Herrlichkeit Lembeck (Essay)

Als Herrschaftsgebiet und Verwaltungseinheit war sie „herrlich“

Von Wolf Stegemann – Die Bezeichnung Herrlichkeit hat sich aus der Zeit der alten Hofesverfassung erhalten. Sie bedeutete eine Art von untergeordneter Gerichtsbarkeit, die von dem Besitz eines Haupthofes (hier des Hofes Lembeck) ausgeübt und vom Landesherrn verliehen wurde. In der ältesten Zeit gehörte das Territorium der späteren Herrlichkeit zum Gau auf dem Braem, einer Grafschaft, deren Gerichtsbarkeit in Borken lag. Ab 1152 stand die adelige Familie von Lohn (Loen) dieser Grafschaft vor. Nach dem Tode des Letzten dieses Hauses überließ der Haupterbe, Otto von Ahaus, die gesamte Herrschaft Lohn dem Bischof zu Münster als Landesherrn. Unter dieser Oberherrschaft ist die Herrlichkeit bis 1803 verblieben (siehe Rechtswesen).

Karte der Herrlichkeit Lembeck

Herrlichkeit mit den Gemeinden Holsterhausen, Hervest, Erle, Lembeck, Wulfen, Alschermebeck, Rhade

Von der Unterherrlichkeit zur Herrlichkeit

Die Herren von Lembeck, die zunächst als Besitzer des Haupthofes bei der Beratung der Hofes- und Markensachen der umliegenden Bezirke nur den Vorsitz hatten, verstanden es, im 14. und 15. Jahrhundert vom Bischof zu Münster zunächst eine Unterherrlichkeit am Lehen zu erhalten und dann ihre Rechte mehr und mehr zu erweitern. So entstand allmählich die Herrlichkeit Lembeck. Zum Territorium gehörten damals das Kirchspiel Lembeck mit dem Rittergut gleichen Namens mit der Bauerschaft und den Bauerschaften Wessendorf, Strock, Beck, Lasthausen und Endeln; das Kirchspiel Wulfen mit der Bauerschaft und den Bauerschaften Dimke, Deuten und Sölten; das Kirchspiel Hervest mit der Bauerschaft und den Bauerschaften Orthöve und Wenge; das Kirchspiel Altschermbeck mit der Bauerschaft und die Bauerschaften Üfte, Rüste und Emmelkamp; das Kirchspiel Erle mit der Bauerschaft und den Bauerschaften Westrich und Östrich; das Kirchspiel Rhade; das Kirchspiel Holsterhausen mit dem Rittergut Hagenbeck und den Landgütern Hohenkamp und Pliesterbeck.

Auch die Herrlichkeit war ein paar Jahre lang französisch

Herrlichkeitswappen; Foto: Christian Gruber

Herrlichkeitswappen; Foto: Christian Gruber

Gemeinden im heutigen Sinn gab es nicht. Den Bauerschaften standen Bauernrichter vor, später Vorsteher genannt. Diese hatten bei Wegearbeiten und anderen Arbeiten die Aufsicht zu führen, Markenfrevel anzuzeigen und ähnliche niedrige Dienste des Gerichts zu verrichten. Ferner verwalteten sie das Vermögen der Bauerschaften. Durch den Reichsdeputations-Hauptschluss von 1803 kam das Amt Ahaus, zu dem die Herrlichkeit gehörte, an den Fürsten zu Salm-Salm, unter deren Regierung die Herrlichkeit eine einzige Gemeinde bildete, in die die Bauerschaften eingegliedert waren. Die Verwaltung war im Schloss Lembeck untergebracht. 1810 fiel das Fürstentum Salm-Salm an das französische Kaiserreich. Durch ein Dekret Napoléons kam die Herrlichkeit 1811 an das Lippe-Departement. Heute ist die Herrlichkeit nur noch ein historischer Begriff.

Besitz und Machtverhältnisse der Herrlichkeit Lembeck

Waren das Vest Recklinghausen und die Stadt Dorsten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts stets im Besitz des Erzbischofs von Köln, so gehörte die angrenzende Herrlichkeit Lembeck dem Fürstbischof von Münster. 1017 ist der Ort Lembeck anlässlich der Schenkung eines Gutes durch Heinrich II. zum ersten Mal genannt. Mit Adolf von Lembeck wird ein Mitglied des Geschlechts der Herren von Lembeck erwähnt, die als Ministeriale dem Bischof von Münster dienten. Ihre Machtposition konnten sie entscheidend ausbauen, als es ihnen gelang, die Gerichtsbarkeit in der Herrlichkeit an sich zu bringen. Im 13. und 14. Jahrhundert erreichten sie gegenüber dem Bischof von Münster eine weitgehende unabhängige Stellung, was ihr Ansehen steigerte, mussten sich aber auf Druck der Bischöfe 1390 wieder der Landeshoheit des Bischofs unterwerfen.

Schloss Lembeck von der Gartenseite

Lembecker Schlossherren waren Besitzer der Herrlichkeit

Die Herrlichkeits-Besitzer erfuhren auch Machteinbußen, die ihren Grund vor allem in Erbteilungen hatten. Den Herren von Lembeck verblieb die Niedere Gerichtsbarkeit in den Kirchspielen Altschermbeck, Erle, Hervest, Holsterhausen, Lembeck, Rhade und Wulfen. Lippramsdorf und Raesfeld wurde ihnen entzogen. Die Gerichtsrechte wurden aber auch noch anderweitig beeinträchtigt. Zum einen spielte die Konkurrenz des Freigerichts der Freigrafschaft Heiden bis ins 16. Jahrhundert hinein eine große Rolle. Diese war im Besitz der Herren von Heyden, denen im 15. und 16. Jahrhundert auch Haus Hagenbeck bei Holsterhausen gehörte. Die Freigrafschaft war ein Lehen der Grafen von Ravensberg bzw. ihrer Rechtsnachfolger, der Kurfürsten von Brandenburg und späteren Könige von Preußen. Viele Streitfälle entstanden auch dadurch, dass erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Grenze zwischen dem Herzogtum Kleve und dem Fürstentum Münster genau festgelegt wurde. So wohnten zum Beispiel auf münsterschem Gebiet zahlreiche „klevische Freie“ und Xantener Eigenhörige, die sich weigerten, sich der Lembecker Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Hauptgegner der Herren von Lembeck in Auseinandersetzungen sonstiger Besitzrechte war die Stadt Dorsten.

Lembeck wurde kalvinisch – aber nur vorübergehend

Im Jahr 1526 starb das Geschlecht derer von Lembeck aus. Lembeck fiel durch Heirat an die vestische Familie von Westerholt, die dadurch in Lembeck eine Nebenlinie begründete. Der erste dieses Geschlechts, Bernhard I., kämpfte 1534 mit dem Bischof von Münster und Osnabrück gegen die aufständischen Wiedertäufer in Münster. Sein Sohn Bernhard II. vermehrte den Reichtum der Familie. In der Reformationszeit schloss sich die Familie der Lehre Calvins an und verschaffte ihr auch in den dem Lembecker Patronat unterstehenden Pfarreien vorübergehend Zuspruch. Matthias von Westerholt nahm 1604 unter dem Adel des Stiftes einen besonderen Platz ein. Er wurde ausersehen, im Spanisch-Niederländischen Krieg mit den Führern des „statischen Kriegsvolks“ (Niederländer) zu verhandeln und um Schonung des Stifts zu bitten. 1621 wurde auf Schloss Lembeck wieder der katholische Gottesdienst eingeführt. Der neue Besitzer von Lembeck, Obrist Bernhardt Hackfurth von Westerholt-Lembeck, besaß – wie sein Vorgänger – großes Ansehen. Kaiser Ferdinand II. erhob ihn 1633 in den Reichsfreiherrenstand. Nach dem Dreißigjährigen Krieg folgten für die Herrlichkeit ruhigere Zeiten.

Oberförsterei Natteforth

Haus Natteforth, Sitz des Herrlichkeitsrichters

1702 kamen Lembeck und die Herrlichkeit durch Heirat der Erbtochter des letzten Westerholters auf Lembeck in den Besitz der Familie von Merveldt-Westerwinkel. Für seine Verdienste wurde 1726 Dietrich von Merveldt in den Reichsgrafenstand erhoben. 1796 machte August Ferdinand von sich reden, der als Deputierter der Vestischen Ritterschaft an der Versammlung der Kriegsstände in Hildesheim teilnahm. Mit der Säkularisation im Jahre 1803 wurden die in Anholt regierenden Fürsten zu Salm-Salm und Salm-Kyrburg die neuen Landesherren bis zur Eingliederung des Fürstentums Salm-Salm im Jahre 1810 in das Kaiserreich Frankreich; 1811 kam Lembeck zum französischen Lippe-Departement. 1812 erhielten die sieben Herrlichkeitsdörfer politische Selbstständigkeit. Lembeck, Wulfen und Hervest wurden zur Mairie Lembeck vereinigt; Rhade, Erle, Altschermbeck und Holsterhausen zu einer Mairie Altschermbeck. Nach dem Befreiungskrieg unterstand Lembeck den Preußen. Die Herrlichkeit musste sich 1815 dem neu gebildeten Land- und Stadtgericht Haltern unterordnen. 1816 kam die Herrlichkeit bei der neuen Kreiseinteilung an den Kreis Recklinghausen. Bei der Aufteilung des Halterner Gerichts im Jahre 1831 teilte man die Herrlichkeit dem Bereich Dorsten zu, wo sie bis heute verblieb.

Herrlichkeitsrichter mit Sitz in Haus Natteforth

Gerichtsherr der Herrlichkeit Lembeck war der Schlossherr, der zuletzt dieses Amt an den so genannten Herrlichkeitsrichter delegierte. Der letzte Herrlichkeitsrichter Joseph Hermann Reischel (1758 bis 1819) übernahm das Amt im Jahre 1800. Als 1811 auch die Herrlichkeit französisch wurde, wurde Reischel erster Bürgermeister der „Mairie de Lembeck“ im „Departement de la Lippe“. 1811 musste er den Huldigungseid aller Familienväter seines Bezirks auf Napoléon entgegennehmen (siehe Eide). Reischel blieb auch in preußischer Zeit Bürgermeister und Richter. Er starb 1819.

Herrlichkeitsbrunnen an der Kirche in Lembeck; Foto: Christian Gruber

Herrlichkeitsbrunnen an der Kirche in Lembeck; Foto: Christian Gruber

Herrlichkeitsbrunnen mit Findlingsgruppe

1984 errichtete der Heimatverein Lembeck und der Kolpingverein mit Unterstützung der Bevölkerung in der Nähe der Lembecker Kirche den „Herrlichkeitsbrunnen“. Das Wasser sprudelt aus einer Gruppe von Findlingen über die aus hellen Kieseln gelegten Umrisse der Herrlichkeit. Die Grenzen der einzelnen Gemeinden sind mit Picksteinen gelegt. Das bronzene Wappen der Herrlichkeit und der Schriftzug „Herrlichkeit Lembeck“ weisen auf den Sinn des Brunnens hin, die Herrlichkeit darzustellen.

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone