Schulenburg,Fritz-Dietlof Graf von der

Prozess und Hinrichtung im August 1944 – Aufgehängt am „Fleischerhaken“

Fritz-Dietlof von der Schulenburg vor dem Volksgerichtshof

Der Landrat über Schulenburgs NSDAP-Eintritt: „Sie sind verrückt!“

In seiner Recklinghäuser Zeit sympathisierte der bis dahin sozialistisch eingestellte „rote Graf“, wie er genannt wurde, allerdings bereits seit 1928 mit der NSDAP. 1932 wurde er deren Mitglied und gehörte der Gruppe um Gregor Strasser an. Schulenburg griff schon früh die Ideen Hitlers auf. Seine antijüdische Grundeinstellung war bekannt.   Antisemitismus war in den 1920er-Jahren in der Oberschicht nicht anrüchig. Sein Chef, Landrat Schenking (Zentrum), war über Schulenburgs NSDAP-Parteieintritt „entsetzt“. Sein Ausspruch „Sie sind verrückt, Schulenburg!“ ist überliefert. Da die NSDAP-Mitgliedschaft für preußische Beamte noch verboten war, leitete der Landrat die Entlassung Schulenburgs aus dem Staatsdienst ein. Doch die Hitler-Partei hatte bereits großen Einfluss. Daher wurde der jetzt „brauner Graf“ genannte Schulenburg 1932 nicht entlassen, sondern in eine gehobene Staatsstellung nach Labiau in Ostpreußen versetzt, machte Karriere im NS-Staat, war von 1935-39 Polizeivizepräsident von Berlin, danach bis 1944 Vizeoberpräsident von Schlesien und beim Militär Oberleutnant d. R.. 1938 starb Schulenburgs Vater, ein früherer kaiserlicher General und im Dritten Reich SS-Standartenführer ehrenhalber. Beim seinem Staatbegräbnis gab Hitler dem Sohn Fritz-Dietlof von der Schulenburg kondolierend die Hand (Foto). Trotz seiner nationalsozialistischen Anbindung und Staatskarriere entfernte sich Graf Schulenburg im Laufe der Jahre immer mehr vom praktizierten Nationalsozialismus, dessen Exzesse und Verbrechen er ablehnte. Daher setzte er sich schon seit 1935 mit vielen NS-Persönlichkeiten auseinander, was 1940 wegen „Unrechenbarkeit“ seiner Person zum Parteiausschluss führte. Prof. Dr. Hans Mommsen: Mitherausgeber und Autor des Buches „Ein konservativer Rebell – Fritz Dietlof Graf von der Schulenburg und der 20. Juli“ (1990):

„Nachdem Schulenburg endgültig klar geworden war, dass die nationalsozialistische Gewaltpolitik das Reich militärisch und politisch in den Abgrund stürzen werde, stellte er sich seit Ende 1941 mit der ihm eigenen Entschie­denheit in den Dienst des nun unumwunden ins Auge gefassten Umsturzes. Das Eid-Problem bestand für ihn nicht ernstlich. Er war sich des Risikos bewusst, und er zögerte nicht, zu handeln; seine religiöse Grundüberzeugung verhalf ihm dazu, an einen positiven Ausgang zu glauben.“

Fritz-Dietlof  von der Schulenburg war der Robusteste der Verschwörer

Er ge­hörte zu den bedeutendsten Repräsentanten der Widerstandsbewegung des 20. Juli. Längst bevor Claus Graf Schenk von Stauffenberg ins Zentrum der Umsturzbewegung trat, bil­dete er den inneren Motor der Verschwö­rung. Schulenburg, auf dem Foto mit drei seiner Kinder,  war kein systematischer Den­ker. Seine Funktion im Widerstand wird nicht auf dem Gebiet der langfristigen Planung, sondern des ständigen pragmatischen Akti­vismus liegen, der ihn zu dem bedeutendsten Verbindungsmann der Widerstandsbewe­gung des 20. Juli 1944 machte. Indem Schulenburg sich zum Widerstand entschloss, brach er nicht mit seinen bisheri­gen Überzeugungen. Vielmehr hielt er an dem Glauben an das „kommende Reich“ fest. Er war überzeugt, dass die korrumpie­renden Einflüsse der „Parteibonzen“ Armee und Verwaltungsapparat nicht ernstlich in Mitleidenschaft gezogen hatten, obwohl er in den späteren Kriegsjahren erkennen muss­te, dass sich auch in der öffentlichen Verwal­tung eine schrittweise Abkehr von den preu­ßischen Prinzipien vollzog. Nicht die Großraumpolitik des Dritten Reichs, son­dern die Methoden, mit denen sie betrieben wurde, riefen seine rückhaltlose Kritik her­vor. Die deutsche Hegemonie auf dem euro­päischen Kontinent erschien ihm als ge­schichtliche Notwendigkeit. Sie verknüpfte sich mit dem von ihm seit den späten 20er-Jahren vertretenen, nur wenig modifizierten „bündischen“ Reichsgedanken, in den übernationale Erwägungen einfließen konnten. Es entsprach seiner Mentalität, dass er sich in erster Linie darum bemühte, für die überfäl­lige Neuordnung das notwendige Personal bereitzustellen. Er hat daher in weitem Um­fang das personelle Netz geschaffen, auf das sich die Umsturzplanung des 20. Juli ab­stützte. Dies galt insbesondere für die innere Verwaltung. Da es Schulenburg vermied, die vielfältigen Kontakte, die er knüpfte, schriftlich zu fixieren, ist deren Ausmaß unterschätzt worden. Schulenburg war gera­de dadurch eine unentbehrliche Schlüsselfi­gur des Widerstands. Hingegen sind seine Beiträge zu der konzeptionellen Planung der Widerstandsbewegung des 20. Juli häufig überschätzt worden. Schulenburg war der robusteste Verschwö­rer des 20. Juli. Bezeichnend ist, dass er niemals persönliche Macht anstrebte. „Ohne seine rastlose Aktivität, ohne seine Kompromisslosigkeit in der Ablehnung der inneren Grundlagen des Regimes erscheint der 20. Juli 1944 nicht denkbar“, so Dr. Ulrich Heinemann, Mitherausgeber und Autor des o. g. Buches.

Der Opfergang: Verhaftung, Prozess und Verurteilung zum Tod

Am Tag des gescheiterten Attentats hielt sich Schulen­burg im Bendler-Block in Berlin auf. In das Gesche­hen selbst konnte er allerdings als Oberleut­nant der Reserve nicht eingreifen. Schulen­burg, für den stets das Gebot des Handelns galt, konnte die Ereignisse nur abwartend beobachten. Nach dem Zusammenbruch des Putsches wurde er noch in der Nacht in der Bendlerstraße verhaftet und von Angehöri­gen einer SS-Division in das Hauptquartier der Gestapo gebracht. Während auf dem Hof Stauffenberg, Ulbricht, Mertz von Quirnheim und von Haeften erschossen wurden, gelang es ihm, alle belastenden Papiere aus seiner Aktentasche zu entfernen und zu verbren­nen. Niemand sollte durch ihn zu Schaden kommen. Durch einen jungen Offizierskameraden, Hans-Karl Fritzsche, ist seine Reaktion auf das Scheitern überliefert:

„Im Flur traf ich Fritzi Schulenburg. Er bestätigte, dass alles aus sei, weil Hitler tat­sächlich noch lebe. Aber er fügte wörtlich hinzu: ,Wir müssen trotzdem weitermachen, wir müssen diesen Kelch bis zur Neige leeren. Wir müssen uns opfern. Später wird man uns verstehen.’ Er zog mich in eines der leerste­henden kleinen Dienstzimmer. Wir setzten uns auf ein Feldbett. Er holte aus seiner Aktentasche Papiere hervor, zerriss sie in kleine Schnipsel und warf sie in den Papier­korb. … Dann ging er zu Stauffenberg.“ (Hei­nemann, S. 169).

