Verurteilungen von Dorstenern und Bewohnern der Herrlichkeit im 19. Jh.
Das für Dorsten zuständige Zuchthaus in Münster, in dem auch die vom Dorstener Gericht Verurteilten ihre Zuchthausstrafe absitzen mussten, war 1734/38 als Landeszuchthaus für das Fürstbistum Münster von dem Barockbaumeister Schlaun umgebaut worden. Schlaun, der auch den Festsaal im Schloss Lembeck umbaute, richtete in dem aus dem 16. Jahrhundert stammenden Zwinger von Münster Zellen und andere Gefangenenräume ein. Die Kosten dafür holte sich der Bischof von Münster über Kollekten von den Gläubigen. Ein Neubau in Steinwurfnähe wurde erst um 1850 fertig. Bis dahin mussten die Verurteilten in dem umgebauten Zwinger untergebracht werden. Von 1852 bis 1870 saßen im Zuchthaus Münster auch die 54 aus Dorsten stammenden und vom Appellations-Gerichts Münster, Gerichtsort Dorsten, zu Zuchthausstrafen verurteilten Personen ein, darunter fünf Frauen. Nach 1870 wurde wegen der Reichsgründung 1871 die Gerichtsbarkeit geändert. Die mit einer Zuchthausstrafe im Urteil meist verhängte Polizeiaufsicht gab der höheren Landespolizeibehörde das Recht, dem Verurteilten den Aufenthalt an bestimmten Orten zu untersagen und ihn zu kontrollieren.
Vom Zuchthaus als Besserungsanstalt zum besonders harten Gefängnis
Das Zuchthaus hatte in früheren Zeiten einen besonderen Stellenwert, dessen Ursprung in der Gesellschaftsgeschichte zu finden ist. Die bürgerliche Gesellschaft empfand die Armen Menschen, welche die Straßen bevölkerten und übers Land zogen, als störend, was zur Folge hatte, dass neben den Einrichtungen wie Irrenhäusern und Waisenhäuser auch Zuchthäuser entstanden waren. Wie der Name schon sagt, galten diese Häuser nicht zur Strafe, sondern zur Zucht, zur Arbeit, zum Wegsperren. So wurden früher die sozialen Randgruppen aus der Gesellschaft entfernt. Nach dem Ende des Absolutismus gab es eine langsame Mäßigungsbewegung. Nach und nach wurde ein Rechtssystem umgesetzt und die Bedingungen verschärft. So entstand aus dem Zuchthaus allmählich eine Strafanstalt im eigentlichen Sinne mit strafverschärfenden Haftbedingungen für Häftlinge, die wegen schwerwiegender Straftaten speziell zu einer solchen Strafe verurteilt waren. Wesentlicher Bestandteil der Zuchthausstrafe war der Zwang zu harter körperlicher Arbeit, oft bis zur Erschöpfung, zum Beispiel in Steinbrüchen oder beim Torfstechen. Der Gefangene war billige Arbeitskraft und der Staat verdiente gut an den „Zuchthäuslern“. Deshalb waren Zuchthausstrafen für kleinkriminelle Delikte, wie man heute sagen würde, ziemlich lang, um sie profitlich zu machen. Waren die Zuchthäuser vor 1871 den kleinen und großen Landesfürsten und den Bischöfen als Landesherren unterstellt, die nach ihrem Belieben das „Strafrecht“ regeln und nutzen konnten, so wurde bei der Reichsgründung 1871 die Zuchthausstrafe im Reichsstrafgesetzbuch einheitlich geregelt – und erst mit der großen Justizreform durch den damaligen Bundesjustizminister Gustav Heinemann 1969 abgeschafft.
Für kleinkriminelle Delikte oft langjährige Zuchthausstrafen
Die folgend aufgeführten Urteile zeigen eindeutig, aus welcher Bevölkerungsschicht die Mehrheit der Verurteilten kam: Tagelöhner, Knechte Kleinkötter, weniger Handwerker und schon gar nicht Angehörige des höheren Standes. Die meisten Fälle sind einfache oder schwere Diebstähle. Statistiken aus jener Zeit zeigen, was meist gestohlen wurde: Hühner oder auch mal ein Schwein aus dem Stall oder Früchte vom Feld, auch schon mal einem Betrunkenen die Geldbörse oder sein Hut oder in der Kirche der Opferstock. Dass die damaligen Strafen bei Diebstahl heute unwahrscheinlich hart erscheinen, lag nicht nur an dem oben erwähnten Zucht- und Profitdenken der Staatsmacht, sondern auch an der traditionell gewachsenen Härte von Staatsmacht, Kirche und Standesgesellschaft gegenüber Straftätern aus der unteren Schicht, auch wenn nach der Aufklärung bereits ein liberaleres Denken einsetzte. Erinnert sei hier an das Todesurteil des Dorstener Gerichts gegen den „Menschenfresser“ Franz Wahrmann, auf den die Polizei durch einen Viehdiebstahl aufmerksam wurde. Er wurde zum Tode verurteilt und wie im Mittelalter von vier Pferden auseinandergerissen, wozu man gevierteilt sagte. Diese grausame Hinrichtungsart an der Jahrhundertwende zum 18. Jahrhundert machte Schlagzeilen, wie man heute sagen würde.
Es gab 21 Appellationsgerichte im Königreich Preußen
Im Königreich Preußen war das Appellationsgericht von 1849 bis 1879 das Gericht zweiter Instanz und damit Vorläufer der Oberlandesgerichte im Deutschen Reich. Sie waren dem „Obertribunal zu Berlin“ untergeordnet. Es gab 21 preußische Appellationsgerichte, darunter das für den Regierungsbezirk in Münster zuständige. Neun Kreisgerichten waren ihm untergeordnet, wovon eins in Dorsten, das 1851 von Recklinghausen nach Dorsten verlegt wurde. Es war mit einem Direktor, sechs Kreisrichtern und einem Staatsanwalt besetzt. In der Zeit der unten aufgeführten Zuchthaus-Verurteilungen zwischen 1852 und 1870 gehörten dem Kreisgericht an: Direktor: Evelt (1849-1861, seit 1851 Dir.), Direktor: Jungeblodt (1851-1870, Dir. seit 1861), Kreisrichter: Callenberg (1849-1872) sowie die Kreisrichter Keller (1849-1858), Winkelmann (1849-1868/72), Heitmann (1849-1879), Michels (1851-1856), Geisberg (1851-1859), Devens (1851-1861), von Hatzfeld (1858-1866), Müller (1861-1873), von Bönninghausen Mitgl. d. Abg. Hauses (1866-1879) und Thiele (1868/72-1874).
54 Zuchthausurteile: zusammen 155 Jahre und 141 Jahren Polizeiaufsicht
In den 18 Jahren von 1852 bis zur Reichgründung 1870 gab es in Dorsten 54 Zuchthausurteile mit zeitigen Strafen zwischen 1 Jahr (fast schon ein Sonderfall) und 9 Jahren. Insgesamt wurden diese 54 Dorstener zu 155 Jahren Zuchthaus und 141 Jahren Polizeiaufsicht verurteilt. Wenn in der folgenden Auflistung nicht anderes angegeben ist, dass wurden die Angeklagten vom Kreisgericht Dorsten verurteilt. Die Prozessakten sind nicht mehr existent, wie das Landesarchiv Münster mitteilte. Vermutöich sind sie bei der Bombardierung Münsters im letzten Krieg verbrannt.
Dorstener bzw. in Dorsten Verurteilte, die ab 1852 im Zuchthaus saßen
Josef H., Schreinergeselle in Dorsten; 1852 wegen zwei gewaltsame Diebstähle (Raub) zu 9 Jahren verurteilt.
Joseph L., Weber in Lembeck; 1852 wegen schweren Diebstahls zu 5 Jahren und 5 Jahren Polizeiaufsicht verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht
Aaron B., Handelsmann in Dorsten; 1853 wegen zwei einfachen Dienstählen im dritten Wiederholungsfall zu vier Jahren verurteilt.
Wilhelm G., Tagelöhner aus Hardenberg; 1853 wegen eines einfachen Diebstahls, „nachdem derselbe mehrere Male wegen Diebstahls früher bestraft worden“ zu 2 Jahren verurteilt; 4 Jahre Polizeiaufsicht.
Wilhelm H., Ackermann in Dorsten, „und dessen Sohn Hermann“, geboren in Suderwich; 1853 wegen schweren Diebstahls zu 2 Jahren verurteilt; 2 Jahre Polizeiaufsicht.
Wilhelm B. (gest.1926), Schneider im Emmelkamp (Altschermbeck); 1854 wegen eines schweren Diebstahls zu 2 Jahren verurteilt; 2 Jahre Polizeiaufsicht.
Franz Engelbert S., Schäfer in Dorsten, geboren in Lippe/Kirchspiel Marl; 1854 wegen schweren Diebstahls zu zwei Jahren verurteilt.
Bonifaz D., Schneidergeselle in Dorsten; 1854 wegen schweren Diebstahls zu 2 Jahren verurteilt.
Wilhelm K. genannt F., Tagelöhner in Dorsten, geboren in Waltrop; 1854 wegen zwei schwere Diebstähle zu 5 Jahren verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
1855 bis 1860
Theodor W., Weber in Dorsten, geboren in Erle/Buer; 1855 wegen zwei einfacher und zwei schwerer Diebstähle zu 3 Jahren und 6 Monate verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Joseph F., Schreinergeselle in Dorsten, geboren in Düsseldorf, wegen eines „einfachen Diebstahls in wiederholtem Falle, Gebrauch eines verfälschten auf einen anderen Namen laufenden Reisepasses und Gebrauch eines nicht zukommenden Namens“ zu 5 Jahren verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Wilhelm E., Dachdeckergeselle in Dorsten, geboren aus Recklinghausen; 1856 wegen schweren Dienstahls zu 2 Jahren verurteilt. Sein Komplize Heinrich D., Dachdeckergeselle in Dorsten, geboren in Recklinghausen, wurde wegen schweren Diebstahls zu 2 Jahren verurteilt.
Wilhelm K., Tagelöhner in Dorsten, geboren in Borbeck; 1856 wegen Diebstahls im Rückfall zu 2 Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Heinrich R., Schneider in Borken, geboren in Lembeck; 1857 wegen zwei einfachen Diebstählen im fünften Wiederholungsfall zu 4 Jahren verurteilt.
Johann R. genannt B., Kötter im Emmelkamp; 1857 wegen eines schweren und eines einfachen Diebstahls zu 2 Jahren verurteilt; 2 Jahre Polizeiaufsicht.
Wilhem R. genannt S., Tagelöhner aus Lavesum; 1857 wegen eines einfachen Diebstahls im Wiederholungsfall zu 3 Jahren verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Friedrich Christian Z., Weber in Dorsten, von Bielefeld zugezogen; 1958 wegen Diebstahls in einem Wiederholungsfall zu 4 Jahren verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Hermann Anton L., Schuster in Dorsten, geboren in Essen; 1858 wegen einfachen Diebstahls im Rückfall zu 2 Jahren verurteilt.
Maria S., geboren in Marl; 1859 wegen eines einfachen Diebstahls im Rückfall zu 2 Jahren verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Josefine V., aus Recklinghausen zugezogen; wegen eines einfachen Diebstahls im Rückfall zu 5 Jahren verurteilt; 10 Jahre Polizeiaufsicht.
Carl August S., Buchdrucker in Dorsten; 1859 wegen eines schweren Diebstahls zu 2 Jahren verurteilt; 2 Jahre Polizeiaufsicht.
Anne H., „Frau in Dorsten“, geboren in Gahlen; 1859 wegen Diebstahlsversuch zu 3 Jahren verurteilt.
Johann G., Schneidermeister in Dorsten, geboren in Flaesheim; 1859 wegen zwei einfacher Diebstähle (mildernde Umstände) zu 3 Jahren verurteilt, 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Peter S., Seidenweber, geboren in Krefeld; 1859 wegen eines Diebstahls zu 2 Jahren und sechs Monaten verurteilt, 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Theodor F., Ackerknecht, geboren in Datteln; 1859 wegen zwei schweren Diebstählen zu 2 Jahren und sechs Monaten verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
1860 bis 1865
Joseph K.; Tagelöhner aus Recklinghausen; 1860 wegen schweren Diebstahls zu 3 Jahre verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Anna Maria M., geboren in Gehlen; 1861 wegen eines einfachen Diebstahls im wiederholten Falle zu 3 Jahren verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Johann D. gen. Tummelt, Tagelöhner in Dorsten, geboren in Hauxbeck; 1861 wegen zweifachen Diebstahls, Gebrauch eines falschen Namens, Unterschlagung und Vermögensschädigung zu 2 Jahren und sechs Monaten verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Josef V., Hammerschmied in Dorsten; 1862 wegen schweren Diebstahls zu 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Franz K., Handelsmann in Dorsten, geboren in Essen; 1862 wegen schweren Diebstahls zu 3 Jahren verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht. Sein Komplize Albert Wilhelm K. wurde ebenfalls zu 3 Jahren verurteilt; ebenso 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Oscar H., Hammerschmied aus Polen; 1862 wegen eines schweren Diebstahls zu 1 Jahr verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Hermann H., Tagelöhner in Dorsten, vorher Coesfeld; 1862 wegen eines Diebstahls im Rückfall und Führung eines falschen Namens zu 2 Jahren verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Bernard W., Ackerknecht in Dorsten, geboren in Gladbeck; 1863 wegen eines einfachen Diebstahls im 3. Rückfall zu 2 Jahren verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
August J., Berg-Tagelöhner in Dorsten; vorher Herford; 1865 wegen eines leichten und eines schweren Diebstahls zu 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
1865 bis 1870
Gerhard Bernard N., Tagelöhner in Wulfen; 1866 wegen schweren Diebstahls zu 5 Jahren verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Johann A., Tagelöhner aus Buer; 1866 wegen eines einfachen Diebstahls im Rückfall zu 2 Jahren verurteilt; 2 Jahre Polizeiaufsicht.
Johann Friedrich W., geboren in Krefeld; 1866 wegen eines einfachen Diebstahls in wiederholtem Falle zu 2 Jahre verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Johann A., Tagelöhner, geboren in Buer; 1866 wegen eines einfachen Diebstahls in wiederholtem Rückfall zu 2 Jahren verurteilt; 2 Jahre Polizeiaufsicht.
Franzisca B., Dienstmagd in Dorsten, beheimatet in Sickingsmühle; 1867 wegen eines qualifizierten Diebstahls im Rückfall „und Beiseiteschaffung ihres neugeborenen unehelichen Kindes“ zu 3 Jahren verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Ehefrau K. aus Steele; 1867 wegen schweren Diebstahls zu 3 Jahren verurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Johann B., Arbeiter in Dorsten: 1867 wegen zwei Fälle schweren und sechs Fälle leichten Diebstahls im 1. Rückfall und Körperverletzung zu 6 Jahren verurteilt.
Philipp L., ohne Beruf in Lembeck; 1867 wegen Unzucht zu 2 Jahren verurteilt. Mit ihm wurde sein Komplize, der Tagelöhner Bernard Horstmann ebenso zu 2 Jahren verurteilt.
Bernhard R., Stuhlmacher in Dorsten; 1867 wegen eines einfachen und eines schweren Diebstahls zu zwei Jahren und 14 Tagen verurteilt.
Bernard C., Kötter nahe Dorsten, vermutlich in Holzhaus/Kirchhellen; 1868 wegen schweren Diebstahls zu 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt; 4 Jahre Polizeiaufsicht.
David H., Tagelöhner in Dorsten, geboren in Werden/Ruhr; 1868 wegen zwei einfachen qualifizierten Diebstählen im Rückfall zu 5 Jahren verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Heinrich A., Kötter in Wulfen, 1868 wegen Unzucht zu zwei Jahren verurteilt.
Georg S., Tagelöhner in Dorsten, geboren in Mühlheim/Ruhr; 1868 wegen Diebstahls in wiederholtem Falle zu 2 Jahren verurteilt; 2 Jahre Polizeiaufsicht.
Johann H., Tagelöhner in Dorsten, geboren in Groß Reken; 1868 wegen mehrerer Diebstähle in wiederholtem Fall zu drei Jahren verurteil; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Joseph B., Tagelöhner in Neuschermbeck; 1869 wegen eines einfachen Diebstahls in wiederholtem Rückfall zu 3 Jahre beurteilt; 3 Jahre Polizeiaufsicht.
Wilhelm B., Hausierer in Dorsten, geboren in Recklinghausen; 1870 wegen eines einfachen und eines schweren Diebstahls zu 3 Jahren verurteilt; 5 Jahre Polizeiaufsicht.
Siehe auch: Rechtswesen II (Essay)
Siehe auch: Franz Wahrmann (Menschenfresser)
Quellen: Entnommen dem „Verzeichnis der im Departement des Kgl. Appellations-Gerichts zu Münster zu Zuchthausstrafen verurtheilten Personen“ in der „Beilage zu Amtsblättern der Königlichen Regierung zu Münster 1852-1870“. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie. – Anfrage beim Landesarchiv Münster 2017.