Hürland-Büning, Agnes

Die politische Karriere der CDU-Staatssekretärin begann in Dorsten

Von Wolf Stegemann. – 1926 in Holsterhausen bis 2009 ebenda; Bundespolitikerin. – Im Umfeld des Parteispenden-Skandals der CDU machte die Dorstener Agnes Hürland-Büning geborene Oleynik1999 und 2000 Schlagzeilen, weil die frühere Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verteidigung nach ihrem Ausscheiden als Bundestagsabgeordnete der CDU in dubiose Beraterfunktionen und CDU-Spendenaffären mit mutmaßlichen Schmiergeldzahlungen (Thyssen-Krupp-Konzern, Elf-Aquitaine) beteiligt gewesen sein sollte.

Die Staatssekretärin und ihr Bundeskanzler

Die Staatssekretärin und ihr Bundeskanzler Helmut Kohl

Daher wurde ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, das zwar zu einer Anklage führte, das Verfahren aber aus gesundheitlichen Gründen der Beschuldigten im Jahr vor ihrem Tod auf Dauer eingestellt wurde. Nach ihrer Vernehmung vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Jahre 2000, der klären sollte, ob Regierungsarbeit käuflich war, musste die Lobbyistin falsche Aussagen zurücknehmen und zugeben, dass sie zwei Jahre lang Honorare von Thyssen-Rheinstahltechnik erhielt. Bis dahin war sie noch Mitglied in der Bundeswehr-Zukunftskommission (so genannte Weizsäcker-Kommission) tätig. h-huerland-buening-agnesNach der Volksschule und dem Abschluss der mittleren Reife wurde sie zum Reichsarbeitsdienst eingezogen und später in eine Munitionsfabrik kriegsdienstverpflichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte sie ein Krankenpflegepraktikum und absolvierte eine Ausbildung zur Fürsorgerin an der Westfälischen Wohlfahrtsschule in Münster. 1960 kehrte Agnes Hürland in das Erwerbsleben zurück, das die vierfache Mutter mit Rücksicht auf die Familie lange Jahre zurückgestellt hatte. Bis 1968 arbeitete sie als Chefassistentin in einem Industriebetrieb. Dann war sie 1970 als Fachanwärterin bei der Bundesanstalt für Arbeit tätig. Danach arbeitete sie zwei Jahre lang als Rehabilitationsberaterin. Politisch engagierte sich Agnes Hürland-Büning ab 1964 in der CDU. Kommunalpolitische Erfahrungen sammelte sie von 1969 bis 1975 als Mitglied im Dorstener Stadtrat und in der Amtsvertretung von Dorsten. 1977 wurde sie CDU-Kreisvorsitzende in Recklinghausen und 1979 stellvertretende Landesvorsitzende der CDU in Westfalen-Lippe. Sie war dort auch Mitglied des Landesvorstands der CDU-Frauenvereinigung und der Sozialausschüsse der CDU.

Politische Karriere bis zur Staatssekretärin beim Verteidigungsminister

1972 wurde Agnes Hürland in den Deutschen Bundestag gewählt. Sie arbeitete im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung mit und räumte den Belangen der Behinderten Priorität ein. Nach dem Regierungswechsel im Oktober 1982 wurde sie unter Bundeskanzler Helmut Kohl Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Fraktion. Sie galt in dieser Position als „Fraktions-Mutter“, die stets menschliche Wärme und gestaltende Politik zu vereinen wusste und über die eigene Fraktion hinaus Wertschätzung erfuhr. Bei der Neubildung der schwarz-gelben Bundesregierung im März 1987 nach der Wahl vom Januar 1987 wurde Hürland-Büning Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium. Ihre Ernennung fand auch in den Reihen der sozialdemokratischen Opposition Zustimmung. Auf der Hardthöhe war sie in erster Linie für die soziale Betreuung der Bundeswehrsoldaten verantwortlich und erarbeitete u. a. ein „Pilotprojekt“ für den freiwilligen Eintritt von Frauen in die Bundeswehr. Aus Hürlands Hardthöhe-Zeiten resultiert ihr guter Draht zu Helmut Kohl, der nach Beobachtermeinung stets nur lobende Worte für ihre Tätigkeit in der Politik fand.

Agnes Hürland im Dienst

Agnes Hürland im Dienst auf einer Fregatte der Bundesmarine

Großes Bundesverdienstkreuz und Olga-Orden der orthodoxen Kirche

Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl vom 2. Dezember 1990 verzichtete Agnes Hürland-Büning aus Altersgründen auf eine erneute Kandidatur und schied mit Ablauf der Legislaturperiode aus dem Bonner Parlament aus. Im Juni 1992 wurde Agnes Hürland-Büning zur Vorsitzenden des 15-köpfigen unabhängigen Personalgutachterausschusses gewählt, der auf Vorschlag der Hardthöhe darüber zu entscheiden hatte, welche Soldaten der früheren Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) endgültig in den Dienst der Bundeswehr übernommen werden konnten. Für Ihre Verdienste wurden der Politikerin u. a. das Große Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik und 1991 der Olga-Orden der russisch-orthodoxen Kirche verliehen.