Rund drei Wochen wurde Schulenburg von der Gestapo verhört. Angesichts des unaus­weichlichen Endes forderte diese Zeit mit Sicherheit ein Höchstmaß an Nervenkraft, Selbstbeherrschung und mutiger Klugheit. Mit rücksichtsloser Offenheit gegenüber sich selbst nannte er die Motive seines Handelns, ohne jedoch noch lebende Freunde zu ge­fährden. Der Prozess vor dem Volksgerichtshof fand am 10. August statt (Foto). Schulenburg hatte des­sen Präsidenten Roland Freisler schon ein­mal erlebt. Er wusste, was er von diesem Mann, der in bösartigem Fanatismus das Recht zu einer Funktion politischer Zweck­mäßigkeit erniedrigte, zu erwarten hatte. Wie schon im Verhör gab Schulenburg seine Tat­beteiligung „unumwunden“ zu. Zeitzeugen rühmten die unerschrockene Haltung, mit der er Freisler gegenübertrat. Schulenburgs Kritik am NS-Regime zielte auf das persönliche wie politische Fehlver­halten und die kriminelle Energie der nationalsozialistischen Führer ab, nicht hingegen auf die politischen Ideale, unter denen sie angetreten waren. „Dass diese Ideale für sich genommen und unabhängig von den Perso­nen, die sie in die politische Wirklichkeit umzusetzen suchten, die Keime des Miss­brauchs in sich bargen, blieb Schulenburg verschlossen“,  schreibt der Biograph Ulrich Heinemann. Für ihn war Schulenburg zeitlebens ein politischer Romantiker. Die Anklageschriften und das Verhandlungs­protokoll sind leider verschollen. Es gelang jedoch dem Redakteur der „Deutschen Allge­meinen Zeitung“, Werner Fiedler, mit einem SS-Prozessbeobachter ins Gespräch zu kom­men. Dessen Schilderung der Verhandlung übermittelte er zum Gut Trebbow, dem Wohn­sitz von Tisa von der Schulenburg. Dort hielt sich auch Fritzis Frau Charlotte mit ihren sechs Kindern auf. Durch Fiedler sind auch Schulenburgs Schlussworte vor dem Volksgerichtshof be­kannt. Natürlich konnte er Fritzis wörtliche Aussage nicht mit der Post schicken. Er hatte sie zunächst beim Treffen mit dem SS-Mann auswendig gelernt und später aufgeschrie­ben. Als Tisa kurze Zeit danach in Berlin weilte, gab er ihr die Notiz. Um den Text unauffällig nach Trebbow zu bringen, kaufte Tisa in einem Zauberladen eine Scherz­postkarte, in der sie die Nachricht verstec­ken konnte.

Hinrichtung durch Erhängen an den berüchtigten „Fleischerhaken“

Das Todesurteil wurde am Tag der Verhand­lung verkündet und nur wenige Stunden später in Zuchthaus Plötzensee vollstreckt. Von den etwa 200 verurteilten Männern der verschie­denen Widerstandskreise wurde ein großer Teil in Plötzensee hingerichtet. Auf aus­drücklichen Befehl Hitlers wurde ihnen je­der seelsorgerische Beistand verwehrt und die Strafe ausschließlich durch Erhängen an den berüchtigten „Fleischerhaken“ voll­streckt. Es blieb Fritz-Dietlof noch etwas Zeit, um seiner Frau Charlotte einen Ab­schiedsbrief zu schreiben, dessen Inhalt ihr allerdings erst nach zehn Jahren auf Umwe­gen zur Kenntnis kam. In der Hinrichtungsstätte Plötzensee (Foto 1950) wurden zwischen 8. August 1944 und 9. April 1945 ingsesamt 89 Menschen durch Hängen an den Stahlträgern mit Eisenhaken (Fleischhaken genannt) getötet. 1952 wurde der Hinrichtungsort eine Gedenkstätte, in der jedes am Jahr am 20. Juli eine feierliche Gedenkstunde mit Gottesdienstwn stattfindet.

Unbeirrbar seinen Weg bis zum Ende gegangen

In einem verschlüsselten Brief vom 20. August 1944 beschreibt Werner Fiedler das Verhalten Schulenburgs vor dem Volksgerichtshof. Der Redakteur be­zieht sich auf vorgebliche Recherchen für einen van Gogh-Roman. Van Gogh war das vereinbarte Codewort für Schulen­burg. Der Brief war an das Schauspielerehepaar Mathias und Erika Wiemann gerichtet. Bei­de kamen, nachdem sie in Berlin ausge­bombt worden waren, auf Einladung Tisa von der Schulenburgs immer wieder für viele Wo­chen nach Trebbow. Dort entstand auch eine enge Freundschaft mit der Witwe Charlotte von der Schulenburg. – Das nebenstehende Foto zeigt die Charlotte mit den Kindern. – Aufschlussreich über sein Denken über den Nationalsozialismus und das daraus erfolgte Handeln, vor allem über die Gründe seiner Beteiligung am Attentat ist das in neun Punkte übersichtlich gegliederte Vernehmungsprotokoll des Gerichts, hier zusammengefasst und gekürzt wiedergegeben:

1. Innerhalb des nationalsozialistischen Sy­stems sei der Machttrieb zum Maßstab des Handelns geworden.
2. Die Führerschaft habe sich von den Grund­sätzen der Einfachheit und Schlichtheit ab­gekehrt, die sie in der Kampfzeit gepredigt habe.
3. Der Kampf der Partei gegen den Staat habe dem Beamtentum das Rückgrat gebro­chen.
4. Der nationalsozialistische Staat habe die Rechtsbasis verlassen und sich zu einem Polizeistaat mit Eingriffen in alle Lebensbe­reiche entwickelt.
5. Der nationalsozialistische Staat habe ei­nem schädlichen Zentralismus gehuldigt.
6. Er habe das Volk zur Masse atomisiert, die kollektivistisch mit Gewalt und Propaganda beherrscht würde.
7. Der Nationalsozialismus habe mit seinem Kampf gegen das Christentum die religiöse Basis schlechthin verlassen.
8.  Es sei eine Außenpolitik betrieben wor­den, die die ganze Welt gegen Deutschland aufgebracht habe.
9. In den besetzten Gebieten sei eine kurz­sichtige Politik der Unterwerfung und Aus­beutung durchgeführt worden, anstatt die beherrschten Völker für die Führung des Reiches zu gewinnen.

Eines der wichtigsten Ziele der Verschwörer war nach den Worten Schulenburgs die Wie­derherstellung der Rechtsstaatlichkeit. Was diese Wiederherstellung betraf, stand dem Widerstandskämpfer aber sicherlich nicht das liberale Weimar, sondern die autoritäre preußische Staatstradition vor Augen. Schulenburg ist der liberale Rechtsstaat stets fremd geblieben. – Das folgende Foto zeigt die Mutter Schulenburg mit der Tochter Tisa und deren vier Brüder.

Die Schulenburg-Brüder: Der eine ein „Held“ und der andere ein „Verräter“

Am 10. August 1944, dem Todestag Fritz-Dietlofs, hatte die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ mit der Schlagzeile „Gerichtet“ aufgemacht. Sie berichtete über die Prozesse gegen die Attentäter Yorck, Witzleben, Hoepner und andere am 7. und 8. August. Auf der Rückseite unter den Fotos von den Verhandlungen be­fanden sich einige nicht in diesem Zusammenhang stehende Todesanzeigen, dar­unter auch die von Wolf-Werner Graf von der Schulenburg, dem ältesten Bru­der von Fritz-Dietlof mit der Anzeigen-Aussage: „Gefallen für den Führer und Deutschland am 14. Juli 1944“. Fer­ner erschienen in der NSDAP-Zeitung „Völkischer Beobachter“ die Mel­dungen von der Ausstoßung des „Verrä­ters“ Fritz-Dietlof und zugleich des „für Volk und Vaterland“ gefallenen Bruders Wolf-Wer­ner. Diese „Heldentod“-Anzeige des älteren Bruders am Tage der Hinrichtung des jüngeren bietet Gelegenheit zu mancher­lei Betrachtung. Ulrich Heinemann schreibt dazu:

„Gehorsam und Aufleh­nung, beides bis zum letzten, das war die historische Spannweite im Schicksal der preußischen Aristokratie und in diesem Fall auch ein Menetekel. Der Tod der Brüder Schulenburg ging dem Ende des ostelbischen Adels als politische und soziale Klasse nur um wenige Monate voraus.“

Seine Schwester Tisa hatte die Gelegenheit, von ihrer Schwägerin in das Neue Testament einzusehen, das ihr Bruder in der Zelle vor seinem Prozess lesen durfte. Sie berichtete:

„Darin hatte er den Psalm angestrichen, der mit den Worten endet: ,Unsere Seele ist ihnen entronnen wie der Vogel dem Strick des Vogler, der Strick ist zerrissen und wir sind frei!“


Anmerkung: Die Schwester von Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg wird in diesem Artikel durchgehend mit dem Geburtsnamen Schulenburg genannt. Sie hieß durch Heirat mit einem Berliner Juden von 1928 bis 1938 Hess und von 1939 bis 1945 von Barner. Danach nahm sie wieder ihren Geburtsnamen an, kam 1948 nach Dorsten, wurde katholisch und trat 1950 ins Ursulinenkloster ein. Quellen: Wolf Stegemann „Der rote Graf reorganisierte das Vest Recklinghausen“ in Ruhr-Nachrichten (heute Dorstener Zeitung) vom 20. Juli 1984. – Prof. Dr. Mommsen „Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und die preußische Tradition“ in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1984. – Dr. Ulrich Heinemann „Ein konservativer Rebell – Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und der 20. Juli, Siedler-Verlag 1990. – Charlotte Gräfin von der Schulenburg: „Für meine Kinder. Zur Erinnerung an eine Zeit unseres Lebens“, o. O. (Familiendruck 1992). – Wolf Stegemann/Thomas Ridder (Hg.) „Der 20 Juli 1944 – Die Schulenburgs, eine Familie im tragischen Konflikt zwischen Gehorsam und Hochverrat“, eine Dokumentation des Vereins für jüdische Geschichte und Religion, Katalog und Lesebuch, Dorsten 1994.

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