Mordfall Bleckmann

Anton Muckel erdrosselte 1907 eine 13-Jährige und wurde enthauptet

Die Leiche des Kindes (Polizeifoto)

Die Leiche des 13-jährigen Mädchens Wilhelmine Bleckmann im Barloer Busch (Polizeifoto aus der Gerichtsakte)

Von Wolf Stegemann. –  Wohl kaum ein in Dorsten begangener Mord dürfte diese öffentliche Aufmerksamkeit und den Widerwillen der Bevölkerung hervorgerufen haben, wie der am 18. Februar 1907 auf einer Waldschneise in der Feldmark. Der 51-jährige Arbeiter Anton Muckel hatte die 13-jährige Schülerin Wilhelmine Bleckmann aus Hervest-Wenge, die und deren Familie er kannte, missbrauchen wollen, sah aber davon ab, erdrosselte das Kind und stahl anschließend aus dem Portemonnaie ein Fünfmarkstück, das die Eltern dem Kind für Einkäufe mitgegeben hatten. In der darauf folgenden Nacht wurde Muckel in der Scheune des Bauernhofs Nachbarschulte in Altendorf-Ulfkotte, wo er als Knecht in Lohn gestanden war, von den Eltern des Kindes gestellt und der Polizei übergeben. In einem Prozess vor dem Schwurgericht in Essen wurde er zum Tode verurteilt. Nachdem die Revision verworfen worden war und der König von Preußen, Wilhelm, das Gnadengesuch zurückgewiesen hatte, wurde dem Verurteilten in den Morgenstunden des 15. November 1907 im Hof des Essener Gerichtsgefängnisses vom Scharfrichter Gröpel aus Magdeburg mit einem Handbeil der Kopf abgeschlagen.

Anton Muckel (Foto) wurde 1856 in Groß-Boslar im Landkreis Jülich geboren, diente als junger Mann beim Infanterie-Regiment 68 und zog irgendwann von Essen-Borbeck nach Dorsten zu. Er war ledig und hatte keine sozialen Bindungen mehr zu seiner Familie. Die Anton MuckelEltern waren bereits tot. Zu seiner Schwester, von der er nicht wusste, wo sie lebte, hatte er keinen Kontakt. Muckel verdingte sich als Arbeiter beim Bauern Nachbarschulte in Altendorf-Ulfkotte. Dort verliebte er sich in die Dienstmagd Korbitza, die von ihm nichts wissen wollte, weil sie ihn „für einen Narren hielt“. Da sie sich durch sein aggressives Verhalten von ihm bedroht fühlte, verlor er seine Arbeitsstelle, bekam seinen noch ausstehenden Lohn von 14 Mark und betrank sich. Da er von früher das Logiswirts-Ehepaar Bleckmann in Hervest-Wenge kannte, ging er dort hin, wo er aufgenommen wurde, und fragte in der nahen Sandgrube nach Arbeit, die ihm in Aussicht gestellt wurde. Er solle am Montag wiederkommen. Doch dazu kam es nicht mehr, denn am Samstag und Sonntag vertrank er in Wirtschaften die 14 Mark und am Montag, den 18. Februar, ermordete er das Kind.

Rekonstruktion der Tat

Nach etlichen Widersprüchen und Lügen des Beschuldigten und aufgrund von Zeugenaussagen rekonstruierte die Essener Staatsanwaltschaft das Geschehen, das hier nur verkürzt dargestellt werden kann. Anton Muckel forderte das Kind, dessen Eltern es mit fünf Mark zu einer Besorgung von der Wenge nach Dorsten geschickt hatten, in der Stadt auf, mit ihm nach Altendorf zu gehen, weil er bei Nachbarschulte noch Kleidersachen abholen wollte. Auf dem Weg dahin erwürgte er das Mädchen in einer vom Weg abbiegenden Schneise eines kleinen Kiefernwäldchens (Barloer Busch), würgte es zuerst mit den Händen bis zur Bewusstlosigkeit und legte ihm dann eine mitgeführte Schnur um den Hals und erdrosselte es. Dann zog er die Leiche unter einen Busch, entnahm dem Portemonnaie das Fünfmarkstück und vertrank das Geld in der Dorstener Wirtschaft Kuhlmann an der Bochumer Straße. In der Dunkelheit ging er zurück nach Altendorf und wollte in der Scheune von Nachbarschulte übernachten, als die Eltern des Mädchens mit anderen Leuten kamen, denn sie wussten, dass Muckel nach Altendorf gehen wollte. Sie fragten ihn nach dem Verbleib des Kindes. Als sich ihr bereits bestehender Verdacht, Anton Muckel könnte das Mädchen entführt oder sogar ermordet haben, verstärkte, brachten sie ihn zur Polizei, die ihn wegen Verdachts der Kindsentführung und der Ermordung des Mädchens, das Muckel abstritt, festhielt.

Rekonstruktion der Hergangs (aus der Gerichtsakte)

Rekonstruktion des Hergangs (aus der Gerichtsakte)

Das Kind blieb vorerst verschwunden. Am 20. Februar suchte die Polizei, unterstützt von 40 Schülern und Lehrern, ohne Erfolg den städtischen Busch (Barloer Busch) ab, während Muckel noch beharrlich leugnete. Erst anderntags, als die Polizei Suchhunde einsetzte, wurde die Leiche des Mädchens in der Nähe des so genannten „steinernen Tisches“ im Barloer Busch gefunden. Das „Dorstener Wochenblatt“ schrieb in der Ausgabe vom 23. Februar 1907 u. a.: „Der Verhaftete hat den Mord eingestanden; er konnte nur mit Mühe vor der Wut des Volkes geschützt werden.“
Nachtrag 2019: Die „Bürgerrunde Feldmark“ (Stadtteilkonferenz) initiierte im November 2019 die Neugestaltung des ehemaligen „Steinernen Tisches“, an dem Tatort der 2009 von Unbekannten zerstört wurde. Unter dem Dach der noch existierenden Schutzhütte soll er in Beton neu aufgebaut werden. Mit 2000 Euro beteiligt sich das Land NRW aus dem Heimatscheck-Förder-Programm für die Herstellung. Hinzu kommen 427 Euro aus dem Bürgerbudget.

Anton Muckel gestand den Mord

Nach dem Geständnis, das Anton Muckel mehrmals änderte, konnte die Staatsanwaltschaft den Tathergang dennoch schnell rekonstruieren. Muckel legte ein umfassendes Geständnis ab und gab zu, dass er das Kind geschlechtlich gebrauchen wollte, es aber dann nicht tat. Er machte keine Angaben, was zur Änderung seines Entschlusses geführt hatte. Die Obduktion der völlig bekleidet aufgefundenen Leiche ergab, dass in der Tat keine geschlechtliche Handlung vorgenommen worden war. Allerdings wurde von den Sachverständigen bei der Hauptverhandlung nicht völlig ausgeschlossen, dass es sich dennoch um eine geschlechtliche Erregungstat gehandelt haben könnte. Wie auch immer: Anton Muckel wurde wegen Raubmordes verurteilt, denn er hatte nach Ansicht der Anklagebehörde dem Mädchen mit vorgefasster Absicht das Fünfmarkstück entwendet.

Ablehnung des Gandengesuchts (l.); ...............................

Ablehnung des Gandengesuchts von 1907 (l.); rechts: Verwerfung der Revision

Todesurteil vor dem Königlichen Schwurgericht

Anton Muckel wurde ins Gerichtsgefängnis nach Essen überstellt. In der Hauptverhandlung des Königlichen Schwurgerichts Essen vom 27./28. Juni 1907 unter Vorsitz von Landgerichtsrat Althoff und mit zwei weiteren Berufsrichtern und zwölf Geschworenen wurde Anton Muckel, der von dem Essener Rechtsanwalt Adolf Kempkes verteidigt wurde, nach Anhörung von 28 Zeugen und vier Sachverständigen zum Tode verurteilt. „Die Frage des Vorsitzenden an die Geschworenen, ob Muckel schuldig sei, beantwortete der Obmann mit ,Ja, mit mehr als 7 Stimmen!’.“ Der Urteilstenor:

„Der Angeklagte ist des Mordes in einheitlichem Zusammentreffen mit Diebstahl schuldig und wird deshalb mit dem Tode bestraft. Auch werden dem Angeklagten die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Angeklagten zur Last.“

Nach Verwerfung der vom Verteidiger Adolf Kempkes eingereichten Revision stellte Muckel ein Gnadengesuch beim preußischen König. Während der Vorsitzende Richter Althoff, der Muckel nach dem Schuldspruch der Geschworenen verurteilt hatte, einem Gnadengesucht positiv gegenüberstand, forderte der Erste Staatsanwalt in Essen, Dr. Eger, der die Anklage vertreten hatte, den preußischen Justizminister in Berlin am 24. August 1907 schriftlich auf: „Ich bitte Eure Excellenz deshalb ehrerbietigst von der Befürwortung einer Begnadigung abzusehen.“ Der König als Gnadenherr schrieb mit eigenhängiger Unterschrift zurück:

„Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc: wollen, nachdem Uns über das rechtskräftige Urtheil des Schwurgerichts in Essen vom 28. Juni 1907, durch das der Arbeiter Anton Muckel aus Dorsten im Kreise Recklinghausen wegen Mordes und zugleich Diebstahls zum Tode verurtheilt und zum Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt ist, Vortrag gehalten worden, von Unserem Begnadigungsrechte keinen Gebrauch machen, sondern der Gerechtigkeit freien Lauf lassen. Gegeben zu Berlin am Schloss, den 6. November 1907, Wilhelm“

Genehmigung, an der HInrichtung Muckels teilzunehmen

Genehmigungskarte Nr. 17, um an der HInrichtung Muckels am 13. November 1907 als Zeuge teilzunehmen

Hinrichtung im Gefängnishof

Wenige Tage danach wurde die Hinrichtung angeordnet. Auf die Vollstreckung des Todesurteils wiesen nach gesetzlicher Vorschrift Plakate hin, die in den Straße angeheftet wurden und die Bevölkerung in großen Lettern auf signalrotem Papier über die bevorstehende Hinrichtung informierten. Als Scharfrichter wurde Meister Carl Gröpler aus Magdeburg vertraglich verpflichtet.

Am 15. November 1907 versammelten sich morgens um 7.30 Uhr im umschlossenen Hof des Essener Gerichtsgefängnisses zwölf geladene Zeugen, um bei der Hinrichtung gegenwärtig zu sein. In ihrem Beisein stellte der Oberstaatsanwalt zunächst die Identität des Verurteilten fest. Dann verlas er nochmals das Urteil des Schwurgerichts und den Erlass des Preußischen Staatsministeriums, der die Vollstreckung anordnete. Hierauf hielt er diesen Erlass zunächst Muckel, dann auch dem Scharfrichter vor. Mit den an Letzteren gerichteten Worten „Nunmehr übergebe ich Ihnen den Arbeiter Anton Muckel. Walten Sie Ihres Amtes” war die Zeremonie beendet und der Scharfrichter schlug dem Dorstener Mörder mit einem zweihändigen Beil den Kopf ab. Dafür erhielt Gröpler von der Justizkasse Essen einen Pauschalbetrag von 500 Mark. In diesem Betrag waren inbegriffen die Gehälter für Gehilfen, Reisekosten und sämtliche zur Hinrichtung notwendigen Geräte. Die „Essener Volkszeitung“ schrieb am 16. November 1907.:

„Gestern Vormittag 7 ½ Uhr nun ist Anton Muckel im Vollzug dieses Urteils in dem umschlossenen Hofe des hiesigen Gerichtsgefängnisses mittels des Beils enthauptet worden. Kaplan Schweitzer hat die ganze Nacht betend mit ihm verbracht und ihm um 6 Uhr die letzte Kommunion gegeben. […] Damit hat eine grausame That seine Sühne gefunden.“

Plan der Aufenthalte Muckels am Tattag (aus den Gerichtsakten)

Plan der Aufenthalte Muckels am Tattag (aus den Gerichtsakten)

Wort-Auszüge aus den Dokumenten der Gerichtsakten

Das Kind wird mehrmals mit unterschiedlichem Vornamen genannt. Richtig hieß das Mädchen Wilhelmine, hatte wahrscheinlich zwei Vornamen.

Erste Vernehmung  Muckels am 19. Februar 1907: Ich bestreite die mir zur Last gelegte Handlung. […] Nach dem Kaffeetrinken am Sonntag entfernte ich mich. Als ich meines Weges daher ging, kam mir das Mädchen, das aus der Stadt etwas holen sollte, nach und bettelte um 10 Pfg. für Naschzeug. Als ich ihm Geld gab, lief es mir bis zur Papierfabrik nach, trotzdem ich es zweimal zur Rückkehr aufgefordert hatte. Über den Verbleib des Mädchens kann ich nichts angeben. Ant. Muckel

