Lippe (Essay)

Natürliche Grenze zwischen Territorien und in den Köpfen

Von Wolf Stegemann. – Dorsten verdankt die wirtschaftliche und strategische Bedeutung im Mittelalter und in früher Neuzeit der Lippe, die damals noch schiffbar war. Brückenzölle und Lippezoll füllten die Stadtkasse. Allein im Jahre 1526 passierten 225 Flöße die Zollstätte bei Dorsten. Bis zur Zeit des großen Mühlenbaus war die Lippe fast durchgehend befahrbar. Hauptsächliches Handelsgut waren das Holz der Flöße selbst, aber auch Salz aus Unna und Werl. Hinzu kamen bis zum 17. Jahrhundert Vieh, Schinken, Wacholderbeer-Bier, Getreide, Wolle, Flachs, Leder, Kohle, Eisen- und Drahtwaren.

Lippelauf

Die Lippe entspringt am Westfuß des Eggegebirges und mündet nach 228 km bei Wesel in den Rhein. Von Hamm bis Wesel wird sie vom Lippe-Seitenkanal begleitet. Während die Ruhr um 1900 die Trinkwasserversorgung sicherte, diente die Emscher zur Abwasserableitung und die Lippe zur Brauchwasserversorgung von Landwirtschaft und Industrie. Sie speist den Lippe-Seitenkanal und weitere Kanäle, stellt Kühlwasser für Kraftwerke und versorgt die Hüls AG in Marl mit Brauchwasser. Sie leitet winterliches Hochwasser ab und das vom Bergbau gehobene Grubenwasser, als die Zechen noch in Betrieb waren. Weiter dient sie zur Ableitung des durch menschlichen Gebrauch verschmutzten und geklärten Wassers. War noch in den 1970er-Jahren das Wasser der Lippe durch chemische Einleitungen fast völlig tot, hat es sich wieder erholt, so dass wieder neues Leben im Wasser entstehen konnte.

Streit um treibende Leichen

Die Lippe bei Dorsten war Grenze zwischen kurkölnischem Gebiet, auf dem Dorsten lag, und dem fürstbischöflich-münsterschen auf der anderen Seite und somit Grenze zwischen Stadt und Herrlichkeit, um die es immer wieder Streit um Zölle und die Brücke gegeben hat, der sogar Menschenleben kostete. Zwischen der Stadt Dorsten und der Schlossherrschaft von Lembeck gab es um diese Grenze Auseinandersetzungen auch dann, wenn es um Banales ging. Beispielsweise entzündete sich beidseitiger Groll, wenn Leichen angeschwemmt wurden und diese von der einen oder anderen Seite geborgen werden mussten. Einmal trieb ein Leichnam mitten auf dem Fluss, der von den Dorstenern herausgeholt wurde. Der Lembecker Schlossherr kritisierte, dass es nicht üblich sei, den Fluss zu observieren und man müsse die Zuständigkeit für Treibgut klären.

Von der Brücke zum Badevergnügen in die Lippe gesprungen

Hammbach in Holsterhausen an der Steinhalde 1926

Hammbach in Holsterhausen an der Steinhalde 1926

Durch die Erwerbung von Kleve und Mark wurde 1614 Brandenburg-Preußen Anliegerstaat der Lippe. 1667 wollten die Anrainerstaaten die Lippe schiffbar machen. Doch Brandenburg-Preußen sprach sich dagegen aus, so dass der Ausbau unterblieb. Nach dem Wiener Kongress 1815 fielen fast alle Anrainerstaaten der Lippe an Preußen. Lange Zeit bildete die Lippe eine Bewusstseinsgrenze zwischen Stadtbürgertum und Industriearbeiterschaft, was sich in dem Satz „Über den Jordan gehen“ manifestierte. Und es ist zu keiner Zeit leicht gewesen, den Fluss zu überschreiten. An der Lippe befanden sich früher die Schiffbauer, die Zollstationen sowie eine Badeanstalt. Doch wurde auch anderweitig gebadet, so an der Brücke. Der Bürgermeister verbot im Sommer 1881 mit polizeilicher Verordnung das Baden an der Brücke, weil sich etliche Dorstener ohne Bekleidung in die Lippe begeben hatten, was das „Dorstener Wochenblatt“ am 15. Juli 1881 empört zu dem Kommentar veranlasste: „Man könnte sie auch Säue nennen!“ (siehe Bäder). Wegen anhaltender Regenfälle hatte die Lippe 2003 einen historisch hohen Pegelstand von 9,88 m. Die Lippedämme sind aber auf ein Jahrtausendhochwasser angelegt (siehe Hochwasser).

