Straßennamen

Sie leiteten früher Einheimische wie Fremde zum Ziel

Straßenschild in Wulfen-Barkenberg; Foto: Christian Gruber

W. St. – Straßennamen hatten früher die Funktion eines Stadtplans. In Deutschland bestimmen Benennungsgrundsätze den Namen von Straßen, der in der Regel auf Dauer angelegt ist. Namenswechsel sind eher selten. Die Benennungen sollen eindeutig sein. So gibt es beispielsweise keine zwei „Dorfstraßen“ in einer Gemeinde. Umbenennungen fanden aber nicht nur bei grundlegendem Politik- oder Regimewechsel statt, wie 1945 und bei der Wiedervereinigung, sondern auch bei anderen Anlässen wie Eingemeindungen, um Doppelungen zu vermeiden. Ein  Grundsatz, der überall gilt: Bedeutende Persönlichkeiten bekommen eine bedeutende Straße (1933: Essener Torplatz in Adolf-Hitler-Platz). Auch wird bei der Benennung Rücksicht auf die Anwohner genommen. So ist eine „Straße der Arbeitslosigkeit“ nicht möglich und eine Benennung nach einem Nationalsozialisten nach 1945 eine Zumutung für die Anwohner, wie dies in Rothenburg ob der Tauber der Fall war. Dort hieß bis 2016 eine Straße nach dem SA-Obergruppenführer und bayerischen NS-Ministerpräsidenten Ludwig Siebert. Straßennamen sind auch dem Grundsatz der nationalen Identität verpflichtet und spiegeln damit die Herrschaftsstrukturen und Ideologien der Namen wider.

Dorsten: Feldmarschall von Roon

1870 bis 1932: In den Jahrzehnten ab 1870 bis heute lassen sich regelrechte Konjunkturen für Straßen-Benennungen feststellen. Zwischen 1870 und 1932 kamen deutsche Kaiser sowie Staatsmänner (Bismarck) auf die Straßenschilder. Gerne bedacht wurden hochrangige Militärangehörige (Bimarck-, Goeben-, Roon-,  Wrangelstraße) oder Adelsgeschlechter. Um den Ersten Weltkrieg kamen wieder Generäle und auch Kriegshelden auf die Straßenschilder wie Paul von Hindenburg.
1933 bis 1945:  Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten gelangten Adolf Hitler und seine NS-Parteigrößen und Führer ins Straßenbild. Bei den Nationalsozialisten waren die Generäle des Ersten Weltkriegs ebenfalls gern verwendete Namensgeber. Förmlich beendet wurden die Straßenumbenennungen durch den Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 30. August 1939, der für den bevorstehenden Krieg die „Verwaltung im gemeindlichen Bereich“ vereinfachen sollte. Ein weiterer Erlass vom 19. Oktober 1940 verfügte, dass Straßenbenennungen nach verdienten Offizieren bis nach Kriegsende zurückgestellt werden sollten.
Nach 1945: Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es, die Straßennamen zu entnazifizieren. Adolf Hitler, Horst Wessel, Hermann Göring oder Ludwig Siebert wurden aus den Stadtplänen entfernt. Die Forderung der Alliierten, alle militaristischen Namen – auch Hindenburg – von den Schildern zu verbannen, fand jedoch keine allgemeine Umsetzung. In den ersten Nachkriegsjahren scheute man zunächst politische Namen und griff beispielsweise auf scheinbar unpolitische Dichternamen für die Benennungen zurück. Eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit fand zunächst nicht statt.

In NRW haben 200.000 Straßen 95.667 unterschiedliche Namen

In Nordrhein-Westfalen gibt es rund 200.000 Straßen und Wege, 95.667 unterschiedliche Namen tragen. Die Gartenstraße kommt am häufigsten vor, nämlich in 340 von insgesamt 396 Kommunen. Zum Standardprogramm zählen außerdem die Schulstraße (315), die Bergstraße (308) und die Bahnhofstraße (305). Es gibt auch viele kuriose Straßennamen wie in Neuss eine „Schabernackstraße“, deren Name allerdings nicht einen Lausbubenstreich bedeutet, sondern auf eine alte Familie Schvernath zurückgeht. In Wuppertal gibt es das „Paradies“, in Köln „An der Paradieswiese“, in Duisburg „Dier Fröhlichkeit“. Den längsten Straßennamen gibt es in Bochum: „Platz des Friedens und der Völkerverständigung“, gefolgt vom Krefelder „Platz der Wiedervereinigung 3. Oktober 19190“.

Öffentliche Auseinandersetzung entbrannt

In der Diskussion um Straßenumbenennungen geht es heute längst nicht mehr um politisch agierende Nationalsozialisten als Namensgeber, sondern um Militärs und Adelige aus Kaisers Zeiten, die keine Demokraten waren – wie Generäle und Feldmarschälle im Krieg gegen Frankreich 1870/71. In Holsterhausen gibt es noch eine Reihe solcher Straßennamen. Da, wo eine Nähe von Schriftstellern, Philosophen und Wissenschaftler zum Nationalsozialismus festgestellt werden konnte, wie beispielsweise bei Maria Kahle (in Wulfen), Rolf Castelle, Agnes Miegel, Karl Wagenfeld u. a., wurden entweder die Straßen umbenannt oder darüber entbrannte eine öffentliche Auseinandersetzung, die zum Teil noch anhält.

Straßenumbenennungen – ein aktuelles Schlagzeilen-Thema

Dorsten: NS-Sympathisant Pfitzner; Foto: Frenzel

Die Schlagzeilen darüber in den Print- und Funk-Medien quer durch Deutschland lesen sich wie ein zusammenhängendes Aktionsprogramm. Hier eine kleine Auswahl: „Adolf überall – Ende und Neubeginn der NS-Zeit“ (Wolfratshausen, 2012); „NS-belastete Straßen verschwinden“ (Hamm 2012);  „Keine Nazi-Straßen“ (Wendland 2010); „Straßennamen auf dem Prüfstand“ (Bremen 2013); „Neue Straßennamen braucht die Stadt“ (Oldenburg 2012); „Historischer Exorzismus“ („Der Spiegel“ 6/2014); „Verbrechen der NS-Zeit, Unbehagen über Straßennahmen“ (Fürstenfeldbruck 2013); Streit um Straßennamen (Nürnberg, Südd. Ztg. 2013); „Straßennamen auf der Kippe“ (Münster 2011); „Umbenennung von Straßennamen scheitert (Handorf 2012); „Umdenken erst durch öffentlichen Druck“ (Wien 2013); „Fragwürdige Ehrungen“ (LWL-Literaturkommission Münster 2011); „Schatten auf den Mythos Heidelberg“ (Heidelberg 2010).  Dazu kommen die bisherigen Rothenburger Schlagzeilen im „Fränkischen Anzeiger“ um die Ludwig-Siebert-Straße: „Vollkommen irreal“ (2004); „Volksverhetzer“ (2004); „Späte Eingebung“ (2009); „Siebert, Langemarck und Luther – Vizepräsident des Zentralrats der Juden ist dafür, nicht alle NS-Erinnerungen zu tilgen“ (2013).

Flurbezeichnungen im Straßennamen

Harsewinkel vor 1910; Archiv Walter Biermann

Straßen informieren aber auch den Bürger, wohin oder woher die Straße führte, und wie die Gegend, in der die Straße lag, beschaffen war. Auf Flurbezeichnungen gehen beispielsweise zurück: Am Havixberg = Habichtsberg; Am Hünengrab = volkstümliche Bezeichnung für Reste einer Wallanlage, Landwehr oder Motte; An der Vehme = Wedeme, Widume: Wohnhaus des Pfarrers; Auf der Bovenhorst = Hütte von Landstreichern, Marodeuren; Baddenkamp = Krötenwiese; Bückelsberg = Gebück: Heckenschutzwehr (13./14. Jahrhundert); Galgenkamp = bis Ende des 18. Jahrhunderts wurden hier Delinquenten niederen Standes hingerichtet; Gälkenheide = Galgan: asiatischen Heilkraut, das im 16. Jahrhundert auf den eingebürgerten deutschen Ingwer übertragen wurde; Goldbrink = ist  mndd. Gole: Lache, Pfütze; Im Ennewälken = Holzwellen, die bei niedrigem Wasserstand in den Mühlenkanal geworfen wurden; Im Elwen = Moorwasser; Im Hundel = hunbeke: dunkle, trübe Delle, morastige Niederung. Im Ovelgünne = wörtlich Missgunst, kann auf mndd. Günne, overkant zurückgehen, jenseits des Bachs lebende Familie Ovelgünne (um 1600); In der Miere = Potmere, Morast;  Im Harsewinkel = abgelegenes Riedgebiet; Rievekampstraße = Rübenfeld (älter Räuwenkamp); Speckinger Weg = befestigter Weg durch Sumpfgelände; Voßkamp = Revier des Fuchses (Neubildung Fahrenkamp); Zum Aap = germanisch apa, awipa, awapa, Aap: Flussname, Talaue, Überschwemmungsgebiet. Auf Ereignisse und Funktionen: „Am verbrannten Platz“ (1761), Galgenberg, Galgenkamp (=Richtstätte), Alter Postweg, An der Seikenkapelle, Nonnenstiege, Brüderstraße u. a.

Nach Personen benannt

An Dorstener Persönlichkeiten erinnern die Julius-Ambrunn-Straße (Synagogenvorsteher), der Lenzen-Ring (Dichterin Maria Lenzen), die Julius-Straße (Julius von Raesfeld als Eigentümer des Gutes Pliesterbeck), „Am Kreskenhof“ (um 1400 als Hof erwähnt, deren Eigentümer Kresken im 19. Jahrhundert nach Amerika auswanderten), Dreckerstraße (Pfarrer, gestorben 1861), Perlstein-Ring (jüdische Familie), Graf-von-Merveldt-Straße (Schlossherren von Lembeck), Jungeblodtstraße (Ehrenbürger), Sadeckistraße (erschossener Bergmann), Pfarrer-Wilhelm-Schmitz-Straße, Wilhelm-Norres-Straße (Ehrenbürger). Nach Feldherren, Freiheitskämpfern und Staatsmännern der großen Vaterländischen Kriege wie Roon, Bismarck, Wrangel und Körner sind ebenfalls Straßen benannt, wobei sich die Straßen nach Musikern, Dichtern, Malern und Politikern der Bundesrepublik friedlicher ausnehmen. Nach Stadtpartnerschaften sind die Rybniker Straße, die Crawleystraße, der Ernéeweg und der Dormanring in jüngerer Zeit benannt worden.

Nach NS-Größen umbenannt

Änderung des Namens 1945

Nach der Verordnung des Reichsministers des Innern vom 1. April 1939 („Die Benennung von Straßen, Plätzen und Brücken bedarf der Zustimmung der NSDAP“) mussten Straßen umbenannt werden. Beispiele:
Dorsten: Katharinenstraße = Straße der SA, Vestische Allee = Straße der Ostmark, Hammer Weg = Straße der österreichischen Legion, Essener Tor = Adolf Hitler-Platz.
Holsterhausen: Friedensplatz = Horst-Wessel-Platz, Antoniusstraße/Kurze Straße = Adolf-Hitler-Straße, Dreckerstraße = Düppelstraße, Bonifatiusstraße = Hindenburgstraße, Marktplatz (zwischen Wennemarstraße und Breslauer Straße = Adolf-Hitler-Platz, Idastraße/Querstraße = Horst-Wessel-Straße, Freiheitsstraße = Straße der SA, Breslauer Straße = Kronprinzenstraße, Martin-Luther-Straße = Königsstraße.
Hervest: Brunnenplatz = Adolf-Hitler-Platz, Glück-Auf-Straße/Kaiserstraße = Artur-Wagner-Straße, An der Landwehr (Kaiser-Wilhelm-Straße) = Straße der SA, Ebertplatz = Düsterbergplatz, Sandkamp = Sadeckistraße.

Nach den Eingemeindungen

Bei der Eingemeindung der Herrlichkeitsdörfer 1975 mussten 171 Straßen neu benannt werden, weil sie im erweiterten Stadtgebiet mehrfach vorkamen. Damit wurde ein Viertel der damals vorkommenden 700 Straßennamen geändert. Einige Namen wären fünfmal vorgekommen. 400 neue Straßenschilder waren notwendig geworden. Insgesamt waren von den Straßenumbenennungen 10.000 Dorstener betroffen. – Siehe auch im Anhang des Lexikon das Register über die  Straßennamen und deren Bedeutung.

Anmerkung: In Deutschland gibt es insgesamt 1.182.517 Straßen und Plätze. Das ergibt eine Abfrage in der Datenbank der Deutschen Post Direkt. Die Datenbank verzeichnet alle Postleitdaten, also alle Straßen, in denen sich ein Hausbriefkasten befindet. Daraus lässt sich folgende Hitliste der beliebtesten Straßennamen aufstellen:
7.630 mal Hauptstraße, 6.988 mal Dorfstraße (in Putbus sogar 25 gültige Dorfstraßen), 4.979 mal Bahnhofstraße, 2.893 mal Kirchstraße, 2.248 mal Schillerstraße, 2.172 mal Goethestraße, 1.624 mal Friedhofstraße, 1.264 mal Beethovenstraße. Die Reihenfolge ändert sich kaum, wenn man zusätzlich die Gassen, Alleen, Wege und Plätze einbezieht. Insgesamt existieren 396.345 unterschiedliche Straßennamen (Stand 2001).


Siehe auch: Straßen
Siehe auch: Straßenbeleuchtung
Siehe auch: Straßen im Vest
Siehe auch: Straßennamen Dorsten
Siehe auch: Alte Straßen
Siehe auch: Alter Postweg (Essay)
Siehe auch: Patriotische Straßennamen 1-6


Quellen:
Dr. H. W. Schmidt „Flurnamen als Straßennamen im Dorstener Raum“, Dorsten 1995 (Manuskript). – Wolf Stegemann in „Dorsten unterm Hakenkreuz“, Bd. 3, Dorsten 1985. – Ders. in „Holsterhausen unterm Hakenkreuz“, Bd.1, 2007. – Spiegel-Gespräch „Historischer Exorzismus“ mit dem Geschichtswissenschaftler Martin Sabrow, Spiegel 6/2014. – Pressestelle Deutsche Post, Bonn, 18. Juli 2001. – Michael Hoch: „Südanzeiger Essen“ vom 6. Februar 2013 – WAZ-Rubrik Kommentar (KOMPAKT: Analyse und Meinung) „Seltsame Wege. Straßennamen heute“ vom 9. Juni 2012. – Auskünfte Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber. Literatur: Rainer Pöppinghege: „Wege des Erinnerns. Was Straßennamen über das deutsche Geschichtsbewusstsein aussagen“, Münster 2007. – Marion Werner: „Vom Adolf-Hitler-Platz zum Ebertplatz. Eine Kulturgeschichte der Kölner Straßennamen seit 1933“, Köln/Weimar/Wien 2008.

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