Altes Standesamt Wulfen

Von 1874 bis 1920 über 12.600 Geburten und 2.300 Hochzeiten

Zeichnung über den Abriss von ....Melles 1981

Die Grafik des Wulfener Designers Melles stellt den Abriss des Alten Standesamts dar, 1981

Das frühere Amtshaus in Wulfen, in der Bevölkerung nur „Altes Standesamt“ genannt (kgl. Standes-Amt Lembeck-Altschermbeck), weil es bis 1975 als solches noch diente, stand seit dem Abbruchbeschluss des Rates von 1979 leer. Schüler und Jugendliche sowie junge Erwachsene, darunter etliche ohne Arbeit und Obdach, hatten das leere Gebäude als Jugendhaus eingerichtet und wollten mit Hilfe von Pädagogen und Sozialarbeitern eine neue Weise des Miteinanderlebens erproben, eine Ganzheit aus Wohnen und Arbeiten sowie einer Kultur nahe am Alltag. Als die Abbruchbagger 1981 das Haus abreißen wollten, demonstrierten Bürger aller sozialen Schichten, darunter auch Ratsmitglieder, friedlich gegen den Abbruch. Jugendliche besetzten ebenso friedlich das Haus, das schließlich geräumt und abgerissen wurde, weil es dem Neubau der Matthäusschule weichen sollte.

Das Gebäude hatte eine historische Vergangenheit. Als 1874 das neue Standesamtgesetz Rechtskraft erlangte, mussten Personenstandsangelegenheiten staatlich verwaltet werden. Vorher wurden Geburten, Hochzeiten und Todesfälle in den Pfarrbüchern geführt. Das Standesamt in Wulfen war für alle sieben Gemeinden der Herrlichkeit Lembeck zuständig. Es gab sogar zwei getrennt geführte Standesämter unter einem Dach und mit einem Standesbeamten. In dem einen wurden die Personenstandsbücher des Amtes Lembeck mit den Gemeinden Lembeck, Wulfen und Hervest, im anderen die des Amtes Altschermbeck mit den Gemeinden Altschermbeck, Rhade, Holsterhausen und Erle geführt. Standesbeamter war laut Gesetz der jeweilige Hauptgemeindebeamte, also der Amtmann. Von 1874 bis 1875 war es Amtmann Franz Brunn, der bereits seit 1837 die Ämter Lembeck und Altschermbeck verwaltete. Dann kam bis 1907 Amtmann Hubert Koch, ihm folgte bis 1907 Amtmann Ignatz Freiherr von Twickel, danach bis 1931 Amtmann bzw. Bürgermeister Christoph Kuckelmann, dem bis 1939 Amtsinspektor Josef Brauckhoff folgte, danach wurde Amtsoberinspektor a. D. Theodor Küper Standesbeamter in Wulfen.

Standesämter hatten keine feste Bleibe

Die Amtszimmer des Standesamtes befanden sich an verschieden Orten, bevor sie im „Alten Standesamt“ untergebracht wurden: 1875 im Haus von Amtmann Brunn, Haus Wienbecke, bis 1877 in der Wirtschaft Lohkamp (später Altegoer), danach in dem von Amtmann Koch erbauten und von der Amtsverwaltung gekauften Haus Wulfen Nr. 88. Im Dezember 1907 wurde die Amtsverwaltung mit dem Standesamt in das neue Amtshaus verlegt. Von 1938 bis 1939 war das Standesamt in der Wohnung des Standesbeamten Brauckhoff, danach wieder in der alten Bürgermeisterwohnung neben dem früheren Amtshaus. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs bekamen die Gemeinden Holsterhausen und Hervest eine eigene Verwaltungsnebenstelle im Gebäude des ehemaligen Gutes Pliesterbeck in Holsterhausen (Kommissariat), in das 1920 ein für Holsterhausen und Hervest zuständiges Standesamt eingerichtet wurde. Wulfen war von da an ein eigener Standesamtsbezirk. Für das Amt Lembeck wurden in Wulfen von 1874 bis 1920 über 7.420 Geburten, 1.433 Eheschließungen und 4.337 Sterbefälle registriert; für Altschermbeck 5.257 Geburten, 921 Eheschließungen und 3.510 Sterbefälle.

Rückblickender Kommentar
von Michael Klein in der Dorstener Zeitung 40 Jahre nach dem Abriss

„Ein altes, leer stehendes Amts-Gebäude wurde vor 40 Jahren in Dorsten von jungen Leuten besetzt. Heute würde eine solche Aktion von unserer Lokalredaktion mit Sonderseiten, Live-Ticker und Videos begleitet werden. 1981 aber: ein kleiner Artikel mit Bild drei Tage nach der Besetzung, dann kaum noch etwas mehr. Und als das Haus vier Wochen später abgerissen wurde: nur ein Foto mit einem spärlichen Acht-Zeiler. Wären diese jungen Menschen damals Abonnenten dieser Zeitung gewesen, sie hätten sicher darüber hinaus noch für eine bessere Berichterstattung protestiert – und zur Bekräftigung ihrer Forderungen womöglich unser Verlagsgebäude am Südwall besetzt.“

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