Bürgergeld unter Beschuss

Größte Sozialreform seit Jahrzehnten in der Kritik von Experten

Es sollte ein großer Wurf werden und Hartz IV ablösen. „Das Bürgergeld ist die größte Sozialreform seit Jahrzehnten“, sagte Hubertus Heil 2023. Zwölf Monate und eine Haushaltskrise später stand das Bürgergeld unter Beschuss von Kritikern – und der SPD-Arbeitsminister hat Pläne für Verschärfungen in die Gesetzesvorhaben der Bundesregierung gegeben. Was lief bzw. läuft schief beim Bürgergeld und welche Reformen sind geplant? Die Unionsparteien kritisieren die Grundsicherung in geltender Fassung. So kündigte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann an, seine Partei werde das Bürgergeld in jetziger Form abschaffen. Denn das Bürgergeld, Nachfolger vom Hartz-IV, öffne eine „Gerechtigkeitslücke“: Es gebe Fälle, in denen Arbeitnehmer am Monatsende weniger Geld hätten als Bürgergeldempfänger. CSU-Chef Markus Söder erklärte: „Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet.“

Inflationszuschlag fällt 2025 wieder weg

Für Alleinstehende stieg der Bürgergeldsatz um 61 auf 563 Euro im Monat. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte in einem Interview, die Berechnungsmethode müsse überprüft werden, „damit die Inflation nicht überschätzt wird“. Doch die Entwicklung der Regelsätze dürfte Anfang 2025 auch ohne solche Eingriffe viele Betroffene enttäuschen. „Nächstes Jahr könnte es eine Nullrunde geben“, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Denn seit der Bürgergeld-Reform wird der Regelsatz in zwei Schritten erhöht. Es gibt die Basis-Fortschreibung – sie orientiert sich zu 70 Prozent an der Inflation und zu 30 Prozent an den Lohnsteigerungen der Vorjahre. Dazu kam im Jahr 2023 eine ergänzende Fortschreibung anhand der starken Inflation im zweiten Quartal 2023. Doch dieser zweite Posten fällt bei der Berechnung der nächsten Anpassung der Regelsätze für Anfang 2025 wieder weg. Zwar wird die Anpassung für 2025 erneut in zwei Schritten berechnet – aber die dann maßgebliche Inflation sinkt aktuell. „Es ist absehbar, dass die ergänzende Fortschreibung stark schrumpfen und die Basisfortschreibung fast auffressen wird“, sagt Weber. Die Höhe des Bürgergelds dürfte 2025 stagnieren.

Leistungen werden je nach Einkommen zu verschiedenen Anteilen gekürzt

Forscher geben der Opposition teils recht bei der Kritik, dass sich ein Arbeitseinkommen für Beziehende von Leistungen nicht immer lohnt. Der Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft IW, Holger Schäfer, erläutert: „Bei großen Bedarfsgemeinschaften mit Erwerbseinkommen besteht oft ein Anspruch auf ergänzende Leistungen: Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld.“ In der Summe habe ein Erwerbstätiger zwar immer mehr Geld zur Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger, der nicht arbeitet. „Das heißt aber nicht unbedingt, dass sich arbeiten für jeden auch lohnt.“ IAB-Forscher Weber sagt: „Fehlanreize gibt es für den, der eine bestehende Beschäftigung ausweitet und in einem größeren Haushalt lebt.“ Ein Beispiel eines Gutachtens der Institute ifo (München) und ZEW (Leipzig) im Auftrag von Heils Ministerium zeigt den geringen finanziellen Vorteil von Mehrarbeit für den Fall einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern. Ohne Arbeitseinkommen fließen demnach 2169 Euro Sozialleistungen, bei einem Minijob-Lohn von 520 Euro bleiben 2353 Euro auf dem Konto, bei 1000 Euro insgesamt 2823 Euro, aber bei 1500 Euro Arbeitseinkommen brutto nur wenig mehr – nämlich 2907 Euro. „Es existieren also nach wie vor Einkommensbereiche“, so die Studie, „in denen (…) sich zusätzliches Bruttoerwerbseinkommen kaum und mitunter sogar negativ auf das verfügbare Einkommen auswirkt.“ IAB-Forscher Weber erläutert, mit dem Bürgergeld seien Anreize zum Arbeiten zwar etwas verbessert worden. Doch es blieb kompliziert – Leistungen werden je nach Einkommen zu verschiedenen Anteilen gekürzt. Weber schlägt vor: Sozialleistungen zu bündeln – einheitlich 30 Prozent sollten anrechnungsfrei bleiben.

Bei Arbeitsverweigerung Wegfall der Leistungen bis zu zwei Monaten

Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld sind im Vergleich zu früheren Hartz-IV-Zeiten moderat: 10 Prozent bei versäumten Terminen, bis zu 30 Prozent bei absprachewidrig unterlassenen Bewerbungen oder Kursteilnahmen. „Im Ergebnis werden derzeit weit weniger Sanktionen verhängt als vor der Covid-Pandemie“, sagt IW-Forscher Schäfer. Heil hat nun eine gesetzliche Regelung auf den Weg gebracht, die einen kompletten Wegfall der Leistungen für bis zu zwei Monaten ermöglichen soll, wenn Beziehende „zumutbare Arbeitsaufnahmen beharrlich verweigern“. Doch IAB-Experte Weber bezweifelt, dass „schwarze Schafe“ stets eindeutig auszumachen seien.

Siehe auch: Bürgergeld
Siehe auch: Bürgergeld / Ungerechtigkeiten


Quelle: Entnommen Basil Wegener in RN vom 14. Jan. 2024

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