Querdenker

Demonstration in Dorsten vom Angelus-Kirchengeläut weitgehend übertönt

„Querdenken“-Demonstration am PlLatz der Deutschen Einheit; Foto: DZ

Mit Demonstrationen gegen die Anti-Corona-Maßnahmen der Politik macht die „Querdenken“-Bewegung von sich reden. Sie hat ihren Ursprung in der von Michael Ballweg gegründeten Gruppierung „Querdenken – 711 – Stuttgart“ und ist kein Verein und keine Partei, auch wenn sie mit politischen Forderungen und Demonstrationen die politische Bühne betritt. Sie selbst sagt von sich, sie sei eine „friedliche, überparteiliche Bewegung“, eine „Freiheitsbewegung“, die aus über 100.000 Menschen bestehe, die Tendenz sei steigend. Die Zahl 711 im Namen der Gruppierung stammt von der Telefonvorwahl 0711 der Stadt Stuttgart, wo die Gruppierung im April 2020 erstmals in Erscheinung trat. Die regionalen Untergliederungen von „Querdenken“ seien regional eigenständig. Sie heißen in der Regel ebenfalls nach ihren Telefonnummern oder ihrem Ort. Im Kreis Recklinghausen nennen sich die Protestierenden „Querdenken 2361 Vest Recklinghausen“.

299 Demonstranten waren angemeldet, etwa 100 kamen

Seit Monaten protestieren und demonstrieren mehr oder weniger friedlich „Querdenker“ und ihre Anhänger in den Städten zwischen Düsseldorf und Dresden, Kiel und Kempten und somit auch im Kreis Recklinghausen. Am Samstag, den 28. November 2020 in Dorsten. 299 Teilnehmer wurden bei der Polizei angemeldet. Allerdings hatte die Stadt den Demonstranten verboten, durch die Innenstadt zu ziehen. So mussten sie auf dem Platz der Deutschen Einheit in der Altstadt bleiben. Es kamen dann doch nur etwa 100 Anhänger der Gruppierung „Querdenken 2361 Vest Recklinghausen“. Nach Angaben der Polizei Recklinghausen verlief die Kundgebung problemlos und störungsfrei. Vereinzelt kam es zu Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung, weil Teilnehmer keinen Mund-Nasen-Schutz trugen. Das Ordnungsamt hatte vier Anzeigen geschrieben und zwei Platzverweise ausgesprochen. Im Bereich Südgraben, ebenfalls in der Innenstadt, fand mittags außerdem eine Versammlung unter dem Motto „Nachdenken statt Querdenken“ statt (Foto, WDR). Hier nahmen etwa 70 Personen teil.

Kirchengeläut übertönte 20 Minuten lang die „Querdenker“-Reden

Auf der Bühne des Platzes protestierten derweil die „Querdenker“ über das Infektionsschutzgesetz, übten Kritik an jedem einzelnen Absatz. Die Kontaktbegrenzungen „bedeuten, dass man uns einsperren kann“, interpretierte ein Redner. Die Schließung von Bildungseinrichtungen stelle die „Untersagung von Bildung“ dar, die Corona-Warn-App bedeute, dass es „keinen Datenschutz mehr“ gebe – das seien lauter schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Meinungsfreiheit. Die „Querdenker“ hatten offenbar nicht bedacht, dass parallel zum Beginn ihrer Veranstaltung das traditionelle Angelusläuten der Johanneskirche stattfinden würde. Etwa 20 Minuten läuteten die Glocken und die Pandemie-Skeptiker waren kaum zu verstehen. Das Läuten fiel wahrscheinlich auch deshalb etwas länger aus, weil am Morgen des Tages bekannt geworden war, dass zwei Dorstener gestorben waren, die zuvor positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.

AfD-Ratsmitglied war unter den „Querdenker“-Demonstranten

Unter dem „Querdenker“-Publikum befand sich auch das Dorstener AfD-Ratsmitglied Ernst Kirschmann. Er trug eine Schutzmaske mit der Aufschrift „Corona-Diktatur“ und protestierte auf seine Weise gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Es war das zweite Mal, dass ein aktiver Lokalpolitiker der AfD öffentlich querdenkerisch protestierte. Denn wenige Tage zuvor hatte der ehemalige AfD-Bürgermeisterkandidat Marco Bühne, ebenfalls Ratsmitglied, in einer privaten Facebook-Gruppe online Verschwörungstheorien verbreitet: „Ein schwerreicher Computerspezialist“ wolle alle Menschen impfen und „die Weltbevölkerung um 10 bis 15 Prozent reduzieren“, behauptete Bühne und rechtfertigte seine Äußerungen später als „private Meinung“. AfD-Kreisverband und Stadtverband distanzierten sich dann öffentlich. In der Sitzung vom 16. Dezember befasste sich der Stadtrat mit den Aussagen der beiden AfD-Ratsmitglieder Marco Bühne und Ernst Kirschmann, die von der CDU-, SPD- und Grüne-Fraktion ausgefordert wurden, ihr Mandat niederzulegen, was sie natürlich nicht taten (siehe Eintrag an anderer Stelle).

„Querdenken richtet sich gegen die freiheitliche Grundordnung“

Mittlerweile ist „Querdenken“ im Visier des Verfassungsschutzes. Anhänger von „Querdenken“ und Ableger der Bewegung demonstrierten in den vergangenen Monaten in vielen Städten gegen die staatlich auferlegten Beschränkungen in der Corona-Krise. Die Mischung der Teilnehmer ist vielfältig: Sie reicht von eher bürgerlichen Demonstranten, Esoterikern, Friedensbewegten bis hin zu Reichsbürgern, auch solche gibt es in Dorsten, und offen Rechtsextremen. Eine nicht repräsentative Befragung von „Querdenkern“, über die die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet hatte, ergab, dass auch Wähler der Grünen und Linken darunter sind, dass aber die Sympathie für die AfD unter den Beteiligten wächst. Auch in Dorsten. „Querdenken richtet sich gegen die freiheitliche Grundordnung“, so der Verfassungsschutz. „Dies ist eine   Tatsache und keine Vermutung.“ Mehrere maßgebliche Akteure der „Querdenken“-Bewegung ordnet das NRW-Landesamt für Verfassungsschutz dem Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter zu, welche die Existenz der Bundesrepublik leugnen und demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren.

AfD-Ratsmitglied Bühne als „Querdenker“ in der Innenstadt erkannt

Weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit waren „Querdenker“ Ende April 2021 durch die Dorstener Innenstadt gezogen. Unter den 20 Demonstranten befand sich auch das AfD-Ratsmitglied Marco Bühne. Obwohl er sich vor den Ordnungskräften hinter einer Hausecke verstecken wollte, wurde er erkannt. Ihm und den anderen „Demonstranten“ droht nun ein Ordnungsgeld von mehreren hundert Euro. Denn sie trugen keine Masken, hielten keinen Abstand, reagierten zunächst nicht auf Ansprache. An der Agathakirche wurde die Gruppe selbst ernannter „Querdenker“ schließlich vom Kommunalen Ordnungsdienst gestoppt.


Quellen: Berliner Zeitung vom 3. Aug. 2020. – Stadtspiegel vom 28. Nov. 2020. –  Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 7. und 10. Dez. 2020. – DZ vom 26. Nov., 3. Dez. und 10. Dezember 2020. –  Dorsten-online (Aufruf Dez. 2020). –  Fotos: DZ und Dorsten-online.

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone