Tennislehrer pädophil (I)

4 Jahre Haft: Dorstener kontaktierte über Netzwerke Frauen mit Kindern

Der Angeklagte neben seinem Verteidiger Sam Benecken; Foto: Jörn Hartwich (DZ)

Nach acht Gerichtssitzungen in einem Zeitraum von 44 Kalendertagen, die erste am 19. Januar, wurde am 22. Februar 2019 vom Essener Landgericht das Urteil unter anderem wegen Anstiftung zu sexuellem Missbrauch gesprochen: vier Jahre und neun Monate Haft. Der Fall machte Schlagzeilen wie: „Ausgerechnet ein Tennislehrer, der sich in seinem Dorstener Tennisverein für die Jugendarbeit stark gemacht hat, muss sich wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht verantworten.“, „Polizei ermittelte auch gegen Kollegin – Der Prozess … wird immer skandalöser“, „Eine Million Fotos auf Handys – Ermittlungen … eine echte Herausforderung“ oder „ Kritischer Verstand der Frauen war blockiert – Tennislehrer aus Dorsten lässt Frauen Sklavenverträge unterschreiben und bringt sie dazu, ihm Nacktfotos ihrer Kinder zu schicken…“ Der, dem diese Schlagzeilen in Dorsten galten, war Carlos N., wohnhaft in Dorsten und zuletzt in Bottrop, ein angesehener Tennislehrer in Dorsten, der in verschiedenen Dating-Portalen ohne Wissen seiner Frau Kontakte zu alleinstehenden Frauen suchte und fand. Dabei gab er sich auch als angehender Arzt aus. In den sieben bislang (Februar 2019) abgeurteilten Fällen brachte er seine Chat-Partnerinnen dazu, ihre eigenen Kinder sexuell zu missbrauchen. „Die Frauen glaubten an die große Liebe. Sie fühlten sich wertgeschätzt und endlich mal wieder ernst genommen.“ Da die Frauen sein Ansinnen zunächst abgelehnt hatten, setzte er sie immer stärker unter Druck, „dem sie letztlich nicht gewachsen waren“. Natürlich müssten sich die Mütter heute aber auch selbst schwere Vorwürfe gefallen lassen, so der Richter.

Er verlangte von den Frauen sexuelle Nacktfotos – auch von ihren Kindern

Obwohl er verheiratet war, hatte Carlos N., früher Fußballprofi (3. Liga), zwischen 2010 und 2017 über soziale Netzwerke immer wieder Kontakt zu Frauen aufgenommen, um sich mit ihnen zu sexuellen Treffen zu verabreden. Dabei war es ihm darauf angekommen, so die Ermittlungen, dass die Frauen Kinder hatten. Er forderte dann die Frauen auf, ihre eigenen Kinder sexuell zu missbrauchen und ihm Nacktfotos zu schicken. Genau das haben Frauen dann auch gemacht. Eine Erzieherin aus München hatte ihm sogar Bilder von Kindern aus einer Kita zugeschickt, die sie betreut hatte. Andere schickten Fotos ihrer eigenen kleinen Töchter und Söhne. Gleichzeitig äußerte Carlos N. Interesse daran, die Kinder sexuell auch selbst zu missbrauchen. Einmal war der Tatort sogar das Vereinsheim eines Dorstener Tennisclubs. Dort hatte er mit einer Frau Geschlechtsverkehr – vor den Augen des  dreijährigen Sohnes der Frau. Bei den Ermittlungen der Polizei hatte das Kind bei der Befragung die Bewegungen des Angeklagten nachgemacht. Sexuelle Handlungen vor Kindern gelten laut Gesetz ebenfalls als Missbrauch.

Täter klagte über seine eigene „verwahrloste“ Kinder- und Jugendzeit

am zweiten Verhandlungstag legte der Angeklagte ein Geständnis ab und sprach selbst von „ekelhaften und unmoralischen“ Taten. Da die Kinder das „Heiligste der Frauen“ seien, so der Angeklagte, habe er sie eingesetzt, um bei den Frauen das zu erreichen, was er von ihnen wollte. „Ich habe das Bedürfnis, mir Frauen untertan zu machen und sie zu beherrschen“, sagte er. Daher wollte er sie als seinen „Besitz“ dominieren, von ihnen pornografische Fotos auch im Beisein ihrer Kinder bekommen. Dem Gericht lagen die Fotos vor. Das Motiv für seine Taten sah der Tennislehrer in seiner „verwahrlosten“ Kinder- und Jugendzeit. Er wuchs in einem Arzthaushalt in Dortmund auf und sei von Vater und Mutter verlassen worden. Carlos N. schien zwei Leben geführt zu haben. Schulisch ging er geradlinig bis zum Abitur, studierte erfolgreich, verdiente „nebenbei“ viel Geld mit Versicherungen, doch bald scheiterte er finanziell. Aber da war auf der anderen Seite ein schwieriges Elternhaus. Der Vater betrog die Mutter, trennte sich früh von der Familie, ließ sie finanziell im Stich. Und die depressive Mutter schlug ihre Kinder.

Auch eine Polizeibeamtin war mit ihm intim – vor der 6-jährigen Tochter

Wenn die Frauen vor Gericht ihre Zeugenaussagen machten, verdeckte der Angeklagte sein Gesicht oft stundenlang. Beim Auftritt seiner Ehefrau waren es drei Stunden. Eine der Frauen, die ihm strafbar hörig waren, war eine Polizeibeamtin aus Wuppertal. Vor den Augen ihrer sechsjährigen Tochter waren der Angeklagte und die Polizistin im Schlafzimmer intim. Dieser Fall mit der Polizistin war nicht angeklagt, wurde vor Gericht dennoch erörtert. So auch der Missbrauch eines angeblich 15-jährigen Jungen aus Duisburg. Hier soll der Angeklagte die Mutter aufgefordert haben, auch ihren Sohn mit in die sexuellen Handlungen einzubeziehen. Was auch passiert sein soll.