Ergebnis der bisherigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: Bericht des Staatsanwalts Steiner vom 21. Februar 1907: Am Samstag, den 19. Februar 1907, nachmittags gegen 4 ½ Uhr schickte die Ehefrau Bleckmann von ihrer nördlich von Dorsten gelegenen Wohnung ihre dreizehnjährige Tochter Emilie mit einem Handwagen und einem Korbe und mit einer ein Fünfmarkstück enthaltenen Geldbörse nach Dorsten, um Einkäufe zu besorgen. In der Stadt traf das Kind den seit einigen Tagen bei Bleckmanns wohnenden Beschuldigten Muckel. Dieser war gegen 4 Uhr nachmittags von Bleckmanns mit der Erklärung fort gegangen, er wolle nach Nachbarschulte, um dort ihm noch zustehenden Dienstlohn zu holen. Gegen ¼ 6 Uhr ist der Beschuldigte mit dem Kinde an einem Hause in Dorsten erschienen und hat dort gefragt, ab das Kind den Handwagen einstellen dürfe. Die Bewohnerin des Hauses gestattete dies. Der Beschuldigte hat mit dem Kind, das den Handkorb mitnahm, die nach Marl – östlich von Dorsten – führende Landstraße eingeschlagen und ist auf den zum Schwanenteich (Papierfabrik) führenden Fußweg abgebogen. Dieser Fußweg geht unmittelbar an dem Teiche entlang. Auf dem teilweise zugefrorenen Teiche und auf dem Fußwege selbst – die Stelle ist auf der Skizze mit einem schwarzen Strich gezeichnet – spielten die Schüler Anton Palmonsky, August Kobudziersky und Robert Kulikowski, Marler Straße 88, 47, 52 in Dorsten.
Diese bekunden folgendes: Der Beschuldigte Muckel – einen dicken Schal um den Kopf gebunden – kam im eiligen Schritt bei uns vorüber. Drei Schritte hinter ihm folgte eilig die Elisabeth Bleckmann, einen Korb in der Hand. Wir hatten den Eindruck, dass die Elisabeth Bleckmann den eiligen Schritt des Muckel nicht mit durchhalten konnte und deshalb hinter ihm war, zur anderen Seite schaute, sah sich, als er etwa 50 Schritt vorüber war, nochmals hastig nach dem Mädchen um und sagte: „Komm, komm.“
Die Beiden verfolgten dann den durch die Ginster- und Eichenstauden weitergehenden Fußweg, an dessen Krümmung sie unseren Augen entschwanden. Nach etwa 20 Minuten oder ½ Stunde – es begann zu dämmern – sahen wir, wie Muckel im eiligen Laufschritt um die Krümmung des Fußweges zurückkam. Am Ausgang der Ginstersträucher ging er wieder im gewöhnlichen Schritt, aber eilig. Er ging wieder bei uns vorüber, ohne ein Wort zu sagen. Den Kopf tief gesenkt und noch mit dem Schal umwickelt. […] Muckel am 20. 2. 07 an den Schwanenteich geführt, gibt an, das Mädchen sei schon in der Stadt ihm nachgelaufen und habe 10 Pfg. von ihm haben wollen. Zu der Stadt sei er dem Kind auf dessen Wunsch behilflich gewesen, den Handkarren unterzustellen. Dann habe er den Weg nach Nachbarschulte eingeschlagen, immer von dem Mädchen verfolgt. Auf dem Fußweg hinter dem Schwanensee beim Beginn der Ginsterschonungen sei das Mädchen auf seine Aufforderung umgekehrt. Er sei gleich darauf zu dem Entschluss gekommen, nicht nach Nachbarschulte zu gehen und sei, da der Fußweg, dem das Kind und er gekommen, sehr schlecht gewesen sei, den zur Chaussee nach Hervest abbiegenden Weg und dann auf der Chaussee auf Dorsten zurückgegangen. An dem mit dem Kreuz auf der Skizze gezeichneten Punkte habe er seinen Entschluss geändert, habe sich entschieden, doch nach Nachbarschulte zu gehen und an der Wegegabelung (mit dem 2. Kreuz bezeichnet) habe er aber nochmals seinen Plan geändert und sei nun endgültig über den Fußweg nach Dorsten zurückgekehrt.

Das Geständnis des Muckel: Dorsten, 23. 2. 07 – Gegenwärtig G. A. Steiner als Beamter der Staatsanwaltschaft. Im Gerichtsgefängnis vernommen, erklärt der Beschuldigte Muckel. Das Kind hat mich bis zu der Fundstelle verfolgt und mich um 10 Pfg. gebeten. Ich wollte nach Nachbarschulte, um mir meine noch dort befindlichen Kleider zu holen. Den Weg, den ich eingeschlagen habe, hielt ich für den nächsten und besten. Zudem sagte auch die Wilhelmine Bleckmann, er sei der nächste Weg. Ich selbst war die Schneise, auf der die Tat geschehen ist, noch nie vorher gegangen. Ich hatte das Kind wiederholt aufgefordert, nach Hause zu gehen, zum letzten Male auf der Tatstelle. Da es auch jetzt nicht zurückging, stieß ich es zu Seite, so dass es auf der Schneise zu Boden fiel. Ich habe ihm dann – kniend oder stehend, ich weiß es nicht mehr – mit einer Hand den Hals zugehalten, wohl eine Minute lang. Da das Kind sich nicht mehr rührte, habe ich ein auf dem Boden liegendes Stück Holz genommen, es mit meinem Taschenmesser in zwei fingerlange Stücke geschnitten, dann habe ich aus meiner Tasche den Strick genommen, den ich seit morgens in der Tasche hatte, habe dem Kind die Schlinge um den Hals gelegt und die beiden Holzstücke in diese eingeschoben. Dann habe ich 1 oder 2 mal die Hölzer umgedreht. Ich habe dann die Leiche 3 bis 4 Schritte zur Seite in die Tannen getragen und den Korb, der auf der Schneise hingefallen war, neben die Leiche gestellt. Hierbei fiel der Korb um und es fiel ein Buch und ein Portemonnaie heraus. Aus diesem nahm ich das darin befindliche Fünfmarkstück heraus und steckte es zu mir. Bis dahin hatte ich an das Geld gar nicht gedacht. Das Kind hatte mir allerdings bei der Papiermühle gesagt, dass es 5 Mark bei sich hatte. – s. g. u. (Unterschrift) Anton Muckel. Muckel erklärte nochmals bestimmt, dass er das Mädchen nicht geschlechtlich gebraucht, auch nicht zu gebrauchen versucht hat. 28. 2. 07

Anklageschrift 9. J 167/07:  Der Arbeiter Anton Muckel aus Dorsten in dieser Sache seit dem 21. Februar 1907 zur Zeit im Gerichtsgefängnis Essen in Untersuchungshaft, geboren am 18. August 1856 in Gr. Buslar, Kreis Jülich, ledig, katholisch, ohne Vermögen, nicht mehr in Militärverhältnis, nicht vorbestraft; wird angeklagt
a) am 18. Februar in Dorsten durch ein und dieselbe Handlung mit Gewalt gegen die Schülerin Wilhelmine Bleckmann dieser ein Fünfmarkstück, eine fremde bewegliche Sache, den Eheleuten Händler Wilhelm Bleckmann gehörend, in der Absicht weggenommen zu haben, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen und indem durch die Emilie Bleckmann verübte Gewalt der Tod derselben verursacht worden ist;
b) vorsätzlich die Schülerin Emilie Bleckmann getötet und die Tötung mit Überlegung ausgeführt zu haben; Verbrechen nach §§ 211, 249, 251, 73 Str. G. B.

Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht Essen: Die Einlassung Muckels in der öffentlichen Sitzung vom 27./28. Juni 1907 lt. Gerichtsprotokoll: […] Der Angeklagte, befragt, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle, erklärte: „Ich bin bei Nachbarschulte bis zum 16. Februar 1907 in Stellung gewesen. Mit der Dienstmagd Korbitza hatte ich ein Liebesverhältnis. Als ich von der Dienstmagd Krule am Aschermittwoch, den 11. Februar 1907 erfuhr, dass mich die Korbitza für einen Narren hielte, habe ich mich aus Ärger am Donnerstag und Freitag betrunken. Ich habe die Korbitza nicht bedroht. Ich wurde von Nachbarschulte am Samstag entlassen und bin darauf zu Bleckmann, wo ich schon früher gewohnt hatte, zugezogen. Bei meiner Entlassung hatte ich noch 14,00 Mark, welche ich am Samstag und Sonntag vertrunken habe. Am Montagmorgen hatte ich noch 0,73 Mark, welche ich noch vor 8 Uhr morgens vertrunken habe.
Ich bin mittags um ½ 2 Uhr nach Bleckmann zurückgekehrt und bin bis ½ 4 Uhr dort geblieben. Ich war nicht betrunken, wohl etwas angetrunken. Um ½ 4 Uhr war ich wieder nüchtern. Ich sagte zu Frau Bleckmann, ich will diese [Kleider] beim Wirt Kuhlmann hinbringen. Ihre Tochter solle sie dort wegholen. Frau Bleckmann sagte, ihre Tochter solle um 5 Uhr die Sachen holen. Ich bin dann zur Sandgrube zu dem Vorarbeiter gegangen, um nach Arbeit zu fragen. Dieser sagte, ich solle Dienstagmorgen wieder kommen. Ich bin dann über den Fußweg, der zur Bahn führt gegangen und wollte über die Eisenbahnbrücke zu Nachbarschulte. Über die Eisenbahnbrücke konnte ich nicht gehen, weil dort Arbeiter waren und mir den Weg verboten. Ich bin darauf über den Fußweg zur Chaussee zurückgegangen.
Auf dem Fußwege begegnete ich Wolters und fragte ihn, ob er Bleckmanns Kind mit einem Wägelchen gesehen habe. Wolters sagte, er hätte es mit dem Wägelchen nicht über die Straße gehen sehen. Ich bin zur Sandgrube gegangen und habe dort wieder einen Mann gesprochen. In diesem Augenblicke kam das Mädchen von Bleckmann an mir vorüber. Ich habe es aber nicht angesprochen, sondern hinter ihm her zur Brücke gegangen. Ich sollte hier Brückengeld bezahlen, erklärte aber, ich wolle bezahlen, wenn ich zurückkomme. Ich hatte kein Geld mehr.
Ich habe nun das Mädchen aufgefordert, mit mir nach Nachbarschulte zu gehen. Wir gingen zusammen über den Ascheweg und den Fußweg an der Papierfabrik vorbei. Kurz vor der Becke stellte ich den Wagen in ein Haus. Von der Papierfabrik gingen wir an dem Teiche vorbei dem Walde zu und im Walde bogen wir von dem Hauptwege in eine Schneise ein. Ich hatte die Absicht, das Mädchen zu gebrauchen. Ich wollte es nicht töten. Es mag sein, dass ich in der Voruntersuchung erklärt habe, ich hätte auch beabsichtigt, das Mädchen zu töten. Ich gebe dies an, dass ich das erklärt habe, weil ich verwirrt war. Einen festen Ablauf habe ich nicht  gehabt.
Den Entschluss, das Kind zu gebrauchen, hatte ich schon auf der Brücke gefasst. Dass das Kind Geld bei sich hatte, hatte ich erst hinter der Brücke erfahren. Ich weiß nicht mehr, ob ich an dem Teiche das Mädchen zur Eile aufgefordert habe. Unterwegs habe ich mehr als dreimal das Mädchen aufgefordert, zurückzugehen. Es wollte aber nicht und sagte, es sei bange. Am Teiche forderte ich es noch mal auf, nach Hause zu gehen und als es dann nicht ging, habe ich ihm mit beiden Händen den Hals zugedrückt. Wie ich hierzu kam, weiß ich nicht.
Nach einer Minute war es schon tot. Wenigstens rührte es sich nicht mehr. Ich habe ihm darauf eine Schnur, wie sie die Maurer gebrauchen, um den Hals gebunden, und 2 Stöckchen von einem Ast  abgeschnitten, diese in die Schlinge gesteckt und mehrere Male herumgedreht. Um die Kurbel habe ich noch eine Schnur gebunden, damit sie nicht auf gingen. Warum ich dies getan habe, weiß ich nicht. Die Leiche habe ich darauf in das Gebüsch getragen. Den Korb habe ich daneben gestellt. Dieser fiel um und ein Portemonnaie und ein Buch fielen heraus. Jetzt dachte ich erst wieder an die 5 Mark. Ich nahm sie aus dem Portemonnaie. Das Buch legte ich wieder in den Korb. Wo ich das Portemonnaie gelassen habe, weiß ich nicht. Als ich die Schlinge um den Hals des Kindes legte, hielt ich es schon für tot. Wie ich dazu gekommen bin, das Kind zu töten, weiß ich nicht.
Ich bin darauf über denselben Weg und die Chaussee nach Dorsten in die Wirtschaft Meistermann gegangen. Habe dort Schnaps gekauft und die 5 Mark [unleserlich]. Ich habe dann für 75 Pfg. eine Leine gekauft, welche ich in der Sandgrube gebrauchen wollte und habe dann in der Wirtschaft Kuhlmann wieder Schnaps geholt. Mit einem Fremden bin ich darauf nach Ulfkotten zu in die Wirtschaft Maas gegangen. Hier habe ich Kaffee getrunken, Butterbrot gegessen und Schnaps getrunken. Nach längerem Aufenthalte bin ich dann zu Nachbarschulte gegangen, um meine letzten Sachen von dort zu holen. Nachbarschulte war bereits zu Bett. Ich habe mich, weil es sehr regnete, in eine Scheune gestellt, wo ich nachher von Bleckmann gefunden wurde. Auf die Frage der Bleckmann, wo ihr Kind sei, habe ich gesagt, das müsste zu Hause sein, ich wisse es nicht. Ich bin von Bleckmann mit noch anderen Personen genommen und dort in das Gefängnis gekommen.

Erster Staatsanwalts an den Justizminister in Berlin vom 24. August 1907 – Gnadensache. […] Dass der Verurteilte die Wilhelmine Bleckmann vorsätzlich getötet hat, ergibt sich aus seinen eigenen Erklärungen, wie auch aus dem objektiven Befunde, wobei es an sich gleichgültig sein dürfte, ob der Tod durch Erwürgen oder das Umlegen der Schnur und somit durch Erdrosselung eingetreten ist. […] Wenn der Verurteilte in der Hauptverhandlung den Vorsatz zu töten in Abrede gestellt hat, so ist dem eine Bedeutung nicht beizumessen. Seine frühere Angabe, dass er den Entschluss zur Tötung gehabt habe, um nicht verraten zu werden, ist Ausschlag gebend. Es versteht sich von selbst, dass er das Kind beseitigen musste, wenn er mit ihm etwas Unsittliches vornahm, da er sonst nach den Umständen des Falles nicht erwarten konnte, frei von schwerer Strafe zu bleiben. Dass es schließlich zu einer unzüchtigen Handlung nicht gekommen ist, ist nicht auffallend, da offenbar die von ihm verübte Gewalttat die geschlechtliche Erregung, unter der er handelte, ausgelöst haben wird. […]
Hinsichtlich des Beweggrundes zur Tat stelle ich mich völlig auf den Standpunkt der Geschworenen und halte mit ihnen einen beabsichtigten Raub nicht für erwiesen. Es ist als sicher anzunehmen, dass er, als er das Kind zuerst verfolgte, noch gar nicht gewusst hat, dass es dieses Geld bei sich führte. Alles spricht vielmehr dafür, dass er lediglich in wollüstiger Absicht die Gewalttat begangen hat.
Höchstens könnte man dahin gelangen, anzunehmen, dass er die Wegnahme des Geldes in seinen Willen mit aufgenommen hat, als er auf dem Weg erfuhr, dass das Kind solches besaß. Aber es war durchaus folgerichtig, dass die Geschworenen mangels Beweises dafür nur die unsittlichen Absichten des Verurteilten bei Begehung des Mordes für erwiesen erachteten und die spätere Wegnahme des Geldes lediglich als Diebstahl qualifizierten. […]

Indem ich in allem Vorstehenden die Auffassungen des Schwurgerichtsvorsitzenden teile, vermag ich mich in der Frage, ob eine Begnadigung am Platze sein möchte, seinem Vorschlag nicht anschließen. Es handelt sich um eine äußerst ruchlose Tat. Wenn mit dem Gerichtsarzt auch anzunehmen ist, dass der Verurteilte dadurch in große Erregung versetzt worden war, dass die Korbitza ihn zurückgewiesen und ihn zum Narren gehalten hatte, und dass er mehrere Tage stark dem Alkohol zugesprochen hatte, so ist doch dieser Zusammenhang ein ziemlich loser und andererseits zu berücksichtigen, dass er bei Ausführung der Tat zweifellos nicht angetrunken war. Seine bisherige Unbescholtenheit kann bei der Schwere der Tat nicht in Betracht kommen. Selbst wenn aber Zweifel hinsichtlich des Beweggrundes gegeben wären, und es sich vielleicht doch um einen Raub- und nicht um einen Lustmord handeln könnte, würde die Verurteilung hinsichtlich einer etwaigen Begnadigung deshalb nicht eine andere werden. Ich kann schließlich auch dem Vorsitzenden nicht darin beistimmen, dass vielleicht doch Zweifel an der überlegten Ausführung aufkommen könnten.
Es handelt sich also darum, eine überaus völlig erwiesene Tat zu sühnen, für die der Verurteilte keinerlei Begnadigungsgründe für sich in Anspruch nehmen kann, und die selbst an dieser an Bluttaten gewöhnten Bevölkerung eine hochgradige Erregung hervorgerufen hat. Diese Sühne würde meines Erachtens nur durch die ungeänderte Vollstreckung des Urteils geboten werden. Der Kostenpunkt gibt zu einem Antrage keinen Anlass. Ich bitte Eure Excellenz deshalb ehrerbietigst von der Befürwortung einer Begnadigung abzusehen.

Meldung der erfolgten Hinrichtung: Nach Ablehnung des Gnadengesuches durch den preußischen König wurde die Hinrichtung Anton Muckels vorbereitet und wenige Tage nach Eingang der Ablehnung vollstreckt. Der Erste Staatsanwalt in Essen unterrichtete am Tag der Hinrichtung den Justizminister in Berlin und den Oberstaatsanwalt in Hamm:
Wie ich Eurer Hochwohlgeboren – und hiermit übereinstimmend mit dem Herrn Justizminister – heute telegrafisch gemeldet habe, ist die Vollstreckung des Todesurteils ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Als ich gestern Abend 6 ½ Uhr dem Verurteilten den Allerhöchsten Erlass vom 6. d. Mts. verkündete, war er ruhig und gefasst und ließ keine Erregung erkennen. Muckel hatte keine näheren Angehörigen, welche von der bevorstehenden Hinrichtung zu benachrichtigen gewesen wären. Seine Eltern sind tot. Eine Schwester ist seit Jahren außer Verbindung mit ihm. Er wusste selbst nicht, ob sie noch lebt und wo sie sich eventuell aufhalten könnte. Andere Geschwister hatte er nicht. Auch heute bei der Vollstreckung verriet Muckel keine Aufregung. Ohne jeden Widerstand ließ er sich von den Gehilfen des Scharfrichters zu dem Richtblock führen und auf denselben niederlegen.
Der Hinrichtungsakt vollzog sich überall rasch. Von dem Zeitpunkte der Vorführung des Verurteilten bis zur Meldung des Scharfrichters, dass das Urteil vollstreckt sei, waren nur 2 Minuten und 20 Sekunden verlaufen, von der Übergabe an den Scharfrichter bis zu dessen Meldung nur 20 Sekunden. Der Scharfrichter Gröpler entledigte sich seines Auftrages mit großer Ruhe und Sicherheit. Sein Benehmen ist würdig und frei von jeder Effekthascherei. Die bevorstehende Hinrichtung war in weiten Kreisen jedenfalls nicht bekannt geworden.
Die in der Nähe des Gefängnisses in den Straßen postierten Polizeibeamten hatten keinen Anlass in Aktion zu treten. Zu Ansammlungen kam es überhaupt nicht. In den Gärten der Nachbargrundstücke waren Polizeibeamte aufgestellt, um Eindringlinge, die wie in früheren Fällen die Mauern von dort hätten erklimmen können, zu verscheuchen. Es hat sich aber niemand dort eingefunden. Außer den der Gemeinde nach § 486 Str. P. O. zur Verfügung gestellten 12 Karten sind solche nur an  einzelne Beamte und einem Arzt ausgegeben. Das Verhalten der Anwesenden war, wie schon in dem Protokoll hervorgehoben ist, ernst und würdig und der Situation angemessen. Die Beerdingung ist der Polizeiverwaltung übergeben worden […]

Carl Gröpler – der Henker mit der Axt: Carl Gröpler (1868 bis 1946) war preußischer Scharfrichter von 1906 bis 1937 und nahm Hinrichtungen in Preußen und anderen deutschen Staaten vor. Er galt als prominentester preußischer Scharfrichter, war zunächst Musiker, dann Postarbeiter, erlernte den Beruf des Pferdemetzgers und betrieb in Magdeburg eine Wäscherei. Gröpler war von kräftiger Gestalt mit rötlichem Schnurrbart und militärischem Haarschnitt.
In Deutschland war Carl Gröpler der letzte Scharfrichter, der Enthauptungen noch mit dem Richtblock und Handbeil durchführte. 1925 köpfte er in Hannover den Serienmörder Fritz Haarmann mit dem Fallbeil. Am Ende der Weimarer Republik hatte Gröpler nur noch wenige Hinrichtungsaufträge. Das änderte sich mit der zunehmenden Zahl von Hinrichtungen seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Gröpler soll dabei übereifrig gewesen sein und an der Richtstätte allzu häufig den Hitlergruß entboten haben, bevor er den Verurteilten den Kopf abschlug. 1936 wurde im Deutschen Reich als Enthauptungswerkzeug per Erlass die Guillotine als verbindlich eingeführt. Jedoch wurden noch bis 1942 Hinrichtungen mit dem Handbeil als „Notvollstreckungslösung“ durchgeführt. Carl Gröpler werden in seiner etwa 30-jährigen Dienstzeit rund 130 Hinrichtungen zugerechnet. 1937 ging er in den Ruhestand. 1945 wurde er vom sowjetischen Militär in Magdeburg festgenommen. Die Festnahme beruhte vermutlich auf der von ihm 1934 in Hamburg mit dem Handbeil an vier Kommunisten vorgenommenen Hinrichtung. Gröpler starb 1946 in Untersuchungshaft.


Quellen: Landesarchiv NW, „Gerichte Rep. 6 Nr. 38-40“. – Dorstener Wochenblatt vom 23. Februar 1907. – „Essener Volkszeitung“ vom 16. November 1907.

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone