Suizid – Selbsttötung (Essay)

Auch Selbstmord genannt – Zahlen haben im Jahr 2023 deutlich zugenommen

Offiziell aber vornehmlich im Volksmund wird die Selbsttötung immer noch als Mord bezeichnet. Doch rechtlich gesehen ist es kein Mord, denn Tötungen sind nach dem Gesetz dann Morde, wenn sei hinterhältig ausgeführt werden und der Getötete von der Tötungsabsicht des Töters nichts wusste. Morde werden mit lebenslanger Haft verurteilt. Da jemand, der sich tötet, ja weiß, dass er zu Tode kommt und er sich ja hinterrücks nicht töten kann, dann kann man seine Selbsttötung nicht als Mord bezeichnen. Also Selbsttötung. Es sind in Deutschland nicht wenige, die sich selbst töten. Die Zahl der Suizide hat im Jahr 2023 deutlich zugenommen. Experten fordern stärkeres gesellschaftliches Engagement gegen Suizide. Es gehe darum, von einer Kultur des Schweigens und des mangelnden Verständnisses zu einer Kultur der Offenheit, des Mitgefühls und der Unterstützung überzugehen, sagte der Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), Reinhard Lindner, am Wochenende 7./ 8. September 2024 in Kassel. Suizide seien vermeidbar; dafür brauche es Wissen und aktive Initiativen sowie Veränderungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

2023 haben sich in Deutschland 10.304 Menschren das Leben genommen

Nach Schätzungen des Nationalen Suizidpräventionsprogramms unternehmen jährlich weit über 100.000 Menschen einen Suizidversuch. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe spricht von schätzungsweise 500 Personen pro Tag. 2023 haben sich 10.304 Menschen in Deutschland durch Suizid das Leben genommen. Dies waren 184 Fälle mehr als im Jahr zuvor und die höchsten Zahlen seit 1995. Das bedeutet, dass täglich knapp 28 Menschen einen Suizid begehen. Das sind mehr Tote als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen zusammen. Die Höchstzahl der Suizide in Deutschland lag 1981 bei 18.825. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass von jedem Suizid durchschnittlich etwa sechs nahe Verwandte und Freunde betroffen sind. Für Hinterbliebene sei es wichtig, dass über Suizide offen gesprochen werden könne, ohne dass sie befürchten müssten, ausgegrenzt zu werden, betonen Experten. Sie gehen zugleich davon aus, dass weitere Menschen aus dem näheren Umfeld von einem Suizid betroffen sein können, darunter Arbeitskollegen, Mitschüler, Ärzte und Therapeuten, aber auch Polizisten, Feuerwehr- sowie Rettungsdienstangehörige sowie Zeugen suizidaler Handlungen.

Kein Recht auf Zugang zu todbringenden Medikamenten

Autor Ferdinand von Schirach spricht sich für Sterbehilfe aus. Wenn die Entscheidung aus freien Stücken geschehe, dürfe der Staat sich nicht einmischen, sagt er im ZDF-Interview am 23. Januar 2023. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Auch Schwerstkranke haben kein Recht darauf, vom Staat Zugang zu todbringenden Medikamente zu erhalten. In allen Altersgruppen sterben deutlich mehr Männer durch Suizid als Frauen. Zudem wird Selbsttötung zunehmend ein Phänomen des höheren Lebensalters. Fachleute erklären dies damit, dass Verluste sich im Alter häufen. Vor allem ältere Männer suchten in solchen Lebenskrisen dann kaum Hilfe. Konkret steigt die Zahl der Suizide bei den Männern ab dem 70. Lebensjahr deutlich. Aber auch jede zweite durch Suizid verstorbene Frau ist älter als 60 Jahre. Betrug die Suizidrate – also die Anzahl der Suizide pro 100.000 Einwohner – 2022 bei den 20- bis 25-jährigen Männern 9,1 (Frauen: 3,5), so stieg sie bei den 85- bis 90- jährigen Männern auf 73,7 (Frauen: 17,4).

Was weiß man über Menschen, die einen Suizid planen?

Betroffenen fällt es zumeist schwer, über ihre Suizidgedanken mit einem Arzt oder Therapeuten zu sprechen. Laut Studien haben Menschen vor einem vollendeten Suizid viel häufiger als üblich einen Arzt aufgesucht, der die Gefährdung aber nicht erkannte. Häufig besteht eine Angst darin, nicht ernst genommen zu werden, soziale Kontakte zu verlieren, als psychisch krank bezeichnet zu werden und die Selbstbestimmung durch zwangsweise Behandlung zu verlieren. Außerdem haben nicht wenige die Vorstellung, dass sie niemand verstehen und niemand ihnen helfen könne. Angehörige sollten Suizidankündigungen immer ernst nehmen, betont die Stiftung Depressionshilfe. Äußerungen wie: “Es hat alles gar keinen Sinn mehr…” sind bei Menschen mit  Depressionen Hinweise auf eine ernste Gefährdung. Freunde oder Familienangehörige sollten keine Scheu haben, genauer nachzufragen, raten die Experten. Oft ist es für einen suizidgefährdeten Menschen eine Entlastung, mit einer anderen Person über die quälenden Gedanken sprechen zu können.
Die Stiftung Depressionshilfe mahnt zudem, sich mit gut gemeinten Ratschlägen zurückzuhalten. Eine Befragung unter Betroffenen ergab, dass scheinbar schlichte Botschaften oft am meisten helfen, zum Beispiel: „Du bist mir wichtig“, „ich versuche, diese Krankheit zu verstehen“ oder „wir schaffen das zusammen“.

Bundesverwaltungsgericht: Kauf von Suizid-Medikament bleibt verboten

Seit 2017 stritten die unheilbar kranken Hans-Jürgen Brennecke und Harald Mayer mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) um die Herausgabe von Natrium-Pentobarbital, um ihre Leben selbstbestimmt zu beenden. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat ihre Klagen heute abgewiesen. Schwerkranke Menschen haben laut Bundesverwaltungsgericht kein Recht auf Selbsttötungsmittel. Warum das Gericht so entschieden hat, erklärt ZDF-Rechtsexperte Christoph Schneider 2023. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe kippte, würde das ärztliche Berufsrecht der Suizidhilfe nicht mehr generell entgegenstehen. So gebe es „Ärzte, die tödlich wirkende Medikamente verschreiben und andere Unterstützungshandlungen vornehmen“ würden, heißt es in der Pressemitteilung des OVG Münster. Auch seien „geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe wieder verfügbar“, sprich Sterbehilfeorganisationen könnten legal ihre Dienste anbieten.

Enttäuschung des Kläger-Anwalts

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des OVGs bestätigt und den Klägern nicht Recht gegeben. Das Ergebnis: Sie bekamen keine tödlichen Medikamente ausgehändigt. Zur Begründung verwiesen die Richter auf andere zumutbare Möglichkeiten. So könnten die Kläger einen Arzt aufsuchen, der ihnen das Mittel verabreicht. Wenn das Mittel einfach so ausgehändigt würde, so das Gericht, gäbe es große Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung durch Miss- oder Fehlgebrauch. Es war ein schwarzer Tag für die beiden Kläger und schwarzer Tag für alle suizidwilligen Menschen in Deutschland, die die Hoffnung hatten, sich mit Natrium-Pentobarbital suizidieren zu können, um ihr Leid zu beenden. Der Verwaltungsrechtsweg ist zwar zu Ende, jedoch wollten die Kläger vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. „Wir werden Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil einlegen. Ich habe allerdings die Sorge, dass beide Kläger dieses Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht mehr überleben werden“, so der Anwalt Robert Roßbruch. Denn ein solches Verfahren dauert in der Regel mehrere Jahre.

  • Aus der Literatur: „Wenn ein Mensch an den Folgen einer körperlichen Krankheit stirbt, dann sagt man: Er hat tapfer gekämpft. Er hat sich nicht unterkriegen lassen. Dieses Durchhaltevermögen ist zu bewundern. Ähnliches gilt auch für seelisches Leid. Ein Mensch kann auch seelisch sterben, obwohl der Körper noch Leben atmet. Ein jeder Mensch, der sich dazu entschließt, das Leben hinter sich zu lassen, hat ebenso tapfer gekämpft, hat sich genauso wenig unterkriegen lassen, hat ein Durchhaltevermögen gezeigt, das es zu bewundern gilt. Vieles davon geschieht für uns verborgener, als bei körperlichen Sterbeprozessen. Und so trifft es dann umso mehr, dass ein uns lieber Mensch, keine lebbare Zukunft mehr vor sich sah.“ –  Wolfgang Roth.

Siehe auch: Suizid, Selbsthilfegruppe


Quellen: KANN (2024).- Christoph Schneider und Moritz Flocke (2023, beide arbeiten in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz)

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