Westfalen 1815

Als widerspenstige Provinz dem Königreich Preußen zugesprochen

Münster feiert 1865 den 50. Jahrestag der preußischen Provinzgründun Westfalen; Foto: LWL

Münster feiert 1865 den 50. Jahrestag der preußischen Provinzgründung Westfalen; Foto: LWL

Vor knapp über 200 Jahren, am 30. April 1815, wurden das Rheinland und Westfalen auf dem Wiener Kongress dem Königreich Preußen zugesprochen. Dadurch wurden sie flapsig „Beutepreußen“ genannt. Auch Preußen selber hätte sich lieber Sachsen einverleibt als die widerspenstigen katholischen Provinzen im Westen. Erst zur Jahrhundertwende 1900 schlossen beide Seiten Frieden miteinander.
Westfalen steht für Pumpernickel, Schinken und Zechentürme sowie für Geradlinigkeit und Sturheit. Heinrich Heine spottete, die Westfalen seien ein Volk „ganz ohne Gleißen und Prahlen“. Und der französische Philosoph Voltair sagte, als er mit der Postkutsche durch Westfalen nach Berlin fuhr: „Jenseits von Wesel, ich weiß nicht wo … O abscheuliches Westfalen!“ Der Zuschlag zu Preußen bedeutete für die Region zwischen Dortmund, Bielefeld und Siegen einen historischen Sprung. Erstmals wurde Westfalen eine politische Einheit – mit der Hauptstadt Münster. Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelten die Westfalen erst langsam. „Man fühlte sich als Münsterländer, kurkölnischer Sauerländer, Siegerländer“, weiß Karl Ditt, Historiker beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

Politischer Katholizismus stand für Tradition und Einfluss

Provinzwappen

Provinzwappen

Sprengstoff lieferte der konfessionelle Gegensatz: Die Katholiken fühlten sich fremd im evangelischen Preußen. Berlin installierte protestantische Beamte und Militärs. Tiefe Gräben rissen auch Mischehen-Streit und Kulturkampf. Als der Kölner Erzbischof Droste zu Vischering, aus Münster stammend, 1837 darauf bestand, dass Kinder aus Mischehen katholisch erzogen werden müssten, wurde er in Festungshaft genommen. Auch im Kulturkampf, in dem Bismarck nach 1871 die Macht der Kirche einschränken wollte, gingen Bischöfe aus Westfalen ins Gefängnis. Das bereitete den Weg für einen starken politischen Katholizismus: Das Zentrum, gegründet in Westfalen, blieb dort bis 1933 die einflussreichste Partei. Auch die NSDAP holte in den katholischen Regionen deutlich weniger Stimmen als im Reich, in einigen Landkreisen nicht mal 10 Prozent. Wirtschaftlich blieb die Provinz lange rückständig. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts kam es mehrfach zu Hungerkrisen. Auch die soziale Frage spitzte sich zu. Agrarreformen ließen die Schicht der armen Landarbeiter und Kleinbauern anwachsen. Die westfälischen Textilregionen waren europaweit als Elendsgebiete bekannt. Die Auswanderung nach Amerika nahm zu. Mit dem Aufstieg des Ruhrgebiets zur boomenden Industrieregion wuchs der Dualismus von Stadt und Land: Bergbau und Hüttenwerke ließen die Produktion explodieren. Die Bevölkerung nahm von rund einer Million um 1800 bis auf 4,5 Millionen im Jahr 1914 zu.

Notgeld 1923

Notgeld 1923

Schlechte Arbeitsbedingungen führten zu Konflikten. Im Mai 1889 traten mehr als 100.000 Bergleute in den Streik – ein Durchbruch für Gewerkschaften und die SPD, die ihren Stimmanteil bei den Reichstagswahlen 1912 auf 33,8 Prozent steigerte. Auch die ländlichen Regionen Westfalens profitierten vom Aufschwung des Ruhrgebiets. Die wachsenden Städte mussten versorgt werden. Dank Fortschritten in der Agrarwissenschaft verdoppelten sich zwischen 1880 und 1914 die Kartoffel- und Getreideerträge.

1947 wurde Preußen aufgelöst – die Provinz kam zu Nordrhein-Westfalen

Im 20. Jahrhundert lässt sich nur noch ansatzweise von einer eigenständigen westfälischen Geschichte sprechen. Inflation, Ruhrkampf, Weltwirtschaftskrise und Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg betrafen das Revier massiv. Während der NS-Zeit wurde die Provinz politisch gleichgeschaltet. 1947 lösten die Alliierten Preußen auf – als Hort des Militarismus. Die Briten schlossen den nördlichen Teil der Rheinprovinz mit der Provinz Westfalen zusammen: zum Bindestrich-Bundesland Nordrhein-Westfalen. Kabarettist Jürgen Becker findet im Zusammenleben von Rheinländern und Westfalen auch Positives: „Das ist furchtbar, aber es geht. Deswegen schießen wir auch nicht aufeinander. Gut, das kann natürlich auch an der Trägheit der Westfalen liegen“ (KNA).

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