Kleihues-Ladenpassage II

Markthalle: Gelobte künstlerische Architektur versus Zweckmäßigkeit

Markthalle Barkenberg, an einem Nachmittag im Februar 2015; Foto: Wolf Stegemann

Markthalle Barkenberg, an einem Nachmittag im Februar 2015; Foto: Wolf Stegemann

Mittelpunkt der Neuen Stadt Wulfen (Barkenberg) ist der Markt mit Gesamtschule, Gemeinschaftshaus, Rundbau und Ladenpassage, Wassertreppe und See, der wegen seiner architektonisch und künstlerisch hoch stehenden Ästhetik internationales Aufsehen erregte. Dazu gehört auch die Markt- bzw. Ladenpassage („Kathedrale des Konsums“) des weltweit angesehenen Berliner Architekten Josef Paul Kleihues, deren Prototyp um 1900 in Paris entstanden ist. Die lang gestreckte Beton- und Glas-Passage mit den Ladengeschäften im Untergeschoss und den Wohnungen im Obergeschoss ist so platziert, dass sie vom Kern der Neuen Stadt Wulfen zum Ortskern Altwulfen weist. Dazwischen allerdings liegen wegen der Einschränkung des Gesamtbaukonzepts unbebaute Wiesen, Felder und Äcker, so dass die Passage bis heute ins Leere führt. Das weist schon auf die Mängel hin, die diese architektonisch höchst wertvolle und praktisch weitgehend funktionsunfähige Ladenpassage bis heute hat. Neben Dauer-Leerständen hat sie sich zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt, wegen des nicht funktionierenden Konzepts ist sie ein Zankapfel zwischen Stadtrat, den Eigentümern und den wenigen oft wechselnden Ladeninhabern geblieben. Alle Bemühungen, die gescheiterte Ladenpassage durch neue Konzepte zu beleben, blieben bislang erfolglos.

Hohe Betontreppenschluchten – für viele Bewohner eine Zumutung

Ladenpassage heute trostlos; Foto: Christian Gruber

Ladenpassage trostlos; Foto: Christian Gruber

Ohne Zweifel ist die Einkaufspassage Wulfener Markt ein kunstvolles Gebilde, das mit kühlem, ästhetischem Architektur-Flügelschlag bundesweit in der Fachwelt Furore machte, doch sie ist auch ein künstliches Gebilde, das menschlicher Kommunikation und notwendigem urbanen Wohlbefinden feindlich im Wege steht. Auch wenn der Erbauer zu den meist angesehenen Architekten in Deutschland gehörte, ist doch sein Wulfener Werk keine „rationale Poesie“, wie er es selbst verstanden wissen wollte, eher ein tägliches Martyrium für die Bewohner. Für diejenigen, die in dieser „Poesie“ wohnten und wohnen, war das Erreichen ihrer Wohnungen durch offene, graue, enge und hohe Betontreppenschluchten ein „täglicher Horror-Trip“. Der Aufenthalt in der Ladenpassage brachte Geschäftsinhabern und Kunden vor allem auch ein gesundheitliches Erkältungsproblem – in welcher Jahreszeit auch immer. Denn es zog „wie Hechtsuppe“ und die auf den Ruhebänken in der Ladenzeile liegen gebliebenen Zeitungen flogen wirbelnd durch die Luft, auch wenn es draußen fast windstill war und die Sonne schien. Der Architekt verbot jegliche Änderung an seinem „Flügelschlag der Poesie“, damit Einbauten seine Kunst-Architektur nicht verfälschten. Daher wurden zeitweise Segeltücher in der langen Ladenzeile gespannt, die dem Wind Einhalt geben sollten. Die Segel standen zwar immer voll gebläht im Wind, das Problem blieb. Die vielen toten Nischen der Betonarchitektur, als pompös geplant, wurden als Abfallecken benutzt und für anderes, nach dem es dort roch. Diese Fehlplanung kostete dem Investor viel Geld. Schon bald musste der Quadratmeterpreis von 24 DM auf neun gesenkt werden. An der ganzen Situation hat sich bis heute – bis auf die umfassenden Leerstände – wesentlich nichts geändert.

Nur noch kleiner Laden übrig

Von den einst vielen Mietern in der riesigen maroden Einkaufszeile war Anfang 2015 nur noch ein kleiner Laden übrig und ein Viertel aller darüber liegenden Wohnungen waren bereits Leerstände. Eigentümer ist die Gebau Fonds GmbH in Düsseldorf. Dort wird durchaus gesehen, dass die Handelsflächen „nicht mehr marktfähig“ sind. Verkaufen lässt sich die Ladenzeile nicht mehr. Gegenüber der WAZ sagte der Prokurist Johannknecht: „Darüber hätten wir vielleicht vor 15 Jahren nachdenken können.“
Da das Land NRW 2016 die Fördertöpfe für Dorsten einschränkte, musste beispielsweise der 2. Stadtumbau Barkenbergs erst einmal verschoben werden. Nicht verschieben wollten Lokalpolitiker Anfang 2015 allerdings nicht eine Lösung der sichtbar desolaten Immobilien Habiflex und Wulfener Markthalle. Im Rat wurde sogar der Vorschlag einer „Enteignung“ laut, vermutlich ohne ernsthafte Abwägung. Zwei Monate später meldete sich für den Wulfener Markt ein Kaufinteressent, der sich beim Insolvenzverwalter des „Medico Fonds 18“ meldete. Bislang hatten überzogene Forderungen der Eigentümer mögliche Kaufinteressenten des „Ladenhüters“ abgeschreckt – wie die Dorstener Tempelmann-Gruppe. Die Dorstener Verwaltung und Politik brachte danach vorsorglich einen neuen Bebauungsplan für den Wulfener Markt auf den Weg, um unerwünschte Entwicklungen auszuschließen. Es soll ein „Mischgebiet mit neuen und von der Größe her deutlich reduzierten Gebäuden“ entstehen (DZ). Allerdings müsse für konkretere Pläne erst einmal das Insolvenzverfahren abgewartet werden. Die Stadt signalisierte dadurch, dass sie sich einen Abriss des Wulfener Marktes wünsche, um Platz für Neubauten für einen neuen Anfang zu schaffen. Im August 2015 zerschlugen sich die Verhandlungen des Insolvenzverwalters RA Georg Kreplin (Düsseldorf) mit dem „ernsthaften“ Kaufinteressenten aus Essen, dessen Angebot den Gläubigern, Banken und der Stadt Dorsten nicht ausreichte.

Insolvenzverwalter: Stadt erschwert die Verkaufsverhandlungen

Gegenüber der „Dorstener Zeitung“ (DZ) erläuterte der vorläufige Rechtsanwalt Georg Kreplin den Stand des Verfahrens von März 2016: Das Insolvenzverfahren ist noch nicht eröffnet, die Investorengespräche dauern an, es gibt drei Interessenten, Verhandlungen sind bislang an den Preisvorstellungen der Gläubiger, darunter vorberechtigt die Stadt, gescheitert. Der Preis der Ladenzeile erhöht sich ständig, weil die aufgelaufenen Grundbesitzabgaben sowie Erbpachtrückstände hinzugerechnet werden müssen. Die Stadt Dorsten zeigt keine Bereitschaft, einem möglichen Investor entgegenzukommen. sondern beharrt auf einen vollständigen Ausgleich ihrer Forderungen. Dazu die Stadt: „Bei langfristigen Leerständen gibt es einen gesetzlich geregelten Anspruch auf teilweisen Grundsteuernachlass.“

Auch 2017 kein Fortschritt am Wulfener Markt

In der leerstehenden Einkaufspassage wird sich so schnell nichts ändern. Der Rat hatte eine Veränderungssperre verhängt. Solange diese nicht aufgehoben wird, darf an dem Gebäude nichts verändert werden. Dorsten wartet immer noch auf Geld von dem ehemaligen Besitzer, der Insolvenz angemeldet hatte. – Im Juni 2017 laufen immer noch Gespräche mit einem möglichen Käufer. Was dieser mit der maroden Passage vorhat, sagt die Stadt nicht, berichtete am 30. Mai 2017 „Radio Vest“. Alle 40 Ladenlokale stehen nach wie vor  leer.

Wohnungen am Wulfener Markt werden zwangsgeräumt

Die rund 40 Wohnungsmieter im Wulfener Markt mussten bis Ende des Monats September ihre Wohnungen verlassen. Sie wurden zwangsgeräumt. Der Mieterverein Dorsten kritisierte die Räumung: Das sei nicht rechtens, sagte ein Sprecher. Inzwischen wurde den Mietern ein Zeitraum bis Ende 2018 eingeräumt.

Ladenhüter sollte im Frühjahr 2019 zwangsversteigert werden

Mitte März 2018 wurde das Insolvenzverfahren zum Wulfener Markt endgültig eröffnet. Insolvent ist der Medico Fonds 18 der Gebau-Gruppe, die Eigentümerin des Wulfener Marktes ist bei dem seit 2015 das bislang vorläufige Insolvenzverfahren anstand. Nun wird die Insolvenz beim Landgericht Essen abgewickelt. Zwischenzeitlich hatte sich die Essener Fakt AG als Kaufinteressent ins Spiel gebracht. Doch die Entwicklungsgesellschaft Wulfen und der Kaufinteressent kamen bislang nicht überein, da das Konzept der Fakt AG, ein modernisiertes Wohn- und Geschäftszentrum am Wulfener Markt zu bauen, nicht den Vorstellungen der Stadt entspricht und mit der benachbarten Einkaufspassage kollidiert. Indes ist das Dorstener Amtsgericht mit dem Zwangsversteigerungsverfahren der Immobilie beschäftigt. Ein Versteigerungstermin wurde für den Oktober 2019 festgelegt.

Investor bot 1 Million Euro – Stadt stoppte vorerst das Verfahren

Pünktlich um 9 Uhr wurde am 25. Oktober 2019 im Saal 105 des Amtsgerichts Dorsten das Zwangsversteigerungsverfahren von einer Rechtspflegerin des Amtsgerichts eröffnet. Fünf Bieter und Vertreter der Stadt und der Hypothekenbanken als Gläubiger waren anwesend. Das gesamte Projekt umfasste: Ehemaliges Wohn- und Geschäftszentrum, errichtet im Rahmen eines Erbbaurechts auf die Dauer von 99 Jahren (seit 1979) mit ursprünglich 21 teilbaren Ladeneinheiten im Erdgeschoss/Zwischengeschoss, 4 Kioske, 5 Büros/Praxen, 120 Wohnungen, 193 Tiefgaragen-Stellplätzen. Baujahr: 1981. Grundstück: 8.776 Quadratmeter, Wohnflächen: ca. 8.396 Quadratmeter, Nutzflächen ohne Tiefgaragen-Stellpätze: ca. 4.775 Quadratmeter.
Nach den üblichen Formalien kam mit 200.000 das erste Angebot, das von einem Bieter aus Heinsberg auf 250.000 Euro erhöht wurde. Der dritte Bieter kam aus Herne und bot 300.000 Euro. Der Kämmerer der Stadt Dorsten bot daraufhin 325.000 Euro. Jetzt erhöhte der erste Bieter auf 350.000 Euro, den sie Stadt mit 375.000 Euro überbot, daraufhin vom Bieter aus Herne ein Angebot von 400.000 Euro und danach der Heinsberger 25.000 Euro drauflegte. Mit jeweils 25.000 Euro überboten sich der Herner und Heinsberger, bis der Bieter aus Herne 999.999 Euro geboten hatte und dann der Heinsberger noch 1 Euro drauflegte. Da kein anderer Bieter mehr bot, sollte der Zuschlag mit 1 Million eigentlich die  „B&M Grundbesitz Gesellschaft Heinsberg“ zugesprochen werden. Doch die Gesellschaft Heinsberg bekam ihn nicht. „Noch nicht“ (DZ). Denn die Stadt als Hauptgläubigerin machte von ihrem Recht Gebrauch und stellt den Antrag, den Zuschlag auszusetzen. Das heißt: Einen Verkündungstermin gibt es erst am 7. November. Wie die „Dorstener Zeitung“ schrieb, sei der Stadtkämmerer mit der ersteigerten Geldsumme „glücklich“, doch die Stadt wolle bei den Investitionen der neuen Eigentümer-Gesellschaft der Wulfener Markthalle mitreden. Würden sie sich nicht einigen, dann hat die Stadt als Hauptgläubigerin „die Möglichkeit, die Einstellung der Zwangsversteigerung zu beantragen, wenn sie sich mit dem Meistbietenden nicht einigen kann“. Ende November 2019 versagte die Rechtspflegerin am Amtsgericht Dorsten auf Antrag der Hauptgläubigerin, der Entwicklungsgesellschaft Wulfen (eine Stadttochter), dem Bieter aus Heinsberg den Zuschlag. Mit Rechtskraft dieses Beschlusses wird das Zwangsversteigerungsverfahren Wulfener Markt einstweilen eingestellt. Es kann aber unter anderen Vorzeichen neu aufgelegt werden. Das kann unter Einhaltung aller gesetzlichen Fristen frühestens Ende des nächsten Jahres geschehen. Als Begründung für die Verweigerung gab die Stadt bzw. Entwicklungsgesellschaft Wulfen die finanzielle Lage und Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bieters an.

Ex-Globus-Center am Wulfener Markt verkauft

Nicht zur Zwangsversteigerungsmasse gehört das seit 2007 leer stehende Globus-Center (zuletzt Toom-Markt) an der Marktallee nebenan. Das Gebäude schmiegt sich unmittelbar an die Ladenpassage Wulfener Markt, sodass leicht der Eindruck entstehen könnte, es gehöre dazu. Das ist aber nicht der Fall.
Eine Aktiengesellschaft aus Berlin hatte diese Immobilie in ihrem Portfolio. Das Objekt wurde verkauft. Eigentümerin des Geschäftslokals mit etwa 4400 Quadratmeter Fläche und der dazugehörigen Tiefgarage am Wulfener Markt war zunächst die REWE-Gruppe, dann ein Luxemburger Immobilienfonds, der dann an die Berliner Finanzgruppe weiterverkaufte, als das Ladenlokal schon leer stand. Die Berliner Aktiengesellschaft hat diese leer stehende Geschäfts-Immobilie aus ihrem Bestand im Dezember 2019 an einen Käufer aus dem Münsterland veräußert. Der Vertrag sei besiegelt worden, hieß es auf Anfrage der „Dorstener Zeitung“. Der neue Eigentümer, ein mittelständisches Unternehmen aus dem Münsterland, hat verschiedene Konzeptideen für die Nutzung des Gebäudes, über die im Jahr 2020 mit der Stadt Dorsten verhandelt wird. Das  Familienunternehmen unterhält verschiedene Geschäftszweige. Einer davon ist die Entwicklung von Geschäftszentren. Losgekoppelt von der Entwicklung des Wulfener Marktes will der Firmeninhaber seine Konzeptideen aber nicht umsetzen.

Weiterhin Ende offen – Stadt führt weiter Verkaufsgespräche

Hohen Unterhaltungswert hatte der Zwangsversteigerungstermin für den Wulfener Markt im Oktober 2019. Leider entpuppte sich der Millionen-Bieter aus Heinsberg bei der Überprüfungen als Windei – die Rechtspflegerin am Amtsgericht versagte auf Antrag der Entwicklungsgesellschaft Wulfen (EW) den Zuschlag. Das Verfahren ruht zurzeit. Unabhängig voneinander bestätigten der Zweitbieter aus der Zwangsversteigerung, die Westfalia Bauservice Herne GmbH, und die Stadt Dorsten auf Anfrage der „Dorstener Zeitung“, dass sie zusammen mit weiteren Beteiligten über den Kauf bzw. Verkauf der Immobilie verhandeln. Der Herner Bieter und Geschäftsführer Winfried Lev hatte im Oktober 999.999 Euro für die Westfalia Bauservice auf den Tisch legen wollen, um den Wulfener Markt zu ersteigern. Bei dem Gebot von einer Million Euro des Heinsberger Bieters stieg er aus. Nun aber hat Lev sein Interesse an dem Immobilienkauf erneuert, indem er am Amtsgericht Dorsten vorbei Kontakt zu der Entwicklungsgesellschaft Wulfen gesucht hat, die der Zeitung bestätigte, dass es Gespräche mit den Gläubigerbanken und dem Zweitbieter gebe. Die Stadt hofft nun, dass „es eine außergerichtliche Einigung geben kann, wie auch immer sie aussehen mag“. Das geht aber nur im Konsens mit allen Beteiligten (Stand: Mitte Februar 2020).

Wahrscheinlich Fortsetzung der Zwangsversteigerung

Der Wulfener Markt ist ein Dauerbrenner. Bislang konnten keine Investoren gefunden werden und offensichtlich wird sich auch keiner finden, der in die Schrottimmobilie investieren wird. Also wird vermutlich das Zwangsversteigerungsverfahren am Amtsgericht Dorsten im Spätsommer 2020 fortgesetzt werden. Hinter den Kulissen haben zwischenzeitlich aber andere Investoren ihr Interesse am Wulfener Markt gezeigt. Eine davon ist die Shonid GmbH Herne. Für sie war zwischenzeitlich Geschäftsführer Winfried Lev als Verhandlungsführer aufgetreten, mittlerweile sei Lev als Verhandlungspartner der Stadt ausgeschieden. Lev war seinerzeit als Zweitbieter im Zwangsversteigerungsverfahren Wulfener Markt aufgetreten und hatte 999.999 Euro geboten. Nach der Sommerpause will die Stadt mit Shonid wieder Verhandlungsgespräche aufnehmen. Das von der Stadt beantragte Zwangsversteigerungsverfahren findet unabhängig davon statt.

Bauruine Wulfener Markt soll abgerissen werden

Kurz vor Jahresende 2020 hatte die Stadt einen Bescheid aus Münster bekommen. Darin wurden der Stadtverwaltung 300.000 Euro zugesichert. Ein willkommenes Geldgeschenk für die Zukunft des Wulfener Marktes, ein Wohn- und Geschäftshaus in Barkenberg. Denn die Stadt hat Pläne mit der Bauruine und den angrenzenden Grundstücken: „Ziel ist der Abriss, um das Gelände neu zu nutzen“, kündigte Stadtbaurat Holger Lohse an. Mit den 300.000 Euro will die Verwaltung zunächst laufende Betriebskosten decken, außerdem müssen die Verkehrssicherungspflichten sichergestellt und bezahlt werden. In einer Sondersitzung des Umwelt- und Planungsausschusses im Februar 2021 werden erste Ideen für ein städtebauliches Nachnutzungskonzept beraten.

3,7 Mio. Euro vom Land, um städtebauliche Notstände zu beseitigen

Die Stadt Dorsten hat im September 2021 einen Förderbescheid über rund 3,7 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm zur Stärkung der Innenstädte und Zentren des Landes Nordrhein-Westfalen bekommen. Ziel der Förderung ist es, eine neue Perspektive für das Zentrum Wulfener Markt zu entwickeln. Mit dem Geld werden der Abriss der leerstehenden Ladenzeile, sowie ein Wettbewerbsverfahren mit Maßnahmen der begleitenden Öffentlichkeitsarbeit finanziert um an diesem Standort eine städtebaulich hochwertige Entwicklung zu gewährleisten. An der Schnittstelle zwischen den Ortsteilen Alt-Wulfen und Wulfen-Barkenberg kann nun ein städtebaulicher Notstand beseitigt und etwas Neues geschaffen werden.

