Jüd. Museum Westfalen III

Exponate aus Amsterdam 1990 – danach Zoll-Posse um „Kunst-Schmuggel“

Wolf Stegemann ersteigert den Abraham Sutro-Becher, den ein Christie’s Mitarbeiter hochhält

Im Jahre 1990 gab es noch nicht das Europa, zu dem es sich danach entwickelte. Die Grenzen waren mit Polizei und Zoll besetzt. Eine freie Durchfahrt nur bei Durchwinken des Grenzbeamten. Ansonsten Kontrolle und eventuell Papier-Bürokratie. Durch ein Dickicht von Formularen und Bestimmungen, die oft widersinnig erschienen, mussten sich Vorstandsmitglieder des Trägervereins des noch im Aufbau befindlichen Jüdischen Museums Westfalen in Dorsten kämpfen, die beim Amsterdamer Auktionshaus Christie’s Exponate für das Museum erworben hatten.
In den Jahren vor Eröffnung des jüdischen Museums, wurden von privaten Anbietern, in Antiquitätengeschäften sowie bei Auktionen in den USA und Amsterdam Gegenstände aus ehemals jüdischen Haushalten und Synagogen erworben, um mit diesen das jüdische Leben im Jahreskreis und im Lebenslauf im Museum darzustellen. Für solche Ankäufe spendeten Banken, Privatpersonen und Unternehmen Geld. Der Innenminister NRW gab 20.000 DM und die NRW-Landesstiftung Naturschutz-, Heimat- und Kulturpflege stelle eine Summe über 320.000 DM zur Verfügung. Mit Geld und einer langen Liste von Gegenständen ausgestattet, reisten Wolf Stegemann, Christel Winkel und Anke Klapsig vom Vorstand des Trägervereins nach Amsterdam. Mit dabei war noch Dr. Birgitte Ringbeck von der NRW-Stiftung Düsseldorf, die heute Ministerialrätin im Auswärtigen Amt ist.

Ein Grenz-Bürokratismus sondergleichen begann

Der Auktion vorangegangen war eine Anfrage bei der inländischen Zollbehörde in Gelsenkirchen, wie denn das Verfahren bei Einfuhr der Exponate aus Holland in die Bundesrepublik ablaufe. Ganz einfach, so die Auskunft: Man bezahle beim deutschen Zoll die deutsche Einfuhr-Umsatzsteuer und könne mit dieser Bescheinigung die gezahlte niederländische Mehrwertsteuer erstattet bekommen. Man könne auch beim Inlandszollamt in Gelsenkirchen bezahlen.

Formulare mussten fünffach mit der Schreinmaschine ausgefüllt werden

Christel Winkel, Wolf Stegemann und Dr. Brigitta Ringbeck (v.l.); Fotos (2): Anke Klapsing

Mit diesem Wissen ausgestattet, packten die Dorstener nach Beendigung der Auktion die Exponate miteinem Ersteigerungswert von umgerechnet rund 55.000 DM ins Auto, fuhren unbehelligt über die Grenze und wollten anderntags beim Zollamt Gelsenkirchen ihrer staatsbürgerlichen Pflicht nachkommen und die deutsche Einfuhr-Mehrwertsteuer bezahlen. Immerhin ein Betrag von über 6000 DM. Doch dann wieherte der Amtsschimmel und wollte gar nicht mehr aufhören. Da gehe so nicht, sagte der Zoll-Beamte in Gelsenkirchen und bezog sich auf einen Wust  von Vorschriften. Man müsse an der Grenze die Ausfuhr bescheinigen lassen. Eigentlich logisch, wenn man’s weiß. Auf die Entgegnung, man habe die Exponate bereits über die Grenze gebracht, stutzte der Beamte und meinte unheilschwanger, dass dies strafbarer Schmuggel sei. Allerdings könne man dies wieder gutmachen, wenn man sich an das nächste niederländische Konsulat wende, den Fall darstelle und sich dort die Ausfuhr bescheinigen lasse. Dieser Weg sei allerdings kosten- und zeitaufwändig.
Zeit und Kosten scheuend und dafür nochmals „Schmuggel“ auf sich nehmend, packten Christel Winkel und Wolf Stegemann den Karton mit dem ersteigerten jüdischen Kulturgut wieder ins Auto, das Scheckheft in die Jacke und fuhren zur Grenze., um die Exponate wieder nach Holland zu bringen, um sie dann offiziell wieder nach Deutschland einzuführen. Doch so einfach, wie es sich hier liest, war es dann doch nicht. An der Grenze mussten erst einmal zwei Formulare, jedes fünffach ausgefüllt werden. Nicht etwa handschriftlich, sondern mit der Schreibmaschine. Der Beamte vor Ort entrüstet: „Das ist doch Vorschrift!“ Und wer kennt schon die verschlüsselten Zahlenangaben über Währungen und Verordnungen, Landescodes u. v. a. Also musste eine in diesen Dingen versierte Spedition mit Büro an der Grenzstation zwischengeschaltet werden, die, obwohl sie die aus- bzw. einführende Ware weder transportiert noch gesehen hatte, aber 142,50 DM für das Ausfüllen des Formulars an der Schreibmaschine verlangte.

