Dorstener Volkzeitung von 1881: „Man könnte sie auch Säue nennen!“
Während sich erst nach der Jahrhundertwende Nacktbader als Nudisten der Sonne, Natur und dem Wasser sowie den Blicken von Gaffern, der Moral der Gesellschaft und der Verfolgung durch Gendarmen aussetzten, hatten schon 1881 etliche Dorstener das Vergnügen gesucht, nackt in der Lippe zu baden – natürlich ganz zum Verdruss der strengen Obrigkeit und Kirche. Bürgermeister Geißler verbot im Sommer 1881 mit polizeilicher Verordnung das Baden, weil sich eben etliche Dorstener ohne Bekleidung in die Lippe begeben hätten, was das „Dorstener Wochenblatt“ am 15. Juli empört zu dem Kommentar veranlasste: „Man könnte sie auch Säue nennen!“
Unmoral und öffentl. Erregung
Der Bürgermeister berief sich bei dem Verbot auf eine Polizeiverordnung aus dem Jahre 1850, wonach „das freie Baden innerhalb einer Entfernung von einem Kilometer von der hiesigen städtischen Lippebrücke“ verboten war. „Zuwiderhandlungen werden mit einer Geldstrafe von 9 Mark eventuell Haftstrafe bis zu 3 Tagen bestraft.“ Es ist anzunehmen, dass die Androhung nicht viel bewirkt hatte, denn immer wieder wurde unerlaubtes und „unmoralisches“ Baden ohne Kleidung Anlass von öffentlicher Erregung und Aufregung.
Katholischer Pfarrer über evangelische Kinder, die nackt baden …
30 Jahre nach diesem Vorfall machte der Holsterhausener katholische Pfarrer Herold seinen Unmut über evangelische nackte Badefreuden Luft und schrieb am 28. Juli 1911 an den Amtmann Christoph Kuckelmann als zuständige Polizeibehörde in Wulfen einen Brief. Dem Pfarrer von St. Antonius mag zusätzlich die Zornesröte ins Gesicht gestiegen sein, weil etliche Schüler und Schülerinnen lieber nackt badeten, als im Unterricht neben dem Katechismus das moralische Leben zu lernen. Also beklagte sich der Geistliche:
„Unsere Lehrpersonen klagten mir, dass in letzter Zeit mehrfach Knaben und Mädchen ganz nackt, ohne Badesachen gebadet haben! Evangelische Schüler versäumten deshalb den Religionsunterricht. Auch sind Erwachsene dabei gewesen. Die Stelle ist im Bach gegenüber von Bauer Johann Deming, Gustav Schürholz und wird von der Kolonie sehr besucht. Dass diese Art zu Baden gegen die Sittlichkeit verstößt, und Ärgernis erregt, bitte ich Sie, Heidkötter und die [unleserlich] Polizeiorgane anzuweisen, hier Umschau zu halten und Änderung zu schaffen; die Stelle liegt nicht weit von Heidkötters Wohnung. Hochachtungsvoll Herold, Pfarrer und Schulinspektor.“ Es folgt der Nachsatz: „Auch wollte Heidkötter in nächster Zeit einige Male bei der Klasse Flunkert und Frl. Bungert anfragen, wie es mit Schulversäumnissen steht.“
Polizei schritt gegen badende Schüler ein
Das Schreiben und die Sache wurden von Amts wegen sehr ernst genommen und der Angelegenheit mit dem Vermerk „Sofort“ eilig nachgegangen. Schon einen Tag später vermerkte Amtmann Kuckelmann, dass der Landgendarmerie-Wachtmeister Raneck und der Revierbeamte Heidkötter aus Hervest den Sachverhalt feststellten und Bericht erstatten sollten. Heidkötter schrieb am 24. August seinen Rapport:
„Vor schon drei Wochen erfuhr ich von dem Herrn Kaplan Krick, dass im Hammbach in der Höhe bewohnter Häuser von Gymnasiasten viel gebadet wurde. Hiergegen ist sofort eingeschritten, desgleichen in Holsterhausen. Übertretungen sind dann nicht mehr wahrgenommen. Ferner habe ich vor verschiedentlich beiden Lehrpersonen in Holsterhausen festgestellt, dass der Schulbesuch wieder regelmäßig war.“
Amtmann Kuckelmann entschied danach, dass dies dem Pfarrer Herold „zur gefälligen Kenntnisnahme“ mitzuteilen und danach der gesamte Vorgang zu den Akten zu legen sei. – Übrigens gab es um das Jahr 1900 eine einzige Badeanstalt in Dorsten. Sie lag am „Kiwitt“. Als der Besitzer des Walkmühlenkamps das Betreten der Badeanstalt verbot, regte die örtliche Zeitung an, dass die Stadt, um die Badeanstalt geöffnet zu halten, dem Eigner Nutzungsentschädigung zahlen sollte. Erst 1933/34 wurde an der Lippe das „Strandbad“ eingerichtet.