Einbürgerung II

Der Fall Attris: Nach 30 Jahren immer noch nicht eingebürgert!

Einbürgerung am unverständlichen Handeln Zynismus des Ausländeramtes seit 30 Jahren gescheitert (Symbolbild) Verwaltung gescheitert (Symbolbild)

Einbürgerung am unverständlichen Handeln des Dorstener Ausländeramts gescheitert (Symbolbild)

Von Wolf Stegemann. – Infolge des Libanonkriegs kam vor über 30 Jahren die im Libanon beheimatete Familie Attris nach Dorsten und erhielt 1984 als Kriegsflüchtlinge Asyl. Die Familie bestand aus Vater Hassan, Mutter Nadja und fünf im Libanon geborenen Kindern zwischen fünf Jahren und acht Monaten. Sie wurden von Dorstener Lokalpolitikern und auch den Lokalzeitungen mit großem Jubel und vielen Versprechungen empfangen. Vater Hassan Attris durfte arbeiten. Er unterstützte als Dolmetscher das mit zwei Stellen besetzte Ausländeramt im Dorstener Rathaus. Mit den beiden dort tätigen Mitarbeitern soll er in Duzfreundschaft gestanden haben.
Als sich die Verhältnisse im Libanon nach Jahren änderten, wurde das Asylrecht der Familie zurückgenommen und ihr vom Ausländeramt die Ausreisepflicht mitgeteilt. Da die Familie keine „Papiere“ hatte, lediglich der Vater ein libanesisches Ausreisepapier, mit dem er als „staatenlos“ erklärt wurde, konnte die Familie mit den fünf Kindern, zu denen in Dorsten noch sieben dazukommen sollten, nicht abgeschoben werden. Wohin auch, denn die Staatsangehörigkeit der Eltern und der fünf im Libanon geborenen Kinder war und blieb bis heute ungeklärt.
Von der Zeit an, als die Ausreise durch fehlendes Herkunftsland nicht möglich war, fühlte sich die Familie Attris durch das Zwei-Personen-Ausländeramt im Rathaus unter Druck gesetzt. Denn sie sollten nachweisen, dass sie Türken seien. Da sie das nach ihren Angaben nicht waren und sind, kamen immer wieder neue Aufforderungen aus dem Ausländeramt, dies doch endlich pflichtgemäß nachzuweisen.
Kein türkisches Konsulat konnte der Familie bei ihrer Suche nach türkischer Herkunft helfen, auch nicht das türkische Außenministerium in Ankara, das sich über das Verhalten des Dorstener Ausländeramtes in einem Telefongespräch mit der Tochter Fatma Attris, das  Ratsfrau Petra Somberg-Romanski mithörte, sehr wunderte, um es vorsichtig auszudrücken.

Türkisches Konsulat: Familie ist nicht türkisch – Ausländeramt: doch!

Die Familie Attris verzweifelte. Immer wieder legte sie dem Ausländeramt ihre Situation dar. Davon ließ sich der für die Familie zuständige Sachbearbeiter Detlef Wischerhoff, früher Kulturamt, offensichtlich nicht beeindrucken. Denn er recherchierte selbst die Herkunft der Familie Attris und will in einem offiziellen türkischen Papier, das er den Attris’ überreichte, die türkische Herkunft festgestellt haben. Seither hält die Verwaltung an diesem Gespinst fest.

Mit diesem Papier ging die Mutter Nadja Attris in Begleitung ihrer Tochter Fatma und Petra Somberg-Romanski zum türkischen Konsulat in Münster. Die Mutter wäre alleine gar nicht eingelassen worden, weil sie nicht türkisch sprach und keinen Ausweis vorlegen konnte.  Petra Somberg-Romanski durfte das Konsulat betreten. Der Konsularbeamte konnte das vom Ausländeramt übermittelte Papier nicht anerkennen, schüttelte den Kopf und bewertete es diplomatisch und freundlich als „eine nicht nachvollziehbare Kopie“. Der Hinweis aus dem Rathaus, dass Frau Attris in Deutschland lebende türkische „Geschwister“ habe, ist für das Ausstellen eines Nationalpasses für die türkischen Behörden für die Staatsangehörigkeit rechtlich nicht relevant.