Kein Scheck: Zoll wollte nicht auf drei Tage Zinsverlust verzichten

Mit den abgestempelten Papieren war es nun einfach, vom niederländischen Zoll die Ausfuhr zu bekommen. Schließlich hatte man ja einen Berechtigungsschein, eine Art Laufzettel, der vom holländischen und deutschen Zoll abgestempelt werden musste und demzufolge man sich da aufhalten durfte, wo man sich eben aufhielt, um die Steuern zu bezahlen. Mit dem immer dicker werdenden Papierstapel ging es dann zum deutschen Zoll. Der wollte die 6169,90 DM Einfuhr-Umsatzsteuer aber nur in bar und nahm einen Scheck nicht an. Denn, so die Begründung des abweisenden Zollbeamten hinter der Panzerglasscheibe der Kasse: „Sie sind nicht steuerabzugsberechtigt! Wenn Sie mit Scheck eine sofort fällige Steuer bezahlen, dann haben Sie den Vorteil, noch drei Tage lang das Geld auf ihrem Konto zu haben, bis der Scheck eingelöst wird. Und wir haben den Nachteil der verlorengegangenen Zinsen von drei Tagen. Ausnahmen sind nicht möglich, weil dies denen gegenüber, die bar bezahlen, ungerecht wäre!“

Mit Verrechnungsscheck Bargeld? Geht nicht! Also Blitzgiro

Teil der bei Christie’s ersteigerten Eponate

War also auch dieser Weg, die Steuern zu bezahlen, umsonst gewesen? Der Speditionsangestellte wusste einen Ausweg. Anruf bei der Dorstener Bank, dass ein Barscheck in einer holländischen Bank im grenznahen Ort Elten eingelöst werde. Also fuhren die Dorstener mit dem Karton Kulturgut, um dessen Grenz-Versteuerung es ging, unversteuert von der Grenze wieder weg nach Elten, erklärten dort ihr Problem. Die Bankangestellte telefonierte mit der Bank in Dorsten, um sich zu vergewissern, dass der Scheck gedeckt sei. Nachdem das geklärt war, füllte die Kassiererin des Trägervereins, Christel Winkel, den Scheck aus. Dabei bemerkte die Bankangestellte, dass dies ein Verrechnungsscheck sei und kein Barscheck. Der konnte nicht eingelöst werden. Also nochmals ein Telefongespräch mit der Dorstener Bank, die dann bereit war, das Geld mit „Blitzgiro“ zu schicken.  Nach gute einer halben Stunde kam das Geld und die beiden konnten nach Zahlung einer zweistelligen Banküberweisungsgebühr mit Bargeld in der Tasche und immer noch den Karton mit den Exponaten im Kofferraum zurück zur Grenze fahren. „Na! Haben Sie’s?“ empfing der Zollbeamte, der nicht auf drei Tage Zinsverlust verzichten wollte, die Dorstener am Eltener Zoll.
Das war nicht das letzte Amtschimmel-Gewieher. Jetzt musste mit nicht weniger Formularen die Erstattung der niederländischen Mehrwertsteuer beim holländischen Zoll beantragt werden und beim deutschen Zoll die gerade eingezahlten 6169.90 DM. Denn der Trägerverein war als gemeinnütziger Kulturverein von der Zahlung der Umsatzsteuer befreit. Allerdings erst nach Zahlung derselben. Das dauerte rund zwei Monate. Die Zinsen dafür steckte natürlich die Finanzkasse ein. Da waren die Finanzbeamten überhaupt nicht pingelig.

Siehe auch: Jüd. Museum (Übersicht)
Siehe auch: Jüd. Museum I
Siehe auch: Jüd. Museum II
Siehe auch: Jüd. Museum: Altgebäude
Siehe auch: Jüd. Gedenkstein
Siehe auch: Jüd. Gedenktafel
Siehe auch: Jüd. Familien 1933-1942
Siehe auch: Verein jüd. Geschichte/Religion
Siehe auch: Dr. Kathrin Pieren


Quellen: „Ruhr-Nachrichten“ vom 2. Juli 1990. – Stegemann/Eichmann „Jüdisches Museum Westfalen“, Katalog 1992.

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