Sachsenkolonie

Der Name ist die Hinterlassenschaft der sächsischen Bergarbeiter

Sachsensiedlung (Freiheitsstraße)

Sachsensiedlung (Freiheitsstraße); die Häuser wurden 1982 abgebrochen

Von Wolf Stegemann – Im Jahr 1909 hatte die Gewerkschaft Trier mit dem Bau der Zechenhäuser für Bergarbeiter der Zeche „Baldur“ in Holsterhausen begonnen. Das Areal war 6,5 Hektar groß. Belgische Zwangsarbeiter, die in der Zeche arbeiten mussten, brauchten dringend Wohnraum. Die Siedlung erhielt den Namen „Neue Kolonie“, denn es gab bereits eine Kolonie jenseits der Borkener Straße, die nun „Alte Kolonie“ genannt wurde. Dann zogen Zuwanderer für die Zeche aus dem Zwickauer Kohlerevier nach Holsterhausen. Seither heißt die Neue Kolonie im Volksmund „Sachsensiedlung“ oder „Sachsenkolonie“. Als die Zeche „Baldur“ nach Übernahme durch die Hoesch AG 1931 geschlossen wurde, zogen die meisten Sachsen wieder fort, geblieben ist der Name. Zwischen den beiden Kolonien und dem Dorf Holsterhausen gab es kaum Kontakte – weder in der baulichen Anbindung der beiden Ortsteile noch unter den Menschen selbst. Man blieb unter sich. Die Alteingesessenen grenzten sich bewusst ab, wollten mit den „Kolonien“ nichts zu tun haben. 1933 wählten die Nationalsozialisten den Platz zwischen Wennemarstraße und der heutigen Breslauer Straße, also zwischen Dorf und Kolonie, als Mittelpunkt Holsterhausens und nannten ihn „Adolf-Hitler-Platz“. Zu einer Zusammenführung von Dorf und Kolonien führte dies aber auch nicht. 1952 ging die Sachsenkolonie in den Besitz der Hoesch-Wohnungsbaugesellschaft  über. Die fortschreitende Bebauung Holsterhausens integrierte bald die Kolonie zwischen Freiheitsstraße und Waldstraße, Wrangel-, Düppel- und Tannenstraße.

Privatisierung der Häuser brachte für die Bewohner viele Probleme

Abbruch der Häuser an der Freiheitsstraße

Abbruch der Häuser an der Freiheitsstraße

In den 1970er-Jahren machten sich Landes- und Kommunalpolitiker, Mitarbeiter der Hoesch AG als Eigentümerin sowie Bewohner Gedanken darüber, was mit den modernisierungsfälligen Häusern und mit der Gesamtheit der Holsterhausener „Sachsensiedlung“ geschehen soll. Es begann die große Zeit der Privatisierungen und Modernisierungen von Bergmannssiedlungen im Ruhrgebiet. Die Hoesch AG als Eigentümerin wollte die Sachsensiedlung abreißen. Ihr waren die Häuser zu alt und die Modernisierung zu teuer. Daraufhin setzten sich die Mieter zur Wehr und gründeten 1974 eine Bürgerinitiative, die versuchte, mit Landes- und Kommunalpolitikern, mit der Hoesch-Wohnungsgesellschaft und den Mietern den Abriss zu verhindern. Die alten Häuser der Sachsenkolonie waren nicht unterkellert, die Küchen unzureichend und die Bausubstanz geschädigt. Für viele Mieter war der Kauf des Hauses unerschwinglich. Mit diesem Argument begründete die Hoesch-Wohnungsgesellschaft ihre Abriss-Absicht: die Mieter seien zu alt und finanziell nicht in der Lage, Eigentum zu erwerben, es zu modernisieren oder höhere Mieten zu zahlen.

Dorstener Stadtrat wollten 1974 keinen Bebauungsplan aufstellen

WAZ vom 6. April 1976

WAZ vom 6. April 1976

Alle Beteiligten waren sich darüber einig, dass eine Privatisierung wegen der hohen Kosten nicht in Frage käme. Andererseits wollte die Bürgerinitiative auch nicht, dass Finanz-Spekulanten als Eigentümer der Häuser auftauchten. Denn dann wäre die gewachsene soziologische Struktur der Siedlung gefährdet. Die Hoesch AG stellte immer wieder klar, dass sie aus den Mieteinkünften die Siedlung nicht modernisieren könne. Täte sie es dennoch, müssten die Mieten steigen. Dies lehnten die Bewohner ab. In dieser Konfrontationslage wurden Überlegungen laut, mit Fördermitteln des Landes die finanzielle Situation zur Zufriedenheit aller zu lösen. Doch die Hoesch-Wohnungsgesellschaft drängte weiterhin auf Abriss. Im September 1974 entschied der Dorstener Stadtrat, für die Siedlung keinen Bebauungsplan aufzustellen. Damit war der Abriss gestoppt, was die Bürgerinitiative aufatmen ließ. Denn Stadtverwaltung und Stadtrat waren in jenen Jahren bekannt dafür, lieber abzureißen, als Historisches zu erhalten, wie die Einebnung des historischen Friedhofs an der Bovenhorst und der Wincks Mühle am Schölzbach zeigte.   Nachdem die Stadt 1974 dem Abriss der Siedlung nicht zugestimmt hatte, bot die Wohnungsbaugesellschaft sämtliche Häuser sehr günstig zum Verkauf an. Schließlich gingen die Häuser innerhalb weniger Jahre in Privatbesitz über, wurden mit viel Mühe und Aufwand renoviert.

Ruhr-Nachrichten vom 1. Juli 1982

Neue Schichtwohnungen für Bergarbeiter

1980 erlebten die Bewohner der Hoesch-Wohnungen an der nördlichen Freiheitsstraße  zwischen der Tannen- und der Wrangelstraße einen Schock. Denn sie wurden unmissverständlich aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen und vorübergehend wegzuziehen oder Häuser in der Siedlung zu kaufen. Denn die Häuser an der Freiheitsstraße sollten abgerissen werden. Dieser Abriss gehörte zu der vorangegangenen Kompromisslösung, die Flächensanierung der gesamten Siedlung zu verhindern. Während die „hintere“ Siedlung erhalten blieb und privatisiert wurde, wollte man an der Freiheitsstraße eine „kleine städtische Dominante“ entstehen lassen. Hoesch riss tatsächlich ab und baute 1981 mit finanzieller Förderung des Bundes und des Landes für zehn Millionen DM 62 neue Wohnungen für Angehörige des Bergbaus oder deren Hinterbliebene. Das Architektenteam Manfred Ludes aus Holsterhausen erhielt für die beispielhafte Planung 1983 als Anerkennung von Bundesbauminister Schneider einen Geldpreis. Heute bietet die Sachsenkolonie einen schmucken Anblick mit Verkehrsberuhigung, gepflegten Gärten vor und hinter den Häusern sowie Kinderspielplätzen. Zudem ist die sozialgeschichtlich interessante Kolonie in die Route „Industriekultur an der Lippe“ aufgenommen worden.

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