Wiemann, Heinz

Ex-Schulleiter in Dorsten-Holsterhausen, Buchautor in Schlangen

Heinz Wiemann; Foto: Wolf Stegemann

Heinz Wiemann; Foto: Wolf Stegemann

Von Wolf Stegemann – Geboren 1938 in Schlangen, gestorben 2016 in Dorsten. – Kennt jemand Schlangen? Ja, könnte die Antwort heißen: Würge- und Giftschlangen, Ottern, Vipern, Nattern. Doch um die geht es hier nicht, sondern um eine Gemeinde zwischen Teutoburger Wald und Senne, wobei man überlegen muss, wie die dort wohnenden oder von dort herstammenden Bürger genannt werden: Schlangeneraner oder Schlangeraner oder nur Schlangener? Nichts von dem ist richtig. Sie nennen sich Schlänger! Einer von ihnen, der dort 1938 geboren wurde, musste dies selbst erst herausfinden, als er begann, sich für die Ortsgeschichte zu interessieren. Das war vor 60 Jahren. Aber was hat das mit Dorsten zu tun?

Schulleiter an der Wilhelmschule und an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule

In Holsterhausen kennen ihn viele. Denn Generationen von Schülern haben von ihm in Holsterhausen  „Rüstzeug fürs Leben“ mitbekommen, wenn sie ab den 1960er-Jahren die Wilhelmschule oder später die Dietrich-Bonhoeffer-Schule im Pliesterbecker Schulzentrum besuchten. Heinz Wiemann, Lehrer, Konrektor und schließlich Rektor, gehörte zu den prägenden Kräften des Schulbetriebs. Lehrer zu sein, gefiel ihm all die Jahrzehnte nicht nur, er hatte auch große Freude am Beruf, den er 36 Jahre lang ausübte. Auf die zwangsläufige Frage, wie es denn damals im Vergleich zu heute mit der Disziplin der Schüler bestellt war, zuckt er lächelnd mit den Schultern und meint „Disziplin spielte eine große Rolle, zumal die Klassenstärken zeitweise an die 50 Schüler herangingen.“

Heinz Wiemanns Projekte machen in Schlangen fette Schlagzeilen

Heinz Wiemann-Schlagzeilen in Schlangen

Heinz Wiemann-Schlagzeilen in Schlangen

Der Dorstener Lehrer Heinz Wiemann machte Schlagzeilen. Sogar fette. Nicht in Dorsten als Lehrer, sondern im Lipperland als aktiver Geschichtsvermittler. Das Wort Heimatforscher mag er nicht. Wenn das Wort nicht so anrüchig wäre, könnte man sogar sagen: er führte ein Doppelleben, das mit diesem Porträt zum ersten Mal öffentlich in seinem beträchtlichen Umfang aufgedeckt wird. Denn Heinz Wiemann vermied es über alle die Jahrzehnte seines Schuldienstes in Dorsten über seine „geschichtsträchtige“ Tätigkeit in Schlangen groß zu reden: Über die Erforschung der Orts- und Regionalgeschichte, Herausgabe von zum Teil  schwergewichtigen Büchern, in zwei Jahren werden es so an die Dutzend sein, stete Mitarbeit an rund 300 Ausgaben des „Schlänger Boten“, Initiator, Anreger, Motor und Organisator vieler geschichtsbezogener Ortsereignisse. Daher wird er in Schlangen „Ortschronist“ genannt. Die „Lippische Rundschau“ titelte schon am 28. August 1960, als sein erstes Buch erschien: „Heinz Wiemann / Eine beispielhafte Art Mäzenatentum.“ Zwanzig Jahre später schrieb die „Schlänger Zeitung“ am 20. Oktober 1980:

„Da nimmt es nicht wunder, wenn ein Gesprächspartner, wenn der Name Heinz Wiemann auftaucht, für dessen unermüdliche Dienste das Bundesverdienstkreuz als Belohnung in Betracht zieht…“

Aber Heinz Wiemann will das Bundesverdienstkreuz nicht. Heinz Wiemann beantragte 1969 eine Grabung in der Kirche, weil er der Meinung war, dass der Ort Schlagen viel älter sei, als bis dahin angenommen. Wiemann hatte Recht. Archäologen stellten nach der Grabung ein älteres Datum fest.

