Ritgen, Prof. Ferdinand von

In Wulfen geborener Psychiater veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten

1787 in Wulfen bis 1867 in Gießen; Amtswundarzt und Vorkämpfer der Psychiatrie und Gynäkologie. – Er wurde 1838 in Hessen in den erblichen Adelsstand erhoben. Sein Großvater Georg Philipp Ritgen (1732 bis 1806) trat 1756 als Jäger in die Dienste des Grafen von Merveldt. Sein erstgeborener Sohn Johann sollte ebenfalls ein Grünrock des Grafen werden. Kurze Zeit später wurde der Vater Georg Philipp Ritgen (1760 bis 1831) Rentmeister seines Grafen in Münster, heiratete die Tochter des Hochstifts-Münsterschen Kammerportiers de Varennes. Ihnen wurde am 11. Oktober 1787 in Wulfen der Sohn Ferdinand August Maria Franz geboren. Der Junge wuchs bei seinem Onkel Joseph Schlun auf einem Landgut in Vornholz bei Warendorf auf und besuchte das Gymnasium Paulinum in Münster. Ferdinand von RitgenAb 1806 studierte Ferdinand August Ritgen in Münster bei dem Gynäkologen Konrad Jakob Fries. Bereits 1808 legte er vor dem Medizinalkollegium in Arnsberg die Prüfung als Physikats-Chirurg ab und übernahm gleichzeitig die Stelle als Amtsarzt in Beleke. Im selben Jahr wurde er in Gießen zum Doktor der Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe (Dr. med. et phil.) promoviert und auch zur Ausübung der Inneren Medizin zugelassen. 1809 kam er als Amtsarzt nach Stadtberge, wo er Klara Herold aus Münster heiratete. 1811 wurde Ritgen in Medebach eingestellt. Während dieser Zeit entstanden erste Publikationen, z. B. über die Pockenschutzimpfung, für die er die silberne Impfmedaille erhielt. 1814 wurde Ritgen Professor für Geburtshilfe und Chirurgie an der Universität Gießen und Direktor der dortigen Provinzial-Entbindungsanstalt, war seit 1823 mehrfach Dekan und Rektor in den Jahren 1825/26 und 1837/38. 1824 übernahm er zusätzlich die Stelle als Stadtarmenarzt und Leiter des Bürger-Hospitals.

Der „Ritgensche Handgriff“ bei Geburten überlebte

1837 legte er die Professur für Chirurgie nieder und übernahm eine Professur für „medizinische Polizei“ und für Seelenheilkunde. Auf dem Gebiet der Psychiatrie veröffentlichte der Wulfener bedeutende wissenschaftliche Arbeiten. Daneben schrieb er über Botanik, Geologie, Ostologie, Mineralogie und Astronomie. Den breitesten Raum nehmen geburtshilfliche Studien ein. Als Geburtshelfer handelte Ritgen nach dem hippokratischen Grundsatz des „primum nil nocere”, der angesichts der „vis medicatrix naturae“ den Arzt nur als „minister naturae“ verstand, d. h. Ritgen wollte so wenig wie möglich in die natürlichen Abläufe eingreifen. Dies belegt seine Lehre vom Dammschutz, die bis heute im „Ritgenschen Handgriff“ weiterlebt. Von der „Ritgenschen Mutterhalskrause“ spricht dagegen niemand mehr. Ritgen erfand viele Instrumente (z. B. Tasterzirkel, Intrapelvimeter, Messkatheter, Stechsauger zum Eihautstich), die jedoch bald außer Gebrauch kamen.

1839 wurde Ferdinand Ritgen in den erblichen Adelsstand erhoben

Siegel Ferdinand von Ritgens

Siegel Ferdinand von Ritgens

Über 30 naturwissenschaftliche Vereinigungen ernannten ihn zum Ehrenmitglied, die philosophische Fakultät verlieh ihm die Ehrendoktorwürde, die Stadt Gießen wählte ihn in die 2. Kammer der Landstände, seine Frackbrust schmückten hohe Orden. Sein Landesherr erhob ihn 1839 in den erblichen Adelsstand. Ritgen war 42 Jahre lang Schriftführer diverser Zeitschriften zur Geburtshilfe (Gemeinsame deutsche Zeitschrift für Geburtskunde, seit Bd. 1, 1826; Neue Zeitschrift für. Geburtskunde, seit Bd. 1, 1834; Monatsschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten, seit Bd. 1, 1853) und hat eine der insgesamt neun ersten deutschen Geburtshelfer-Schulen begründet. Adolph Kehrer (1837 bis 1914), der Reformator des klassischen Kaiserschnitts, war sein prominentester Schüler. – Mitte März 1867 bekam Ferdinand August von Ritgen Schnupfen und Husten, woran er am 14. April starb. Sein Sohn Hugo, geboren 1811, wurde Architekt und war Wiedererbauer der Wartburg; sieben weitere Kinder sind früh verstorben.

Werke: „Anzeigen der mechanischen Hülfen bei Entbindungen“, 1820; „Handbuch der niedern Geburtshülfe“, 1824; „Natürliche Eintheilung der Säugthiere“, 1824; „Pathologie und Therapie der Afterbildungen“, 1828; „Über die Aufeinanderfolge des ersten Auftretens der verschiedenen organischen Gestalten“, 1828; „Probefragment einer Physiologie des Menschen“, 1832; „Baustücke einer Vorschule der allgemeinen Krankheitslehre“, 1832; „Über das Wesen und die Entstehung des Erkennens und über das hemmende Naturprinzip“, 1835; „Leitfaden für die Erkenntnis und Behandlung der Persönlichkeitskrankheiten“, 1837; „Über die nächste Ursache der Bewegung der Himmelskörper“, 1839; „Lehr- und Handbuch der Geburtshülfe für Hebammen“, 1848; „Das alterswidrig gebaute Frauenbecken“, 1853; „Betrachtung der Kometen als Sterne in früher Gestaltungszeit“, 1860.

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