Schulze Vellinghausen, Prof. Albert

Prominenter Kunstkritiker wohnte auf dem Paulinenhof in Hervest

1905 in Bochum-Werne bis 1967 in Bochum; Kunstsammler, Übersetzer, Buchhändler, Literatur-, Theater- und Kunstkritiker. – Er studierte Rechtswissenschaft, Kunstgeschichte und Archäologie in Freiburg, München, Genf und Köln, gründete 1932 mit Freunden in Köln die „Bücherstube am Dom“, reiste in den 1930er-Jahren mehrmals nach Italien (1933) und in die Schweiz (1933, 1934, 1935, 1939) sowie nach Belgien (1939), wurde 1940 Soldat und lebte nach dem Krieg viele Jahre auf dem elterlichen Paulinenhof in Hervest-Dorsten. Später war der Hof Schulze Vellinghausens Landsitz, den er, der Sohn eines Bergwerksdirektors und einer Gutsbesitzerstochter, zu einem Refugium der Kunst machte. Hier arbeitete er als freier Schriftsteller, Kunst-, Theater- und Literaturkritiker unter dem Namenskürzel ASV für die Zürcher „Tat“, dann für den „Berliner Kurier“, den Düsseldorfer „Mittag“ und als „Kulturkorrespondent“ für die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (ab 1953).

Paulinenhof in Hervest; rechts ...... Schukze Vellinghaus

Von der Familie bewohnter Paulinenhof in Hervest; rechts Albert Schukze Vellinghaus 1957 in Köln

Er schrieb über Tisa von der Schulenburgs Holocaust-Zeichnungen

Bereits in der „Bücherstuben“-Zeit unterstützte er von den Nationalsozialisten ausgegrenzte Künstler durch Ankäufe. Im Nachkriegsdeutschland hat er sich als Sammler und Kritiker in außergewöhnlicher Weise für die kulturelle Entwicklung des Ruhrgebiets eingesetzt. Er begleitete die 1948 in Recklinghausen gegründete Künstlergruppe „junger westen“, zu der Künstler wie Emil Schumacher, H.A.P. Grieshaber, Thomas Grochowiak, Heinrich Siepmann und Fritz Winter gehörten. Er führte Eugène Ionesco und Jean-Paul Sartre in Deutschland ein und setzte sich als Theaterkritiker für das Bochumer Theater und die Ruhrfestspiele in Recklinghausen ein. Sammlung und Kritik waren freilich nicht auf die Region beschränkt: ASV nahm Kontakt zur Gruppe „Cobra“ auf und erwarb Arbeiten von Lucebert und Karen Appel. Er begeisterte sich für Arnulf Rainer und Sam Francis und kaufte Werke von Louis Soutter, Horst Antes und Cy Twombly. 1964 bis 1967 stellte er seine Sammlung in dem von seinen Eltern geerbten Haus Kley in Dortmund aus, einem Ort, den er als Privathaus sowie Raum für Theater, Kunst, Literatur und Musik nutzte. Schulze Vellinghausen und seine Frau pflegten freundschaftliche Beziehungen zu der Dorstener Künstlerin und Nonne Tisa von der Schulenburg (siehe Schulenburg, Gräfin Elisabeth von der), die auch nach seinen Wegzug nach Dortmund-Kley anhielten. Über die Holocaust-Zeichnungen Tisas schrieb er:

„Sr. Paula zeigt ein Hauptkapitel deutscher Geschichte, das nie bewältigt werden wird, wenn man es verdrängt. Kunst muss sich mit solchen Themen befassen, nicht nur Schönheit ins Leben bringen.“

Er widmete sich Eugène Ionesco und machte ihn in Deutschland bekannt

..... Schulze Vellinghausen und Sr. Paula (Tisa von der Schulenburg)

Albert Schulze Vellinghausen und Sr. Paula (Tisa v. d. Schulenburg), 1960er-Jahre

Seit 1944 war er mit der Malerin Marie-Louise von Rogister (1899 bis 1991) verheiratet. Sein Haus wurde zu einem Treffpunkt für Künstler und Kunstinteressierte. Das Land Nordrhein-Westfalen verlieh ihm den Professorentitel 1964 verzog das Ehepaar nach Dortmund-Kley. Er starb 1967 in Bochum. Sein Grab liegt auf dem Dortmunder Ostenfriedhof. „C’était un grand monsieur“, erinnerte sich Eugène Ionesco 1971 an ASV, „er war es, der mich in Deutschland bekannt gemacht hat“. Zwei Jahre vor seinem Tod sagte er über die Dorstener Künstlerin Tisa von der Schulenburg, deren Ausstellung er eröffnete:

„In aller großen, aller wahrhaftigen Kunst, sitzt – auch hinter dem scheinbar Zarten und scheinbar idyllisch Schönen verborgen – das große Entsetzen und der große Warnruf. Kunst ist nicht Komfort und ist nicht Konsum – auch wenn manche Sammler (ich gehöre dazu) Kunst mitunter privat konsumieren. […] Das aufgerufene Leidensschicksal – sei es der Juden, der Neger, der Flüchtenden in Vietnam oder Indien, der Flüchtlinge in aller Welt – dieses Schicksal sperrt sich gegen den Verbrauch. Die Größe aber mancher dieser Blätter liegt in der Unverdaulichkeit. Möge im Duktus, im Temperament, in der Kurve dieser zeichnenden Feder – liebe Schwester Paula – diese Feder eine immer neu suchende Bildhauerin, auch weiterhin vieles unverdaulich bleiben. Denn die Kraft besteht, so heißt es im West-Östlichen Divan, bis zum Mittelpunkt der Erde, dem Boden angebannt. Von daher begrüße ich auch den Schrecken dieser schönen Bilder.“

Campus-Museum mit zeitgenössischer Kunst in Bochum

Die Ruhr-Universität Bochum verdankt Albert Schulze Vellinghausen eine Besonderheit in der deutschen Hochschullandschaft: ein Campus-Museum mit einer international anerkannten Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst. Albert Schulze Vellinghausen legte mit einer großzügigen Schenkung 1967 den Grundstock für diese Kunstsammlungen. Zur Sammlung gehörten Werke von u. a. von Josef Albers, Günter Fruhtrunk, Josef Beuys, Lucio Fontana, Otto Piene, Gunther Ücker, Victor Vasarely, Cy Twombly. Für die Unterbringung der Sammlung in einem eigenen Museum sorgte das Land Nordrhein-Westfalen, das den weiteren Aufbau der Sammlung mit einem jährlichen Ankaufetat unterstützte. Gemäß dem Stifterwunsch von Albert Schulze Vellinghausen wird die Sammlung durch Ausstellungen, Diskussionen, Vorträge und Sammlungspräsentationen aktualisiert und belebt.

Veröffentlichungen (Auswahl): Albert Schulze Vellinghausen, Junge Künstler 1958/59, Köln 1958, S. 30. – „Theaterkritik 1952-1960“. Auswahl und Nachwort von H. Rischbieter. Hannover: Friedrich 1961. – Theater heute 1, 1960, Nr. 2: Pole des modernen Welttheaters. Eine Kontroverse mit Beiträgen von Kenneth Tynan, Eugène Ionesco, A. Schulze Vellinghausen, S. Melchinger und J. Kaiser. – Albert Schulze Vellinghausen, Theaterkritik 1952-60, Hannover (Friedrich Verlag) 1961, ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Henning Rischbieter. – Albert Schulze Vellinghausen, Maria Wimmer, 1962, Text und Bildteil + Schallplatte (Reihe Theater heute Band 3). – Albert Schulze Vellinghausen, Anspielungen, Ausgewählte Reden, Aufsätze, Kritiken zur bildenden Kunst, Literatur, Architektur etc., 1962. – „Anspielungen. Ausgewählte Reden, Aufsätze, Kritiken zur bildenden Kunst, Literatur, Architektur etc.“, hg. von A. Seide. Ebd. 1962. – Egoist 12. Hommage à Albert Schulze Vellinghausen. Mit einer Lithographie von Raimund Girke. F. September 1967, 3. Jg. Heft 2. 11 s/w Abb. 32 Seiten. – Josef Reding: Chronisten des Ruhrgebiets. Albert Schulze Vellinghausen, Helmuth de Haas, Friedhelm Baukloh, in: Ders. Der Mensch im Revier. Köln 1988, S. 120-135. – „Der Blickdenker. Erinnerungen an einen Nonkonformisten“ in Westfalenspiegel 6/2005, Münster.

Nachschlagewerke (Auswahl): Kürschner: Theaterhandbuch 1956 – Kürschner: Nekrolog 1936-1970. – Lipp. Bibliogr., Bd. 2, 1982. – Kosch, 3. Aufl., Bd. 16, 1996 – Deutsches Biografisches Archiv, N.F., Fiche 1197, Sp. 253f.


Quellen:
„Lexikon westfälischer Autoren 1700 bis 1950“. – Wolf Stegemann „Es tut sich was im Westen“, Kunstbeilage in der „Fränkischen Landeszeitung“, August 1971. – Andreas Rossmann „Der Blickdenker. Erinnerungen an einen Nonkonformisten“ in „Westfalenspiegel“ 6/2005.

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone

Dieser Beitrag wurde am veröffentlicht.
Abgelegt unter: , Personen