Jüd. Spuren im Vest

Franz-Josef Wittstamms Website informiert über 1300 Juden im Vest

Das KZ überlebt: Irmgard (*1928), Pepi (*1902), Marlit Berger (*1930), Recklinghausen

Es ist jetzt ein Lebensalter her, dass durch die Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands die Verfolgung und Ermordung der Bürger jüdischen Glaubens in Deutschland und in den Kriegsjahren auch in den von Deutschen besetzten Ländern beendet wurde. Rund sechs Millionen Juden wurden ermordet. Überlebende der Verfolgung und Todeslager haben ihr Zeugnis nach der Befreiung abgegeben. Mittlerweile gehören diese Betroffenen und ihre Schicksale der zeitlichen Vergangenheit an. Doch wir müssen die Erinnerungen an die unfassbaren Massenmordtaten von Deutschen und das unfassbare Leid der jüdischen Menschen aufrecht erhalten. Das sind wir, die nachfolgenden Generationen der Täter, den Opfern schuldig. In diesem Sinne wurde in den 1980er-Jahren auch in Dorsten die Geschichte des Nationalsozialismus und der jüdischen Gemeinde von Wolf Stegemann und Dirk Hartwich – auch gegen Widerstände – erforscht. Elisabeth Schulte-Huxel, Christel Winkel und Sr. Johanna Eichmann schlossen sich an. Daraus entstand die Forschungsgruppe „Dorsten untern Hakenkreuz“, die dann das „Jüdische Museum Westfalen“ gründete, das 1992 eröffnet wurde.

Schmaler Grad zwischen Tod und Überleben

Eine vorzügliche Erinnerungsarbeit leistet seit Mai 2020 der 1951 in Recklinghausen geborene und in Bochum lebende Arzt Dr. Franz-Josef Wittstamm. Nach seiner Pensionierung hatte er „endlich die Zeit“, die Verfolgungsgeschichte der Juden im Vest Recklinghausen zwischen 1933 und 1945 akribisch zu erforschen. Auslöser für seine Recherchen war ein freundschaftlich geschriebener persönlicher Brief einer früheren jüdischen Nachbarin an seine Familie, die mit ihrer Tochter als eine der wenigen das Ghetto Riga und die Todesmärsche überlebt hatte. Im Verlauf seiner Forschungen musste Franz-Josef Wittstamm feststellen, dass um 1933 etwa 250 Juden allein auf der Bochumer Straße in Recklinghausen-Süd, wo seine Eltern lebten, gewohnt hatten. Alle wurden vertrieben oder umgebracht. Von allen jüdischen Bewohnern aus Recklinghausen liegen ihm inzwischen Kurzbiografien vor. „Angesichts der Vorläufigkeit unseres Wissens über die Schicksale entschied ich mich für die Präsentationsform einer Website, um dieses Wissen erweiterungsfähig zu halten und einen allgemeinen Zugriff zu ermöglichen und – so hoffe ich wenigstens – es auf Dauer zu erhalten.“

Daten u. a. aus Personenstandsregistern, Geburts- und Heiratsurkunden

Auf dieser Webseite finden sich inzwischen 1300 Kurzbiografien von Juden aus dem Vest und dem Kreis Recklinghausen. Die Botschaft von „Spuren im Vest“ lautet: „Nicht zulassen, dass diese unfassbaren Verbrechen vergessen werden! Die Erinnerung wach halten, damit sich hemmungsloser Hass nicht wieder ausbreitet!“ Die Ergebnisse, die er online veröffentlicht, informieren detailliert nach amtlichen Quellenverzeichnissen mit Jahrszahlen und Orten über Geburt und Tod der einzelnen Personen. Dazwischen liegen die Daten der Verfolgung, Flucht, Deportation, Ermordung oder der Befreiung – Zahlen sind hier nicht nur trockene Daten und Ereignisse Fakten. Zusammen ergeben sie die Lebenswege von Schicksalen, die erschüttern und bestürzen. Seine Quellen sind u. a. amtliche Personenstandsregister, Geburtsurkunden und Heiratsurkunden sowie das Bundesarchiv Koblenz und Staatsarchive. Die Website besteht aus mehreren Seiten: Juden 1880 bis 1942 auf der Bochumer Straße in Recklinghausen-Süd, „Jüdische Petriner“, gemeint sind die Schüler des Recklinghäuser Gymnasium Petrinum von 1829 bis 1938, „Juden im Vest“, „Spurensuche im Vest“ und „Erinnerung“.
Diese Arbeit ist allen Juden im Vest gewidmet. Franz-Josef Wittstamm: „In diesem Sinne des Wachhaltens der Erinnerung möchte ich den Opfern eine Stimme geben. Die Arbeit an dieser Seite ist selbstredend „working in progress“. Anregungen, Ergänzungen, Kritik sind erwünscht. Für jede Form der Mithilfe bin ich dankbar.“ – Inzwischen hat er angefangen, eine Online-Seite über das Leben, die Flucht und Deportation sowie den Tod der Dorstener Juden einzurichten. Dazu dienen ihm natürlich auch die mehrbändige Buchreihe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ sowie die gleichnamige Online-Dokumentation.

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