Ev. Jungfrauenverein

„Jugendbund Martha“ in der Martin-Luther-Kirche in Holsterhausen

Von Wolf Stegemann – Jünglings- und Jungfrauenvereine wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen Orten Deutschlands gegründet. Diese Vereine entstanden im Zusammenhang mit der evangelischen Erweckungsbewegung (siehe Erläuterung unten). Es e-evangelischer-jungfrauenverein-holsterhausengab und gibt jedoch auch katholische Jünglings- und Jungfrauenvereine bzw. deren Nachfolgevereine. Die Vereine dienten religiösen und erzieherischen Zwecken. Sie waren meist an Kirchengemeinden gebunden. Heute noch bestehende Vereine und Nachfolgeorganisationen betätigen sich auch im Brauchtum (Prozessionen, Karnevalbrauchtum). Der Evangelische Jungfrauenverein Holsterhausen entstand 1920 unter Leitung der aus Colmar im Elsass stammenden Lehrerin M. Nadelhoffer mit 15 Holsterhausener Mädchen als „Jugendbund Martha“. Die Gründungsgeschichte und die Chronik der ersten vier Jahre schrieb die an der Wilhelmschule tätige Lehrerin in ein Schreibheft, das einen tiefen Einblick in den Zeitgeist des evangelischen Gemeindelebens jener Zeit in Holsterhausen vermittelt.

„Am 12. Oktober 1920 fingen wir in Gottes Namen den Jungfrauenverein von Holsterhausen [an]. Im Lesesaal waren 8 Uhr abends versammelt: Lore Schaub, Marta Thiemann, Grete Schaub, Ella Hofmann, Trude Fröhlich, Ella Bendlage, Marga Balke, Liny Balke, Hilde Schaub, Emmy Häuser, Mathilde Steinmeier, Anna Jülich, Theresa Krause, Anna Graupner und Martha Graupner. Im ganzen 15 junge Mädchen… Die Vereinigung will vor allen Dingen Freude und Geselligkeit pflegen auf christlicher Grundlage. Sie bietet Besprechungen, Vorlesen über Mission, Politik, Literatur, Kindererziehung, häusliche Fragen und wirkliche Freude an schönen Liedern. Mitglied derselben kann jedes junge Mädchen, das konfirmiert ist, werden. Als Beitrag zahlen wir 50 Pfg. monatlich, die schon am ersten Vereinsabend des Monats eingezogen werden.“

Die jungen Frauen trafen sich regelmäßig im Betsaal der Wilhelmschule, denn die Kirche wurde erst 1924 gebaut, für die sie das Kanzeldach spendeten. Bei den Treffen wurde gemeinsam in der Bibel oder aus Romanen vorgelesen, beispielsweise aus Käthe Dorns „Haustöchterchen“ oder „Hochzeitsreise der Adelheid von Rothenburg“. M. Nadelhoffer gab auch politische Nachhilfe, wenn sie als Elsässerin aus ihrer Franzosenzeit erzählte:

„Ich suchte besonders nachzuweisen, wie dieses Volk im Elsass Hass und Verachtung für Deutschland predigte und wie ihm keine Mittel zu niederträchtig waren. Bilder und Schilderungen führten uns im Geiste in die nun verloren gegangene Provinz Elsass-Lothringen und wir sahen das Kulturvolk der Franzosen sein Panier in dem alten deutschen Lande aufschlagen.“

Grimms Märchen und Bürgerkunde standen auf dem Programm

Bürgerkunde stand ebenso auf dem Programm wie Grimms Märchen. Zwischendurch übte Rektor Nölle mit den Mädchen fleißig den Gesang. In dem Heft mit den fröhlichen und banalen Texten fallen plötzlich einige Zeilen auf, die einen andern Ton sprechen:

„Am 9. August starb die alte, blinde Frau in der Kolonie, bei der die Mädchen einmal gesungen hatten. Sie ist verhungert, eine Folge von Speisenröhrenkrebs. Die Mädchen legten einen Kranz auf das frische Grab.“

Mit Ende des Jahres 1924 war das Heft voll geschrieben. Vermutlich ist die Chronik in anderen Heften weiter geschrieben worden. Diese sind offensichtlich verloren gegangen.

Die Erweckungsbewegung: Als solche werden Strömungen im Christentum bezeichnet, die die Bekehrung des Einzelnen und praktische christliche Lebensweise besonders betonen. Gemeinchristliche oder konfessionelle Dogmen sowie rationales Verstehen treten dahinter zurück. Erweckungsbewegungen gehen davon aus, dass lebendiges Christentum mit der Antwort des Menschen auf den Ruf des Evangeliums zu Umkehr und geistiger Erneuerung beginnt. Charakteristisch für Erweckungsbewegungen sind persönliche Bekehrungen, die in einer veränderten Lebensweise resultieren. Die meisten Erweckungsbewegungen bildeten sich innerhalb des Protestantismus oder dessen Umfeld.

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