220 Kilomtere von der Quelle zur Mündung bei Wesel in den Rhein

Schmallippig; Fotp: Binnenschiffe-Rheinruhr

Schmallippig; Fotp: Binnenschiffe-Rheinruhr

Die Lippe hat ein Einzugsgebiet von rund 4.900 Quadratkilometern und entspringt in Bad Lippspringe und fließt bei Wesel in den Rhein. Die fließt von der Quelle in südwestlicher Richtung nach Paderborn, wo sie das Wasser von Beke, Pader, Alme und Thune aufnimmt. Am Zusammenfluss von Lippe und Pader in Paderborn-Schloss Neuhaus führt die Pader im Verhältnis zur Lippe etwa die dreifache Wassermenge. Weiter fließt die Lippe in westlicher Richtung durch den südlichen Teil der Westfälischen Bucht. Kurz hinter Lippstadt mündet von Norden die Glenne ein. Anschließend erreicht sie Lippetal und Hamm, wo ihr, als größter einer Reihe von Zuflüssen im Stadtgebiet, die Ahse, zugeleitet wird. Im weiteren Verlauf passiert die Lippe Werne und Bergkamen sowie Lünen, wo sie die Seseke aufnimmt, und fließt vorbei an Waltrop, Selm. Datteln, Olfen und Haltern am See. In Haltern nimmt sie ein weiteres größeres Gewässer auf, die Stever. Anschließend fließt sie weiter nach Marl, Dorsten, Hünxe und mündet schließlich bei Wesel in den Rhein. Die Lippe hat eine Höhendifferenz von 54 Metern zu überwinden. Die Länge beträgt 220 Kilometer. Es gibt 54 Kläranlagen, 90 Abwasserpumpwerke und 139  Entwässerungspumpwerke. Der Lippeverband, der 148 Fluss-Kilometer von Lippborg bis zur Mündung betreut, sagt über die Lippe: „Sie ist ein typischer Flachlandfluss mit geringem Gefälle und vergleichsweise geringer Niedrigwasserführung. Bei starken Regenfällen steigt die Wassermenge allerdings dramatisch an, so dass der Hochwasserschutz an der Lippe eine Aufgabe mit vorrangiger Bedeutung ist.“

Wassertemperatur der Lippe durch Kraftwerke erhöht

Fähre in Holsterhausen (Zeche Baldur)

Zechen an der Lippe (Baldur Holsterhausen)

Parallel zur Lippe verläuft von Paderborn bis Lippestadt der Boker-Heide-Kanal, ein bedeutendes technisches Kulturdenkmal Westfalens. Der Datteln-Hamm-anal begleitet die Lippe als Seitenkanal am südlichen Ufer vom östlichen Hammer Stadtteil Uentrop bis nach Datteln, wo er auf den Dortmund-Ems-Kanal trifft. Von Datteln verläuft dann, ebenfalls am südlichen Ufer parallel zur Lippe, der Wesel-Datteln-Kanal bis zum Rhein. Beide Kanäle werden aufgrund ihres Verlaufes auch Lippe-Seitenkanal genannt. Bei Hamm dient die Lippe der Wasserregulierung des westdeutschen Kanalnetzes. An der dortigen Wasserübergabe kann durch eine 18 Meter breite Wehranlage Lippewasser im natürlichen Gefälle in den Datteln-Hamm-Kanal geleitet werden. Umgekehrt kann in Trockenzeiten der Lippe Wasser zugeführt werden, welches durch Rückpumpwerke an den Kanalschleusen aus dem Rhein und der Ruhr zugeführt wird. Das Wasser der Lippe wird ferner von einigen Kraftwerken zur Kühlung genutzt. Hierdurch erhöht sich die Wassertemperatur weit über das natürliche Maß hinaus. In heißen Sommern werden gezielt Kraftwerksblöcke abgeschaltet, um eine weitere Erhöhung der Wassertemperatur zu verhindern, weil dies zu einer Gefährdung der in der Lippe lebenden Fische führen würde. Messungen haben ergeben, dass die Lippe bei Dorsten mit 460 Milligramm pro Liter die höchste Salzkonzentration aufweist. Das stellte der VSR Gewässerschutz fest. Verantwortlich für die Belastung sei die Einleitung von so genannten Sumpfungswässern aus dem Bergbau. Die Messergebnisse deckten sich mit Resultaten des Lippeverbandes. Mehr als das Salz machten dem Lippeverband Erosion und Steinschüttungen Sorgen.

Ökosystem der Lippe gesundet oder doch wieder mehr Salz?

Lippeläufig

Lippeläufig, romantisch

Mitte 1950 titelten die „Ruhr-Nachrichten“ (Nr. 130): „Die Lippe – eine Kloake. Die Verschmutzung des Flusses eine Gefahr für die Allgemeinheit.“ Doch hat sich die Wasserqualität der Lippe in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Das ist für eine gesunde Fauna und Flora von großer Bedeutung. Der Lippeverband in Essen hat darüber eine umfangreiche Informationsbroschüre erstellt. 1978 verschwand erstmals die für die Lippe bis dahin geltende rote Farbe, die den schlechten Zustand eines Gewässers dokumentierte. Allein von der winzigen Eintagsfliege sind an der Lippe und den dazugehörigen Bachläufen 40 Arten auszumachen. In den 1970er-Jahren konnten an der Lippe 20 Tierarten gezählt werden. Diese Zahl ist bis heute auf über 600 gewachsen, was ein deutlicher Hinweis auf die gestiegene Wasserqualität der Lippe ist. Am Rapphofs Mühlenbach dominieren Egel und Schnecken und im Wienbach gibt es Forellen, Mühlkoppen und das seltene Flussneunauge. Am 4. August 1983 verursacht ein Defekt im Kühlsystem einer Anlage bei den Chemischen Werken Hüls ein Fischsterben in der Lippe. Mitte Oktober 1986 gab es Tausende tote Fische  in der Lippe. Vermutlich hat ein unbekannter Verursacher giftige Abwässer in die Lippe geleitet. Der Fall wurde von der Kriminalpolizei in Marl untersucht.
Anfang 2012 schlug der Verein zum Schutz des Rheins und seiner Nebenflüsse (VSR) Alarm: Die Lippe sei erneut versalzen. Dagegen hielt der Lippeverband: Der Lippe gehe es immer besser. Allerdings wird die die Lippe mit dem hohen Salzgehalt (Chlorid) noch etliche Jahre leben müssen, meint der Journalist Gert Eiben aus Marl (WAZ vom 9. Jan. 2012). „Wenn die Lippe die hiesige Region erreicht, ist sie schon schwer vorbelastet: Das Bergwerk Ost pumpt salziges Grubenwasser – mindestens bis 2021. In Lünen hat der Fluss schon 180 Milligramm (mg) Chlorid pro Liter, dann kommen die Beiträge der Zeche Auguste Victoria, so dass der VSR-Gewässerschutz in Dorsten im Oktober 2011 genau 425 Milligramm gemessen hat.“ Eine vom Landesamt für Natur, Umwelt und Naturschutz 2010 in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass ab 200 mg Chlorid bereits fast die Hälfte der sonst vorkommenden Arten bei Kleinstlebewesen und bei 400 mg sogar dreiviertel der Arten nicht mehr vorhanden (siehe Hammbach; siehe Schölzbach; siehe Middlicher Mühlenbach).

Maifisch wieder ausgesetzt

Der Maifisch wird in der Lippe wieder ausgewildert

Im Rahmen des LIFE plus-Programms der EU zur Wiederansiedlung des Maifisches im Rhein-System und zum Schutz der Restbestände der Art im südfranzösischen Girondegebiet wurden im Juni 2012 erstmals junge Maifische in der Lippe ausgewildert. Der Maifisch (lat. Alosa alosa) zählt zu den heringsartigen Fischen, dringt jedoch anders als seine Verwandten und ähnlich wie der Lachs weit in die Flüsse vor, um sich dort an kiesigen Flussabschnitten fortzupflanzen. Während der Laichwanderung zwischen April und Juni war der Fisch einst eine begehrte Beute der Rheinfischer und die Fische wurden vor allem im Mai, hierher rührt der deutsche Name, in vielen Gasthäusern angeboten. Jährlich stiegen hunderttausende Maifische vom Rhein in seine Zuflüsse auf, darunter ursprünglich auch in die Lippe. Allein in den Niederlanden wurden Ende des 19. Jahrhunderts jährlich bis zu 250.000 Maifische gefangen und verkauft. Der Lippeverband hat in den letzten Jahrzehnten nicht nur für eine Verbesserung der Wasserqualität durch den Ausbau von Kläranlagen gesorgt. Auch die Beseitigung von Wanderhindernissen und der Bau von Fischaufstiegen an Wehren sowie umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen haben inzwischen wieder günstige Bedingungen für anspruchsvolle Fischarten geschaffen, darunter auch Wanderfischarten wie den Maifisch. So hoffen die Experten, zukünftig eine weitere der ursprünglich im Fluss beheimateten Fischarten wieder zum aktuellen Artenspektrum hinzuzählen zu können.

Eingeschleppte Schwarzmaulgrundel ist der Tod heimischer Fischarten

Schwarzmaulgrundelmännchen; Foto: Lanuv

Die Zahl der heimischen Arten wie Bachschmerlen, Rapfen, Aale und Hechte ist in der Lippe verschwindend gering. Dafür hat sich die Schwarzmaulgrundel pestartig ausgebreitet. Diese Fischart ist mit dem Ballastwasser der Schiffe aus dem Mittelmeer in die heimischen Gewässer eingeschleppt worden, die aufgrund des Klimawandels und der Einleitung von Kühlwasser aus den Kraftwerken immer wärmer geworden sind. Der acht bis zehn Zentimeter lange Fisch ist ein Laichräuber und stört das Ökosystem empfindlich. Zudem schmeckt er nicht besonders. Um die Verbreitung der Schwarzmaulgrundel zu behindern, hat der Lippeverband an strategisch wichtigen Eckpunkten der Lippe in Wesel und Olfen eine Million Fischlarven des heimischen Raubfischs Quappe eingesetzt. Der Quappenbestand war bis in die 1960er-Jahre in den Gewässern sehr verbreitet gewesen, wegen der Begradigung der Flüsse aber stark dezimiert worden. Die Quappe soll zur  Wiederherstellung des Ökosystems der Lippe beitragen.

Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen bis 2017

Mit 450 Einzelprojekten – geschätzte Kosten: 120 bis 140 Millionen Euro – will der Lippeverband bis 2017 die Gewässerstruktur deutlich verbessern und die Lippe naturnäher gestalten. Darunter sind 30 Maßnahmen in Dorsten und Schermbeck geplant. Vorarbeit hat der Verband bereits geleistet: 1,5 Milliarden Euro wurden in den letzten zwanzig Jahren in die 53 Kläranlagen längs der Lippe investiert und so die Wasserqualität des Flusses so nachhaltig verbessert, dass inzwischen wieder seltene Tiere und Pflanzen an seinen Ufern siedeln. Auch die Fischvielfalt soll wieder wachsen: 2012 wurden Jungfische der früher typischen, mittlerweile seltenen Arten Quappe und Maifisch ausgesetzt. Während sich die Wasserqualität gebessert hat, genügt die Struktur des Flusses (Beschaffenheit von Sohle, Ufern und Umland) aktuellen Richtlinien keineswegs. Vielerorts kommt die Lippe auf die Noten mäßig bis unbefriedigend. Das soll sich mit dem Renaturierungsprogramm bis 2027 ändern. Verschwinden sollen viele Steine, mit denen Ufer befestigt, der Fluss aber auch langweilig und tierarm gemacht wurde. An manchen Stellen, wo die Lippe begradigt wurde, soll sie bald wieder Schleifen schlage dürfen. In Dorsten werde es beim Umbau der Lippe aber eher um kleinere Projekte gehen. An vielen Stellen ist sie noch recht naturnah. Und wo Deiche Siedlungen vor Hochwasser schützen (etwa zwischen Maria Lindenhof und Holsterhausen) sind Eingriffe in die Struktur kaum möglich. Allerdings gehören zum Dorstener Paket auch Umbauten an Zuläufen der Lippe. So sollen die Einmündungen von Hammbach, Rapphoffs Mühlenbach, Weiherbach und Schermbecker Mühlenbach umgestaltet werden. Wann welche Projekte in Dorsten umgesetzt werden und was sie im Einzelnen kosten sollen, das ist derzeit noch Gegenstand der Detailplanung (WAZ, 10. Januar 2013).

Dennoch: Die Lippe ist nach wie vor stark versalzen

Lippe zwischen Natur und Industrie

Lippe zwischen Natur und Industrie

Der Fluss sei versalzen, mahnte im Januar 2012 erneut der Verein zum Schutz des Rheins und seiner Nebenflüsse (VSR). Der Lippe gehe es immer besser und wir arbeiten daran, sagte dagegen der Lippeverband. Mit dem hohen Salzgehalt (Chlorid) aus Grubenwassereinleitungen wird die Lippe noch lange leben müssen, vielleicht Jahrzehnte, meint Gerd Eiben in der WAZ, der die Prognosen des VSR veröffentlichte.
Wenn die Lippe die Marl/Dorstener Region erreicht, ist sie schon schwer vorbelastet: In Lünen hat der Fluss schon 180 Milligramm (mg) Chlorid pro Liter, dann kommen die Beiträge der Zeche Auguste Victoria, so dass der VSR-Gewässerschutz in Dorsten im Oktober 2011 sogar 425 Milligramm gemessen hat. Eine vom Landesamt für Natur, Umwelt und Naturschutz 2010 in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass ab 200 mg Chlorid bereits fast die Hälfte der sonst vorkommenden Arten bei Kleinstlebewesen und bei 400 mg sogar dreiviertel der Arten nicht mehr vorhanden sind. Gerd Eiben zitiert den Pressesprecher des Lippeverbandes, Michael Steinbach: Bei bergbaugeprägten Gewässern seien 400 mg ein realistisches Maß und bei einer guten Gewässerstruktur auch kein Hindernis. Die Lippe sei eben kein klarer Bergbach und auch nicht an diesen Idealmaßen zu messen.

2019 immer noch zu viel Nitrat im Lippewasser

27 Milligramm Nitrat pro Liter Lippewasser hat im März 2019 der Verein VSR Gewässerschutz in Marl in Höhe des Schachts AV 8 gemessen. Die Messfahrt fand im Februar statt, die Ergebnisse wurden jetzt ausgewertet. Nach Einschätzung des VSR ist die Nitrat-Belastung „erschreckend“: Die intensive Landwirtschaft habe zu einer viel zu hohen Konzentration geführt. Ein Liter Lippewasser dürfe höchstens elf Milligramm Nitrat enthalten, so die Gewässerschützer.

Bergung von Kriegswaffen und Quecksilber Mitte 2019 in der Lippe

Ein Dorstener wurde im August 2019 beobachtet, wie er in seinem Garten rostige Waffenteile putzte. Die Beobachter verständigten die Polizei. Der Mann gab an, die Teile aus der Lippe gefischt zu haben und führte sie zum Fundort Nahe Buerer Straße/Hammer Weg. Dort fanden die Polizeitaucher weitere Waffenteile und Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Taucher fanden dabei auch Quecksilber in einer Menge wie zwei gefüllte Bowlingkugeln. Gegen den Dorstener wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes des Kriegwaffenkontrollgesetzes eingeleitet. In einem gesonderten Verfahren geht die Polizei dem Verdacht auf ein Umweltdelikt nach. Noch ist unklar, wie das Quecksilber in die Lippe gekommen ist und wie lange es im Fluss lag. Es kann derzeit auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Substanz aus der Munition ausgetreten ist. Das Veterinäramt des Kreises Recklinghausen hat bis auf Weiteres für die Lippe von der Hervester Brücke (Dorfstraße/Buerer Straße) flussabwärts bis zur Kreisgrenze (Kreis Wesel) ein Angelverbot verhängt. Auch der Verzehr von Fischen, die in diesem Bereich gefangen worden sind, sowie das Baden seien bis Vorliegen der Messergebnisse untersagt, aber nach Tagen wieder aufgehoben worden. Denn das Lippewasser wurde analysiert. Die Bezirksregierung Münster teilte in einer Presseerklärung mit, dass es keinerlei Hinweise auf eine ungewöhnliche Belastung des Lippewassers mit Quecksilber gab. Damit wurde auch die vorsorgliche Sperrung des Bereichs wieder aufgehoben. Nur das Angelverbot blieb bestehen. Völlig unklar ist noch, wie das Quecksilber in die Lippe gelangt war und wie lange es dort bereits lag. Die Herkunft der gefundenen Kriegswaffen ist ebenfalls noch unklar. Die Waffen wurden zunächst katalogisiert, um ihre Herkunft zu ermitteln. Der Kreis Recklinghausen hat das Verzehrverbot für Fische aus der Lippe im Bereich Hervester Brücke (Buerer Straße) flussabwärts Mitte September aufgehoben. Untersuchen hatten ergeben, dass der festgelegte Höchstgehalt für Quecksilber im Muskelfleisch von Fischen wird in allen Fischproben deutlich unterschritten war.

Die Artenvielfalt hat sich in den letzten Jahren trotz Belastung vergrößert

Impression an der Lippe

Tatsächlich habe sich der Fluss stark verändert. In den 1960er- und 70er-Jahren habe es sogar Salzkonzentrationen von bis zu 2500 mg gegeben, so Steinbach. Mittlerweile werde im Jahresschnitt die 400-mg-Grenze nicht überschritten. Die Artenvielfalt habe sich in den vorigen zehn bis 15 Jahren stark vergrößert. Dabei sei die Lippe vielfach belastet. Das langsam fließende Flachgewässer habe warmes Wasser (aus Kühltürmen) ebenso zu verarbeiten wie das Salz und geklärte Abwässer. Letzteres war in den 90er-Jahren noch ein großes Thema. Der Lippeverband setzte im Frühjahr 2015 eine Million Larven der selten gewordenen Fischart Quappe in die neue Lippe-Mündungsaue bei Wesel ein. Dort finden Jungfische  ideale Bedingungen, um heranzuwachsen und sich im Rhein und in der Lippe auszubreiten. Früher war die Quappe in diesen Flüssen weit verbreitet.  In den 1940er- bis zu den1970er-Jahren ist sie im Rheingebiet ausgestorben und in der Lippe stark zurückgegangen; die Fischart überlebte aber am Mittel- und Oberlauf. – Ende 2015 renaturierte der Lippeverband die Lippe im Bereich von Hervest und führte eine „Uferentfesselung“ durch. Dabei wurden die Wasserbausteine an der Böschung mit einem Langarmbagger entfernt, um dem Ufer wieder seine natürlich Optik zu geben.

Für eine umfassende Renaturierung sind 300 Millionen Euro eingeplant

Die Lippe soll wieder wilder und natürlicher werden. Das wollen Land und Lippeverband gemeinsam durch Renaturierung erreichen. Somit soll der längste Fluss in NRW wieder so fließen, wie in vorindustrieller Zeit. Das kostet dem Land etwa geschätzte 300 Millionen Euro und vor allem viel Fläche links und rechts des Flusses. Damit ist dies das größte Gewässer-Projekt in Nordrhein-Westfalen. Die Maßnahmen werden einige Jahre dauern.

Lippe zur Flusslandschaft des Jahres 2018/19 erklärt

Im Jahr 2018 wurde die 220 Kilometer lange Lippe zur Flusslandschaft 2018/919 erklärt. Die Natur-Freunde Deutschlands und der Deutsche Angelfischerverband rufen alle zwei Jahre eine neue Flusslandschaft aus, um die Bevölkerung für die ökologische, ökonomische und soziokulturelle Bedeutung der Flüsse zu sensibilisieren. Die Auswahl trifft der gemeinsame Beirat für Gewässerökologie des Deutschen Angelfischerverbandes (DAFV) und der Natur-Freunde Deutschlands (NFD) in enger Zusammenarbeit mit den Landesvorständen beider Verbände. Die Flusslandschaft des Jahres wird in die Liste „Natur des Jahres“ des Bundesumweltministeriums aufgenommen.

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