vehme“ (Vehme = Pfarrhaus) versetzend abbiegt. Der sich um die Aufarbeitung des Pfarrarchivs und Übersetzung lateinischer Urkunden bemühte Emeritus Karl Jesper glaubt, dass diese erste Pfarrkirche aus Holz mit einem Wehr- und Wachturm in vorstädtischer Zeit an der Ecke Bauhausstiege/Wiesenstraße stand und dort auch der Mittelpunkt des frühen Ortes Dorsten zu suchen ist. Diese Vermutung, die von dem Historiker Dr. Schuknecht geteilt wird, steht im Gegensatz zu der des verstorbenen Altbürgermeisters Hans Lampen (siehe Lippeverläufe, Stadtursprung), der das vorstädtische Dorsten im Süden vermutete. Jesper und Schuknecht begründen ihre Vermutungen mit Bodenfunden, die man beim Wiederaufbau der Stadt 1945 machte, Lampen hingegen mit Bodenbohrungen und deren Auswertungen.

Flämischer Hochaltar im Bombenhagel zerstört

Der flämische Altar wurde im Krieg zerstört

Der flämische Altar wurde im Krieg zerstört

Über den Baubeginn der bis 1945 am Markt stehenden zweiten Kirche gibt es keine Nachweise. Allerdings werden eine Kirche Mitte des 14. Jahrhunderts und der massive Turm 1401 erstmals erwähnt. Bei Bauarbeiten fand man Reste einer Vorgängerkirche, auf die auch der erhaltene Taufstein (um 1280) hinweisen könnte. Die zweite Kirche war eine typisch westfälische Hallenkirche; Mittelschiff und die beiden Seitenschiffe bildeten nahezu ein Quadrat. An der Ostseite wurde ein rechteckiger Chor angebaut und die Westseite erhielt einen 11 x 11 Meter breiten Turm, dessen Mauern drei Meter dick waren. In ihm wurden im Zweiten Weltkrieg der 1520 erschaffene flämische Hochaltar und auch der Taufstein einbetoniert. Dennoch zerstörte ein Volltreffer bei der Bombardierung im März 1945 den Altar völlig; der Taufstein konnte in Teilen wieder zusammengesetzt werden.
1719 brach ein Feuer zwischen Kirche und Pfarrhaus aus. Durch auffliegenden brennenden Speck wurde der Turmhelm in Brand gesteckt, wobei die alten Glocken wegschmolzen. 1725 bekam der Turm ein neues Dach mit einem zwiebelförmigen Zwischenstück. 1883 wurde die alte Form wieder hergestellt. Neue und erhalten gebliebene Glocken bekam die Kirche 1732. Um 1783 war der Zustand der Agathakirche durch Kriegsschäden und Geldnot äußerst schlecht. Zwar unterlag der Unterhalt des als Wach- und Signalturm genutzten Kirchturms der Stadt, doch konnten die Gebäude nicht mehr erhalten werden. Der Kirchturm wurde in einer Immobilienliste der Stadt („Bestandtheil des Gemeindevermögens ultimo 1840“) als städtisches Eigentum angeführt, auch das „Pfarrhaus nebst Zubehör“.

Ausmalung im expressionistischen Stil sorgte zu Zustimmung und Unmut

Ausmalung (Detail)

Ausmalung (Detail)

Das Verbot von Bestattungen in der Kirche und der Verkauf des Siechenackers besserte die finanzielle Situation der Kirche nicht wesentlich. Erst 1789 wurde das Notwendigste renoviert, darunter der Hochaltar. Anfang des 20. Jahrhunderts fand eine neuerliche Renovierung und die Ausmalung in expressionistischem Stil statt, die nicht das Gefallen aller Gläubigen fand. Beim Rundgang 1923 meinte Bischof Johannes zu Pfarrer Heming: „Überstreichen, überstreichen!“
Nur noch wenige Ausstellungsstücke der heutigen dritten Kirche erinnern an die prachtvolle gotische. Hallenkirche des 14. Jahrhunderts. Der Architekt Otto Bongartz (Köln), der die Kirche von 1952 entwarf, orientierte sich bei dem Neubau, der nicht identisch ist mit Grundriss und Form der alten Kirche, weitgehend an romanisches Formenrepertoire. In die aus Beton gegossenen Außenwände der Kirche wurden Steine, Platten, Fliesen der zerstörten Kirche bunt durcheinander hineingegossen. Von der historischen Ausstattung blieben nur der spätromanische Taufstein, ein hölzernes Vesperbild des 16. Jahrhunderts und reliefartige Epitaphien (Palen, Koell) des frühen 17. Jahrhunderts erhalten.
Das Magdalenen-Retabel ist ein Steinrelief und an einer Längswand der Kirche angebracht. Es ist der Altaraufsatz der ehemaligen Magdalenenkapelle an der Südspitze des Turms der zerstörten Kirche von 1488. Die Bilder des Renaissance-Retabels zeigen Szenen, die Maria von Magdala zugeschrieben werden: Jesus im Haus des Pharisäers, die Sünderin wäscht ihm mit ihren Tränen die Füße; Jesus im Haus der Maria und Martha und die drei Frauen am Grab. Historisch interessant ist die detailfreudige Darstellung der Räume eines spätmittelalterlichen Hauses. Die Übersetzung der lateinischen Inschrift lautet:

„Zur Ehre des allmächtigen Gottes und zum Troste aller Trauernden und wahrhaften Büßenden haben die Begebenheiten, die du, christlicher Leser, auf diesen Altären in Stein gehauen siehst, der ehrwürdige und viel gelehrte Mann Herr Johannes Palen, der Pastor der Kirche von Marl und Rektor dieser Kapelle aus tiefer Frömmigkeit darstellen lassen im Jahr 1600.“

Wiederaufbau der Kirche 1950

Wiederaufbau der Kirche 1950

Wiederaufbau unter schwierigsten Umständen

Mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg konnte erst 1950 begonnen werden. Der erste Bauabschnitt wurde mit 38.000 DM genehmigt. Am 22. März 1950, dem 5. Jahrestag der Zerstörung, wurde das Gerüst an der Ruine angebracht, die Zeche lehnte allerdings jegliche Haftung für möglich auftretende Bergschäden an der Turmruine ab, die sich neigen könnte. Denn der Architekt wollte die 28 m hohen Turmreste erhalten, was zu einer heftigen Diskussion im Kirchenvorstand führte. Schließlich wurde die Niederlegung des Turmes beschlossen. In Absprache mit der Zeche wurden Zerrplatten aus hochwertigem Beton mit Moniereisen gelegt und der Einbau einer Krypta unter dem Chor vereinbart. Vier Bauunternehmen bildeten die Agatha-Arbeitsgemeinschaft: Booke, Kringel, Krukenberg und Liehr. Zuerst war an einen Backsteinbau gedacht. Die Idee, die Steine des alten Turms zwischen Schalungsplatten zu legen und mit Beton auszugießen, hatte Booke. Damit wurden etwa 1,4 Millionen Ziegelsteine eingespart und die Baukosten der Kirche stark gesenkt. 1.000 Steine kosteten damals über 70 DM. Im Juni begannen die Aufbauarbeiten mit Abriss der hohen Turmruine, der fünf Tage dauerte. Am 24. September 1950 konnte die Grundsteinlegung mit Gottesdienst, Reden und Platzkonzert im Regen auf dem Markt stattfinden.  Bischof Michael Keller konsekrierte am 6. Juli 1952 die neu erbaute Kirche. Die ganze Stadt feierte ein Freudenfest. Der Turm wurde erst 1955 fertig gestellt.

Eine zweite Orgel aus dem Jahr 1948 ist ein „kleiner Denkmalschatz“

Auf einer Empore links vom Altar steht die alte Orgel von 1948, die eigentlich gar nicht mehr spielbar ist, doch bei dem Wiedereinzug in die Kirche erklang sie wieder. Pfarrer L. Rüdiger nennt sie (kleiner Denkmalschatz“. Die kleine Orgel wurde nach dem Zweiten Weltkrieg für die Notkirche in einer Maschinenhalle der Zeche Fürst Leopold gebaut und 1952 nach dem Wiederaufbau der zerstörten Agathakirche dorthin transportiert worden. „Sie ist aus den einfachsten Materialien, die die Dorstener Firma Breil damals noch in ihren Lagern hatte.“ Der Kantor und viele Mitglieder der Gemeinde St. Agatha hoffen, dass dieser „Zeitzeuge“ eines Tages gemeinsam mit der „großen“ und 1982 erbauten Schwester das Kirchenschiff mit Klängen erfüllt.

Im Jahr 2022 umfassende Renovierung der Kirche

Ab Ostern 2022 wird das Gotteshaus in der Altstadt saniert. Zuletzt wurde die Kirche 1994 renoviert. Manche Elektroleitungen stammen sogar noch aus der Wieseraufbauzeit der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Kirche erhält einen neuen Anstrich und ein neues Lichtkonzept. Der Tabernakel wird in die bisherige Kreuzweg-Kapelle verlegt, das Kunstwerk der Hl. Agatha der Ursuline und Künstlerin Sr. Paula (Tisa Gräfin von der Schulenburg) soll mehr in den Vordergrund gestellt werden. Um mehr Platz für Ausstellungen zu bekommen, sollen einige Sitzbänke entfernt werden. An den Kosten von fast einer Million Euro beteiligt sich das Bistum Münster, das der Kirchengemeinde zudem ein Darlehen gewährt. –Unabhängig von dieser Renovierung wird auf dem Kirchplatz vor der Kirche der vom Marktplatz entfernte städtische Tisa-Brunnen wieder aufgebaut.

Siehe auch: Tisa-Brunnen
Siehe auch: Kirchen, kath. (Artikelübersicht)
Agatha (Artikelübersicht)


Quellen:
Pfarrgemeinderat „Die Pfarrgemeinde St. Agatha zu Dorsten“, Informationsschrift o. J. – Ludwig Hemings Pfarrchronik von St. Agatha (unveröffentlicht). – Website der St. Agatha-Kirchengemeinde (2011). – dieb in DZ vom 29. Dez. 2022.

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