Zuwanderungen Bergbau

Starke Veränderungen der Erwerbs- und sozialen Wohnstruktur in Dorsten

Aus dem Osten in den Ruhrbergbau zugewanderte Arbeiter

„Mit leuchtenden Augen hörten die in der Heimat Verbliebenen von den Fleischtöpfen und Speckseiten, dem Schinken und dem Schwarzbrot des wohlfeilen Landes, dem guten Verdienst und dem vergnüglichen Leben. Von der großen Heimatsehnsucht und der harten Arbeit in den unterirdischen Stollen derer, die da in reiner Bergluft aufgewachsen waren,  hatten auch die Auswanderer geschwiegen…“ – Zitat aus: Horst Mönnich „Aufbruch ins Revier. Aufbruch nach Europa“.

Die Bevölkerung der Stadt Dorsten und der früheren Landgemeinden, die seit 1929 bzw. 1975 durch Eingemeindungen Stadtteile sind, nahm 1905 um 5,2 Prozent und 1910 sprunghaft um  8,9 Prozent zu. Ansonsten waren es im jährlichen Schnitt zwischen 0,2 und 2,5 Prozent, so anhaltend bis zur Eingemeindung der Herrlichkeitsgemeinden 1975. Grund der sprunghaften Zunahme war vor allem die Entwicklung des Bergbaus. In der Stadt Dorsten, dem heutigen Altstadtgebiet, verlief die jährliche Zunahme bei 2, 3 Prozent, während in den Bergbaugemeinden Hervest und Holsterhausen die Zahl von 1851 im Jahr 1900 auf 14.421 im Jahr 1930 anstieg, was eine jährlich Zunahmerate von 7,5 Prozent bedeutet. 1911 bzw. 1913 wurde die Kohleförderung aufgenommen und die Belegschaft der Zechen erhöhte sich im folgenden Jahrzehnt von 1600 auf 4800. Die Zechen zogen auswärtige Arbeitskräfte an, so dass sich die Bevölkerungsdichte in Hervest und Holsterhausen von 1900 bis 1935 mehr als verneunfachte, während sie sich in Dorsten selbst kaum verdoppelte.  Mit der Stilllegung im Jahr 1931 nahm die Bevölkerung Holsterhausens wieder ab. Aber auch die Gemeinde Hervest und die Stadt Dorsten verzeichneten eine negative Entwicklung in dieser Zeit der Weltwirtschaftskrise.

Nach dem Krieg war die Zuwanderung stark rückläufig

In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Bevölkerung wieder zu und erreichte mit 3,1 Prozent jährlichem Mittelwert eine für die Nachkriegsjahre hohe Zahl. Die starke Bevölkerungszunahme in den beiden seit 1943 zu Groß-Dorsten in die Stadt eingemeindeten zwei Bergbaugemeinden Hervest und Holsterhausen lag daran, das die Schachtanlage 12950 mehr Bergleute als jemals zuvor beschäftigte.  Auch die nächsten zwei Jahrzehnte waren dadurch geprägt. Erst als sich nach der allgemeinen Absatzkrise im Bergbau 1958 die Belegschaft um 2500 Beschäftigte verringerte, sanken auch die Bevölkerungszuwachsraten erheblich: 1960-1965 auf 1,6 Prozent, 1965-1970 auf 0,4 Prozent. Zusammenfassend: Seit 1950 ließ der ehemals außergewöhnliche Einfluss des Bergbaus auf die Bevölkerungsbewegung nach. Diese wurden nun durch sozialkulturelle Vorgänge wie hohe Geburtenziffern und Wanderungsgewinne besonders durch Heimatvertriebene bestimmt. Von 1948 bis 1957 waren 30 Prozent aller Erwerbstätigen in Dorsten im Bergbau beschäftigt, danach ging die Zahl erheblich zurück. Von 1967 bis 1973 waren es nur noch 13 Prozent.

Unterscheidungskriterien Eingesessene und zugewanderte „Kolonisten“

Durch Einwanderungen von Bergarbeitern veränderte sich die sozialen Wohnstrukturen in den beiden Bergbaustadtteilen Holsterhausen und Hervest beträchtlich. Sie wurden einseitig und bestimmt von den Einwanderungsgruppen. Da sich die Zuwanderer in Sprache, Sitte, Rasse und Beruf von den Einheimischen  unterschieden, traten soziale Spannungen auf, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg in stärkerem Maß abgeschwächt wurden, allerdings vorhanden blieben. Für Dorstener Verhältnisse lassen sich folgende Unterschreidungskriterien zwischen Eingesessenen und Zugewanderten feststellen:

Einheimischer — Zugewanderter „Kolonist“

Bauer, Handwerker, Kaufmann — Bergmann
Grund- und Hausbesitzer — Mieter
Katholisch — Evangelisch
Westfale — Kein Westfale
Zentrumswähler — Wählt sozialistisch

Das soziale Gefälle, das noch vor dem Zweiten Weltkrieg zwischen Dorsten und Hervest/Holsterhausen bestand, ließ erst Mitte der 1950er- vermehrt in den 1960er-Jahren  nach. In Dorsten war der Anteil der Oberschicht groß. Die Zahl der ungelernten Arbeiter hatte sich zugunsten qualifizierter  Kräfte vermindert, wodurch die Unterschicht schmaler und die Mittelschicht breiter wurde. Hinzu kam, dass nördlich der Lippe zwei Realschulen und das kommunale Verwaltungszentrum (Gemeindedreieck) gebaut wurden. Mit dem Wandel der Berufsstruktur und der Erschließung neuer Wohngebiete (z. B. Barkenberg) siedelten sich auch Angehörige der Mittel- und Oberschicht in den nördlichen Stadtteilen an.

Siehe auch: Ausländer (Essay)
Siehe auch:
Flüchtlinge
Siehe auch: Willkommenskultur
Siehe auch: Gastarbeiter
Siehe auch: Vertriebene
Siehe auch: Zuwanderungen


Quellen: Nach Birgitt Braun „Entwicklung des Bergbaus in Dorsten“, schriftliche Arbeit für das Lehramt an der Grund- und Hauptschule , Essen 1977. – Fotos: Archiv für soziale Bewegungen im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets Bochum.

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