Lehrerfortbildung im Fach Geschichte/Politik

Heinz Wiemann wurde, wie gesagt, 1938 in Schlangen geboren. Sein Vater war Maurer. Heinz Wiemann besuchte in seinem Geburtsort die Volksschule, anschließend das Staatlichen Aufbaugymnasiums in Detmold. Nach dem Abschluss des Studiums der Pädagogik in Bielefeld 1962 wurde er wegen Lehrermangels im Ruhrgebiet in Dorsten in der Wilhelmschule eingesetzt. Ausgebildet war er besonders für höhere Klassen und bekam aber als Junglehrer sofort eine erste Klasse. 1967 wurde er Konrektor. Als Junggeselle wohnte er an der Bismarckstraße, geheiratet hat er 1975. Seine Frau war Dipl.-Sozialarbeiterin beim Jugendamt der Stadt und danach beim sozialpsychiatrischen Dienst des Kreises Recklinghausen. Er ist evangelisch, seine Frau katholisch. Die Wiemanns wohnen in Holsterhausen genau zwischen der katholischen Bonifatius- und der evangelischen Martin-Luther-Kirche. Nach dem Bau des Pliesterbecker Schulzentrums zog seine Schule 1973 dorthin um, die jetzt Dietrich-Bonhoeffer-Schule hieß, und wurde später deren Rektor. Seine Schwerpunkte waren u. a. Leitung von Schulprojekten (beispielsweise Einrichtung eines Bergbaumuseums), Übernahme von Aufgaben in der Lehrerfortbildung – vor allem im Fach Geschichte-Politik –, Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen wie Zeche, Kirche, Seniorenheim, vereine, Berufsorganisationen. Im Ruhestand ab 1998 intensivierte er seine Beschäftigung mit der Geschichte insbesondere der Gemeinde Schlangen und konnte sich seinen zahlreichen Veröffentlichungen widmen.

Lippische Rundschau von 1986 (Ausriss)

Lippische Rundschau von 1986 (Ausriss)

Mit dem Moped geschichtliche Themen aufgespürt

Zur Geschichtsvermittlung kam bei Wiemann als Lehrer immer der pädagogische Aspekt hinzu: „Man muss den jungen Leuten helfen, ihre kulturhistorische Identität zu entdecken und sich in sie hineinzuleben!“ Da erinnert er sich an seine eigene Jugendzeit. Als 15-Jähriger war er in einem Geschichtskreis unter bereits weißhaarigen anderen Geschichtsinteressierten, von denen er viel lernte. Sein Interesse für die Heimat wurde zudem dadurch gestärkt,  dass damals als Schüler für die „Lippische Rundschau“ schrieb. Über keine aktuellen Themen, sondern über geschichtliche. Dafür stellte ihm die Zeitung ein Moped zur Verfügung, mit dem er durch das Lipperland knatterte und geschichtliche Themen aufspürte. „So bin ich in die Geschichte hineingewachsen!“

Heinz Wiemann ist mit vielen aktuellen Projekten befasst

Ausgaben von Wiemanns "Schlänger Bote"

Ausgaben von Wiemanns “Schlänger Bote”

Seine derzeit aktuellen Aktivitäten in und für Schlangen sind die Errichtung eines Denkmals an der Stelle, wo einst die Synagoge stand, die Kreation einer Likörflasche in Form einer Glühbirne, die mit Inhalt verkauft zur Finanzierung der historischen Trafostation dient („Schlänger Glühbirne soll Strommuseum finanzieren“ (Schlänger Zeitung, 3. März 2014). Ein Buch über Flur- und Straßennamen ist in Vorbereitung. Der Ortschronist initiierte und leitet ein Geschichtsstationen-Projekt. Das sich mit besonders vielen Helfern durchführen lässt So wurden bisher ein Fachwerk-Spritzenhaus wieder aufgebaut, eine historische Brücke und eine alte Trafoturmstation restauriert sowie ein Drehmaschinendenkmal errichtet. Der„Schlänger Bote“ lobte im Mai 2014: „Ohne den Ortschronisten Heinz Wiemann wäre die Vergangenheit Schlangens nicht so präsent und vielschichtig dargestellt.“

Schlagzeilen werfen ein Licht auf seine Engagement

Die kleine hier veröffentlichte Auswahl anderer Schlagzeilen zeigt unkommentiert die breite Palette der Themen auf, denen sich Heinz Wiemann in Schlangen widmete und widmet:

Lippische Landes-Zeitung, 29. Mai 2013: „Fotos zeigen Inneres – Heinz Wiemann entwickelt Trafostation weiter“;
Lippische Landes-Zeitung, 19. Dezember 2012: „Ein Heiliger wird ins rechte Licht gerückt – Heinz Wiemann und Ansgar Hoffmann bereiten Christophorus-Ausstellung vor“;
Schlänger Zeitung, 28. September 2012: „Kreuz ist gebrochen – Wiemann sucht Unterstützung, um Hermann Krückes Grabmal zu restaurieren“;
Schlänger Zeitung, 25. August 2012: „Ü 1000-Party – Wiemann: Schlangen ist älter“;
Schlänger Zeitung. 2. März 2012: „Ins Licht gerückt – Heinz Wiemann will die Geschichte der Nachttischlampen ergründen“;
Schlänger Zeitung, 18. Februar 2012: „Ruhm vor dem Abriss – Ortschronist Heinz Wiemann hat die Geschichte der Stätte Göbel erforscht“;
Lippische Landes-Zeitung, 8. Februar 2012: „Gesucht: Bilder von Festen anno dazumal – Heinz Wiemann hofft auf Unterstützung für den dritten Jahreskalender 2013“;
Lippische Rundschau, 28. Oktober 1987: „Ausstellung zeigt: So lebten die Kohlstädter anno dazumal – Heinz Wiemann stellte die Schau … zusammen“;
Lippische Rundschau, 30. Oktober 1986: „Heinz Wiemanns Werk lässt Geschichte lebendig werden – Ausstellung Bilder aus der Vergangenheit eröffnet“;
Lippische Rundschau, 18. November 1985: „Schützenvereine erfüllen große soziale Aufgabe! – Wiemann befördert Geschichte ans Tageslicht…“;
Lippische Rundschau, 19. Oktober 1983: „H. Wiemann: Wir leben aus der Vergangenheit! – Volksbankdirektor Thiele überreichte Medaille“;
Lippische Rundschau, 27. September 1983: „Geschichte des Orts in leicht verständlicher Form – H. Wiemann trug interessantes Material zusammen“.

Denkmal-Enwurf für die ehemalige Synagoge; Zeichnung: Wolf Stegemann

Denkmal-Enwurf für die ehemalige Synagoge; Zeichnung: Wolf Stegemann

Auch die NS-Zeit ließ Heinz Wiemann nicht aus. „Mit diesem dunklen Kapitel der Dorfgeschichte hat sich der Ortschronist Heinz Wiemann eingehend befasst“ schrieb die „Schlänger Zeitung“ am 12. Januar 2013 unter dem Titel „Als Hitler nach Schlangen kam…“ Übrigens war der aus Dorsten stammende Archivar Dr. Heinrich Glasmeier Hitlers Fahrer in dem für die NSDAP erfolgreichen Lippischen Wahlkampf 1932. Dafür machte ihn Hitler nach 1933 zum Reichsrundfunkintendanten.

Warum wurde in Dorsten nichts bekannt?

Und warum blieb es bei diesem bis heute über 60 Jahre lang andauernden ehrenamtlichen Engagement im Lippischen um Heinz Wiemann so still in Dorsten? Nur wenige im Freundeskreis der Wiemanns wussten davon. Dies nur mit seiner allseits bekannten Bescheidenheit zu begründen, wäre zu kurz gegriffen. Wie erwähnt, Heinz Wiemann hatte Bedenken, dass seine Dienstvorgesetzten ihn ermahnt hätten, sich doch mehr um den Schuldienst in Dorsten zu kümmern, als irgendwo anders und auf anderem Betätigungsfeld so aktiv zu sein. „Auf jeden Fall hätte es unangenehme Fragen gegeben“, sagt er. Daher verschwieg er sein kulturgeschichtliches Engagement im Lipperland weitgehend.

Aktionen „Vom Korn zum Brot“

Um seine Schüler in Holsterhausen kümmerte er sich sehr, wie man hört. „Sein Unterricht war immer sehr interessant, weil er demonstrierte und weniger an die Tafel schrieb“, erinnerte sich Maria Holtmann (43). Heinz Wiemann versuchte stets, seine Schüler für die Geschichte der Stadt Dorsten, des Bergbaus und der Landwirtschaft in den Herrlichkeits-Gemeinden zu interessieren. Sicher ist noch vielen die Ausstellung in der Bonhoeffer-Schule und die Dreschaktion mit einer riesigen Dreschmaschine auf dem Schulhof in Erinnerung, als Heinz Wiemann als Projektleiter 1985 den Schülern den Weg „Vom Korn zum Brot“ mit vielen Aktionen demonstrierte, vom Mähen des Korns über das Verarbeiten zu Mehl, Backen bis hin zu den Brot-Prüfungen der Bäcker-Innung. Das stand sogar in der „Lippischen Rundschau“ vom 15. Februar 1985 unter der Schlagzeile „Gute Themen kann man auch woanders ausprobieren… / Bewährtes aus Schlangen jetzt in Dorsten“. Denn Heinz Wiemann hatte eine solche Aktion bereits in Schlangen erfolgreich durchgeführt. „In Dorsten ist der in der Dietrich-Bonhoeffer-Schule als Konrektor tätige alte Schlänger Heinz Wiemann stets dabei, wenn es gilt. Etwas Gutes zu initiieren…“ schrieb die Rundschau. – „Wenn ich mich mit Geschichte befasse“, so Heinz Wiemann, „habe ich oft das Gefühl, als sei ich nach Hause gekommen!“ Ob in Dorsten oder Schlangen. Überblickt man seine Aktivitäten, dann kann man feststellen, dass Geschichte tatsächlich sein Zuhause geworden ist. Und er fühlte sich wohl in Dorsten, wo er am 21. August 2016 völlig überrascht verstarb.

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