Gesangskultur seit Jahrzehnten über die Stadtgrenzen hinweg bekannt
Dreizehn sangesfreudige Männer, überwiegend Bergleute der Schachtanlage Fürst Leopold gründeten am 1. August 1948 in der Gaststätte und zukünftigen Vereinslokal ,,Westfalenhof’“ (Scheven) in Hervest-Dorsten den Männergesangsverein 1948 Hervest-Dorsten. Gründungsvorsitzender war Willi Glasner, erster Chorleiter Stephan Zöller. Die Schirmherrschaft übernahm Bergwerksdirektor Dr. Anton Kubuschock. Schon nach einem halben Jahr bestritt der MGV mit 35 Sängern sein erstes Konzert im großen Saal des Vereinslokals vor ausverkauftem Hause. Auf Grund des großen Zuspruch und des Erfolgs hatte es sich der Chor zur Aufgabe gemacht, jedes Jahr ein Konzert zu geben. Später waren mehr.
Im Januar 1951 übernahm August Wortmann, Lehrer an der Augustaschule und Leiter des Schul-Kinderchors, die Chorleitung des MGV und machte ihn über die Grenzen der Gemeinde hinweg bekannt. 1953 wurde Artur Grusdat 1. Vorsitzender und ein Jahr später veranstaltete der MGV im Hedoli-Filmpalast einen „Walter-Rein“-Abend mit dem Vestischen Sinfonieorchester und dem Kinderchor der Augustaschule.
Jahrzehntelang ein anerkannter „Meisterchor“
1957 folgte ein Gast-Konzert unter Teilnahme anderer Chöre in den Schlüssel-Lichtspielen in Dorsten. Bis weit in die 1960er-Jahre hinein waren die beiden Lichtspielhäuser in Hervest-Dorsten und Dorsten jährlicher Austragsort der Konzerte, oft in Zusammenarbeit mit dem Volksbildungswerk Dorsten. 1971 nahm der MGV erstmals am Gruppensingen der Sängergruppe „Hohe Mark“ teil. Im gleichen Jahr löste Erwin Neumann den Chorleiter Artur Wortmann ab, zwei Jahre später wurde Friedrich Linz Chorleiter. 1977 nahm der MGV erstmals an einem Bundesleistungssingen teil, das in Lüdenscheid stattfand. Auf Grund seiner guten Leistungen und späterer Wiederholungen durfte sich der Chor bis 1995 „Meisterchor“ nennen. Ein weiterer Höhepunkt in der Vereinsgeschichte war 1978 die Ausrichtung des 50. Freundschaftssingens der Sängergruppe „Hohe Mark“ anlässlich des 30-jährigen Vereinsjubiläums. 1980 übernahm der Leiter der Dorstener Musikschule, Heinrich Lübbert, die Leitung des Chors, musste das Amt aber wenige Wochen später wegen Krankheit an Wilhelm Schroer abgeben. Helmut Vorschütz wurde 1981 Chorleiter. Mit dem Barbershop-Chor „The Crawley Chordsmen“ aus der britischen Partnerstadt Dorstens bahnte sich ab 1985 eine enge Beziehung an, die mit gegenseitigen Besuchen und Konzerten belebt wurde. 1987 übernahm Hans Fabian den Vorsitz des Vereins, der im gleichen Jahr von Hans-Joachim Schwankl abgelöst wurde. Diesem folgten 2003 Conrad Nagel und wiederum zwei Jahre später Arno Meinke und schließlich Alfons Buddner.
Fritz Greis aus Duisburg wurde 1990 neuer Chorleiter, dem 1994 Wilhelm Schroer und im gleichen Jahr Ludwig Wegesin folgten, 1995 Hans-Herbert Hüwels, 2002 Alfred Schulze-Aulenkamp und 2004 Michael Hartel. – Premiere: Charlotte Sibilitz wurde 2008 als erste Dame im Männergesangsverein für 25-jährige Vereinsmitgliedschaft geehrt.
Konzertreisen nach Polen, Kanada und Frankreich
Jahresausflüge u. a. an die Mosel, nach Kevelaer, an den Niederrhein, nach Mainz und Crawley (England), nach Warschau (Polen), Kanada, Paris und , Berlin, verbunden mit Gast-Konzerten, sorgten ebenso für den geselligen Zusammenhalt des Vereins wie die vielen Konzerte im Zusammenspiel mit anderen Gesangsvereinen und Orchestern. Derzeit singen 49 Männer im MGV 1948 Hervest-Dorsten, der über Jahrzehnte hinweg die Gesangskultur über Dorstens Stadtgrenzen hinweg bekannt machte.
MGV räumte 2022 mit Gerücht um Chorleiter Hartel auf
Wenn die Männer vom MGV 48 Hervest-Dorsten sich zur Chorprobe treffen, dann klang es mitunter nicht immer so, wie es sollte. Inzwischen kam es häufiger vor, dass es mit der Stimmverteilung nicht passte, weil es immer weniger Chorsänger gab. „Da ist dann kein ausgewogener Chorklang mehr da“, so der Ehrenvorsitzende des Vereins, Hans Joachim Schwankl gegenüber der Lokalzeitung. Dem sich haltenden Gerücht, dass Chorleiter Michael Hartel vom Vorstand des MGV freigestellt worden sei, trat Schwankl entschieden entgegen: Hartel sei noch bis Ende des Jahres 2022 vertraglich an den MGV gebunden. Hartel leitet parallel einen weiteren Männerchor in Heiden. Dort sei er laut Schwankl auf den vermeintlichen Rausschmiss in Dorsten angesprochen worden. Aber auch in Dorsten machte das Gerücht die Runde. Vorstand und Chorleiter haben über den Fortbestand des MGV gesprochen. Corona hatte die Sorgen um die Gesundheit bei den meist betagten Sängern verstärkt. Nachwuchs gibt es kaum. „Wir hoffen, dass wir uns noch eine Zeit lang retten können“, so Schwankl in er DZ.
2022 löste sich der Männergesangsverein im 74. Jahr seines Bestehens auf
Der MGV 1948 konnte sich nicht retten. Er löste sich nach 74 Jahren seines Bestehens auf, weil er keine Sänger mehr hatte und offensichtlich vor allem bei den Hervestern das Interesse am MGV Hervest-Dorsten in den letzten Jahren verloren hatte. Bei den Proben fehlten vor allem erste Tenöre. Aber auch insgesamt sah es schlecht aus, so dass ein ausgewogener Chorklang nicht mehr zu erreichen war. Gegenüber der „Dorstener Zeitung“ (DZ) formulierte es der Vereinsvorsitzende Wilhelm Hardt so: „Wir sind nicht mehr singfähig. Deshalb müssen wir aufhören.“ Zuletzt sangen nur noch neun Chormitglieder. Der Verein beschloss am 27. September die Auflösung. Zwei sogenannte Liquidatoren kümmerten sich danach um die Abwicklung. Damit endete still und leise ein Stück Dorstener Chor- und Kulturgeschichte. Die Mitglieder waren zuletzt im Schnitt 77 Jahre alt und Nachwuchs gab es nicht. „Neue Sänger zu finden, ist so gut wie unmöglich“, zitierte der DZ den Ehrenvorsitzender Hans-Joachim Schwankl. „Das haben wir jahrelang probiert.“ Der letzte Auftritt des MGV 1948 war ein Konzert zum 100. Geburtstag für das Ehrenmitglied Charlotte Sibilitz.
„Überleben werden nur die, denen es gelingt, sich neu zu erfinden“
Robert Woitasik kommentierte das Chorsterben in der Lokalzeitung: „Die Chor-Szene befindet sich eigentlich schon seit 20 Jahren im Umbruch. Viele Chöre haben schon lange Probleme, neue Sängerinnen und Sänger zu finden. Überleben werden nur die, denen es auf Dauer gelingt, sich neu zu erfinden. (…) Klassische Männerchöre sind aber noch mal ein spezieller Fall. Tradition steht bei ihnen weit oben. Da wird das Steigerlied gesungen und nicht Lady Gaga. Und Frauen dürfen in aller Regel nicht mitmachen. Dabei gibt es inzwischen auch viele Sopran-Stimmen in der Chorlandschaft, die einer Tenorstimme in nichts nachstehen. Wenn es ohnehin immer weniger singende Männer gibt und diese schon in gemischten Chören fehlen, wird es auf Dauer schwierig, wenn der gesamte Chor nur aus Männern bestehen darf.“