Mit Finanz-Affären in die Schlagzeilen und zur Anklageschrift gelangt

Agnes Hürland 1979 zwischen Bayerns Ministerpräsident Strauß und Bürgermeister Lampen

1979 zwischen F. J.  Strauß und Bürgermeister Lampen

In die Schlagzeilen geriet Agnes Hürland-Büning im Spätherbst 1999 im Zusammenhang mit der CDU-Spendenaffäre um schwarze Konten und illegale Geldtransfers, die sich im Verlauf der wochenlangen Enthüllungen immer mehr zu einer Affäre Kohl und seines „Systems“ ausweitete. Presseberichten vom Januar 2000 zufolge musste Hürland-Büning wegen ihrer Verwicklung in die Affäre um den Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie an den französischen Mineralölkonzern Elf-Aquitaine ihre Arbeit in der von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping 1999 eingesetzten Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ ruhen lassen. Zudem wurde bekannt, dass sie 1992 Beraterhonorare in Millionenhöhe vom Rüstungskonzern Thyssen-Krupp erhielt, die an das Leuna-Geschäft gekoppelt waren, und sie einen Beratervertrag bei der Liechtensteiner Firma Delta International Establishment hatte, die dem Lobbyisten und Geschäftsmann Dieter Holzer gehörte. Hürlands Name fand sich auch mehrmals im Terminkalender des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber, der neben Holzer als Schlüsselfigur in diesem Skandal galt.
Nach Aufnahme staatsanwaltlicher Ermittlungen erhob die Staatsanwaltschaft Düsseldorf im Dezember 2003 neben anderen auch Anklage gegen Agnes Hürland-Büning wegen Betrugs, Falschaussage und Steuerhinterziehung in Zusammenhang mit ihrer Beratungstätigkeit für den Thyssen-Konzern. Im August 2008 wurde das Verfahren gegen die schwer erkrankte 82-Jährigen wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit endgültig eingestellt. – Agnes Hürland-Büning starb nach langer Krankheit am 9. März 2009 in Holsterhausen. Sie war in zweiter Ehe verheiratet und Mutter von vier Kindern.

Insolvenzverfahren über den Nachlass

Über den Nachlass der verstorbenen Staatssekretärin wurde 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet. Bei der Stadt Dorsten hatte Agnes Hürland-Büning rund 200.000 Euro Gewerbesteuer-Schulden, die sie durch Abzahlung von monatlich 1.000 Euro bis auf rund 170.000 Euro reduzieren konnte. Die Stadt hielt ihre „Rest“-Forderung von rund 170.000 Euro im Insolvenzverfahren (ohne Erfolg) aufrecht. Schon 2002 waren die Gewerbesteuerschulden Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen in der Stadt. Die CDU im Rat stimmte damals mit ihrer absoluten Mehrheit für ein Stillhalteabkommen mit der Schuldnerin und erhoffte sich dadurch wenigsten die monatlichen 1.000 Euro Tilgung. SPD und Grüne waren dagegen, die FDP hatte sich enthalten (siehe „Hürland-Ausfahrt“ an der A 31).

Der Skandal, über den die Medien schrieben

„Der Spiegel“ berichtete am 26. Juni 2000 unter der Überschrift „Thyssen-Affäre – Untreue und Betrug“:

Neuer Ärger für Agnes Hürland-Büning: Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die ehemalige Verteidigungsstaatssekretärin wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Untreue und zur Steuerhinterziehung. Hürland-Büning kam in die Schlagzeilen, weil sie bis Mitte der neunziger Jahre vom Thyssen-Konzern insgesamt 8,5 Millionen Mark Beraterhonorar erhalten hatte. Davon flossen rund drei Millionen Mark zurück an den ehemaligen Thyssen-Manager Herbert Ernst Gatzen. Vergangene Woche durchsuchten die Staatsanwälte die Wohnungen der Politikerin und des Managers sowie Abteilungen der Thyssen Rheinstahltechnik. Der Verdacht bei Gatzen lautet auf Steuerhinterziehung, Untreue und Betrug. […] Bei dem Verkauf von 36 ,Fuchs’-Panzerfahrzeugen nach Saudi-Arabien 1991 hatte das Unternehmen fast 50 Prozent des Auftragswertes als Provisionen an dortige Geschäftspartner geltend gemacht, um sie als Betriebsausgabe abzusetzen. […] Bei dem Geschäft mit einem Volumen von insgesamt 440 Millionen Mark flossen 220 Millionen Mark an Provisionen. Staatsanwaltliche Ermittlungen wegen angeblicher Schmiergeldzahlungen beim Panzerdeal gegen den Lobbyisten Karlheinz Schreiber lösten im Herbst vorigen Jahres die CDU-Parteispenden-Affäre aus.

