Polizeiwesen I (Essay)

Vom Büttel über den Polizeidiener zum Wachtmeister

Dorstener Polizei 1942

Dorstener Schutzpolizei im Jahr 1942 – eingebunden in den NS-Unrechtsstaat

Von Wolf Stegemann. – In der Herrlichkeit oblag während der fürstbischöflich-münsterschen und fürstlich-salmschen Zeit die Polizeigewalt dem lembeckischen Patrimonial-Richter. Er richtete sich nach den Landesgesetzen und verschiedenen Polizei- und Brüchtenordnungen. Für die ausführende Polizeigewalt standen dem Richter in den Gemeinden Vögte zu Verfügung, die auf Einhaltung der Verordnungen achteten. Als Polizeigefängnis diente das Kriminalgefängnis auf Schloss Lembeck. Erst zur Wende des 18./19. Jahrhunderts wurden polizeiliche Aufgaben auch als solche zur Gewaltabwendung verstanden. 1799 erschien das „Handbuch des Teutschen Policeyrechts“, das die Aufgaben der Polizei definierte. 1806 erließ die salm-salmsche Regierung eine Polizeiordnung für „das platte Land“. In französischer Zeit (1811 bis 1814) standen dem Maire (Bürgermeister) lediglich lokalpolizeiliche Aufgaben (Wegepolizei, Gewerbepolizei) und die öffentliche Sicherheit zu. Die Polizeigerichtsbarkeit übte ein Friedensrichter aus. In preußischer Zeit (ab 1815) übte die Polizeigerichtsbarkeit unter Kontrolle des Landrates der Bürgermeister aus. Das Polizeigefängnis wurde erst 1837 auf gemeinschaftliche Kosten der Bürgermeistereien Altschermbeck und Lembeck im Lembecker Spritzenhaus eingerichtet.

1832 wurde in Dorsten eine Kindsmörderin überführt

Preußischer Polizeihelm

Preußischer Polizeihelm

In Dorsten war der Bürgermeister Polizeibehörde, dem ein Polizeidiener zur Verfügung stand. Als Polizeigefängnis waren im Keller des Alten Rathauses am Markt zwei Zellen eingerichtet, die 1837 ausgebaut wurden. Weitere Zellen gab es in dem 1828 gekauften Busch’schen Haus in der Lippestraße, das ab 1830 als Gericht diente. Im selben Jahr war der Diebstahl von 1.540 Reichstalern und Schmuck im Wert von 35 Reichstalern aus der Wohnung des Actuar Peus der spektakulärste Kriminalfall in Dorsten. Die Haupttäterin, eine ehemalige Magd im Hause Peus, die wegen hoher Geldausgaben nach einem Jahr ermittelt wurde, starb im Zuchthaus von Münster. 1832 überführte die Polizei in Dorsten eine Kindsmörderin namens Elisabeth Peters aus Orsoy, die zur Nachtzeit ihr neugeborenes Kind in einen Brunnen geworfen hatte. Für größere polizeiliche Aufgaben, vor allem für „die Abhaltung von Vagabunden“ standen dem Bürgermeister drei Bürger-Compagnien zur Verfügung. So genannte „Vagabunden Jagden“ wurden auf höheren Befehl 1829, 1833, 1836 und 1839 durchgeführt. Ab 1850 richtete sich die polizeiliche Arbeit nach dem preußischen Polizeiverwaltungsgesetz.

Polizei in der Herrlichkeit Lembeck

In der Zeit des Fürstbistums Münster und der fürstlich Salm-Salmschen Regierungsperiode wurde die Polizei von dem Lembecker Patrimonialrichter verwaltet. Ihm dienten die Landesgesetze  sowie die verschiedenen Polizei- und Brüchtenordnungen. Kriminelle und fiskalische Fälle musste er ermitteln, aburteilen und die Urteile exekutieren lassen. In besonderen Fällen konnte der Justizherr persönlich den Vorsitz der Verhandlung über einen Straftäter übernehmen. Zur Handhabung der Polizeigesetze stand dem Richter in jedem Dorf ein dazu berufener Vogt zur Seite, der auf Befolgung der Verordnungen und vor allem auf „fremdes Gesindel“ achtete.

