Remigration (Essay)

Unwort des Jahres 2023 – Forderung nach Zwangsausweisungen

Remigration (auch Rückwanderung oder Rückkehrmigration) bezeichnet den Teil eines Migrationsprozesses, bei dem Menschen nach einer beträchtlichen Zeitspanne in einem anderen Land oder Land oder einer anderen Region in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren. Remigration findet in umgekehrter Richtung zur vorangegangenen Migration statt. Der Begriff findet in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie in der Exilforschung Anwendung – neuerdings auch in der Politik. Remigration wurde von der Neuen Rechten als Kampfbegriff und Euphemismus für Vertreibung und Deportation übernommen. Die Jury der „Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres“ wählte mit Gastjuror Ruprecht Polenz „Remigration“ als „beschönigend für die Forderung nach Zwangsausweisungen und bis hin zu Massendeportationen“ zum „Unwort des Jahres“ 2023. Der Begriff wurde bereits vor der besonderen Medienaufmerksamkeit auf das Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam 2023 vorgeschlagen.

Wenn „Remigration“ Realität würde: In Dorsten wären Tausende in Gefahr

„Asyl-Lüge beenden! Remigration jetzt!“, stand auf einem AfD-Plakat, das Rechtsextremisten Ende des 2023 durch die Straßen von Dresden trugen. Diese Deportations-Fantasien trieben Menschen nach einem Geheim-Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam wochenlang auf die Straße. In Dorsten gab es am 26. Januar 2024 und an weiteren Tagen große Demonstration gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. Ein Blick auf aktuelle Zahlen zeigt: In Dorsten wären Tausende Menschen in Gefahr, die Stadt und das Land verlassen zu müssen.

Wertvolles und weniger wertvolles Leben

In Dorsten leben nach Angaben der Stadtverwaltung zurzeit 6946 Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Sie kommen aus 116 Ländern, am häufigsten aus der Türkei, Syrien, der Ukraine, Polen, Serbien und Rumänien, aus dem Kosovo, dem Irak und aus Afghanistan. Unter den 6946 Personen gibt es 256 Personen, die noch eine andere ausländische Staatsangehörigkeit haben. Eine ausländische Staatsangehörigkeit bedeutet indes nicht automatisch, dass alle Personen auch aus diesem Land zugezogen sind. Es kann sich auch um Männer, Frauen und Kinder handeln, die zwar keine Deutschen, aber in Deutschland geboren sind und bereits ihr ganzes Leben in Deutschland verbringen. Gleichwohl sollten sie alle aus Sicht von Rechtsextremisten wohl nicht in Dorsten und in Deutschland bleiben. Das würde auch für alle Einwohnerinnen und Einwohner gelten, die neben der deutschen eine weitere Staatsbürgerschaft haben.

„Abschiebehemmnisse noch erhöht“

Kritik wird immer wieder an den vergleichsweise wenigen Rückführungen von Menschen in ihrer Herkunftsländer geübt. Die Zahl lag in Dorsten vor Corona in der Regel zwischen 15 und 30 Fällen pro Jahr. „In der Corona-Zeit waren Abschiebungen nur sehr eingeschränkt möglich“, erklärt Stadtsprecher Christoph Winkel. Eine weitaus größere Zahl reise jedoch freiwillig aus. Durch die Ampel-Regierung in Berlin seien „Abschiebehemmnisse noch erhöht“ worden, heißt es aus dem Rathaus, sodass 2022 und 2023 in Summe weniger als zehn Abschiebungen durchgeführt wurden. Winkel: „Die Bundesregierung hat jedoch angekündigt, dass Abschiebehemmnisse wegfallen sollen.“

Remigration in der deutschen Geschichte:
Rückkehr von Juden nach 1945 – Gastarbeiter – UdSSR-Rückkehrer

Die Migrationsgeschichte aus und nach Deutschland war seit dem 19. Jahrhundert immer wieder von signifikanten Rückwanderungsbewegungen gekennzeichnet. Von den deutschen Auswandern in die USA kehrten im 19. Jahrhundert durchschnittlich zehn Prozent zurück; die Remigrationsquote schwankte zwischen 4,7 Prozent (1859) und 49,4 Prozent (1875). Die Entscheidung zur Remigration konnte an der Verschärfung der amerikanischen Einwanderungsgesetze 1875 und 1882 liegen, an einer gescheiterten Integration in die englischsprachige Gesellschaft der USA, oder an wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten wie dem amerikanischen Bürgerkrieg. Von den etwa 600.000 Deutschen und Österreichern, die in der Zeit des Nationalsozialismus ins Exil gegangen waren, kehrte nur ein kleiner Teil zurück. Zwar garantierte ihnen Artikel 116 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit zurückerhielten, die sie bei ihrer Ausbürgerung durch die Nationalsozialisten verloren hatten. Doch namentlich viele dem Holocaust entronnene Juden  – sie machten den Großteil der Exilanten aus – wollten nach 1945 mit Deutschland und den Deutschen, die im NS-Staat geblieben waren, nichts mehr zu tun haben. Bis 1960 kehrten nur 12.000 Juden nach Deutschland zurück. Deutlich größer war die Remigrationsquote bei politisch Verfolgten.

Remigration der Gruppe Ulbricht aus der Sowjetunion in die SBZ

Einigen sozialdemokratischen Remigranten gelang in der Geschichte der Bundesrepublik eine spektakuläre Karriere: Heinz Kühn, Wilhelm Hoegner, Max Brauer, Herbert Weichmann, Ernst Reuter und Willy Brandt wurden Regierungschefs ihrer jeweiligen Bundesländer, Brandt wurde Bundeskanzler. Herbert Wehner und Erich Ollenhauer nahmen führende Positionen in der SPD ein. Prominente kommunistische Remigranten kamen in der Gruppe Ulbricht aus der Sowjetunion in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ), um die Sowjetarmee beim Aufbau neuer Strukturen zu unterstützen.
Prominente Remigranten aus dem Kulturleben waren etwa Anna Seghers, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, BertBrecht, Alfred Döblin, Fritz Kortner, Paul Dessau, Erwin Piscator und Hilde Domin. Andere wie Carl Zuckmayer und Thomas Mann verließen zwar nach 1945 ihr amerikanisches Exil, ließen sich aber in der Schweiz nieder. In einem öffentlichen Briefwechsel mit Walter von Molo und Frank Thiess erklärte Mann, eine kulturelle Betätigung sei nach 1933 in Deutschland unmöglich. Viele Kulturschaffende trafen nach ihrer Rückkehr auf Feindseligkeit der deutschen Mehrheitsbevölkerung. Dies galt insbesondere, wenn sie als Angehörige der Armeen der Siegermächte nach Deutschland zurückkamen, wie es Klaus Mann, Hans Habe oder Alfred Döblin getan hatten. Sowohl in der SBZ als auch in den Westzonen wurde von Remigranten erwartet, die Daheimgebliebenen zu rehabilitieren. Auch unterstellte man ihnen sich im Ausland lediglich „ausgeruht“ zu haben. Viele Remigranten hatten in der unmittelbaren Nachkriegszeit Schwierigkeiten mit der Versorgung mit Alltagsprodukten: Lebensmittelkarten wurden ihnen vorenthalten, da sie naturgemäß keine „Lebensmittel-Kartenstellen-Abmeldung“ ihres früheren Aufenthaltsortes vorweisen konnten.

Remigration der Gastarbeiter in den 1950er und 1960er Jahren

Während des Zweiten Weltkriegs wurden acht Millionen Zwangsarbeiter angeworben oder ins Deutsche Reich verschleppt. Sie kehrten ab 1945 wieder in ihre Heimatländer zurück. Das Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er Jahre führte in der Bundesrepublik zu einem erheblichen Mangel an Arbeitskräften, den man in den Jahren 1955 bis 1968 durch die Anwerbung so genannter Gastarbeiter aus Südeuropa und der Türkei ausglich. Die Anwerbungen wurden bis 1964 auf ein Jahr oder zwei Jahre befristet, so dass ein Großteil der Betroffenen nach Ablauf seiner Beschäftigung in sein Herkunftsland remigrierte. Dies betraf den Großteil der angeworbenen Arbeiter, nämlich 12 von insgesamt 14 Millionen. Viele Jugoslawen und die meisten Türken, die als so genannte Gastarbeiter gekommen waren, blieben aber, unter anderem weil ihnen als Nicht-EU-Bürgern eine erneute Einreise nach ihrer Remigration nicht erlaubt war; auch die politische Instabilität in ihren Herkunftsländern wie namentlich die Jugoslawienkriege ab 1991 senkten die Motivation zur Remigration. Unter der Kanzlerschaft Helmut Kohls stiegen die Zahlen türkischstämmiger Remigranten ab 1982 an, was an der Kürzung des Kindergelds, der Zunahme ausländerfeindlicher Diskurse in der Öffentlichkeit dem Rückkehrhilfegesetz vom 28. November 1983 lag: Bis 1984 erhielten Ausländer, die im Zuge der Anwerbeabkommen in die Bundesrepublik gekommen waren, bei Remigration in ihr Herkunftsland eine Rückkehrprämie von 10.500 D-Mark und ihre bis dahin eingezahlten Sozialversicherungsbeiträge. Die Pläne des neuen Kanzlers gingen noch weiter: Laut einem 2013 bekanntgewordenen Gesprächsprotokoll erläuterte Kohl der britischen Premierministerin Margaret Thatcher am 28. Oktober 1982, es werde „notwendig sein, die Zahl der Türken um 50 Prozent zu reduzieren“, da sie nicht zu assimilieren seien.

Siehe auch: Demonstration (Artikelübersicht)
Siehe auch:
Demonstration 2024 gegen Rechts in Dorsten
Siehe auch: Demonstration 2024 / Schermbeck
Siehe auch: Demonstration 2024 / bundesweit
Siehe auch: Demonstration 2024 / Recklinghausen
Siehe auch: Demonstration 2024 / Marl
Siehe auch: Demonstrationen – 20./21. Januar 2024


Quellen: Wikipedia (Aufruf 2024). – DZ vom 2. und 3. Febr. 2024.

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