Zweiter Weltkrieg

Im Wehrmachtbericht stand 1945: „Bei Vorstoß ... ging Dorsten verloren!“

US-Amerikaner 1945 am Gemeindedreieck

US-Amerikaner 1945 am Gemeindedreieck

Von Wolf Stegemann – Während beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs in den Gaststätten und auf dem Marktplatz gejubelt wurde, nahmen die Dorstener den Beginn des Zweiten Weltkriegs in gedrückter Stimmung hin. Pfarrer Ludwig Heming schrieb in die Chronik St. Agatha:

„Die letzten Augusttage waren voll unerhörter politischer Spannung, immer dichteres Gewölk zog sich am politischen Horizont zusammen, bis am 1. Sept. früh morgens der Krieg mit Polen begann. Bald folgte die Kriegserklärung Englands und Frankreichs – der 2. Weltkrieg hatte seinen Anfang genommen. Während 1914 bei Kriegsausbruch die Kirchen gefüllt und Beichtstühle und Kommunionbänke umlagert waren, war jetzt derartiges nicht zu bemerken. Wohl fanden sich manche, die zu den Waffen gerufen wurden, ein, um ihre Rechnung mit dem Herrgott in Ordnung zu machen, im Ganzen aber hatte das große politische Geschehen ein schwaches religiöses Echo.“

Rationierung und Bezugsscheine eingeführt

Schon im März 1939 war Dorsten Militärstandort geworden 1940 quartierte sich der Stab des Flagregiments 46 im Franziskanerkloster ein (Scheinwerferbatterie 450 in der Holsterhausener Baldurschule). Noch vor Kriegsausbruch führten die Behörden das Bezugsscheinsystem und die Rationierung von Lebensmitteln ein. Bei Ausbruch des Krieges ordneten sie die Verdunkelung der Wohnungen und Straßen an und verpflichteten die Bevölkerung bei Alarm Luftschutzbunker aufzusuchen und verboten das Hören ausländischer Sender. Dorstener Handwerks- und Industriebetriebe stellten ihre Produktionen auf Kriegswirtschaft um, in Gaststätten, auf Kegelbahnen, in Baracken und in eigens eingerichteten Lagern wurden bis zu 58.000 Kriegsgefangene und rund 8.000 Fremdarbeiter untergebracht, die in den kriegswichtigen Betrieben und vornehmlich in der Landwirtschaft arbeiteten. In der Heeresmunitionsanstalt Wulfen (siehe Muna) wurden Granaten produziert.

Schwere Flakbatterien sollten die Stadt vor Bomben schützen

Flak in Dorsten 1943

Flak in Dorsten 1943

In den ehemaligen Krankenanstalten Maria Lindenhof richtete die Wehrmacht 1940 ein Reservelazarett ein, später auch im Kloster der Ursulinen und an anderen Plätzen. Waren anfangs noch in der „Dorstener Volkszeitung“ die Todesanzeigen gefallener Dorstener veröffentlicht, wurde dies später aus Gründen der Stützung der Kriegsmoral verboten. Um Luftangriffe auf die Hydrieranlage in Scholven, das Kruppwerk in Essen sowie das Munitionsdepot in Wulfen (Muna) und auf die Zeche in Hervest-Dorsten abzuwehren, wurde neben kleineren Flakstellungen ein Ring schwerer Flakbatterien rund um Dorsten in Stellung gebracht: in Ekel ebenso wie im Gleisdreieck Deuten-Wulfen südlich des Munitionsdepots mit insgesamt 24 Großgeschützen. Eine andere Batterie stand in der Gälkenheide in Wulfen und in Ulfkotte eine Batterie mit vier schweren Geschützen und zwei Tieffliegerkanonen. Auf dem Dach des Franziskanerklosters war ein leichter Flakturm aufgebaut und auf dem Dach des Kolpinghauses am Südwall ein Beobachtungsposten mit Leitfunk, ebenso auf der Lippebrücke.

Totalbombardierung der Altstadt am 22. März 1945

Haus Krietemeyer 1943 bombardiert

Haus Krietemeyer 1943 bombardiert

Größere Bombenangriffe erfolgten am 9. und 12. März 1945. Am 22. März zerstörte ein großer Angriff die gesamte Innenstadt. Allein auf dem verhältnismäßig kleinen Grundstück des Franziskanerklosters gingen 146 Bomben nieder, in der gesamten Innenstadt 3.300, in den Feldmarken 600, in Hervest auf dem Zechengelände und am Bahnhof 1.200 und in Holsterhausen 800 (siehe Bombardierung). Die Bomben verursachten über 319 Tote und 110.000 cbm Schutt. Drei Tage nach der Totalbombardierung der Stadt wurden am 25. März 1945 zwei im früheren RAD-Lager in Wulfen festgehaltene und bereits Wochen vorher abgeschossene kanadische und ein britischer Flieger gelyncht. Es handelte sich bei den Piloten um J. M. Jones, R. A. Paul und L. W. Brennan. Der dieser Mordtaten verdächtige SA-Lagerkommandant Ferdinand Assmann entkam zuerst nach Bückeburg und wurde nach Beendigung des Krieges von den Engländern gesucht und festgenommen. Assmann erhängte sich im Gefängnis.

Der Krieg war für Dorsten eine Woche nach der Bombardierung beendet

Am Essener Tor (29. März 1945)

Amerikaner in der Stadt, Essener Tor (29. März 1945)

Für Dorstener war der Krieg mit dem Einmarsch von Verbänden der 8. US-Panzerdivision, die in Dorsten auf Gegenwehr von Resten der 116. Panzerdivision, der 180. und 190. Infanteriedivision stießen, am Gründonnerstag, den 29. März 1945 beendet, was im offiziellen Wehrmachtsbericht in Berlin mit dem lapidaren Satz erwähnt wurde: „Bei Vorstoß nach Osten ging Dorsten verloren.“ Über den Einmarsch der Amerikaner ins Dorf Hervest gibt die Chronik der Paulus-Schule authentisch Auskunft:

„Am Mittag des 28. März (1945) rückten amerikanische Panzertruppen von Norden her in unser Dorf ein. Am nördlichen Dorfeingang kam es zu einem kurzen Gefecht mit deutschen Grenadieren. Letztere mussten aber dem [mit] Material vielfach überlegenen Gegner das Feld räumen. Vor der Schule schoss ein deutscher Grenadier mit einer Panzerfaust einen feindlichen Panzer an, aber der feindliche Angriff war nicht aufzuhalten. Die Amerikaner verloren hier drei Tote und mehrere Verwundete. Die Schule erhielt bei dem kurzen Feuergefecht einige Treffer durch feindliche Maschinengewehrkugeln. Nur einige Dachziegel wurden zerschlagen, sonst entstand kein Schaden. Die Amerikaner erkannten die Schule als Krankenhaus an, sie änderten an der ganzen Einrichtung nichts. Amerikanische Ärzte kamen fast täglich und sahen nach den Kranken und Verletzten. Bis auch deutsche Ärzte von Hervest-Dorsten und Dorsten die Straße wieder ungehindert passieren konnten.“

Uhr des in Dorsten 1989 ausgegrabenen Piloten

Uhr des in Dorsten 1989 ausgegrabenen Piloten

Der Zweite Weltkrieg kostete über 2.000 Dorstener Soldaten (heutiges Stadtgebiet einschließlich Erle und Altschermbeck) das Leben bzw. sie waren vermisst. Während des Krieges wurden die Dorstener Juden in die Todeslager deportiert. Aus der Altstadt (ohne Holsterhausen und Hervest) fielen 355 Dorstener als Soldaten, 194 galten als vermisst und 319 Dorstener fielen den Bomben zum Opfer. Im Amtsbezirk Hervest-Dorsten waren bei Kriegsende 840 Wehrmachtsangehörige vermisst gemeldet, davon 590 aus Dorsten (einschließlich Herrlichkeitsdörfer), 67 in Wulfen, 58 in Lembeck, 53 in Rhade, 37 in Altschermbeck und 35 in Erle.

Kriegsspuren noch heute sichtbar

Immer wieder wird die Bevölkerung dann an den Weltkrieg erinnert, wenn eine in der Erde gefundene Bombe entschärft werden muss und die Menschen ihre Wohnungen rund um den Fundort stundenlang verlassen müssen 1989 wurde an der L 608 in Hervest ein ganzes Flugzeug (ME 109) mit den sterblichen Überresten des Piloten aus dem Boden geholt, das in den letzten Tagen des Krieges abgeschossen wurde.


Quellen/Literatur:
Willi Muss „Der große Kessel. Eine Dokumentation über das Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen Lippe und Ruhr, Sieg und Lenne“, Lippstadt 1984. – Wolf Stegemann „Dorsten unterm Hakenkreuz“, Bd. 3, Dorsten 1985. – Ludger Tees „Jugend im Krieg. Von Luftwaffenhelfern und Soldaten 1939-1945“, Essen 1989. – Werner Andrejewski in „Holsterhausener Geschichten“, Bd. 3, 2006. – Wolf Stegemann „Holsterhausen unterm Hakenkreuz“, Band 1 (2007) und Band 2 (2009).

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