Frau aus Lünen unterschrieb einen „Sklavinnenvertrag“

Eine weiteren Zeugin, eine 45-jährige Frau aus Lünen, Mutter von zwei kleinen Mädchen, lief bei ihm unter dem Namen „Y Lünen Hure Handy“. Auch sie hatte er über das Internet kennengelernt. Vor dem Richter sagte die Lünenerin: „Ich habe immer gedacht, er liebt mich wirklich.“ Daher machte sie, was er verlangte und unterschrieb einen „Sklavinnenvertrag“, der sie anwies, das zu tun, was er sagte. Und da waren Fotos aus dem Genitalbereich der Tochter im Grundschulalter. Die Frau musste fortan ein Sklavinnenhalsband als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit tragen. Nach Festnahme des Tennislehrers und Bekantwerden dieses Skandals wurde der Frau der Umgang mit ihrer Tochter verboten, was später gelockert wurde. Der Vorwurf der Frau, er hätte sie in dem Dorstener Tennisheim gegen ihren Willen vergewaltigt, bestritt der Angeklagte vor Gericht.

Gutachter bescheinigte dem Angeklagten volle Schuldfähigkeit

Im weiteren Prozessverlauf hatte auch ein Psychiater als Gutachter das Wort, wobei sich der Angeklagte die Ohren zuhielt. Die Behauptung des Angeklagten, dass es ihm nur um Macht und Dominanz gegangen sei und er kein sexuelles Interesse an Kindern gehabt hätte, bezweifelte der Gutachter: „Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Es gibt einen dringenden Verdacht auf eine pädophile Störung.“ Der Gutachter stellte beim Angeklagten eine „narzistische Persönlichkeitsstörung“ fest, der wenig Empathie für andere Menschen empfinde und äußerst manipulativ auf andere einwirke. Seine „Hypersexualität“ sei eine Art Ablenkung von Enttäuschungen, die er vor allem in seiner Jugend erfahren hatte. Vermindert schuldfähig sei der Tennislehrer aber nicht. Er habe seine Handlungen immer steuern können.
Im Verlauf des Prozesses schilderte eine Polizeibeamtin vor Gericht Erkenntnisse über den Verlauf der Ermittlungen. Aufgedeckt wurde das Doppelleben Carlo N’s, als eine Frau in Köln Anzeige erstattet hatte, weil sie Chatverläufe bei einer Verwandten gesehen hatte. Darin war die Verwandte aufgefordert worden, ihre Kinder in sexuelle Handlungen einzubeziehen. Auf einem der Handys des Angeklagten wurde rund 860.000 Fotos gespeichert. Auf einem weiteren über 100.000. Dazu Chatverläufe mit rund 9000 Frauen. Erst war nur eine Beamtin mit der Auswertung befasst, dann zwei – inzwischen gibt es eine eigene Ermittlungskommission mit sechs Personen im Polizeipräsidium Recklinghausen, die auch nach diesem wohl ersten Prozess weiter ermitteln und bereits 50 neue Strafakten angelegten. Im Internet suchte der Angeklagte gezielt nach Inzesthandlungen und Kindesmissbrauch. In ganz Deutschland, so die Beamtin vor Gericht, würden inzwischen Ermittlungsverfahren gegen Mütter laufen, die Kontakte zum Angeklagten gehabt hätten.

Als Tennislehrer von Dorsten nach Gelsenkirchen gewechselt

Im Dorstener Tennisverein hatte sich Angeklagte seit 2014 engagiert. Dass er sich  dort immer wieder mit Frauen getroffen hatte, sei auffällig gewesen. Das wurde von Vereinskollegen zwar missbilligt, aber der Verein griff  nicht ein. Beschwerden über ihn gab es nur, weil er unzuverlässig wurde und „stets am Handy“ war. Die gleichen Beobachtungen hatte man auch in einem Gelsenkirchener Tennisverein gemacht, zu dem der Angeklagte im Frühjahr 2018 gewechselt war. Anders als in Dorsten, hatte man ihm in Gelsenkirchen schließlich sogar verboten, im Tennisheim nachts noch Frauen zu empfangen. Soweit die Aussage der ermittelnden Polizeibeamtin aus Recklinghausen.

Polizei ermittelt weiter – vermutlich folgt eine weitere Anklage

Das Urteil vom 22. Februar 2019 ist wahrscheinlich nur eine erste Etappe. Denn parallel ist eine sechsköpfige Ermittlungskommission der Polizei immer noch damit beschäftigt, alle Frauenkontakte des Tennislehrers zu durchleuchten. Die Polizei hat bislang rund 1000 Chat-Kontakte ausgewertet. Inzwischen ist die Zahl der Fälle der Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern auf rund 50 angewachsen. Eine weitere Anklage vor dem Essener Landgericht ist daher sehr wahrscheinlich. Käme es zu einem erneuten Prozess, könnte auch die Verhängung der Sicherungsverwahrung neu bewertet werden.

Siehe auch: Tennislehrer pädophil (II)
Siehe auch: Kriminalität
Siehe auch: Missbrauch


Quellen: Nach der Gerichtsberichterstattung von Martin von Braunschweig, Jörn Hartwich und Robert Wojtasik in der DZ vom 11. Jan., 16. Jan., 19., Jan., 23. Jan., 29. Jan., 31. Jan., 16. Febr., 23. Febr. 2019. – Stefan Wette in WAZ vom 22. Febr. 2019. – WAZ Bottrop vom 11. Jan. 2019 (sis). – Westfalenpost vom 22. Febr. 2019.

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