Schöneweiß, Rainer

Dorstens erster Nachtwächter-Gästeführer verabschiedete sich 2019 vom Job

1944 bis 2020 in Dorsten; Lehrer i. R und Nachtwächter i. R. – Er wurde im Jahr 2000 als Lehrer pensioniert und widmete sich danach der Dorstener Stadtgeschichte und wurde Gästeführer – als „Regioguide“ für das Ruhrgebiet und 2009 als „Nachtwächter“ und „Handelskaufmann“ für die Stadtinfo Dorsten. Nach zehn Jahren nahm der Holsterhausener mit einem letzten Nachtwächtergang mit Umtrunk bei Regenschauern im Oktober 2019 Abschied von dieser rührigen Tätigkeit. Hunderte Besucher haben in den vergangenen Jahren bei Rundgängen durch die Altstadt von ihm lustige Anekdoten und schaurige Geschichten über Dorsten gehört. In historischer Kleidung verkörperte er dabei Peter de Weldige-Cremer, der von 1545 bis 1611 in Dorsten lebte und seine Stadt vehement gegen den herandrängenden Protestantismus verteidigte. Darüber und über die Römerzeit berichtete Schöneweiß vor Ort, über die Pest und den Schiffbau, über die Verfolgung der Juden in der NS-Zeit, die Zerstörung der Stadt 1945 und den Wiederaufbau. Neben seinen historischen Informationen und Geschichten hielt sich Schöneweiß auch nicht mit kritischen Anmerkungen zurück, wie beispielsweise über den Kanal, „bei der neuen Bebauung viele Chancen vertan“ wurden und die nach 1945 wieder aufgebaute Franziskanerkirche musste einem Woolworth-Neubau weichen. „Das ist doch eigentlich ein Frevel“, meinte Rainer Schöneweiß. „Wenn man seine Stadt liebt, hat man eben auch eigene Ansichten.“ Der erste Nachtwächter-Rundgang 2020 fand am 2. Oktober statt. Bis Jahresende gab es sechs weitere.

Zur Sache:
Nachtwächter warnten vor Dieben und Feuer und riefen die Uhrzeit aus

Nachtwächter war ein Beruf, der mit dem Bestehen der ersten Städte im Mittelalter aufkam. Die Aufgabe des Nachtwächters war es, nachts durch die Straßen und Gassen der Stadt zu gehen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er warnte die schlafenden Bürger vor Feuern, Feinden und Dieben. Er überwachte das ordnungsgemäße Verschließen der Haustüren und Stadttore. Häufig gehörte es auch zu den Aufgaben des Nachtwächters, die Stunden anzusagen – weniger als Auskunft als mehr zur Anzeige, dass er seinem Dienst ordnungsgemäß nachging. Diese Ansage konnte auch in der Form eines Nachtwächterliedes geschehen. Der Nachtwächter (Bild aus dem Jahr 1775)  hatte das Recht, verdächtige Personen, die nachts unterwegs waren, anzuhalten, zu befragen und notfalls festzunehmen. Das Tourismus-Programm der Städte bedient sich seit Jahren des Nachtwächters für spätabendliche Rundgänge bei Dunkelheit. Bekannt sind diese vor allem in Tourismus-Städten wie Rothenburg ob der Tauber, Xanten am Rhein, Heidelberg, Rees, Münster und anderen. Auch Dorsten sowie Städte rund um Dorsten und im Ruhrgebiet bieten Nachtwächter-Rundgänge an, Dorsten seit 2010.  Dorsten, im 13. Jahrhundert mit Stadtrechten versehen, einer Stadtmauer ausgestattet und wegen des Lippeübergang über Jahrhunderte hinweg ein wichtiger Ort gewesen, hatte auch echte Nachtwächter, die ihren Rundgang machten.

Nachtwächter war ein “unehrenhafter” Beruf – oft satirisch dargestellt

Zur typischen Ausrüstung eines Nachtwächters gehörten eine Hellebarde oder eine ähnliche Stangenwaffe, eine Laterne und ein Horn. Der Nachtwächter gehörte wie der Henker oder Abdecker meist zu den unehrlichen Berufen und lebte daher in sehr bescheidenen Verhältnissen. Nachtwächter wurden schon Anfang des 19. Jahrhunderts überflüssig, als die Kirchturmuhren verstärkt aufkamen und  flächendeckend Straßenbeleuchtungen sowie neue Polizeigesetze um die Wende zum 20. Jahrhunderts. In literarischen Texten ist die Figur des Nachtwächters häufig mit der Rolle eines satirischen Kommentators des Weltgeschehens verknüpft. Seine Außenseiterposition prädestiniert ihn geradezu dazu – ähnlich der Narrenfigur – als Mahner der Wahrheit aufzutreten, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten und auf diese Weise die Obrigkeit und die herrschenden Systeme zu kritisieren.
In immer mehr Städten sind Stadtführer als „Nachtwächter“ unterwegs und berichten auf unterhaltsame Weise aus der Stadthistorie. Zur Traditions- und Brauchtumspflege wurde 1987 in Dänemark die „Europäische Nachtwächter- und Türmerzunft“ gegründet. Ihr gehören 157 „Nachtwächter“ aus vielen Ländern Europas an, auch aus Deutschland. 2004 schlossen sich in Bad Münder am Deister Nachtwächter aus ganz Deutschland zu einer Gilde zusammen, die sich „Deutsche Gilde der Nachtwächter, Türmer und Figuren e. V.“ nennt. Der Gilde gehören über 200 Nachtwächter-Gewandete in Deutschland, Österreich, Frankreich und den Niederlanden an. Seit 2016 befindet sich der Hauptsitz der Gilde in Rees. Die Vereinigungen erhalten und verbreiten das Volksgut der Nachtwächter, zum Beispiel durch nächtliche Touristenführungen oder Auftritte bei Volksfesten.

Der Nachtwächter im Begriffsumfeld

Im Volksmund ist der Nachtwächter heute noch präsent. Vergessliche, verschlafene, langsame und trottelige Menschen bezeichnet der Volksmund als „Nachtwächter“. – Als Nachtwächter“ bezeichnet man in der Gastronomie auch das Bier, das sich noch vom Vortag in der Leitung einer Zapfanlage befindet. – Bekannt ist Carl Spitzwegs Gemälde von 1875 „Der eingeschlafene Nachtwächter“ (Bild, Kurpfälzischen Museum Heidelberg). – Das Schlagwort Nachtwächterstaat“ ist eine polemische Bezeichnung für eine Staatsform, die sich nur auf die Bewachung der Sicherheit beschränkt. – Beim Schachspiel ist ein „Nachtwächter“ eine für die Lösung bzw. den thematischen Inhalt nicht benötigte Schachfigur, die nur zur Vermeidung von Nebenlösungen eingesetzt wird. Nachtwächter mindern den Wert einer Schachkomposition erheblich.

Und zum Schluss auch das noch: In nationalsozialistischer Zeit war Otto Weißenberg der höchste SA-Führer in Dorsten. Nach seiner Internierung ab 1945 arbeitete er in einer sauerländischen Gemeinde als Nachtwächter. Er starb 1961. – Im Zusammenhang mit Nachtwächtern gab es in früheren Jahrhunderten die so genannten „Heimleuchter“. Gegen Bezahlung leuchteten sie Bürgern in der Dunkelheit mit einer Fackel den Weg. Ein solcher Heimleuchter war Franz Wahrmann, der als Menschenfresser 1699 in Dorsten hingerichtet wurde.


Quellen: Michael Klein in DZ vom 30. Juni 2010 und 14. Jan. 2011. – Sabine Bornemann in DZ vom 7. Okt. 2019. – Stadtifo vim 10. Sept. 2019. – Pressedienst vom 16. Juli und 23. Juli 2020.  – Wikipedia (Aufruf Juli 2020).

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