Jugendamt / Inobhutnahme

Wegnahme eines Kindes von den Eltern und Unterbringung bei Notlagen

Inobhutnahme (ION) ist ein Begriff aus dem deutschen Rechtssystem und bezeichnet die vorläufige Aufnahme und Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen in einer Notsituation durch das Jugendamt. In Deutschland wird diese Maßnahme über § 42 SGB VIII geregelt und stellt eine so genannte andere Aufgabe der Jugendhilfe im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII dar. Sie erfolgte laut Statistischem Bundesamt (2921) im Jahr 2015 etwa rund 77.640-mal und im Jahr 2019 etwa 51.000-mal. im Jahre 2015. Wenn ein Kind in seiner Familie oder bei einer anderen Person in Gefahr ist oder in Verwahrlosung lebt, kann das Jugendamt dieses Kind in seine Obhut nehmen. Wenn sich ein Kind in einer akuten Krise oder in einer Gefahr befindet, dann kann es auch selbst beim Jugendamt darum bitten, in Obhut genommen zu werden. In Obhut genommen zu werden, bedeutet die vorübergehende Aufnahme und Unterbringung an einem sicheren Ort, zum Beispiel bei einer geeigneten Person, in einer Bereitschaftspflegefamilie, in einer Einrichtung (Kinder- und Jugendnotdienst) oder in einer anderen betreuten Wohnform. Ziel der Inobhutnahme ist es, das Kind oder den Jugendlichen zu schützen und eine Klärung des Konflikts oder der Krisensituation herbeizuführen. Das Jugendamt wird an die Eltern (beziehungsweise Sorge- oder Erziehungsberechtigten) herantreten, um im Konflikt zu vermitteln und – wenn notwendig – weitere Hilfen in die Wege zu leiten. Im Fall, dass die Erziehungs- oder Sorgeberechtigten nicht erreichbar, nicht bereit oder nicht in der Lage sind, mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten, wird das Jugendamt beim Familiengericht notwendige Maßnahmen beantragen.

Jugendamt kann rechtliche Schritte zum Wohl des Kindes unternehmen

Voraussetzung für eine Inobhutnahme ist, dass das Wohl des Kindes/Jugendlichen nach eigenem oder nach Ermessen der Mitarbeiter des Jugendamtes gefährdet ist. Das kann auch zutreffen, wenn ein ausländisches Kind ohne Begleitung Erwachsener in Deutschland ankommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Wenn ein Kind das Jugendamt darum bittet, ist das Jugendamt verpflichtet, es in seine Obhut zu nehmen. Auch wenn Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe darauf aufmerksam werden, dass eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes besteht, müssen sie es in die Obhut des Jugendamtes geben. Während der Inobhutnahme ist das Jugendamt berechtigt, vorübergehend alle rechtlichen Schritte zu unternehmen, die zum Wohle des Kindes/Jugendlichen notwendig sind. Dazu zählen unter anderem die Beaufsichtigung, Versorgung, Erziehung und Aufenthaltsbestimmung. Sobald ein Kind in Obhut genommen ist, darf es eine Person seines Vertrauens benachrichtigen. Die Mitarbeiter des Jugendamtes sind verpflichtet, sofort die Eltern oder Erziehungs-/Personensorgeberechtigten zu informieren. In manchen schwerwiegenden Fällen wird das Jugendamt diesen mitteilen, dass das Kind in Obhut genommen wurde, ohne den Unterbringungsort oder den Grund der Inobhutnahme zu nennen. Kinder und Jugendliche werden je nach ihrem Alter und Entwicklungsstand an allen Entscheidungen beteiligt, die die Inobhutnahme betreffen.

Die Unterbringung durch das Jugendamt ist immer nur vorläufig

Wenn die Eltern mit der Inobhutnahme nicht einverstanden sind, muss das Jugendamt entscheiden, ob das Kind den Eltern oder Erziehungs-/Personensorgeberechtigten übergeben werden kann. Ist dies nicht der Fall, hat das Familiengericht darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen zum Wohl des Kindes zu treffen sind. Die Inobhutnahme endet, wenn das Kind in die Familie zurückkehrt oder eine andere Hilfeform gewährt wird. Je nachdem, ob das Kind in seine Familie zurückkehren kann oder nicht, wird es entweder von den Eltern beziehungsweise den Personensorge-/Erziehungsberechtigten oder von einer Pflegeperson beziehungsweise dem Erzieher einer Einrichtung abgeholt und an diese Person übergeben. Die Unterbringung in der Obhut des Jugendamtes ist immer nur vorläufig. Das Jugendamt ist bestrebt, eine dauerhafte Lösung für den jungen Menschen herbeizuführen, etwa durch die Klärung der häuslichen Situation oder durch Unterbringung in einer Pflegefamilie, in einer Einrichtung oder in einer betreuten Wohngemeinschaft. Eine Inobhutnahme durch das Jugendamt gegen den Willen der Eltern (beziehungsweise der Sorge-/Erziehungsberechtigten) eines Kindes kann zur Folge haben, dass diesen durch das Familiengericht zeitweilig oder dauerhaft Teile der Personensorge beziehungsweise die gesamte elterliche Sorge entzogen wird. Nur wenn sich die Eltern zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt bereit zeigen und somit die Aussicht auf eine Verbesserung der häuslichen Situation besteht, kann das Kind in seine Familie zurückkehren. RECHTSGRUNDLAGE ist der § 42 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII).

Unbegleitete ausländische Minderjährige

Nach Deutschland eingereiste ausländische Minderjährige werden vom Jugendamt gemäß § 42 Absatz 1 Nr. 3 SGB VIII in Obhut genommen, wenn sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Entgegen einer verbreiteten Annahme handelt es sich bei diesem Personenkreis nicht immer um Flüchtlinge. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter bezeichnet „als Flüchtling Bürger aus Staaten außerhalb der EU, die aus politischen, wirtschaftlichen, geschlechtsspezifischen, gesundheitlichen, religiösen oder sonstigen Gründen auf der Flucht sind oder aufgrund der familiären Situation, des Fehlens von persönlicher Sicherheit oder aus sonstigen Motiven ihr Heimatland verlassen haben und Schutz suchen. Nicht unter den Flüchtlingsbegriff fallen Ausländer/ -innen, die Staatsangehörige der EU-Staaten und anderer westlicher Industriestaaten sind. Nach dem Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher werden ausländische Kinder und Jugendliche nach unbegleiteter Einreise zunächst vorläufig in Obhut genommen, bis sie nach dem Königsteiner Schlüssel innerhalb der Bundesländer einem Jugendamt zur endgültigen Inobhutnahme zugewiesen werden (§§ 42a ff. SGB VIII in der seit dem 1. November 2015 geltenden Fassung).

Die zehn häufigsten Gründe der Inobhutnahme deutschlandweit 2019

Überforderung er Eltern (eines Elternteils): 19.014. – Unbegleitete Einreise aus dem Ausland: 8647. – Vernachlässigung: 6718. – Beziehungsprobleme: 6056. – Anzeichen von körperlicher Misshandlung: 5863. – Delinquenz des Kindes / Straftat des Jugendlichen: 3717. – Integrationsprobleme im Heim / in der Pflegefamilie: 3382. – Anzeichen von psychischer Misshandlung: 3019. – Schul- oder Ausbildungsprobleme: 2745. – Wohnungsprobleme: 2596 (Quelle: Stat. Bundesamt, Destatis, 2021).

Entwicklung der Inobhutnahme deutschlandweit in den Jahren:

Jahr /  nach unbegleiteter Einreise / andere Gründe
2009:  rd.   1000                                   35.000
2013:  rd.   9000                                   38.000
2015:  rd. 43.000                                  37.000
2016:  rd. 48.000                                  39.000
2018:  rd. 13.000                                  40.000
2019:  rd.   9.000                                  41.000

Siehe auch: Jugendamt (Essay)

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