Die Dorstener Grünen lehnen den Totalabriss des Wulfener Marktes ab

Der Umwelt- und Planungsausschuss der Stadt Dorsten hat über die Rahmenplanung und damit auch über den Abriss des Wulfener Marktes entschieden. Eine breite Mehrheit des Ausschusses stimmte für die Variante des Totalabrisses. Die Grünen stimmten dagegen und hätten eine offenere Diskussion über die Zukunft des Wulfener Marktes gewünscht. So sei die Ablehnung in erster Linie den politischen Umständen geschuldet, nicht den inhaltlichen.

2022 entrümpelt und abgerissen – 2026 kann Neubau entstehen

Das Baudezernat der Stadt Dorsten informierte auf der Wulfener Stadtteil-Konferenz Ende Oktober 2021 über die Rahmenplanung des abbruchreifen ehemaligen Wulfener Einkaufszentrums. Nach langen Gerangel steht fest: Es wird 2022 abgerissen. Doch vorher müssen die Wohnungen und Läden leer geräumt werden. . Etliche Wohnung sind noch komplett möbliert. Der Abriss wird erst starten, wenn Schutzmaßnahmen zum Wohl der anderen Anlieger und Passanten am Wulfener Markt stehen. Das ehemalige Toom-Gebäude neben der Ladenpassage wird nicht beseitigt. Es wird von einem Logistikunternehmen genutzt. Im Sommer 2023 soll der Gewinner des Architektenwettbewerbs ausgerufen werden. Das Architekturbüro gibt mit seiner Planung unter Berücksichtigung der Bürgervorschläge den Anstoß zum Bebauungsplan. Dieses Verfahren kann bis zu zwei Jahre dauern. Außerdem müssen noch Investoren gefunden werden, die das Neubauprojekt Wulfener Markt unterstützen. Voraussichtlich könnte dann 2026 der Neubau am Markt beginnen.

Statteilfest zum Abriss der Wulfener Markthalle mit Feuerwerk und Musik

Die Abrissarbeiten für den Wochenmarkt in Wulfen-Barkenberg waren im März 2023 nicht mehr zu übersehen. Auf der linken Flanke arbeiteten sich zwei große Bagger durch den Beton. Stück für Stück verschwand der riesige Bau und mit ihm ein Stück Wulfener bzw. Dorstener missglückter Stadtarchitekturgeschichte. Architekt Hans Schmidt-Domogalla ist nach Abriss des Gebäudes für die Neugestaltung des Wulfener Marktes verantwortlich. Bevor das gut 40 Jahre alte Gebäude komplett dem Erdboden gleich gemacht wurde, organisierte der Förderverein Gemeinschaftshaus/Freizeitbad Wulfen am 6. Mai ein Stadtteilfest zum Abschied des Gebäudes. Ein „Lichterfeuerwerk“ tauchte das Gelände in strahlende Farben, es gab Auftritte von Musikgruppen und Musikern und Musikerinnen der Gesamtschule Wulfen. Außerdem legte DJ Jan Verholt Musik auf und der SuS Grün-Weiß Barkenberg bot Getränke und Speisen an. – Wie die weitere Planung des Grundstücks aussehen wird, legte sich noch niemand fest. Architekt Schmidt-Domogalla: „Erstmal werden wir jahrelang eine Brachfläche vorfinden, sodass der Wulfener Markt an dieser Seite keine Begrenzung mehr hat. Dadurch wird der Ortseindruck leiden.“ (Quelle. Julian Preuß in DZ vom 24. April 2023).

„Sommerschule“ beschäftigte sich 2022 mit Geschichte und Architektur

Ende August 2022 wurde der Wulfener Markt ein letztes Mal vor dem Abriss wiederbelebt: Im Rahmen der einwöchigen „Sommerschule Stimmen und Steine“ machten sich Architektur-Studierende und Schüler/innen der Montessori-Schule Dorsten auf die Suche nach dem materiellen und immateriellen Erbe der leerstehenden Ladenzeile. Das bedeutet Materialien ausbauen, die noch wiederverwendet werden können, und Wulfener Stimmen zu diesem Bauwerk und seiner Geschichte aufzeichnen, reflektieren und bewahren. – Die Sommerschule wird von der Ruhrmoderne e.V., dem Baukreisel e.V. und dem Referat für Stadtverbesserung e.V. veranstaltet.

Sorge um Tauben im Abrissgebäude: Kompromiss gefunden

Die Tauben im Abrissgebäude der Wulfener Markthalle sorgten schon seit Längerem für Diskussionen. Meist galten sie als „Ratten der Lüfte“, werden verbunden mit Dreck und Krankheiten. Sie fallen allerdings unter das Tierschutzgesetz. Ihr Tod darf also durch den Abriss der Wulfener Markthalle nicht in Kauf genommen werden. Die Anwohnerin Tanja Wedmann hatte bereits im September 2022 der Stadt Dorsten ein rücksichtsloses Verhalten gegenüber den Tauben vorgeworfen. Diese hatte vor Beginn der Abrissarbeiten eine Fachfirma beauftragt, um Kot, Kadaver und Nester zu entsorgen. Doch hatte sich nichts geändert. Deshalb hatte sich die Tonja Wedmann im April 2023 an Tierschützer Timo Tasche von der Tierhilfe Ruhrgebiet gewendet. Tasche kümmert sich ehrenamtlich um viele Arten von wilden Tieren und ist in ganz Nordrhein-Westfalen unterwegs. Anfang Mai fand sich ein erster Beitrag zum Wulfener Markt. Darin schrieb er: „Es kann nicht sein, dass dort unkontrolliert die Abrissbirne geschwungen wird und Tiere könnten in größter Gefahr sein. Wir bemühen uns derzeit um einen Ortsbegehungstermin, um die Sache zu sondieren.“ Danach hatte es zwei Begehungen dem Tierschutzverein, die „Taubenfreunde Marl“ und eine Veterinärin gegeben. Es wurden vier Taubennester gefunden. In zwei Nestern auf den Balkonen haben Jungvögel geschlüpft. Diese beiden Nester hätten sich allerdings in Bereichen befunden, in denen aktuell noch nicht gearbeitet wurde. Die „Dorstener Zeitung“ zitierte Stadtsprecher Ludger Böhne: „Es wäre möglich, diese Jungvögel in Obhut zu nehmen. Dies ist allerdings nicht erforderlich, da sie in wenigen Tagen flügge sein werden und selbstständig wegfliegen können.“ Darüber hinaus beschrieb Tierschützer Tasche im Gespräch mit der DZ-Redaktion, was er während der Vor-Ort-Termine gesehen hatte: „Wir haben einige tote Tiere gefunden, aber auch einige Tauben gesichert und Jungtiere mitgenommen.“

Gebäude-Abriss: Regelmäßige Nistplatz-Kontrollen

Die Stadt erklärt, dass keine weiteren Brutplätze gefunden worden seien. „Der Abbruch wird überdies von einem Gutachter begleitet und es besteht ein guter Kontakt zum Tierschutzverein, sodass gegebenenfalls neu errichtete Nester frühzeitig beseitigt werden können. Tasche bestätigt das kooperative Miteinander mit der Stadt. Allerdings sei es sinnvoll, die Gebäudekomplexe abschnittsweise einmal pro Woche zu kontrollieren. Denn noch immer fliegen Tauben durch die offenen Fenster und bauen neue Nester. Deshalb werden die Tierschützer um Timo Tasche und Anwohnerin Tanja Wedmann die Tauben im Wulfener Markt auch weiterhin genau beobachten.

Auf der Großbaustelle Wulfener Markt passiert kaum noch etwas?

Auf der Großbaustelle Wulfener Markt sind die Abbrucharbeiten 2023 gehörig ins Stocken geraten. Auf Anfrage der Dorstener Zeitung bestätigte Christoph Winkel, Pressesprecher der Stadt, dass derzeit auf dem Gelände nur wenig passiert und dass sich der Abbruch verzögern wird. Zudem wird es eine „Winterpause“ geben: „Die Baustelle wird bis zum 21. Dezember betrieben und die Arbeiten werden dann am 8. Januar 2024 wieder aufgenommen.“. Bereits auf der Wulfen-Konferenz Ende November 2023 hatte Dagmar Stobbe vom technischen Dezernat der Stadt bekannt gegeben, dass der ursprüngliche Zeitplan nicht zu halten gewesen sei. Denn die Arbeiten gestalten sich laut Verwaltung völlig anders, „als aus den Planunterlagen im Vorfeld zu erwarten war“.
Christoph Winkel erklärt auch, dass die Stadt das Abbruchkonzept für die Übergänge zwischen Wulfener Markt und ehemaligem Toom-Gebäude sowie zwischen Wulfener Markt und Edeka-Gebäude „wiederholt an die statischen und tatsächlichen Gegebenheiten anpassen“ musste. Wie Dagmar Stobbe auf der Wulfen-Konferenz mitgeteilt hatte, liegen beispielsweise am Übergang zum Ex-Toom verschiedene „Fundamente“ übereinander, was den Rückbau kompliziert mache. Zunächst hatte die Stadt geplant, innerhalb von zwei Wochen den Übergang zu demontieren, daher sei der Autokran auch für diese Zeit geordert worden. „Anschließend war er für eine andere Baumaßnahme verplant, weswegen nunmehr ein neuer Kran erst im nächsten Jahr wieder zur Verfügung steht, um diesen Teil der Arbeiten fortzusetzen“, so Christoph Winkel. Geplant war, den Bauschutt auf der Baustelle zu Recyclingmaterial aufzubereiten. Bevor das Material in die dafür nötige Brechanlage verbracht wurde, sei zunächst das Eisen aus dem Bauschutt herausgebrochen und mit einem Magneten abgesammelt worden. „In der Gebäudesubstanz ist jedoch an nicht sichtbaren Stellen unerwartet viel Edelstahl verarbeitet“, so Christoph Winkel. Dieser Edelstahl sei nicht magnetisch und könne somit nicht maschinell aussortiert werden. „Gelangen diese Edelstahl-Bauteile in die Brechanlage, zerstören sie entweder das Innenleben oder werden mit hoher Geschwindigkeit hinausgeschleudert und führen so zu einer nicht kalkulierbaren Gefährdung der Arbeiter.“ Der Betrieb der Brechanlage vor Ort habe daher eingestellt werden müssen. „Mehrere Unternehmen testen nun Verfahren, mit stationären Brechanlagen auf dem jeweiligen eigenen Betriebsgelände den Bauschutt aufzubereiten und haben dafür probeweise Material abgeholt.“ Von diesen Ergebnissen ist also abhängig, wann es mit dem Recycling des Abbruchmaterials weitergeht.

Siehe auch: Kleihues-Ladenpassage I


Anmerkung: Die hier wiedergegebenen Zitate stammen aus Interviews mit Betroffenen, die am 16. Juli 1983 in den RN erschienen sind: Wolf Stegemann „In den Wohnungen rieselt der Putz von den Gips-Wänden. Wulfener Markt ist für Bewohner ein Martyrium“. – Quellen: „Dorstener Zeitung“ vom 6. Mai, 23. Juni, 19. August 2015; 1. April 2016. – Radio Vest 30. Mai 2017. –  Claudia Engel in DZ vom 28. März 2018, 26. Okt. und 17. Dez. 2019 sowie am 8. JUli 2020.. – Julian Preuß in DZ vom 31. Mai 2023. – DZ vom 21. Dez. 2023.

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