Älteste lokale Polizeiverordnung von 1592

Als Polzeigefängnis diente das Kriminalgefängnis auf Schloss Lembeck. Eine sehr beliebte Polizeistrafe war die Anlegung des so genannten Spanischen Mantels, eines hölzernen Kastens in Form einer großen Tonne mit einem Boden, der ein Loch in der Mitte hatte, so groß, dass es um einen menschlichen Hals schloss. Der Kasten wurde dem Delinquenten so um den Hals gelegt, dass nur der Kopf herausschaute, während der übrige Teil des Körper in der Tonne verborgen blieb und die Füße eben den Boden berührten. In diesem Zustand musste der Delinquent oft den ganzen Tag zum Gespött der Dienerschaft auf dem Schlossplatz stehen oder umhergehen. Die älteste lokale Polizeiverordnung stammt aus dem Jahre 1592. Sie ist eine durch Matthias von Westerholt zu Lembeck erweiterte Landesverordnung. Die Salm-Salmsche Regierungsperiode war reich an Verordnungen, die allerdings das gesamte Fürstentum betrafen.

Polizei in der französischen Zeit – französische Gesetze galten

In französischer Zeit standen die französischen Gesetze dem Bürgermeister (Mairie) nur für die Handhabung der Lokalpolizei, der öffentlichen Sicherheit, der Gewerbepolizei sowie der landwirtschaftlichen und Wegepolizei zu. Die Polizeigerichtsbarkeit wurde von Friedensrichtern ausgeübt, die ihren Dienstsitz in der Cantonstadt hatte (Dorsten). Der Friedensrichter befasste sich mit Denunziationen, fiskalischen und kriminellen Fällen. Die Gendarmerie führte die Aufsicht und Strafexekution, was mitunter auf Diebe und Frevler einschüchternd wirkte. Die französische Zollgendarmerie bewachte die Grenzen und achtete darauf, dass keine Waren, die dem Boykott unterlagen, ins Land kamen und im Land gehandelt wurden.

Preußische Zeit – Polizeigewalt ging an Bürgermeister und Landräte

Dorstener Polizisten in den 1920er-Jahren

Dorstener Polizisten um 1925

In preußischer Zeit wurde den Bürgermeistern auch die Polizeigerichtsbarkeit und den Gemeinden die Exekution von Lokalpolizeistrafen übertragen. Da die meisten Bürgermeister der Gemeinden mangels persönlicher Qualifikation das Polizeirecht nur mangelhaft ausüben hätten können, überwies die königlich-preußische Regierung die Kontrolle über die volle Polizeigewalt an die Landräte. In den Gemeinden fungierte ein vereidigter Polizeidiener, der zusammen mit der Gendarmerie die Polizeiaufsicht führte und zugleich Feldhüter war. Um 1910 waren im zusammengelegten Amt Lembeck-Altschermbeck zwei preußische Gendarmen und vier Gemeindepolizisten beschäftigt, in der Stadt Dorsten ein preußischer Gendarm und drei Polizisten, meist gediente und versorgungsberechtigte Soldaten. Ein Dorstener Polizist hatte eine Wohnung im Alten Rathaus am Marktplatz. Die Aufgaben der städtischen Polizei waren vielfältig und umfassten einen denkbar großen Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
Neben der kommunalen Polizei gab es in den ländlichen Gebieten die staatlich preußische Gendarmerie, die ihre Beamten auf Polizeiposten oder -stationen mit allumfassender Zuständigkeit und mit großer Mobilität (Fahrzeuge, Pferde) einsetzte. Das mit dem Einzug des Bergbaus verbundene Ansteigen der Bevölkerungszahlen machte die Trennung von Schutz- und Kriminalpolizei notwendig. Der Pickelhelm war das äußere Zeichen der gemeindlichen Polizeidiener sowie der Schupos und Gendarmen. Wegen der Unruhen nach dem Ersten Weltkrieg wurden Polizeieinheiten in militärähnlicher Form aufgestellt und eingesetzt. 1922 wurde in Recklinghausen ein staatliches Polizeipräsidium errichtet, zu dem zwar der größte Teil des Vests gehörte, nicht aber Dorsten. Während der französisch-belgische Besetzung von 1923 bis 1925 wurde die Polizei verbannt und eine Ersatzpolizei („Erpo“) gebildet.

Nationalsozialistische Zeit – Deutschland wurde zum Polizeistaat

Ortsgendarm Baltruschat in Raesfeld 1937

Ortsgendarm Baltruschat in Raesfeld 1937

1933 nannte man die preußische Polizei in Reichspolizei um. 1940/41 taten im Amtsgebäude am Klapheck’schen Holzplatz drei Kriminalbeamte und etwa 25 Schutzpolizisten Dienst. Im selben Jahr wurde in Preußen auch das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) gegründet, das vormals die preußische politische Polizei war. Aus dem Gestapa entwickelte sich die Sicherheitspolizei (Sipo). Die NSDAP-Organisationen SA und SS wurden zur Hilfspolizei ernannt und die politischen Polizeien der Länder gleichgeschaltet. Verfügungen der Geheimen Staatspolizei, die Weisungsrecht gegenüber der Ordnungspolizei hatte, unterlagen keiner gerichtlichen Kontrolle und die Gestapo konnte selbst Bürger in Konzentrationslager einweisen. Die Gestapo unterstand als Abteilung IV dem Reichssicherheits-Hauptamt (RSHA) unter der Leitung von Himmlers „Juniorpartner“ Heydrich.

„Die Polizei – Dein Freund und Helfer“ – und sehr gefürchtet

NS-Polizeiplakat

NS-Polizeiplakat

Den Leitspruch „Die Polizei – Dein Freund und Helfer“ etablierte spätestens 1926 der preußische Innenminister Albert Grzesinski, der im Vorwort eines Buches zur Berliner Polizeiausstellung 1926 die Devise für die Polizei verbreitete, „ein Freund, Helfer und Kamerad der Bevölkerung zu sein.“ Innenminister Carl Severin (zurückgetreten 5. Oktober 1926) hatte seinerzeit auf ein republikanisches Polizei-Ethos hingearbeitet, wie es heute zum Selbstverständnis der deutschen Polizeien gehört. Der Ausdruck „Freund und Helfer“ wird oft mit Heinrich Himmler in Verbindung gebracht, der ab 1936 Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei war. Er gilt vielerorts daher mehr oder minder unverdient als diskreditiert. Himmler hatte in dem Buch „Die Polizei – einmal anders“ (1937) von Helmuth Koschorke im Geleitwort geschrieben: „Unser größtes Ziel ist es, vom Verbrecher ebenso sehr gescheut wie vom deutschen Volksgenossen als vertrauensvoller Freund und Helfer angesehen zu werden!“ Die Maxime konnte sich jedoch nicht halten, da die Realität sich anders darstellte. Noch in den 1950er- und 60er-Jahren üblich, dient der Spruch „Die Polizei – Dein Freund und Helfer“ heute nicht mehr als Slogan der Polizei.

Gestapo – Terrorbehörde schüchterte die Bevölkerung ein

Die Gestapo Recklinghausen: Tenholt und sein Chef Graf von Stosch (r.); Justizzeichnung

Gestapo Recklinghausen: Tenholt und von Stosch (r.)

Ab 1933 überwachte die Gestapo die kommunistischen und konfessionellen Bewegungen, ebenso die Anhänger der Deutschen Glaubensbewegung und Juden, die „Reaktion“ und nationale Opposition. Mit Kriegsausbruch richtete die Gestapo neue Abteilungen (Referate) für Zwangsarbeiter ein. Die Machtbefugnisse der Gestapo leiteten sich hauptsächlich aus der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ ab, die am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Brand des Reichstags, erlassen worden war. Diese Verordnung gestattete der Polizei, Verdächtige ohne ordnungsgemäßes Verfahren auf nahezu unbegrenzte Zeit in „Schutzhaft“ zu nehmen, und setzte darüber hinaus die meisten bürgerlichen Rechte außer Kraft. Zum Beispiel kam es immer wieder vor, dass die Gestapo Personen, die vor Gericht freigesprochen worden waren, vor dem Gerichtssaal erneut verhaftete. Diese Umstände verschärften die Angst, mit der Gestapo in Berührung zu kommen, obwohl diese gar nicht über hinreichend eigene Mittel verfügte, die Bevölkerung flächendeckend zu überprüfen und zu überwachen. Ende 1944 standen im gesamten Reichsgebiet nur ca. 32.000 Personen im Dienst der Gestapo, darunter rund 3.000 Verwaltungsbeamte und 13.500 Arbeiter und Angestellte. Nur ungefähr die Hälfte des gesamten Personals, nämlich 15.500 Personen, nahmen aktiv Polizeifunktionen war, d. h. die im Außendienst tätigen Gestapobeamten waren zwangsläufig dünn gesät. So verfügte etwa die „Zentraldienststelle“ in Münster über 81 Beamte und weitere zwölf in Gelsenkirchen, acht in Recklinghausen, vier in Bottrop und einige wenige in ein paar anderen kleinen Außenstellen. In Dorsten wie in den meisten kleineren Städten gab es keine regulären Gestapobeamten.
Wenn die Rede davon ist, dass Gestapobeamte in Holsterhausen die Bibelforscher beobachteten oder in Kirche Predigten missliebiger Pfarrer mitschrieben, so waren dieses meist keine regulären Gestapo-Angehörigen, sondern vielfach Verwaltungsbedienstete, die neben zahlreichen anderen Aufgaben in Rathäusern und anderen Verwaltungen auch die lokalen Funktionen der politischen Polizei versahen.

Gestapo konnte im Krieg nicht alle ihre Aufgaben bewältigen

Gestapo-Marke

Gestapo-Marke

Ebenso wenig gehörten ursprünglich alle Gestapobeamten der SS oder auch nur der Partei an, obwohl im Lauf der Zeit die meisten der einen oder anderen nationalsozialistischen Organisation beitraten. Hatte die Gestapo ihre Beamten anfangs im großen und ganzen von der Weimarer Republik übernommen, so dürfte deren Zahl bis zum Ausbruch des Krieges durch die vermehrte Einstellung hauptamtlicher Kräfte angestiegen, dann aber durch Einberufungen zur Wehrmacht schon bald wieder zurückgegangen sein. Dass die Gestapo bei diesem beschränkten Personalbestand ihre vielen, sich ständig ausgeweiteten Aufgaben ohne Beihilfe von außen strukturell wohl kaum bewältigt hätte, liegt auf der Hand.

Im Recklinghäuser Gestapo-Keller Misshandlungen und Folter

Dienstsiegel der Gestapo

Dienstsiegel der Gestapo

Dorsten gehörte zur Gestapo-Dienststelle Recklinghausen, die zugleich Stapo-Leitstelle für den Regierungsbezirk Münster war und die 1934/35 von dem späteren Bürgermeister von Bottrop und Regierungspräsidenten. von Münster und Minden, Dr. jur. Graf von Stosch, geleitet wurde. Die Verhörmethoden im Recklinghäuser Gestapo-Gefängnis waren gefürchtet, was auch etliche Dorstener erfahren konnten: Prügel, Folter, Terror, Totschlag. In einem Prozess 1947 wurden Stosch und Kriminalpolizeirat Tenholt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aussageerpressung mittels Folter und Misshandlungen in 237 Fällen, darunter zwei Selbstmorde und zwei Vernehmungen mit Todesfolge, angeklagt. Während das in Recklinghausen tagende Schwurgericht Bochum den Untergebenen Tenholt (Gerichtsurteil: „Landsknechtsnatur“) in 46 nachgewiesenen Fällen zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilte, wurde der Leiter der Gestapo-Dienststelle, Graf von Stosch, unter Bravo-Rufen der Zuhörer freigesprochen. Das Gericht traute dem adligen und feinsinnigen Gestapo-Chef („Gestapo-Stosch“), dessen Familie im Hause Hindenburg verkehrte, nicht zu, vom Folterkeller und von Prügelböcken etwas gewusst zu haben, und wenn ja, dann hätte er dem „Treiben nicht Einhalt gebieten“ können. Die Presse feierte den Freispruch als einen „Sieg der Gerechtigkeit“.

Siehe auch: Polizeiaktion “Gegenwind”
Siehe auch: Polizeiwesen II (Essay)
Siehe auch: Polizeiwesen III (Essay)
Siehe auch: Polizei / Bürgerbeschwerden 2016
Siehe auch: Polizeiarbeit vor 200 Jahren
Siehe auch: Wasserschutzpolizei
Siehe auch: Polizei-Sondereinsatzkommando


Quellen:
Wolf Stegemann in „Dorsten nach dem Hakenkreuz“, Bd. 4, 1986. – Wulfen-Wiki Christian Gruber. – „Brunn’sche Chronik der Herrlichkeit Lembeck bis 1880“, hg. vom Heimatverein Wulfen, 1988. – Ludger Böhne „Zehn Prozent weniger Polizei“ in WAZ vom 23. Oktober 2009.

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