Wolf 1826 erlegt

Schützen erlegten den aus dem Dämmerwald geflüchteten Rüden in Lembeck

Bis 1945 war das Wolfsnetz (re im Bild) von 1928 in der Georgskirche in Schermbeck zu sehen (Archiv Scheffler)

Von Helmut Scheffler. – Vereinzelte Meldungen über Sichtungen von Wölfen in den rechtsrheinischen Teilen der Kreise Wesel und Kleve wurden noch vor wenigen Jahren belächelt. Doch als seit dem Jahre 2018 nachgewiesene Wolfsrisse von Nutztieren gehäuft im Raum Schermbeck und Hünxe auftraten, die Weseler Jägerin Sabine Baschke im Jahre 2018 eine Wölfin in Hünxe fotografierte und im Oktober 2018 das NRW-Umweltministerium die Region um Schermbeck zum ersten Wolfsgebiet in Nordrhein-Westfalen erklärte und mit Wirkung vom 20. Dezember 2018 um eine Pufferzone auf insgesamt 2805 Quadratkilometer erweiterte, wurde formal bestätigt, dass sich in diesem Raum eine Wölfin angesiedelt hatte. Wenn auch die ältesten Schermbecker in ihrem Leben nie einen Wolf in der freien Natur des niederrheinisch-westfälischen Grenzraumes zu Gesicht bekamen, so bedeutet das nicht, dass es niemals zuvor in dieser Region Wölfe gab. Ein Blick in die heimatkundliche Literatur beweist, dass bereits vor mehr als 200 Jahren Wölfe als ungeliebte Raubtiere in der niederrheinisch-westfälischen Region ansässig waren und  in Zeiten ohne den seit 1992 gewährten europäischen Schutz als „der gefürchtetste von allen vierbeinigen Raubgesindel“ von den Menschen gejagt wurde.

Bauerngericht wurde in Gahlen wegen einer Wolfjagd verschoben

Aus den Protokollen des Gahlener Bauerngerichts ist bekannt, dass im Jahre 1767 die geplante Versammlung auf den 9. Juni verschoben werden musste, weil am geplanten Termin eine Wolfsjagd stattfand. „Der ,Nimmersatt’ konnte großen Schaden anrichten“, berichtete Walter Neuse (1881-1960) im 1959 erschienenen Heimatkalender des Kreises Dinslaken 1960 über die „Wolfsjagd mit Netz und Lappen“. Der dreiseitige Aufsatz erinnert daran, dass im Jahre 1649 auf Spellekens Hof in Voerde-Holthausen zwei Pferde durch den Wolf gerissen wurden und dass 1728 auf der Gemeindewiese des Dorfes Mehrum „von 7 Wölfen 23 Stück Vieh zerrissen“ wurden. Am 12. Juli 1734 teilte der Schermbecker Richter Schürmann mit, dass „ein Wolf vor wenigen Tagen 2 Rinder und einen Ochsen gerissen hat“. Am 22. September 1748 meldete Schürmann: „Seit 14 Tagen sind 3 Wölfe im Dämmerwald. Auf 3 Höfen in Drevenack ist je eine Kuh gerissen. Haus Winkel (an der Lippe, oberhalb Wesel) hat in der vorgestrigen Nacht durch den Wolf 3 Kühe verloren.“  Nach einer Nachricht aus Bislich vom 30. August 1748 sind dort wenige Wochen vorher sieben Kälber gebissen und gefressen worden. – Die Abbildung zeigt den Stahlstich Wolfsjagd von Wuster, 1860.

Jäger hatte Wölfin mit sechs Jungen angetroffen und fünf davon erwischt

„Sein Lager hatte der Wolf in den großen Waldungen von Hiesfeld, Hünxe, Gartrop, im Weseler und Dämmerwald, im Reichswald, und zwar an solchen Stellen, die durch nassen, sumpfigen Untergrund schwer zugänglich waren“,  schilderte Walter Neuse die Lebensweise der Wölfe. Gerne hätten sie sich auch auf den Warden am Rhein aufgehalten, „jenen durch Anschwemmung entstandenen und mit dichten Weidengestrüpp bestandenen Inseln und Halbinseln“.  1757 habe der Förster Friedrich Stegemann im Hiesfelder Wald eine alte Wölfin mit sechs Jungen angetroffen und fünf Junge erwischt. 1781 wurde ein Wolfsnest bei Werrich gefunden; drei junge Wölfe konnten dabei gefangen werden.

Kirchenglocken läuteten, wenn es zur Wolfsjagd ging

Wenn in einem Ort ein Wolf gesehen oder vermutet wurde, ordneten die zuständigen Behörden zeitnah eine Jagd an. Vielerorts wurde durch Glockenschläge zur Jagd aufgefordert, in Hünxe durch das Rühren einer Wolfstrommel, in Hiesfeld durch den Bauernmeister und in Spellen durch einen Schöffen. Walter Neuse berichtet von einer Anordnung aus dem Jahre 1536, nach der jeder Untertan verpflichtet gewesen sei, dem Aufruf zur Wolfsjagd Folge zu leisten. Im Heimatkalender 1957 des Kreises Rees berichtet der Flürener Heinrich Krusdick von einer „vollständigen Liste der Eingesessenen aus den Gemeinden Drevenack, Weselerwald, Damm, Dämmerwald und Bricht, die bei einer Wolfsjagd dienstverpflichtet waren“.  Von den insgesamt 243 verpflichteten Personen kamen 95 aus Drevenack, 27 aus Weselerwald, 73 aus Damm, 17 aus Dämmerwald und 31 aus Bricht. – Zeichnung um 1810.

300 Männer wurden im Dämmer Wald zur Jagd auf einen Wolf aufgerufen

Über eine große Wolfsjagd im Jahre 1826 gibt es umfangreiche Aufzeichnungen. Am 22. September 1826 teilte der Gahlener Bürgermeister Schmidt dem Schermbecker Amtsbürgermeister Maaßen mit:

„Es hat sich gestern in dem Hünxer Wald ein Wolf sehen lassen, der von den Gartropschen Jägern angeschossen worden ist. Ich habe zwar heute durch eine allgemeine Jagd auf den Hünxer Wald versucht, dieses Thier habhaft zu werden, ohne daß solches gelungen. Der Wolf wurde zwar gesehen, ging aber durch die Treiber und hat seinen Weg in Richtung des Gartropschen Busches nach der Lippe genommen. Da es leicht möglich ist, daß dieser Wolf zum Daemmer Walde sich begeben, so ermangele ich mich nicht, Euer Wohlgeboren hiervon zu benachrichtigen. Ich bemerke hierbei, wie hier im Walde des Nachts vom 19./20. zwei Rinder von diesem Wolf getötet, auch in der Nacht vom 18./19. in einem Schafstall in Gahlen 6 Schafe gewürgt worden, welches aller Vermuthung zufolge durch diesen Wolf geschehen.“

Maaßen schrieb umgehend an den Landrat des Kreises Rees mit der Bitte, eine Jagd durchführen zu dürfen. Am 26. September 1826 erteilte der Landrat von Bernuth die Genehmigung. Bereits am Tag vorher hatte Maaßen den Brüner Forstinspektor Hölscher angewiesen, mindestens 300 Personen zur Jagd zu entsenden. Zwei Schreiben, die der Flürener Heimatforscher Klaus Bambauer im Diersfordter Schlossarchiv fand, belegen, dass auch der Hamminkelner Bürgermeister Ising und der Geheimrat Christoph Alexander Freiherr von Wylich zu Diersfordt am 25. September 1826 um personelle Unterstützungen bei der Wolfsjagd gebeten wurden. Trotz des großen personellen Aufgebots konnte der Wolf im Dämmerwald am 26. September nicht erlegt werden. Wie aus dem Abschlussbericht des Bürgermeisters Maaßen vom 28. September 1826 hervorgeht, hat der Wolf die Treiberlinie durchbrochen und sich in die Lembecker Waldungen flüchten können, wo er allerdings „von den dortselbst aufgestellten Schützen des nämlichen Tages“ erlegt worden sei. „Es war ein alter Wolfsrüde, der sich infolge des voraufgegangenen strengen Winters in die hiesige Gegend verlaufen hatte“, stellte Hermann-Josef Schwingenheuer in seinem Aufsatz „Der Wolf in der Geschichte unserer Heimat“ fest, der  im Heimatkalender der Herrlichkeit Lembeck 1933 erschien. Es war zugleich der letzte Wolf, den man im Raum Hünxe und Schermbeck in den nächsten 192 Jahren zu sehen bekam. In Westfalen soll, so Schwingenheuer, der letzte Wolf am 19. Januar 1835 in Herbern vom Gastwirt Joseph Hennemann zur Strecke gebracht worden sein. Am unteren Niederrhein soll der letzte Wolf im Jahre 1883 im Klever Wald erlegt worden sein. – Abblidung: Wolfsjagd, Gemälde von A. D. Kivchenko (Postkarte).

Wolfsnetze hingen zur Gottgefälligkeit in Kirchen

An die Jagd mit Wolfsnetzen erinnerten lange zwei Netze in Schermbecker und Hünxer Kirchen (siehe obiges Foto). Im Rahmen der Neugestaltung der Schermbecker Georgskirche wurde 1928 ein 120 Meter langes Wolfsnetz im Hauptschiff aufgehängt. Dieses Netz verbrannte im Zuge eines Bombenangriffs der Alliierten am 23. März 1945. Das 200 Meter lange und 300 Kilogramm schwere Hünxer Wolfsnetz, das aus bleistiftstarken Hanfseilen geflochten war, hing schon im Spritzenhaus und in der Dorfkirche, bevor es im Jahre 2002 in der Eingangshalle des Hünxer Rathauses aufgehängt wurde. – Drei Wolfsangeln im Wappen der bis 1975 selbstständigen Gemeinde Gahlen erinnern an eine Methode des Jagens, die noch im frühen 19. Jahrhundert praktiziert wurde. Die mit Widerhaken versehenen Enden wurden mit Ködern bestückt und an Baumästen befestigt. Sprang der Wolf  hoch, um den Köder zu schnappen, blieb er am Haken hängen, sodass er allmählich verblutete.

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