Das „Focus“-Magazin 12/2000 titelte „Rätselhafte Millionen“ und schrieb:

„8,5 Millionen Mark ,Honorare’ kassierte die Ex-Staatssekretärin Agnes Hürland-Büning 1992/93 von deutschen Firmen, an denen Thyssen beteiligt war – darunter Thyssen Europarc und E-Plus. Wofür das Geld gezahlt wurde, bleibt unklar. Drei Millionen davon reichte die Politpensionärin an die Firma Delta International (Liechtenstein/ Monaco) des Leuna-Lobbyisten Dieter Holzer weiter. 570 000 Mark überwies der Leuna-Käufer elf Aquitaine 1992/93 der engen Vertrauten von Altkanzler Helmut Kohl. Zahlungsgrund laut elf-Unterlagen: ,Beobachtung Ostdeutschlands’.“

Die Print- und Funkmedien titelten ihre Berichte und Kommentare über Agnes-Hürland u. a. so (Auswahl):

„Leuna-Beraterin Hürland kassierte auch von Elf“ (Berliner Zeitung, 5. Januar 2000). – „Millionen für Mutter Agnes“ (Spiegel, 17. Januar 2000). – „Die frühere Staatssekretärin auf der Hardthöhe, Agnes Hürland-Büning, hat kräftig mitkassiert“ (Der Tagesspiegel, 23. Januar 2000). – „Elf Aquitaine schmierte deutsche Politiker – Hans Friderichs und Agnes Hürland-Büning genannt“ (Le Monde, Paris, 28. Januar 2000). – „Lobbyarbeit: Noch mehr Geld für Hürland-Büning“ (Spiegel, 29. April 2000). – „Hürland-Bünings halbe Wahrheit“ (Welt, 12 Mai 2000). – „Agnes Hürland-Büning – Tante Skrupellos“ (Junge Freiheit, 12. Mai 2000). – „Von Mutter Courage zu Oma Raffzahn – Die Karriere einer Staatssekretärin“ (NDR, 18. Mai 2000). –„Verdacht der Falschaussage – CDU-Politikerin erneut vor Spendenausschuss“ (Rheinische Post, 13. September 2000). – „Vergessen und Verdrängen. Wahrheitssuche der CDU im Spendendumpf“ (ARD-Magazin panorama, 14. September 2000). – „Leuna-Affäre: Agnes’ Erzählungen. Die ehemalige Staatssekretärin und Thyssen-Lobbyistin Hürland-Büning verstrickt sich in Widersprüche“ (Focus-Magazin 12/2000). – „Agnes Hürland-Büning strich Millionen als Rüstungs-Lobbyistin ein und wurde als Frau Raffzahn bekannt“ (Bild am Sonntag, 12. August 2001). – „Betrug und Falschaussage: Anklage gegen Kohls Staatssekretärin erhoben (Spiegel, 16. Dezember 2003). – „Kohls Verteidigungsstaatssekretärin wegen Betrugs angeklagt“ (Süddeutsche Zeitung, 16. Dezember 2003). – „Altere Dame mit Vergangenheit“ (Manager-Magazin, 17. Dezember 2003). – „Anklage gegen Hürland-Büning, Holzer und Glazen. Besonders schwerer Fall“ (FAZ, 17. Dezember 2003). – „Raffzahn Agnes vs. Ekel Alfred“ (taz, 8. September 2004). – „Gnade vor Recht“ (Dorstener Zeitung, 22. Juni 2007; gemeint ist die vorläufige Einstellung des Strafprozesses aus gesundheitlichen Gründen).


Siehe auch:
Politiker (Artikelübersicht)


Nachtrag und Quellen: Die Staatssekretärin a. D. Agnes Hürland hat ihre Memoiren geschrieben. Sie sind noch nicht veröffentlicht, doch sie werden es. So mancher Politiker wird sie dann mit Interesse lesen. – Munzinger-Archiv. – Gespräche Wolf Stegemann mit Agnes Hürland in den Jahren von 2007 bis 2009. – Weitere Quellen im Text angegeben. – Ludger Böhne „Nächste Ausfahrt Hürland“ in der WAZ vom 29. Februar 2012. – Gespräch Wolf Stegemann mit Stadtdirektor Dr. Zahn 2002 und mit Agnes Hürland-Büning 2007.

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