Spaemann, Heinrich

Kaplan an St. Agatha mit Sohn: „Eine Sensation für Dorsten!“

Von Wolf Stegemann – 1903 in Dortmund-Sölde bis 2001 in Überlingen; Priester und Schriftsteller. – Er gilt als erster Seelsorger der Gemeinde St. Johannes, obwohl damals der Kirchbau noch nicht stand. Als Kaplan von St. Agatha hatte er sich um diese Randgemeinde zu kümmern. Bevor Heinrich Spaemann 1942 nach Dorsten kam, war er evangelisch, dann ohne Kirchenzugehörigkeit und zudem verheiratet. Er wuchs in Westfalen auf. In den zwanziger Jahren studierte er Kunstgeschichte in München und Berlin, wo er zusammen mit Ernst Bloch Redaktionsmitglied der „Sozialistischen Monatshefte“ war. Heinrich SpaemannHeinrich Spaemann war mit der Tänzerin und Mary Wigman-Schülerin Ruth Krämer verheiratet. Sohn Robert, der später das Dorstener Gymnasium Petrinum besuchte und ein prominenter Theologe und Religionsphilosoph werden sollte, wurde am 5. Mai 1927 geboren. 1930 trat das Ehepaar in die katholische Kirche ein und ließ ihren Sohn taufen. Im Jahr 1936 starb seine Frau und der Witwer begann ein Studium der Theologie. Im Kriegsjahr 1942 weihte ihn Bischof Clemens August Graf von Galen in Münster zum Priester. Als nach dem Weggang Kaplan Essmanns im Juni 1942 aus Dorsten Spaemann als dessen Nachfolger avisiert wurde, schrieb Propst Westhoff unter dem 6. Juni 1942 zurückhaltend in seine Chronik:

„Für ihn kommt Herr Neupriester Spaemann aus Sölde, ein Konvertit, dessen Frau tot, dessen Sohn hier unser Gymnasium besuchen soll. Eine Sensation für Dorsten! Viele meinen, dass er im kleinen Dorsten unmöglich wäre. Wenn ihn uns der Bischof schickt, einen so augenscheinlich vom Geiste Gottes Geführten, heißen wir ihn herzlich willkommen. Schon in einigen Wochen hat seine bescheidene fromme Art ihm die Herzen der Dorstener gewonnen.“

Im Saal Maas-Timpert eine Notkirche eingerichtet

Cordelia, Heinrich Spaemanns Frau, gestorben 2003

Cordelia, Heinrich Spaemanns Frau

Spaemann blieb bis 1948 als Kaplan in Dorsten. Nach der Zerstörung der Agatha-Kirche bekam er den Auftrag, im Saal Maas-Timpert eine Notkirche einzurichten und dort Gottesdienste zu feiern  Darüber berichtet er in seinem Buch „Unsere Erfahrung mit der Kirche“, erschienen 1991 im Herder-Verlag: „Zu den schönsten und nachhaltigsten Erfahrungen mit und in der Kirche gehört für mich der nach Ende des Krieges beginnende Wiederaufbau einer Gemeinde, deren Gotteshaus mitsamt der Stadt zerstört war.“

In den sechziger Jahren trat er in die Priesterbruderschaft Charles de Foucault ein und ging 1969 als Rektor an das Vianney-Hospital in Überlingen am Bodensee. Er schrieb viele Bücher und äußerte sich zu Problemen von Politik und Kirche. Bekannt geworden ist sein Ausspruch über den „gesunkenen geistigen Grundwasserspiegel“ der katholischen Kirche in Europa nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. – Heinrich Spaemann starb 2001 in Überlingen. Er hinterließ ein Werk von rund 50 Büchern.

Er schrieb über die Zerstörung der Stadt in den letzten Wochen vor Kriegsende

Buchtitel

Buchtitel mit seinen Dorstener Erinnerungen

In seinen Büchern griff Heinrich Spaemann häufig auf seine Erfahrungen in Dorsten zurück, wobei er die Lippestadt allerdings nicht immer beim Namen nannte. Rudolf Plümpe schrieb 1992 in den „Ruhr Nachrichten“: „Seine Betrachtungen sind lokalhistorisch sehr interessant, denn er wirkte in den ereignisreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren.“  Die Zerstörung der Stadt im März 1945 hat Heinrich Spaemann hautnah miterlebt. Er veröffentlicht darüber 1984 in „Christ in der Gegenwart“:

„Ich befand mich in meiner Dienstwohnung. In diesem Haus gab es noch eine Familie mit elf Kindern, die sich geweigert hatte, die Stadt zu verlassen. In der Nähe war ein Bunker für etwa 200 Menschen. Wir gingen in den kleinen Keller unseres Hauses. Um halb drei am Nachmittag kamen die Bomber. Dann der Augenblick, wo wir uns alle auf die Erde warfen. Es wurde auf eine Weile – niemand von uns wusste später wie lange – totenstill. Aber in dieser Stille war kein Tod, sondern etwas wie die mächtige Anwesenheit eines Engels. Uns wurde das Haus über dem Kopf weggefegt. Die Kirche nebenan stürzte ein. Wir in dem kleinen Schlupfwinkel überlebten … alles ringsum brannte!“

Weiser, Mahner und Prophet

Zum Tod des Priesters und Schriftstellers Heinrich Spaemann schrieb Michael Winter im Nachruf unter dem Titel „Weiser, Mahner und Prophet“ (Auszug):

Darüber hinaus mischte er sich auch immer wieder in umstrittene kirchenpolitische Fragen ein sowie in die Diskussion um die zukünftige Gestalt der Kirche. Spaemann plädierte offen für die Weihe von „viri probati“, von bewährten verheirateten Männern zu Priestern – um der Gemeinden willen. „Wenn eine Gemeinde keine verantwortliche Mitte hat in einem Priester, dann werden die Leute auch den Sonntag nicht mehr halten“, unterstrich er gegenüber dem „Konradsblatt“. – „Der Zölibat gewinnt an Wertschätzung in den Gemeinden, wenn es zur gleichen Zeit auch verheiratete Priester gibt.“ […]
Ebenso stellte Heinrich Spaemann das mitunter ängstlich-autoritative Verhalten der Kirchenleitung in Frage, die dadurch suchenden und fragenden Menschen den Zugang zum Glauben schwer mache. Eine Kirche, die ihre geistliche Macht autoritativ und disziplinär durchsetze, erinnere an die äußerste Betonung des Gesetzes in Israel zur Zeit Jesu, schrieb er 1993 in seinem letzten Buch „Was macht die Kirche mit der Macht?“ […] Der Tod Heinrich Sparmanns bedeutet für viele nicht zuletzt den Verlust eines liebevollen und aus der Tiefe der biblischen Texte schöpfenden Ratgebers. Um den runden Tisch in seinem Überlinger Arbeits- und Wohnzimmer sammelten sich in all den Jahren immer wieder Menschen, denen seine Meinung zu Fragen des Glaubens und der Kirche wichtig war – auch Bischöfe. Der frühere Caritaspräsident Georg Hüssler hält ihn für „einen der großen Weisen“ dieses Jahrhunderts. Für die Kirche hierzulande bleibt Heinrich Spaemann auch über den Tod hinaus ein Prophet und unbequemer Mahner.

Werke (Auswahl): „Das Prinzip Liebe“ in mehrere Sprachen übersetzt. – „Was macht die Kirche mit der Macht? Denkanstöße“, Freiburg i. Br. 1993. – „Feuer auf die Erde zu werfen – der Christ als Geistergriffener“, Freiburg i. Br. 1962. – „Wer ist Jesus von Nazareth – für mich? 100 zeitgenössische Zeugnisse“, München 1973. – „Macht und Überwindung des Bösen: ein Beitrag zum Erlösungsverständnis“, Münster 1950.

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone