Holzfigur der Heiligen von Sr. Paula 1950 geweiht - Entstehungsgeschichte
„Dorsten braucht eine St. Agatha.“ Mit dieser Feststellung fängt ein fünfseitiger handgeschriebener Bericht an, den die Künstlerin und Ursuline Sr. Paula dem Dorstener Pfarrer an St. Agatha, Franz Westhoff, in der Nachkriegszeit gewidmet hat. Die spätere Ordensschwester war dem Pastor zu Dank verpflichtet, denn vor ihrem Klostereintritt im September 1950 wohnte sie seit 1948 im Pastorat und lehrte Kunst im nahen Gymnasium St. Ursula. Da hieß Sr. Paula noch Elisabeth (Tisa) Gräfin von der Schulenburg (1903 – 2001).
„Wer sich mit der Entstehungsgeschichte dieser Agatha-Figur befasst, spürt die bereits im Inneren der Künstlerin erfolgte Hinwendung zum Bekenntnis des katholischen Glaubens und der klösterlichen Einbindung“, erinnert sich der Journalist Wolf Stegemann, der die Künstlerin Sr. Paula 20 Jahre lang journalistisch begleitete. „Sie sagte immer, man weiß nie, ob man noch Zeit hat.“ Und so interpretiert Stegemann auch den Eingangssatz „Dorsten braucht eine Agatha“.
S. Paula fühlte sich in Dorsten lange Zeit als Fremdling
Die 1,30 Meter große Agatha-Figur aus 400 Jahre altem Holz fertigte Sr. Paula in einem Gang des Ursulinenklosters mit den bescheidenen Mitteln innerhalb weniger Tage von Dezember 1949 bis 19. Januar 1950, damit sie rechtzeitig zum katholischen Gedenktag der Heiligen Agatha in der nach der Kriegszerstörung im Wiederaufbau befindlichen Kirche St. Agatha geweiht werden konnte. Beim Lesen der Entstehungsgeschichte spürt der Leser bereits die Hinwendung der Künstlerin zum Bekenntnis des katholischen Glaubens und der klösterlichen Einbindung. Diese vollzog die Künstlerin sieben Monate nach Erstellen der Figur. Sie hatte auch Angst, fühlte sich heimatlos, als Fremde. „Zur Mutter Gottes habe ich gebetet und ihr geschworen, dass ich ganz selbstlos und ganz hingegeben sei, aber wie war es mit der Agatha? Mein heimlicher Wunsch war, mir damit eine Heimat zu erschnitzen. …Während der Arbeit vergaß ich den Wunsch, doch zum Schluss fiel er mir prompt wieder ein.“ Stegemann: „Obwohl konvertiert, fühlte sich Sr. Paula zu der Zeit noch als ein ,Fremdling’ in der Stadt und im Katholizismus. Als evangelisch Erzogene musste sie den Zugang zu den katholischen Heiligen erst finden. In ihrem Bericht an den Pastor sagte sie selbst: ,Hilfe brauche ich. … Konnte ich dann, ich Fremdling, zur Hl. Agatha beten? Ich versuchte es.’“
Die Heilige ist stehend dargestellt und nicht als drastisch Gefolterte
Dann machte sich die Künstlerin Gedanken über diese Heilige, der jungen Märtyrerin aus Sizilien, die durch Kaiser Decius im 3. Jahrhundert wegen ihres Bekenntnisses zu Christus brutal gefoltert, ihre Brüste herausgerissen und sie danach hingerichtet wurde. Sr. Paula hat ihre Agatha nicht als drastisch Gefolterte dargestellt, wie dies in Kirchengemälden aus den vergangenen Jahrhunderten zu sehen ist, sondern als Stehende mit dem Gebäude der Agathakirche in der Hand. Dazu schreibt Sr. Paula: „Wie Christus stehend erschien, so stand auch diese Jungfrau, wie sie ihn (Gott, Anm. Verf.) schaute, so ertrug sie ihr Leiden standhaft.
Weiter befasste sich die Künstlerin während ihrer Bildhauer-Arbeit an ihrer Agatha mit dem Stehen der Heiligen, um die Herrlichkeit Gottes zu sehen. Dazu Sr. Paula: „Aber dann kam die Frage, was geschieht, wenn der Mensch diese Herrlichkeit sieht. Wo sind die Gebete, wo die Worte, die das ausdrücken? In dem Augenblick ist alles ausgelöscht und der Mensch kann nur noch grübeln und anbeten. In ,Großer Gott wir loben dich’ ist das am Schönsten ausgedrückt.“
Sr. Paula brauchte größere Ruhepausen, da ihre Arme durch das Schnitzen und Holzbehauen schmerzten. Die Zeit drängte. Pastor Franz Westhoff meinte zu ihr, sie könne das Werk ja auch ein Jahr später zu Gedenktag der Heiligen fertig stellen. Dazu Sr. Paula: „Sollte das Werk halbfertig im Keller stehen, während man ihr (Agathas, Anm. Verf.) Lob in der Kirche sang?“ Sr. Paula befürchtete, krank zu werden und steigerte ihr Arbeitstempo. „So gelang es mir, noch länger und noch konzentrierter zu arbeiten und ich bat Gott um seine Hilfe.“
Anfangs Kritik am Bildnis der Agatha: Sie sähe nicht heilig genug aus
Nicht allen, die das fast fertige Werk im Keller des Klosters sahen, gefiel es. Es wäre nicht „sakral“ genug. „Ich war verzweifelt“, schrieb Sr. Paula dem Pastor. „Zu einem solchen Geschick – wie diesem jungen Mädchen widerfahren war – gehörte die ganze Lieblichkeit und die triumphierende Blüte der Jugend, so ein Geschick widerfahre nicht einem verdorrten Jüngferlein.“ Am anderen Tag fasste sie wieder Mut. Ein weiter Schrecken überkam die Künstlerin in den letzten Tagen vor der Vollendung, als sie an der Agatha-Figur arbeitete. „Schlaftrunken!“ fiel die Künstlerin mitsamt ihrem Werk „rückwärts um“, konnte aber die Figur zwischen Hobelbank, Schemel und Holzblock noch auffangen. Zweifel stiegen in ihr auf. „Ich war zum Verzicht bereit. Zur Ehre Gottes und als ein Loblied auf ihn hatte ich sie geschaffen… Aber je näher die Figur der Vollendung kam, je mehr und stärker wurden die Wünsche, sie möge doch erst noch eine Weile bestehen, um die Menschen zum Lobe Gottes aufzurufen. Denn er hatte es bewirkt, dass diese Jungfrau zur Märtyrerin und Heiligen wurde. Sie war eine Offenbarung seiner Herrlichkeit.“
Die Agatha-Figur konnte am 5. Februar 1950 geweiht werden. Die Künstlerin ging am 14. September 1950 ins Kloster. Wie gesagt: Ihre Agatha steht heute neben dem Alter, hält die Kirche wie beschützend in ihren Händen, dazu einen Palmzweig als Zeichen der Märtyrerin. – Maria Nienhaus
Quellen:
Handschriftlicher Bericht S. Paula (o. J., Tisa von der Schulenburg-Archiv Stegemann). – Veröffentlicht auch in „Kirche+Leben“, Ausgabe 5. Februar 2017, Münster.