Auch die Ehe mit 12 Kindern wird in Dorsten nicht anerkannt

Erinnert sei auch an die Fälle, in denen das Dorstener Ausländeramt Asylbewerber aus dem Libanon in die Türkei abschieben ließ mit der falschen Behauptung, diese seien Türken. Die Türkei schob sie umgehend nach Dorsten zurück mit dem Hinweis, dass die Männer keine Türken seien. Die Stadt blieb auf den Kosten sitzen. Obwohl die Eheleute ihre im Libanon geschlossene Ehe eidesstattlich versichert haben, erkennt das Dorstener Ausländeramt die Ehe der muslimischen Eheleute Attris nicht an. Um den Status der außerehelichen Geburt der Kinder zu legitimieren, machte das Ausländeramt dem heute im Alter von annähernd 70 Jahren befindlichen Eheleuten das Angebot, nach deutschem Recht in Deutschland zu heiraten. Ohne Papiere? Geht das überhaupt?
In einem Schreiben des Ausländeramts vom 11. Mai 2015 an die Ratsfrau Petra Somberg-Romanski, wird der Vorschlag einer Hochzeit der Eheleute Attris wieder aufgegriffen. Im Brief sprich das Ausländeramt Nadja Attris mit ihrem Mädchennamen Turgay an, als wäre sie nicht verheiratet. Doch sie ist es und hat zwölf zum Teil in Dorsten geborene Kinder:

„Mit dem Besitz eines türkischen Nationalpasses eröffnet sich für Frau Turgay dann die gewünschte Perspektive eines dauerhaften Aufenthalts in Deutschland (nach 30 Jahren!) Nach Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen könnte dies in Form einer Niederlassungserlaubnis mit der späteren Option der Einbürgerung als deutsche Staatsangehörige sein. Darüber hinaus hätte Frau Turgay mit dem Nationalpass die Möglichkeit, die bisher nach deutschem Recht nicht anerkannte Eheschließung nachzuholen und aufgrund der Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen eine Aufenthaltsgenehmigung … zu bekommen, die in kürzester Zeit zu einer Niederlassungserlaubnis bzw. – falls von Frau Turgay angestrebt – zur Einbürgerung führen kann (vorbehaltlich der dann geltenden gesetzlichen Bestimmungen). Mit freundlichen Grüßen Lars Ehm, Erster Beigeordneter“

Warum dieser Zynismus?

Dieser Zynismus nach 30 Jahren vergeblicher Versuche der Herkunftsbestimmung und Einbürgerung ist nicht zu übertreffen. Alle Familienmitglieder, einschließlich Ehemann (2010), haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, manche durch Geburt, andere auf dem Klageweg (2011). Nicht aber die Mutter von zwölf Kindern und mehrfache Großmutter. Alle ihre Kinder sind mittlerweile Deutsche und als solche gut integriert, gehen ihren erlernten Berufen nach, leben in Dorsten und anderswo. Mutter Nadja, der das Dorstener Ausländeramt nun schon 30 Jahre lang die Einbürgerung verweigert, durfte viele Jahre Dorsten gar nicht verlassen. Noch heute kann sie nicht ins Ausland reisen, um mit ihren Kindern Urlaub zu machen. Sie darf seit 30 Jahren nicht einmal ein Konto haben, keinen Einschreibebrief empfangen, keine Telefonverträge abschließen und all das nicht, wozu man einen Ausweis braucht. Sie ist dadurch zu einem „Nicht-Menschen“ gestempelt, wie Petra Somberg-Romanski sagt.
Nadja Attris’ großer Lebenswunsch ist es, als gläubige Muslima nach Mekka zu pilgern. Das bleibt ihr durch die unverständliche Bürokratie und das in diesem Fall als durchaus unmenschlich zu bewertende Verhalten im Dorstener Rathaus versperrt. Wie sagte doch ein berühmter Philosoph und Historiker: Gebt einem kleinen Beamten Macht über Menschen, dann wird er sie missbrauchen. Im Großen wie im Kleinen. Die Geschichte kennt solche Fälle.


Siehe auch: Asyl (Artikelübersicht)
Siehe auch: Einbürgerungen I (Essay)
Siehe auch: Integrationsforum
Siehe auch: Integratiionsrat


Quellen:
Brief der Stadt Dorsten, Erster Beigeordnete Ehm, an Petra Somberg-Romanski  vom 11. Mai 2015. – Antwortschreiben Petra Somberg-Romanskis vom 13. Mai 2015. –Beglaubigte Verstorbenenliste mit den Namen der Eltern des Centre de Traduction Juridique et Technique, Beirut/Libanon, vom 15. Mai 2011. – Gespräch mit der Ratsfrau (SPD) Petra Somberg-Romanski am 13. Mai 2015.

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone

Dieser Beitrag wurde am veröffentlicht.
Abgelegt unter: , Asyl