Schweers, Kerstin

Im wahren Goldregen Ovid`scher Liebesverwandlungen

Von Wolf Stegemann – Geboren 1965 in Dorsten-Holsterhausen; Schauspielerin. – Für sie ist es immer wieder ein Nachhausekommen, wenn sie – wo immer sie auch Engagements hat – in Holsterhausen ihre Familie besucht. Seit einigen Jahren ist Berlin der Ausgangspunkt ihrer Besuchsreisen nach Dorsten, vorher waren es u. a. Saarbrücken, Wilhelmshaven, Darmstadt, Zürich und Nürnberg. Unterwegs ist Kerstin Schweers als Schauspielerin immer. Nicht nur im übertragenen Sinn.

Kirsten Schweers und Szene aus "Torquato Tasso"

Kirsten Schweers und eine Szene aus “Torquato Tasso”; Foto rechts: Frédéric Mougenot

Schon als sie Schülerin am Gymnasium der Ursulinen war, zog es sie auf die Bretter, die für sie die Welt bedeuten sollten – diesmal im übertragenen Sinne, zumindest die kleine Welt des Schultheaters. Ihre Lehrerinnen, ihnen voran Sr. Angela Klein und Ilona Kleinefeld, weckten in ihr die Lust am Theater. Als „Julia“ stand sie in Frischs „Die chinesische Mauer“, in Dürrenmatts „Frank V.“ und in Brechts „Dreigroschenoper“ auf der Bühne. Nach dem Abitur im Jahre 1985 gab es für sie die Wahl, bildnerische Künstlerin oder Schauspielerin zu werden. Sie entschied sich für den Thespiskarren. Bestärkt wurde sie von Mitschülerinnen und Mitschülern, die den gleichen Berufswunsch hatten. Fast alle in ihrer bis nach dem Abitur zusammengehaltenen Dorstener Schauspielclique fanden ihre Bühnen: Rainer Kleinespel, Jutta Wilkin, Niklas Weidmann.

Von Nürnberg nach Berlin

Kerstin Schweers fand zu den Brettern über die Hochschule für Musik, Studiengang Schauspiel, die sie nach vier Jahren abschloss und als Diplom-Schauspielerin an der Landesbühne Wilhelmshaven für zwei Jahre ein „Anfänger-Engagement“ erhielt. Bühnen in Tübingen, Bayreuth, Amsterdam, Zürich, Dortmund und Darmstadt folgten, bis Intendant Holger Berg  sie 1995 als festes Ensemble-Mitglied an die Nürnberger Bühnen holte, die seit 1996 Staatstheater sind. Ihren Mann, den Theater- und TV-Schauspieler Helmut Rühl, lernte sie am Dortmunder Theater kennen, heiratete ihn 1999 und führte mit ihm anfangs ein mitunter getrenntes Leben mit ehelichen Standorten in Berlin und Nürnberg. 2006 ging Kerstin Schweers nach Berlin mit Gast-Engagements an der Staatsoper Berlin und am Staatstheater Braunschweig. As 2000 bzw. 2003 ihre Söhne Victor und Gregor geboren wurden, veränderte der Familienzuwachs ihr Berufsleben. Sie konnte ihre Engagements nicht mehr so frei wählen, wie sie es vorher getan hatte. Berlin wurde immer mehr zum Mittelpunkt ihrer Kunst.

Shakespeare, Purcell, Monteverdi, Mozart

Gute Kritiken bekam sie in Shakespeares musik-theatralischem
Zwei-Personen-Verführungsstück „Venus und Adonis“ im Rahmen der Potsdamer Hofkonzerte im Jahre 2009. Weitere Vorstellungen gab es zum zehnjährigen Jubiläum des Unesco-Weltkulturerbes 2010 im Amphitheater des Wörlitzer Parks. William Shakespeare erzählt in diesem Versepos mit Humor und Erotik vom Werben der Liebesgöttin Venus um den schönen, aber selbstverliebten Jüngling Adonis – und liefert en passant den Grund dafür, warum wir Menschen uns auch in postmythischer Zeit mit der Liebe so schwer tun. Ein charmanter Musiktheater-Abend über die Liebe mit Musik aus der gleichnamigen „Masque“ von John Blow sowie von Purcell, Monteverdi, Mozart u. a. Ihr aktuelles Mitwirken am Berliner „Theaterdiscounter“ am Alex, eine Off-Bühne, die von einer Gruppe frei arbeitender Theaterschaffender betrieben wird, darunter Kerstin Schweers, macht  ihr Freude. Der Tagesspiegel schrieb 2009 über das Theater:

„Wenn sich die Stadttheater immer mehr der Theaterpraktiken und Ästhetiken aus der Off-Szene bedienen, bleibt den Off-Bühnen nur noch wenig Spielraum. Frech und raffiniert dreht der als avantgardistisch bekannte Theaterdiscounter den Spieß um und macht kurzerhand auf Klassiker.“

Der Klassiker ist Goethes „Torquato Tasso“. Das Ensemble transferiert den Text vom Fürstenhof in die neoliberale Galeristenszene. Darüber hinaus engagiert sich die Holsterhausenerin Kerstin Schweers für Theaterarbeit mit Kindern und Schulen, die vom Berliner Senat gefördert wird. Ihre bislang wichtigsten Rollen waren die Eboli in Schillers „Don Carlos“, die Lotte in Botho Strauss’ „Groß und Klein“, die Erna in Ödön von Horvaths „Kasimir und Karoline“, die Ellida in Ibsens „Frau vom Meer“, die Vera in Lars von Triers „Dogville“ sowie die musikalischen Produktionen „Sekretärinnen“ von Franz Wittenbrink und „Black Rider“ von Tom Waits/William S. Burroughs. – Und was macht Kerstin Schweers in ihrer knappen Freizeit? Neben gutem Essen im geselligen Kreis von Freunden geht sie als Besucherin gerne ins Theater. Und was sieht sie sich dann an? – „Am liebsten gutes Theater“, sagt sie.

Pressestimmen (Auszüge):

„Die Schauspielerin Kerstin Schweers und die Sopranistin Jutta Böhnert sind in schlichtes Schwarz gekleidet; es gibt weder Kostüme noch Requisiten. Diese vermisst man auch nicht, weil man der einfallsreichen und plastischen Sprache Shakespeares verfällt. Und das großartige Damenduo tut sein Übriges, die breite Gefühlspalette des Stücks ins Leben zu rufen […]. Die Gesänge sind kunstgerecht in die Handlung eingeflochten und zudem einheitlich von Barockcello und Theorbe begleitet – so ergibt das ganze durchaus einen stringenten roten Faden. “ (Antje Rössler, Märkische Allgemeine)

„Kerstin Schweers, die die Mehrzahl der Verse sprach, meisterte diese Aufgabe souverän. Wie in Shakespeares Theater musste das Wort Tageszeiten, Kulissen, Orte und Richtungen ersetzen. Und das gelang mit aller Plastik und Intensität, die es in diesen Versen zu entfesseln gibt […]. Die Musik war freilich ,nur’ Illustration, soweit man dabei überhaupt ,nur’ sagen kann. Sie gab dem Text herrlich illuminierte Farben, und dieser Text war, wie die Musik, groß genug, dass nach keiner Seite ein schamvolles Gefälle hätte entstehen können. Jutta Böhnert sang vor allem Purcell mit wunderbarem, dunkel lyrischem Timbre und spielte auch im Gesprochenen keck ihre verschiedenen Rollen. Die Arien wurden locker, aber doch mit einiger Intimität musiziert; ein Verb, das vor allem durch die kleine Besetzung völlig am Platz schien. Die Verbindung und Überlagerung von Sprache und Musik, von Epik und Dramatik ergaben ein durchweg überzeugendes Kreuzprodukt. […] Das hört man nicht alle Tage, und der wunderbare Effekt steht für einen der vielen wunderbaren Einfälle, die auch diesen Versuch im Radialsystem auszeichnen. “ (Tobias Roth)

„Kerstin Schweers spielte diese Figur, die ständig in hochtourigem Energie-Leerlauf auf Bewegung wartet, mit allen Facetten tragikomischer Aufrichtigkeit. Energisch noch am Bodensatz  der Naivität […]. Nürnbergs Schauspiel hat lange nicht so überrascht.“ (Dieter Stoll in „Theater Heute“, Juli 1999, als Lotte-Kotte in Botho Strauß „Groß und klein“).


Siehe auch:
Künstler, darstellende (Artikelübersicht)


Quellen:
Gespräch Wolf Stegemann mit Kerstin Schweers am 14. Juli 2011. – Homepage der Agentur Wieland-Wieland Management, Berlin. – Potsdamer Hofkonzerte Sanssouci, Potsdam, Ankündigungen 2009. – Doris Meierhenrich in „Berliner Zeitung“ vom 5. Juli 2011.

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