Stadtverwaltung / Überstunden

Stadt schiebt einen Berg von Überstunden vor sich her - keine Lösung in Sicht

Ende November 2017 gab der Personalrat der Stadtverwaltung Dorsten wieder mal Alarm. Denn der Sparkurs der Stadt mute den Mitarbeitern im Rathaus viel zu. Den Sparkurs der Stadt haben die Mitarbeiter im Rathaus in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen. In manchen Bereichen, vor allem bei der Sachbearbeitung, sind nach Angaben des Personalrates viele Überstunden angefallen. „Der Druck auf die Beschäftigten wächst“, zitiert die „Dorstener Zeitung“ am 22. November 2017 die Personalratsvorsitzende Waltraud Hadick. Stellen würden nicht mehr  oder nur mit Verzögerung wiederbesetzt werden, gleichzeitig seien neue Aufgaben und Anforderungen hinzugekommen wie auch Bürger, welche die Arbeit der Stadtverwaltung immer kritischer sähen. Daher müssten Mitarbeiter immer mehr Überstunden „kloppen“, so ein Personalratsmitglied in der DZ. Jahrelang wies die Stadtspitze mit Selbstbewusstsein darauf hin, dass Dorsten im Kreis die schlankste Stadtverwaltung habe. Das änderte sich statistisch. Seit 2008 hat sich der Personalbestand der Stadt en von seinerzeit 695 verrechneten Vollzeitstellen auf nunmehr 830 im Stellenplan 2018 erhöht. Doch im Rathaus kommt davon nicht viel an. Das neu gegründete Jobcenter, die gesetzlich oder ministeriell vorgeschriebenen Personalerhöhungen im Bereich der Feuerwehr und der städtischen Kita-Plätze werden damit abgedeckt.

Notwendige Arbeiten seien während der Arbeitszeit kaum zu erledigen

Im Jahr 2009 meldete die Stadtveraltung 39.000 Überstunden. Aktuell wurden von der Stadtverwaltung für 2016 über 64.000 Überstunden errechnet. Allerdings musste sie diese Zahl nach deren Veröffentlichung in der Lokalzeitung  korrigieren. Es waren keine 64.000 Überstunden, sondern „nur“ 27.140. So hat rein rechnerisch jeder Mitarbeiter 27 Überstunden. Doch einige haben natürlich mehr, andere weniger oder gar keine. 334 Mitarbeiter im Rathaus bewegten sich im Limit-Bereich, weitere 469  hätten weniger als 40 Überstunden, rund 200 Mitarbeiter der Stadtverwaltung erheblich mehr. Überstunden, so die städtische Sprecherin Lisa Bauckhorn, fallen vor allem dann an, wenn durch Fördermittel finanzierte Projekte laufen. Die Aufgaben seien während der normalen Arbeitszeit kaum zu erledigen. Außerdem: Streudienste im Winter ab morgens um fünf schlagen sich in der Überstunden-Statistik besonders nieder, Feste und Veranstaltungen erfordern Sonderschichten bei Ordnungsdienst, Betriebshöfen und den Mitarbeitern im Grünflächenbereich. Im Jahresabschluss der Stadtkämmerei 2018 waren im Haushalt als Aufwendungen für Überstunden 738.000 Euro eingestellt, aber nicht ausbezahlt worden.

Am Jahresende 2019 ein Berg an Überstunden im Rathaus

Mit Stand Januar 2020 haben sich auf dem Arbeitszeitkonto der städtischen Mitarbeiter in Dorsten 28.158 Überstunden angesammelt. Die Zahl ist seit Jahren ziemlich konstant, so Stadtsprecher Ludger Böhne auf Anfrage der DZ. Die Umstellung auf ein neues System in der Stadtkasse, das Stadterneuerungsprogramm „Wir machen Mitte“, die Abrechnung der Elternbeiträge für Kindergärten, die Bearbeitung aktueller Bauvorhaben sind beispielsweise Projekte, in denen Überstunden teilweise auch angeordnet wurden oder werden. In einigen Bereichen komme es außerdem immer wieder zu längeren Vertretungsfällen, Auch da fallen zwangsläufig Überstunden an. Die rund 28.000 Überstunden betreffen allerdings nur 570 Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeit elektronisch erfassen. Die Überstunden der Mitarbeiter aus gewerblichen Bereichen, der Kindergärten und der Feuerwehr liegen erst Mitte Februar2019 vor. 16 Mitarbeiter haben 300 und mehr Überstunden auf dem Konto.
Der höchste Bestand an Überstunden liegt bei 1658. Würde der Mitarbeiter sie abfeiern, wäre der Betroffene bei einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden mehr als 42 Wochen nicht im Dienst.
Möglich ist sowohl der Abbau durch Freizeitausgleich wie auch die Auszahlung von Überstunden. Beides dürfte wegen Personalmangels und Finanznöten der Stadt schwierig sein. Der Stadtrat hat im November 2019 mit der Verabschiedung des Haushalts beschlossen, aus finanziellen Gründen 15 bis 20 Stellen temporär oder dauerhaft nicht wieder zu besetzen.
Für die Mitarbeiter im gewerblichen Bereich hat sich der Bürgermeister auf Vorschlag des Personalrats für das Jahr 2020 eine einmalige zusätzliche „Zeitgutschrift“ einfallen lassen: eine Gutschrift im Umfang von einem Fünftel der wöchentlichen Arbeitszeit als Ausdruck der Anerkennung für die hervorragenden Leistungen im Jahr 2019. Vollzeitkräfte können also 2020 einen Tag (8 Stunden) zu Hause bleiben, Teilzeitkräfte einen halben Tag (4 Stunden). Bereits im September 2019 hatte die Gewerkschaft Komba kritisiert, dass der Stadtspitze das Fingerspitzengefühl für die Kollegen fehlt, die „jetzt schon am Limit sind“.

Blick nach Ratzeburg: Kommunalaufsicht beanstandete dies „Geschenk“

Das mag gut gemeint sein – aber möglicherweise schlecht vorbereitet. Denn dieses „Anerkennungsgeschenk“ Stockhoffs könnte gekippt werden, wie ein Blick in die schleswig-holsteinische Kleinstadt Ratzeburg zeigt. Dort schenkte der Bürgermeister der  14.600-Einwohner-großen Stadt, Rainer Voß, den 104 Mitarbeitern der städtischen Betriebe ebenfalls einen Tag „Sonderurlaub“. Das brachte ihm im Oktober 2017 überregional negative Schlagzeilen ein. Als Anerkennung für ihre treuen Dienste schenkte er als Dienstherr seinen Mitarbeitern einen zusätzlichen Urlaubstag. Die Kommunalaufsicht des Kreises wertete  dieses Unterfangen als Überschreitung der Befugnisse des Bürgermeisters und forderte die Stadtverwaltung auf, den Schaden beim Bürgermeister geltend zu machen. Von den 104 Mitarbeitern verzichteten dann 53 auf das „Geschenk“. So blieb der Kleinstadt noch ein Schaden von rund 5000 Euro, den sie vom Bürgermeister einfordern und den dieser dann auch aus eigener Tasche bezahlte. Der Chef des Steuerzahlerbundes Aloys Altmann: „Er hat es gut mit ihnen gemeint. Jetzt sollten sie ihm gegenüber so fair sein, den Tag auch zurückzugeben, damit erst gar kein Schaden entsteht.“ Trotzdem kritisierte auch er die Entscheidung des Bürgermeisters, für die es keine Rechtsgrundlage gab. Bürgermeister Voß räumte seinen Fehler ein und erklärte, dass er sich mit dem zusätzlichen freien Tag bei den Mitarbeitern der Verwaltung und den städtischen Wirtschaftsbetrieben für den Einsatz bedanken wollte, weil sie die Personaleinsparungen der letzten Jahre aufgefangen hätten. Auch durch Überstunden. Er erklärte in der „Hamburger Morgenpost“, „mit dem Herzen entschieden zu haben.“
„Sonnenkönig von Ratzeburg“ titelte die Morgenpost und schrieb: „In der am Ratzeburger See idyllisch gelegenen Stadt galt Voß bei vielen Bürgern nur noch als ,der Sonnenkönig von Ratzeburg’, in Anspielung auf den französischen König Ludwig XIV. und dessen  Absolutismus.“

Anmerkung glossiert: Sieht man von dem Begriff „Herzensangelegenheiten“ ab, den auch Dorstens Bürgermeister Tobias Stockhoff in seinen Reden bei Begründungen politischen Handelns in der Abwandlung „von Herzen“ oft und gerne bemüht, so lassen juristische Gründe womöglich einen direkten Vergleich der „geschenkten Tage“ in Ratzeburg und Dorsten nicht zu. Dennoch: schmunzeln darf man allemal!

Zum Thema Bürokratie:
Normenkontrollrat: Belastung durch Bürokratie so hoch wie nie

Die durch neue Gesetze verursachten Bürokratie-Lasten haben 2022 ein Rekordniveau erreicht. Zu diesem Ergebnis kam der Normenkontrollrat (NKR) in seinem aktuellen Jahresbericht, der Ende November 2023 an die Bundesregierung übergeben wurde. Das unabhängige Gremium untersucht alljährlich den Zeitaufwand und die Kosten, die durch neue Bundesgesetze entstehen. Dabei hatte sich doch die Bundesregierung von Anfang an den Abbau bürokratischer Hemmnisse auf die Fahnen geschrieben. Eine Trendwende sei auch bereits eingeleitet, beteuerte Bundesminister Buschmann. In dem Bericht, der den Zeitraum von Juli 2022 bis Juni 2023 umfasst, heißt es: „Gegenüber den Vorjahren ist die aus Bundesrecht stammende Belastung von Unternehmen, Behörden und Bevölkerung stark gewachsen – um 9,3 Milliarden Euro pro Jahr und einmalig um 23,7 Milliarden Euro.“ Der größte Kostentreiber sei das Gebäudeenergiegesetz gewesen, mit dem allerdings auch ein großer zukünftiger Nutzen verbunden sei. Die Gas- und Strompreisbremse sei „wahnsinnig kompliziert aufgesetzt worden“, kritisiert der Normenkontrollrat (dpa).

Siehe auch: Stadverwaltung / Personalrat


Quellen: DZ vom 22. Nov. 2017. –  Stefan Diebäcker in DZ vom 9. Jan. 2019. – Hamburger Morgenpost vom 27. und 28. Nov. 2017. – „KN-online“ (Aufruf 2020). 

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